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BGH - Entscheidung vom 05.05.2021

AK 32/21

BGH, Beschluss vom 05.05.2021 - Aktenzeichen AK 32/21

DRsp Nr. 2021/8227

Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Syrien-Krieges; Voraussetzungen für die Fortdauer einer Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus

Die Voraussetzungen für die Fortdauer einer Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO ) sind gegeben, wenn die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen ein Urteil noch nicht zugelassen haben und die Haftfortdauer rechtfertigen.

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 19. Juni 2020 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs ersetzte seinen ursprünglichen Haftbefehl vom 19. Juni 2020 ( 4 BGs 76/20) durch Haftbefehl vom 16. Dezember 2020 ( 4 BGs 201/20). Gegenstand dieses aktuell vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe in der Zeit von Mitte 2011 bis Ende 2012 in H. (Syrien) durch dieselbe Handlung mehrere Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, einen Menschen aus niedrigen Beweggründen getötet und in mehreren Fällen Körperverletzungs- sowie Freiheitsberaubungsdelikte verwirklicht.

Der Senat hat mit Beschluss vom 3. Februar 2021 ( AK 50/20) entschieden, dass eine Haftprüfung durch ihn seinerzeit nicht veranlasst gewesen sei; denn der zweite Haftbefehl habe neue selbständige Taten zum Gegenstand, die noch nicht Gegenstand des vorangegangenen gewesen sowie erst im Laufe der Ermittlungen bekannt geworden seien, für sich genommen den Haftbefehlserlass rechtfertigten und sich erst am 16. Oktober 2020 zu einem dringenden Tatverdacht verdichtet hätten.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Beschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO ).

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem, bereits im Senatsbeschluss vom 3. Februar 2021 näher dargelegten Sachverhalt auszugehen:

aa) Syrische Sicherheitskräfte versuchten spätestens ab März 2011, Proteste aus der Bevölkerung im Rahmen des sogenannten "Arabischen Frühlings" gewaltsam zu unterdrücken. Dazu wurden tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle und Regimekritiker verhaftet, misshandelt, gefoltert und sogar getötet.

bb) Der Beschuldigte war in den Jahren 2011 sowie 2012 als Assistenzarzt im Militärkrankenhaus in H. tätig und befürwortete das Vorgehen des Regimes gegen die oppositionelle Bevölkerung. In diesem Zusammenhang beging er in dem Militärkrankenhaus und in einem Gefängnis des militärischen Geheimdienstes eine Vielzahl von Taten gegen unterschiedliche Inhaftierte:

(1) Im Sommer 2011 begoss er das Geschlechtsteil eines in das Krankenhaus eingelieferten 14 oder 15 Jahre alten Jungen mit Alkohol und zündete es an. Dabei nahm er einen Verlust der Zeugungsfähigkeit des Geschädigten in Kauf.

(2) Im Juli/August 2012 misshandelte der Beschuldigte im Krankenhaus mit zwei weiteren Bediensteten einen der Oppositionsbewegung zugerechneten Geschädigten wiederholt über mindestens zehn Tage mit Fäusten und Tritten. Der Gequälte wurde zudem an der Decke aufgehängt und mit einem Plastikstock geschlagen. Bei einem Vorfall schüttete der Beschuldigte eine entzündliche Flüssigkeit auf die Hand des am Boden Liegenden, setzte diese in Brand und forderte sodann einen Begleiter auf, das Feuer zu löschen.

(3) Im selben Zeitraum ließ sich der Beschuldigte im Gefängnis die entzündeten Wunden eines dort Inhaftierten zeigen. Er trat mit seinem verschmutzten Schuh in dessen Wunden und setzte eine Wunde am Unterarm mit einem Desinfektionsmittel in Brand. Auf seine Aufforderung trat ein Krankenpfleger den Brand aus, stellte sich aber auf den Arm. Ein anderer versetzte dem Geschädigten einen Tritt in das Gesicht und Schläge mit einem Stock.

(4) Der Beschuldigte suchte wenige Tage später erneut die Gefängniszelle auf und schlug auf die Hände der mehr als zwanzig Insassen ein. Als sich einer von ihnen wehrte, tötete der Beschuldigte diesen mittels einer Spritze, um seine Macht zu demonstrieren.

(5) Am 24. Oktober 2011 schlug der Beschuldigte am Eingang des Zellenbereichs auf das Gesicht eines unter Epilepsie leidenden Gefangenen ein und versetzte diesem sowie dessen ebenfalls inhaftiertem Verwandten Schläge mit einem Plastikschlauch. Am nächsten Tag schlug er beide erneut heftig. Einen weiteren Tag danach verabreichte er dem Erkrankten eine Tablette; dieser verstarb noch am selben Tag.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich des Geschehens in Syrien aus einem Sachverständigengutachten und in verschiedenen Sachstandsberichten niedergelegten Ermittlungserkenntnissen des Bundeskriminalamts. Die Handlungen des Beschuldigten haben verschiedene Zeugen geschildert; zudem deuten Eintragungen in seinem Wehrdienstbuch auf eine Tätigkeit in H. hin. Wegen der Einzelheiten der Beweislage, insbesondere auch mit Blick auf gegen den Tatverdacht sprechende Umstände, wird auf die Darlegungen im Senatsbeschluss vom 3. Februar 2021 Bezug genommen. Die anschließenden Ermittlungen, namentlich die Vernehmung weiterer Zeugen, haben daran im Ergebnis nichts geändert. Insoweit ist eine ins Einzelne gehende Glaubhaftigkeitsanalyse der unterschiedlichen Zeugenaussagen in diesem Stadium des Verfahrens weder rechtlich geboten noch tatsächlich möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2019 - StB 21/19, juris Rn. 17 mwN).

Zwar haben zwei Zeugen ausgesagt, mit dem Beschuldigten ab März 2012 gleichzeitig in einem Militärkrankenhaus in D. gearbeitet zu haben. Allerdings entkräftet dies nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand nicht den dringenden Tatverdacht. Abgesehen davon, dass bei der Würdigung der Aussagen ein Austausch der beiden Zeugen zwischen den Vernehmungen zu berücksichtigen ist, hat beispielsweise ein anderer Arzt bekundet, von der Tätigkeit des Beschuldigten dort erst nach Januar 2013 gehört zu haben. Andere Zeugen haben einen Tätigkeitszeitraum des Beschuldigten in H. einerseits und in D. andererseits nicht genauer abgegrenzt. Ausweislich seines Wehrdienstbuches war er zum Fachstudium als Assistenzarzt in dem namentlich bezeichneten, in H. gelegenen Militärkrankenhaus bis Mitte März 2013 zurückgestellt. Selbst wenn er ab März 2012 in D. tätig gewesen sein sollte und einen Zeugen - wie von diesem bekundet - am 27. Februar 2012 in D. zum Hauptbahnhof fuhr, steht dies nicht grundsätzlich der Annahme entgegen, dass er im Sommer desselben Jahres für eine gewisse Zeit in H. gewesen sei; denn die seine Anwesenheit in D. bestätigenden Zeugen haben ausgesagt, sie hätten nicht unmittelbar mit ihm zusammengearbeitet und er habe sicherlich auch Zeit in H. verbracht.

c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in fünf Fällen strafbar gemacht hat, davon in einem Fall in Tateinheit mit Mord, in drei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie mit versuchter schwerer Körperverletzung, gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB , § 211 , § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4, § 226 Abs. 1 Nr. 1 , §§ 22 , 52 , 53 StGB . Insoweit gelten die Rechtsausführungen im Beschluss vom 3. Februar 2021 fort.

2. Es bestehen weiterhin aus den dort dargelegten Erwägungen die Haftgründe der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) - der Schwerkriminalität. Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO ) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Seit der letzten Bewertung durch den Senat ist eine Vielzahl weiterer Zeugen, insbesondere zur Berufstätigkeit des Beschuldigten im Tatzeitraum, vernommen worden. Zur Abklärung etwaiger sich aus den Aussagen ergebender Widersprüche in Bezug auf eine frühere Verletzung des Beschuldigten ist dessen körperliche Untersuchung angeordnet worden. Zudem sind sonstige gebotene Ermittlungen geführt worden. Insgesamt ist das Verfahren dadurch geprägt, dass die in Rede stehenden Tatorte in einem ausländischen Staat liegen, mit dem kein Rechtshilfeverkehr besteht, es sich um mehrere Tatvorwürfe gegen unterschiedliche Personen handelt und eine Aufklärung sowohl in Bezug auf die Behandlung von inhaftierten Oppositionellen in Syrien als auch hinsichtlich der persönlichen Situation des Beschuldigten im Tatzeitraum erforderlich ist. Vor dem Hintergrund dieser besonderen Umstände geht der Senat davon aus, dass die verbleibenden Ermittlungen mit Blick auf die fortschreitende Haftdauer besonders zügig geführt und in angemessener Zeit abgeschlossen werden.

4. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits selbst angesichts des inzwischen insgesamt über zehn Monate dauernden Freiheitsentzugs nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ).