Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 18.02.2021

IX ZB 28/20

Normen:
ZPO § 574 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 18.02.2021 - Aktenzeichen IX ZB 28/20

DRsp Nr. 2021/4446

Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde mangels grundsätzlicher Bedeutung

Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ( EuGVVO ) regelt nur die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen aus Mitgliedstaaten in anderen Mitgliedstaaten. Für die Vollstreckung inländischer Entscheidungen gilt hingegen das nationale Recht. Eine Versagung der Vollstreckung gemäß Art. 46 EuGVVO kommt daher nur in Betracht, wenn es sich um die Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union handelt.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 20. April 2020 wird auf Kosten der Antragstellerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert wird auf 8.663,08 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 574 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Das Landgericht Görlitz verurteilte die Antragstellerin durch Versäumnisurteil vom 18. September 2019 zur Zahlung von 5.663,08 € zuzüglich Zinsen und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie zur Herausgabe bestimmter Dokumente. Die Antragstellerin legte Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein. Sie machte unter anderem geltend, die Klageschrift sei ihr nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.

Die Antragsgegnerin erwirkte aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteiles einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss und pfändete Forderungen der Antragstellerin gegen die V. . Die Antragstellerin legte Erinnerung gegen die Zwangsvollstreckung ein.

Die Antragstellerin behauptet, sie habe ihren Sitz in London. Sie beruft sich auf Art. 45 , 46 EuGVVO . Mit ihrem beim Landgericht Osnabrück eingereichten Antrag begehrt sie festzustellen, dass die Anerkennung des Versäumnisurteils des Landgerichts Görlitz und die Vollstreckung aus diesem Urteil zu versagen seien. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, Art. 45 ff EuGVVO seien nur auf die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Titel anwendbar. Dies setze voraus, dass der Titel in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erlassen worden sei und der Antragsgegner aus diesem Titel in Deutschland zu vollstrecken suche. Dies sei nicht der Fall, weil im Streitfall Ursprungsstaat und ersuchter Staat identisch seien. Zudem fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag, weil die Antragstellerin innerstaatliche Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen das Versäumnisurteil und die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil einlegen könne.

2. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 15 Abs. 1 AVAG , § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Beurteilung des Beschwerdegerichts eine Entscheidung des Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

a) Zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (fortan: EuGVVO ) nur die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen aus Mitgliedstaaten in anderen Mitgliedstaaten regelt (Rauscher/Mankowski, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl., Art. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 38). Für die Vollstreckung inländischer Entscheidungen gilt hingegen das nationale Recht. Eine Versagung der Vollstreckung gemäß Art. 46 EuGVVO kommt daher nur in Betracht, wenn es sich um die Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union handelt.

Kapitel III der EuGVVO regelt die Anerkennung und Vollstreckung. Dabei handelt es sich um Fragen, die nur für Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erheblich sind. Die Bestimmungen der Art. 36 bis 38 EuGVVO betreffen die Frage, welche Wirkungen eine Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates in dem Staat entfaltet, in dem die Entscheidung anerkannt werden soll (vgl. hierzu Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl., Art. 36 Brüssel Ia-VO Rn. 3 mwN). Die Wirkungen eines inländischen Urteils bedürfen keiner solcher Regelung, weil sie sich bereits aus dem nationalen Recht ergeben. Die Art. 39 ff EuGVVO regeln, unter welchen Voraussetzungen Entscheidungen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union in dem Staat vollstreckbar sind, in dem eine Vollstreckung erfolgen soll (vgl. zum Regelungskonzept Rauscher/Mankowski, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl., Vorbemerkungen zu Artikel 39 bis 41 Brüssel Ia-VO Rn. 1 ff). Die Vollstreckbarkeit inländischer Entscheidungen bedarf keiner solcher Regelung, weil sie sich nach dem nationalen Recht richtet.

Dies folgt zudem aus der bewusst getroffenen Unterscheidung zwischen Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 Buchst. d EuGVVO ) und ersuchtem Mitgliedstaat (Art. 2 Buchst. e EuGVV). Die Bestimmungen über die Anerkennung und Vollstreckung trennen daher durchgängig zwischen dem Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung ergangen ist, und dem Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung anerkannt und vollstreckt werden soll. Dieser wird stets als "anderer Mitgliedstaat" bezeichnet (vgl. nur Art. 36 Abs. 1 , Art. 39 EuGVVO ). Daraus folgt, dass Art. 45 , 46 EuGVVO nur in den Fällen anwendbar sind, in denen Ursprungsmitgliedstaat und ersuchter Mitgliedstaat nicht identisch sind.

b) Diese Fragen sind nicht weiter klärungsbedürftig. Die Antragstellerin zeigt keine Stimmen auf, die bei einer Vollstreckung einer inländischen Entscheidung zusätzlich zu den nach nationalem Recht bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten eine weitere Überprüfung der Vollstreckbarkeit im Verfahren nach Art. 45 , 46 EuGVVO fordern.

Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV ist nicht geboten. Die richtige Auslegung der Art. 45 , 46 EuGVVO hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs ist angesichts des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks derart offenkundig zu beantworten, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt ("acte clair", vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 16 - C.I.L.F.I.T.; vom 15. September 2005 - C-495/03, Slg. 2005, I-8151 Rn. 33 - Intermodal Transports; BVerfG, WM 2015, 525 , 526).

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 17 Abs. 2 AVAG , § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

Vorinstanz: LG Osnabrück, vom 27.01.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 3090/19
Vorinstanz: OLG Oldenburg, vom 20.04.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 9 W 4/20