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BGH - Entscheidung vom 24.03.2021

LwZB 1/20

Normen:
ZPO § 520 Abs. 2 S. 1

BGH, Beschluss vom 24.03.2021 - Aktenzeichen LwZB 1/20

DRsp Nr. 2021/7667

Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde aufgrund Nichteinhaltung der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist

1. Im Falle der Zustellung eines Schriftstücks an einen Rechtsanwalt durch Empfangsbekenntnis ist Zustellungsdatum der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat.2. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zulässig, setzt aber voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 Abs. 1 und 4 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg - Senat für Landwirtschaftssachen - vom 14. Mai 2020 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 76.801,02 €.

Normenkette:

ZPO § 520 Abs. 2 S. 1;

Gründe

I.

Der Beklagte ist durch Teil- und Grundurteil des Amtsgerichts - Landwirtschaftsgericht - unter anderem zur Räumung und Herausgabe mehrerer Grundstücke verurteilt worden. Das Urteil ist am 26. November 2019 (Dienstag) in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten in E. eingegangen. In dem zugehörigen Empfangsbekenntnis ist handschriftlich der 26. November 2019 eingetragen worden. Am 29. November 2019 ist es an das Amtsgericht übermittelt worden, und am 19. Dezember 2019 hat der Beklagte Berufung eingelegt. Mit einem am 29. Januar 2020 bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat sein Prozessbevollmächtigter beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 28. Februar 2020 zu verlängern. Durch Verfügung vom 6. Februar 2020 hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass aufgrund der am 26. November 2019 erfolgten Zustellung des Urteils die Berufungsbegründungsfrist bereits am 27. Januar 2020 (Montag) abgelaufen sei, so dass der Verlängerungsantrag verspätet eingegangen und die Berufung deshalb unzulässig sei. Am 17. Februar 2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten erneut die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. Februar 2020 beantragt und zur Begründung vorgetragen, er habe das Urteil erst am 29. November 2019 zur Kenntnis genommen und das Empfangsbekenntnis an diesem Tag unterschrieben. Das falsche Datum erkläre sich daraus, dass er zu diesem Zeitpunkt noch davon ausgegangen sei, dass es für den Zeitpunkt der Zustellung alleine auf den Zugang in den Kanzleiräumen ankomme. Am 28. Februar 2020 ist die Berufungsbegründung bei dem Berufungsgericht eingegangen. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung der Kläger beantragt.

II.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die am 28. Februar 2020 eingegangene Berufungsbegründung die zweimonatige Begründungsfrist nicht gewahrt. Diese Frist sei am 27. Januar 2020 (Montag) abgelaufen. Da die Zustellung des Urteils ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 26. November 2019 erfolgt sei, sei das Fristverlängerungsgesuch des Beklagten vom 29. Januar 2020 erst nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen. Dem Vortrag des Beklagten, das Urteil sei nicht am 26. November 2019, sondern am 29. November 2019 zugestellt worden, stehe die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses entgegen. Den grundsätzlich möglichen Gegenbeweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses habe der Beklagte nicht geführt. Seine Darstellung, die inhaltlich der im Freibeweisverfahren schriftlich eingeholten Zeugenaussage seines Prozessbevollmächtigten entspreche, vermöge nicht zu überzeugen. Es sei lebensfremd, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten das Urteil erst am 29. November 2019 zur Kenntnis genommen habe. Wäre das richtig, hätte er seine Kanzlei in E. weder am 27. November 2019 noch am 28. November 2019 aufgesucht, obwohl er an diesen Tagen verschiedene Termine in E. gehabt habe. Es erschließe sich nicht, dass und warum er an beiden Tagen ausschließlich in seiner Zweigstelle in A. gewesen sei. Wenn der Prozessbevollmächtigte des Beklagten entsprechend seinem Vortrag erst im Februar 2020 Kenntnis davon erlangt habe, dass es aus Rechtsgründen für den Zeitpunkt der Zustellung nicht auf den Eingang in der Kanzlei ankomme, hätte er am 29. Januar 2020, als er die Fristverlängerung beantragt habe, davon ausgehen müssen, dass die Berufungsbegründungsfrist bereits abgelaufen sei, denn nach seiner Vorstellung wäre dann die Zustellung bereits am 26. November 2019 bewirkt worden. Es leuchte nicht ein, warum er in dieser Lage kein Wiedereinsetzungsgesuch, sondern einen Fristverlängerungsantrag gestellt habe.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg, weil sie unzulässig ist.

1. Das Rechtsmittel ist zwar gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 LwVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Es fehlt aber an den weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO . Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ) noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ). Die Verwerfung der Berufung als unzulässig durch das Berufungsgericht beruht entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf einem von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Obersatz. Das Berufungsgericht hat auch den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzt.

2. Das Berufungsgericht geht im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die Zulässigkeit der Berufung davon abhängt, ob das Urteil des Amtsgerichts dem Beklagten am 26. November 2019 oder erst am 29. November 2019 zugestellt wurde.

a) Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist allerdings auch dann nicht gewahrt worden, wenn dem Beklagten das Urteil des Amtsgerichts erst am 29. November 2019 zugestellt worden sein sollte. Fristablauf wäre dann der 29. Januar 2020 gewesen, so dass die erst am 28. Februar 2020 eingegangene Berufungsbegründung die Frist nicht mehr hätte wahren können. Eine Fristverlängerung ist dem Beklagten nicht gewährt worden. Ob sie ihm hätte gewährt werden müssen, spielt für die Frage des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist keine Rolle.

b) Dennoch kommt es auf den Zeitpunkt der Zustellung des Urteils an. Wenn nämlich die Zustellung erst am 29. November 2019 erfolgt wäre, müsste dem Beklagten wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Bei einer Zustellung am 29. November 2019 wäre der Fristverlängerungsantrag am 29. Januar 2020 noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingegangen. Da es sich um den ersten Verlängerungsantrag gehandelt hat, hätte der Beklagte auch auf eine Verlängerung vertrauen können (vgl. nur BGH, Beschluss vom 31. Januar 2018 - XII ZB 565/16, NJW 2018, 1400 Rn. 19 mwN). Dass die beantragte Verlängerung nicht gewährt würde, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten erst aufgrund der Hinweisverfügung des Berufungsgerichts vom 6. Februar 2020 erfahren. Damit lief ab diesem Zeitpunkt die einmonatige Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO ). Da der Beklagte innerhalb dieser Frist, nämlich am 28. Februar 2020, die Berufungsbegründung und damit die versäumte Prozesshandlung nachgeholt hat, wäre ihm gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung auch ohne Antrag zu gewähren. Wäre demgegenüber die Zustellung des Urteils bereits am 26. November 2019 erfolgt, wäre der Verlängerungsantrag zu spät bei dem Berufungsgericht eingegangen, so dass auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausscheiden würde.

3. Die Würdigung des Berufungsgerichts, schon am 26. November 2019 sei das Urteil des Amtsgerichts dem Beklagten zugestellt worden, weist keinen zulassungsrelevanten Rechtsfehler auf.

a) Der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts ist zutreffend. Im Falle der Zustellung eines Schriftstücks an einen Rechtsanwalt durch Empfangsbekenntnis (§ 174 Abs. 1 ZPO ) ist die Zustellung nicht schon mit dem Eingang in der Kanzlei als bewirkt anzusehen, sondern erst dann, wenn der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gegen sich geltend zu lassen, und dies auch durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses bekundet. Zustellungsdatum ist also der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2012 - IX ZB 303/11, NJW 2012, 2117 Rn. 6; Beschluss vom 12. Januar 2010 - VI ZB 64/09, NJW-RR 2010, 417 Rn. 9). Ein Empfangsbekenntnis erbringt grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung (BGH, Beschluss vom 19. April 2012 - IX ZB 303/11, NJW 2012, 2117 Rn. 6; Beschluss vom 12. September 2012 - XII ZB 642/11, NJW 2012, 3378 Rn. 13; Beschluss vom 11. September 2018 - XI ZB 4/17, NJW-RR 2018, 1400 Rn. 5). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zulässig. Er setzt voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 Abs. 1 und 4 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können; hingegen ist dieser Gegenbeweis nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2012 - IX ZB 303/11, NJW 2012, 2117 Rn. 6 mwN, Beschluss vom 12. September 2012 - XII ZB 642/11, NJW 2012, 3378 Rn. 13 mwN).

b) Hiervon ist das Berufungsgericht ausgegangen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht auch keinen von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 8. Mai 2018 ( VI ZB 5/17, NJW-RR 2018, 958 Rn. 12) abweichenden Obersatz aufgestellt. Dass hiernach grundsätzlich von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung auszugehen ist, stellt das Berufungsgericht nicht in Frage. Es hat vielmehr aufgrund einer schriftlichen Zeugenvernehmung eine Beweiswürdigung vorgenommen und auf der Grundlage der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geprüft, ob der Beklagte den ihm obliegenden Gegenbeweis der Unrichtigkeit der Angaben des Empfangsbekenntnisses geführt hat.

c) Das Berufungsgericht hat im Rahmen der von ihm vorgenommenen Würdigung auch nicht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) verletzt. Entgegen der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rüge hat es keinen Vortrag des Beklagten übergangen. Vielmehr hält es erkennbar die von dem Beklagten angeführten Umstände sämtlich für nicht geeignet, die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses vollständig zu entkräften. Dies gilt zunächst für den Vortrag, seinem Prozessbevollmächtigten werde die Eingangspost erst dann vorgelegt, wenn sie eingescannt worden sei, dies sei hier erst am 27. November 2019 erfolgt, weshalb der Prozessbevollmächtigte das Urteil des Amtsgerichts am 26. November 2019 nicht habe zur Kenntnis nehmen können. Dass das Berufungsgericht hierauf nicht ausdrücklich eingegangen ist, ist unschädlich; es liegt nämlich nahe, dass es diesen Vortrag nicht für geeignet gehalten hat, den dem Beklagten obliegenden Beweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses zu führen. Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch die von dem Beklagtenvertreter für den 27. und 28. November 2019 vorgelegten Terminzettel und die hierauf bezogenen Bekundungen in der schriftlichen Zeugenvernehmung in seine Würdigung miteinbezogen. Dass der Beklagte schließlich die Annahme des Berufungsgerichts, es sei nicht stimmig, dass sein Prozessbevollmächtigter am 29. Januar 2020 lediglich einen Fristverlängerungsantrag gestellt hat, wenn er doch zu diesem Zeitpunkt noch davon ausging, die Zustellung sei bereits am 26. November 2019 erfolgt, in Zweifel zieht, kann bereits vom Ausgangspunkt Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO . Die Festsetzung des Beschwerdewerts entspricht der Festsetzung des Berufungsstreitwerts durch das Berufungsgericht in dem Beschluss vom 20. Mai 2020.

Vorinstanz: AG Emden, vom 21.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen Lw 27/19
Vorinstanz: OLG Oldenburg, vom 14.05.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 10 U 14/19