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BGH - Entscheidung vom 23.03.2021

XIII ZB 137/19

Normen:
FamFG § 62 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 23.03.2021 - Aktenzeichen XIII ZB 137/19

DRsp Nr. 2021/7748

Unrechtmäßige Annahme des Beschwerdegerichts der Betroffene habe nicht auf die Feststellung einer Verletzung seiner Rechte durch die Haftanordnung angetragen

Gerade auch in Freiheitsentziehungssachen ist unter Berücksichtigung der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz bei der Auslegung von Anträgen der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse des Erklärenden entspricht. Ein hilfsweise gestellter Feststellungsantrag ist danach entsprechend dem erkennbar verfolgten Rechtsschutzziel dahin auszulegen, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit der bisherigen Haft auch für den Fall begehrt wird, dass das Beschwerdegericht die Haftanordnung nur deshalb nicht aufhebt, weil mit seiner Entscheidung ein Mangel der Haftanordnung für die Zukunft geheilt worden ist, der ohne diese Heilung zur Aufhebung hätte führen müssen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 21. November 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Feststellungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen worden ist.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Coesfeld vom 17. Oktober 2019 den Betroffenen im Zeitraum vom 17. Oktober bis zum 21. November 2019 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Kreis Coesfeld auferlegt.

Normenkette:

FamFG § 62 Abs. 1 ;

Gründe

I. Der Betroffene, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben am 26. März 2018 in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid vom 9. Mai 2019 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag als unzulässig ab, weil er bereits einen Asylantrag in Italien gestellt habe. Zugleich wurde die Überstellung des Betroffenen nach Italien angeordnet. Gegen diesen Bescheid erhob der Betroffene am 20. Mai 2019 Klage; einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO stellte er nicht.

Überstellungsversuche am 12. September und 16. Oktober 2019 scheiterten, weil der Betroffene nicht in seiner Unterkunft anzutreffen war. Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 17. Oktober 2019 hat das Amtsgericht Haft zur Sicherung der Überstellung nach Italien bis einschließlich 27. November 2019 angeordnet.

Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene am 3. November 2019 Beschwerde eingelegt und beantragt, im Falle einer Haftentlassung festzustellen, dass ihn die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt habe. Das Landgericht hat das Rechtsmittel durch Beschluss vom 21. November 2019 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene die Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn im Zeitraum vom 17. Oktober bis zum 21. November 2019 in seinen Rechten verletzt hat.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, es habe nur über die Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Haftanordnung zu entscheiden gehabt. Ein Antrag nach § 62 FamFG sei nur für den Fall der Haftentlassung des Betroffenen gestellt worden. Ursprünglich dürften die Angaben zur Haftdauer im Haftantrag zwar unzureichend gewesen sein. Dieser Mangel sei aber nach ergänzenden Angaben der beteiligten Behörde mit Schreiben vom 13. November 2019, zu dem der Betroffene vor der Kammer persönlich angehört worden sei, geheilt worden. Auch im Übrigen sei der Haftantrag zulässig und begründet.

2. Diese Ausführungen halten der Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stand.

a) Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht angenommen, der Betroffene habe nicht auf die Feststellung einer Verletzung seiner Rechte durch die Haftanordnung für den Zeitraum vom 17. Oktober 2019 bis zu der von ihm angenommenen Heilung der Mängel des Haftantrags durch seine Entscheidung vom 21. November 2019 angetragen.

Der von einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung Betroffene kann im Beschwerdeverfahren nicht nur die Aufhebung einer noch wirksamen Haftanordnung, sondern zugleich entsprechend § 62 Abs. 1 FamFG auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung verlangen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 78/10, NVwZ 2011, 574 Rn. 12 f.). Ein solches Verlangen ist dem Feststellungsantrag des Betroffenen, den das Rechtsbeschwerdegericht ohne Bindung an das Verständnis des Beschwerdegerichts auslegen kann, zu entnehmen. Soweit der Feststellungsantrag "für den Fall einer Haftentlassung" gestellt worden ist, beschreibt er nur den typischen Fall, in dem sich eine Haftanordnung in der Hauptsache erledigt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 74/15, InfAuslR 2016, 240 Rn. 12). Gerade auch in Freiheitsentziehungssachen ist unter Berücksichtigung der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz bei der Auslegung von Anträgen der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse des Erklärenden entspricht (BGH, InfAuslR 2016, 240 Rn. 10). Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist danach entsprechend dem erkennbar verfolgten Rechtsschutzziel dahin auszulegen, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit der bisherigen Haft auch für den Fall begehrt wird, dass das Beschwerdegericht die Haftanordnung nur deshalb nicht aufhebt, weil mit seiner Entscheidung ein Mangel der Haftanordnung für die Zukunft geheilt worden ist, der ohne diese Heilung zur Aufhebung hätte führen müssen. Die Rechtsbeschwerde macht zutreffend geltend, der Betroffene habe mit seinem Feststellungsantrag unter Berücksichtigung seines wohlverstandenen Interesses an der Feststellung unzulässiger Haft und der damit verbundenen Grundrechtsverletzung zum Ausdruck gebracht, auch bei einer etwaigen Heilung von Verfahrensmängeln das Verfahren im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten mit einem Feststellungsantrag fortsetzen zu wollen.

b) Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung des Amtsgerichts bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts am 21. November 2019 in seinen Rechten verletzt worden, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).

bb) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen der beteiligten Behörde zur erforderlichen Dauer der Haft nicht. 12 Zur Haftdauer wird dort lediglich ausgeführt, es sei vorgesehen, den Betroffenen nunmehr kurzfristig nach Italien zu überstellen, am Tag der Einreichung des Haftantrags, dem 17. Oktober 2019, sei eine Fluganmeldung erfolgt und der Betroffene werde längstens für den beantragten Zeitraum von sechs Wochen in Haft genommen.

Aus diesen Angaben ergibt sich nicht, weshalb die beteiligte Behörde eine Haftdauer von sechs Wochen für erforderlich hielt. Es wird nicht erläutert, von welchen Umständen - etwa der Verfügbarkeit von Personal und Einsatzfahrzeugen oder einzuhaltenden Ankündigungsfristen - der genaue Termin der Überstellung abhing und weshalb die Überstellung aus Sicht der beteiligten Behörde bis spätestens 27. November 2019, aber nicht zu einem früheren Termin erfolgen konnte. Vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ), waren diese Angaben der beteiligten Behörde unzureichend. Die beantragte Haftdauer von bis zu sechs Wochen ist keinesfalls so kurz, dass sich deren Notwendigkeit von selbst verstünde, zumal die Abschiebung in einen nahegelegenen Mitgliedstaat der Europäischen Union erfolgen sollte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG . Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Coesfeld, vom 17.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 20 XIV 42/19
Vorinstanz: LG Münster, vom 21.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 5 T 697/19