Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 09.03.2021

1 StR 15/21

Normen:
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 63

Fundstellen:
NStZ-RR 2021, 208
StV 2022, 11

BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - Aktenzeichen 1 StR 15/21

DRsp Nr. 2021/7919

Unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

1. Soweit die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB nur dann angeordnet werden darf, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht, ist auch in den Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung erforderlich, in welcher Weise sich die festgestellte psychotische Störung bei der Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Situation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.2. Wenn das Tatgericht seine im Rahmen des § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose auch auf frühere Taten stützt, müssen die im Urteil hierzu getroffenen Feststellungen belegen, dass auch diese Taten auf der Erkrankung des Täters beruhten.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 13. Oktober 2020 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.

2.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 4 ; StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat den heranwachsenden Angeklagten von sämtlichen Tatvorwürfen, insbesondere der versuchten gefährlichen Körperverletzung, freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB , § 105 Abs. 1 Nr. 1 , § 7 Abs. 1 JGG ). Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO ); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO ).

1. Der Maßregelausspruch hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand:

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Daneben muss es überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird; dadurch muss eine schwere Störung des Rechtsfriedens zu besorgen sein. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrige Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 2. September 2020 - 1 StR 273/20 Rn. 11; vom 6. August 2020 - 1 StR 93/20 Rn. 10 und vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14 Rn. 14; je mwN).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil weder zum symptomatischen Zusammenhang (dazu unter aa) noch zur Gefährlichkeitsprognose (dazu unter bb) gerecht.

aa) Zwar ist die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F20) rechtsfehlerfrei festgestellt. Indes bleibt offen, wie sich diese krankhafte seelische Störung auf die Begehung der gewichtigsten Anlasstat (vgl. UA S. 18), der versuchten gefährlichen Körperverletzung vom 24. November 2019 (Tat 4), und auf die zeitlich unmittelbar nachfolgende Tat, den tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (Tat 5), sowie auf die Tat vom 24. August 2019 (Tat 1) auswirkte. Auch insoweit wäre die konkretisierende Darlegung erforderlich gewesen, in welcher Weise die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten die Handlungsmöglichkeit des Angeklagten in der Tatsituation und damit dessen Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit beeinflusste (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2021 - 4 StR 449/20 Rn. 17 und vom 22. September 2020 - 4 StR 147/20 Rn. 14; je mwN).

In der Einleitung zu den Sachverhaltsfeststellungen wird nur allgemein festgehalten, infolge der überdauernden Psychose im Zusammenwirken mit dem konsumierten Alkohol, den der Angeklagte vor allem trank, um ʺdie Stimmen in seinem Kopf [zu] verdrängenʺ (UA S. 4) und der lediglich auslösender Faktor war (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 18. Februar 2021 - 4 StR 429/20 Rn. 7 mwN), sei die Steuerungsfähigkeit sicher erheblich eingeschränkt gewesen. In der Beweiswürdigung wird dazu näher ausgeführt, der Angeklagte missdeute regelmäßig das Verhalten anderer als rechtswidrigen Angriff infolge psychotischer Dekompensation aufgrund seiner paranoiden Grundhaltung (UA S. 15). Diese auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützte Wertung des Landgerichts, auch die Taten 1, 4 und 5 seien Ausdruck der psychischen Erkrankung des Angeklagten, ist nicht tragfähig belegt. Inwieweit die psychische Erkrankung die Tatbegehungen bedingt haben könnte, wird nicht näher begründet, sondern lediglich als Ergebnis der Beurteilung durch den Sachverständigen zugrunde gelegt. Besondere, nicht mehr ʺnormalpsychologischʺ zu erklärende Auffälligkeiten des Angeklagten sind bei diesen drei Taten - anders als etwa bei der Tat 3 - nicht ersichtlich; weder der Zeuge Z. noch der Polizeibeamte T. haben Besonderheiten im Verhalten des Angeklagten geschildert, die auf ein wahnhaftes Erleben schließen lassen könnten (vgl. UA S. 16). Insbesondere die Tat 4 ließe sich mit Wut und Rache über den vorangegangenen ʺRauswurfʺ aus der Kneipe sowie mit alkoholbedingter Enthemmung erklären (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. September 2020 - 1 StR 273/20 Rn. 11 und vom 7. Juli 2020 - 2 StR 121/20 Rn. 10).

bb) Bei der Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht eine am 19. Dezember 2016 begangene Vortat herangezogen. Nicht verfahrensgegenständliche Taten dürfen jedoch nur dann berücksichtigt werden, wenn sie ihrerseits in einem Zusammenhang mit der Erkrankung des Täters stehen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2021 - 4 StR 449/20 Rn. 20; vom 3. Dezember 2020 - 4 StR 371/20 Rn. 18 und vom 17. November 2020 - 4 StR 390/20 Rn. 34; je mwN). Diese Einschränkung hat das Landgericht zwar nicht verkannt (UA S. 19). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat es gleichwohl für die von ihm in die Gefährlichkeitsprognose einbezogene Tat vom 19. Dezember 2019 nicht belegt. Es bleibt offen, warum und mit welchem Gewicht es seine Prognose dennoch auch auf diese Vortat gestützt hat.

2. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen und bleiben daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO ). Hingegen unterliegt auch der Freispruch der Aufhebung (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ; vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 2021 - 4 StR 429/20 Rn. 15 und vom 19. Januar 2021 - 4 StR 449/20 Rn. 22; je mwN).

Vorinstanz: LG Freiburg, vom 13.10.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 141 Js 33795/19
Fundstellen
NStZ-RR 2021, 208
StV 2022, 11