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BGH - Entscheidung vom 13.04.2021

VIII ZB 80/20

Normen:
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
ZPO § 522 Abs. 1 S. 4

BGH, Beschluss vom 13.04.2021 - Aktenzeichen VIII ZB 80/20

DRsp Nr. 2021/7209

Statthaftigkeit der Beschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig erklärenden Beschluss

Soweit lange geklärt ist, dass die Wiedereinsetzungsfrist ungeachtet einer nach Versagung von Prozesskostenhilfe alsbald erhobenen Gegenvorstellung zu laufen beginnt, gilt für die Anhörungsrüge, deren Erhebung den Eintritt der formellen Rechtskraft ebenfalls nicht hindert, nichts Anderes. Lediglich dann, wenn auf die Anhörungsrüge oder Gegenvorstellung hin doch noch - bei unveränderter Sachlage - Prozesskostenhilfe bewilligt wird, läuft eine neue Frist für die Wiedereinsetzung.

Tenor

Der Antrag des Beklagten, ihm für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin - Zivilkammer 63 - vom 28. August 2020 Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.

Normenkette:

ZPO § 114 Abs. 1 S. 1; ZPO § 522 Abs. 1 S. 4;

Gründe

I.

Der Beklagte ist durch das ihm am 4. Mai 2019 zugestellte Teilurteil des Amtsgerichts Wedding vom 29. April 2019 zur Räumung seiner Mietwohnung verurteilt worden. Den von ihm innerhalb der Berufungsfrist gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung hat das Landgericht mit Beschluss vom 29. Oktober 2019, dem Beklagten zugestellt am 12. November 2019, abgelehnt.

Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Beklagte trotz entsprechender Aufforderung weder einen zur Übernahme bereiten Rechtsanwalt benannt noch zu seinen vergeblichen Bemühungen, einen Rechtsanwalt zu finden, vorgetragen habe. Dabei war dem Berufungsgericht das per Fax vom 11. Oktober 2019 eingegangene Schreiben des Beklagten, in dem er Rechtsanwalt N. benannt hatte, versehentlich nicht vorgelegt worden. Der Beschluss vom 29. Oktober 2019 war mit der Belehrung versehen, dass der Beklagte hiergegen binnen eines Monats sofortige Beschwerde beim Landgericht Berlin oder beim Kammergericht einlegen könne.

Mit Faxschreiben vom 14. November 2019 hat sich der Beklagte unter Hinweis auf die tatsächlich erfolgte Benennung eines Rechtsanwalts gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren gewendet.

Mit Hinweis vom 5. Dezember 2019 hat das Berufungsgericht dem Beklagten daraufhin mitgeteilt, dass die dem Beschluss vom 29. Oktober 2019 beigefügte Rechtsmittelbelehrung unzutreffend sei, weil die Kammer als Berufungsgericht entschieden habe und deshalb gegen den genannten Beschluss ein Rechtsmittel nicht eröffnet sei. Die vom Beklagten gegen den Beschluss vom 29. Oktober 2019 erhobenen Einwände würden deshalb als Anhörungsrüge ausgelegt werden. Diese könne aber keinen Erfolg haben, weil sich die Gehörsverletzung - die Nichtberücksichtigung des zunächst wegen eines Versehens der Geschäftsstelle nicht vorgelegten Schreibens des Beklagten mit der Benennung eines Rechtsanwalts - nicht ausgewirkt habe. Denn die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts sei, wie auch bereits im Prozesskostenhilfeverfahren summarisch geprüft werde, in der Sache ohne Aussicht auf Erfolg. Mit Beschluss vom 27. Mai 2020 hat die Berufungskammer die Anhörungsrüge des Beklagten zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 8. Juli 2020 hat Rechtsanwalt U. für den Beklagten Berufung eingelegt und im Hinblick auf die versäumte Berufungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt.

Mit Beschluss vom 28. August 2020, dem Beklagtenvertreter am 14. September 2020 zugestellt, hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Frist des § 234 Abs. 3 ZPO zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

Hiergegen hat der Beklagte durch seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten Rechtsbeschwerde eingelegt und innerhalb der Begründungsfrist Prozesskostenhilfe unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen beantragt.

II.

1. Die begehrte Prozesskostenhilfe konnte nicht bewilligt werden, weil die Rechtsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Gegen einen Beschluss, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen wird, findet gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO die Rechtsbeschwerde statt. Zulässig ist das Rechtsmittel jedoch - auch soweit es sich zugleich gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags richtet (§ 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ) - nur unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO , die hier nicht erfüllt sind. Denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts; insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZB 39/19, NJW-RR 2020, 499 Rn. 11; BVerfG, NJW 2003, 281 ; jeweils mwN).

2. Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Teilurteil des Amtsgerichts Wedding vom 29. April 2019 jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgelehnt und deshalb auch die Berufung des Beklagten gegen das vorbezeichnete Urteil zu Recht als unzulässig verworfen. Denn der Beklagte hat bereits die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht eingehalten.

a) Die einmonatige Frist für die Einlegung der Berufung gegen das dem Beklagten am 4. Mai 2019 zugestellte Teilurteil des Amtsgerichts ist am 4. Juni 2019 abgelaufen und versäumt worden, weil die Berufung des Beklagten erst am 8. Juli 2020 durch Rechtsanwalt U. eingelegt worden ist. Der mit der Berufungseinlegung verbundene Wiedereinsetzungsantrag ist deshalb mangels Einhaltung der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO unbegründet.

Allerdings ist eine bedürftige Partei, die - wie hier der Beklagte - innerhalb der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe beantragt, bis zur Entscheidung über den Antrag unverschuldet an der Einhaltung der Rechtsmittelfrist gehindert, wenn sie nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung ihres Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2017 - VI ZB 30/16, NJW 2017, 1179 Rn. 11; vom 13. Dezember 2016 - VIII ZB 15/16, NJW-RR 2017, 691 Rn. 8; vom 16. November 2010 - VIII ZB 55/10, NJW 2011, 230 Rn. 7; jeweils mwN).

b) Im Fall der Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags wird der bedürftigen Partei noch eine Überlegungsfrist von höchstens drei bis vier Tagen zugebilligt, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will, und beginnt die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist in die versäumte Berufungsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO ) erst im Anschluss daran (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. Januar 2009 - VIII ZA 21/08, NJW-RR 2009, 789 Rn. 6; vom 27. Oktober 2011 - III ZB 31/11, NJW-RR 2012, 308 Rn. 23; jeweils mwN).

Da der Beschluss des Berufungsgerichts vom 29. Oktober 2019, mit dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wurde, dem Beklagten am 12. November 2019 zugestellt worden ist, ist die Wiedereinsetzungsfrist - unter Berücksichtigung einer drei- bis viertägigen Überlegungsfrist und der sich anschließenden zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist - am 2. Dezember 2019 (Montag) abgelaufen und war somit bei Einlegung der Berufung und Stellung des Wiedereinsetzungsantrags (längst) verstrichen.

c) Dass der Beklagte gegen den Beschluss vom 29. Oktober 2019 Anhörungsrüge erhoben hat, hat - anders als das Berufungsgericht offenbar gemeint hat - keinen Einfluss auf den Lauf der Wiedereinsetzungsfrist. Es entspricht seit langem anerkannter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die Wiedereinsetzungsfrist ungeachtet einer nach Versagung von Prozesskostenhilfe alsbald erhobenen Gegenvorstellung zu laufen beginnt (BGH, Urteil vom 18. Dezember 1963 - IV ZR 97/63, BGHZ 41, 1 ; Beschlüsse vom 26. September 1979 - IV ZB 52/79, VersR 1980, 86 ; vom 20. Juni 2006 - VI ZR 255/05, VersR 2007, 132 Rn. 8; vom 21. Dezember 2017 - IX ZA 29/17, juris Rn. 3; vom 21. April 2020 - II ZB 27/19, juris Rn. 6). Für die Anhörungsrüge, deren Erhebung den Eintritt der formellen Rechtskraft ebenfalls nicht hindert, gilt nichts Anderes (BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2009 - IV ZB 2/09, juris Rn. 14 f. sowie vom 12. Februar 2004 - V ZR 125/03, NJW-RR 2004, 712 unter II 2). Lediglich dann, wenn auf die Anhörungsrüge oder Gegenvorstellung hin doch noch - bei unveränderter Sachlage - Prozesskostenhilfe bewilligt wird, läuft eine neue Frist für die Wiedereinsetzung (BGH, Urteile vom 18. Dezember 1963 - IV ZR 97/63, BGHZ 41, 1 f.; sowie vom 3. Dezember 1956 - III ZR 107/55, NJW 1957, 263 ; MünchKommZPO/ Stackmann, 6. Aufl., § 234 Rn. 18). Dazu ist es hier jedoch nicht gekommen, weil das Berufungsgericht die Anhörungsrüge des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen hat.

d) Der Umstand, dass dem - damals anwaltlich nicht vertretenen - Beklagten im Beschluss des Berufungsgerichts vom 29. Oktober 2019 zunächst die - unzutreffende - Rechtsmittelbelehrung erteilt worden war, gegen die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags sei die sofortige Beschwerde zulässig, führt im Ergebnis ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Denn das Berufungsgericht hat mit seinem Hinweis vom 5. Dezember 2019 selbst eine Richtigstellung vorgenommen und auch eine vom Zeitpunkt des Zugangs dieses Schreibens berechnete Wiedereinsetzungsfrist wäre längst verstrichen gewesen, als Rechtsanwalt U. mit Schriftsatz vom 8. Juli 2020 für den Beklagten Berufung einlegte und Wiedereinsetzung beantragte.

Vorinstanz: AG Berlin-Wedding, vom 29.04.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 18 C 378/18
Vorinstanz: LG Berlin, vom 28.08.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 63 S 132/20