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BGH - Entscheidung vom 18.05.2021

VI ZR 452/19

Normen:
BGB § 249 (Cb)
BGB § 249 (Cb)
BGB § 249 Abs. 1

Fundstellen:
NJW-RR 2021, 1111
VersR 2021, 1116
WM 2021, 1386

BGH, Urteil vom 18.05.2021 - Aktenzeichen VI ZR 452/19

DRsp Nr. 2021/10746

Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung

Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Verkauf eines Gebrauchtwagens; kein Wegfall des Schadens durch Software-Update).

1. Es kann nicht angenommen werden, der Anspruch des Käufers des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall aus § 826 BGB scheitere bereits daran, dass er das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug als Gebrauchtwagen gekauft habe.2. Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB nicht an.3. Das Aufspielen eines Software-Updates führt nicht dazu, dass ein ungewollter Vertragsschluss rückwirkend zu einem gewollten wird.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 7. November 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 249 Abs. 1 ;

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Der Kläger erwarb am 4. Juni 2012 von einem Autohaus, einer Tochtergesellschaft der früheren Beklagten zu 1, einen gebrauchten VW Passat 2.0 TDI zum Kaufpreis von 26.900 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten zu 2 (im Folgenden: Beklagte) hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet. Zum Zeitpunkt des Erwerbs enthielt dieser eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.

Nachdem das Kraftfahrtbundesamt diese Abgassteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft hatte, rief die Beklagte Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA189 zurück, um eine geänderte Software aufzuspielen. Das Fahrzeug des Klägers wurde am 20. September 2016 nachgerüstet.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger Schadensersatz in Höhe von 24.267,91 € (Kaufpreis zzgl. Finanzierungskosten abzgl. Nutzungsvorteile) nebst ausgerechneter Zinsen von 3.973,01 € sowie weiterer Zinsen aus 31.734,78 € in Höhe von 4 % seit dem 1. April 2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs seit dem 24. April 2018, Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Feststellung, dass dem Kläger weitere Schäden zu ersetzen sind, die ihm aus der Manipulation des Motors oder entsprechenden Behebungsmaßnahmen am Fahrzeug entstehen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die nur gegen den beklagten Fahrzeughersteller geführte Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel gegen die Beklagte weiter.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter BeckRS 2019, 42803 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger ein gebrauchtes Fahrzeug erworben habe und es daher an den tatbestandlichen Voraussetzungen des Anspruchs fehle. Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. europarechtlichen Vorschriften scheitere daran, dass die betreffenden europarechtlichen Normen keinen individualschützenden Charakter hätten und damit keine Schutzgesetze seien. Es lägen auch die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB nicht vor. Denn der Beklagten könne ein sittenwidriges Verhalten nur beim erstmaligen Inverkehrbringen eines Neuwagens vorgeworfen werden, nicht aber beim Weiterverkauf als Gebrauchtwagen. Nur beim Verkauf eines Neuwagens fließe der Beklagten ein wirtschaftlicher Vorteil zu. Deshalb könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger mit verwerflichem Gewinnstreben und damit sittenwidrig gehandelt habe. Der Schaden des Klägers, der im Erhalt eines mangelhaften, mit der Untersagung des Betriebs bedrohten Fahrzeugs gelegen habe, das objektiv den für ein mangelfreies Fahrzeug gezahlten Kaufpreis nicht wert gewesen sei, sei im Übrigen nach dem Aufspielen des Softwareupdates entfallen. Schließlich seien im Rahmen des § 826 BGB nur solche Schäden ersatzpflichtig, die auch in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fielen. Die europarechtlichen Vorschriften, gegen die die Beklagte verstoßen haben könnte, hätten aber keinen individualschützenden Charakter.

II.

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB nicht verneint werden.9 1. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, ein Anspruch aus § 826 BGB scheitere bereits daran, dass der Kläger das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug als Gebrauchtwagen gekauft habe.10 Der Senat hat im Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 16 ff. auf der Grundlage der im dortigen Verfahren getroffenen Feststellungen ausgeführt, dass und warum das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen der mit der Manipulationssoftware versehenen Motoren auch gegenüber Gebrauchtwagenkäufern als mittelbar Geschädigten objektiv sittenwidrig war (vgl. auch Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 33, vom 30. Juli 2020 - VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 12 f. und vom 26. Januar 2021 - VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 12 f.). Unter den dort genannten Voraussetzungen trifft die Beklagte das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, im Hinblick auf die Schädigung aller unwissenden Käufer der bemakelten Fahrzeuge (vgl. Senatsurteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 25; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 13 und vom 26. Januar 2021 - VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 13). Das Berufungsgericht hat aufgrund der rechtsfehlerhaften Annahme, dass ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten gegenüber einem Gebrauchtwagenkäufer von vornherein ausscheide, zur Frage des haftungsbegründenden Tatbestands des § 826 BGB keine weiteren Feststellungen getroffen.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fällt der vom Kläger geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 826 BGB . Auf den Schutzzweck der §§ 6 , 27 Abs. 1 EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB , anders als das Berufungsgericht meint, nicht an (vgl. Senatsurteil vom 26. Januar 2021 - VI ZR 405/19, ZIP 2020, 368 Rn. 24 mwN).12 3. Das Berufungsgericht hat weiter rechtsfehlerhaft angenommen, dass ein Schaden entfallen sei, weil die vom Kläger gerügte Beeinträchtigung - die illegale Abschalteinrichtung - durch das im September 2016 durchgeführte Software-Update beseitigt worden sei.13 Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Der Geschädigte muss sich von dieser auf einem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer "ungewollten" Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche Verpflichtung stellt einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 45 f., 58 mwN). Dieser Schaden entfällt nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstandes nachträglich verändert. Das Aufspielen eines Software-Updates führt nicht dazu, dass der ungewollte Vertragsschluss rückwirkend zu einem gewollten wird (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 22).14 4. Das Berufungsurteil war aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 562 Abs. 1 , § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 18. Mai 2021

Vorinstanz: LG Mainz, vom 08.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 83/18
Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 07.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 U 247/19
Fundstellen
NJW-RR 2021, 1111
VersR 2021, 1116
WM 2021, 1386