Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 09.03.2021

VIII ZB 1/21

Normen:
ZPO § 517
ZPO § 233 Hc
ZPO § 517
ZPO § 233 (Hc)
ZPO § 115
ZPO § 233 S. 1
ZPO § 234 Abs. 1

Fundstellen:
FamRZ 2021, 967
MDR 2021, 635
MDR 2021, 858
NJW-RR 2021, 568
ZIP 2021, 1728

BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - Aktenzeichen VIII ZB 1/21

DRsp Nr. 2021/5756

Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein gebrauchtes Fahrzeug; Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf Antrag einer Partei vor Ablauf der Rechtsmittelfrist oder Rechtsmittelbegründungsfrist hinsichtlich Bedürftigkeit; Anforderungen an die Darlegungen zu den Einnahmen aus selbständiger Arbeit ohne Beifügung von Unterlagen

a) Beantragt eine Partei vor Ablauf der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, ist sie regelmäßig schuldlos verhindert, die genannten Fristen einzuhalten, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit rechnen musste. Die Wiedereinsetzungsfrist ( § 234 Abs. 1 ZPO ) beginnt auch dann, wenn das Gericht - wie vorliegend - die Ablehnung der Prozesskostenhilfe nicht auf die fehlende Bedürftigkeit der Partei stützt, sondern die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung verneint, grundsätzlich nicht vor der Bekanntgabe der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 1985 - IVb ZB 142/84 , juris Rn. 8 f.; vom 9. Juli 2020 - V ZR 30/20 , NJW 2021, 242 Rn. 6).b) Weist das Gericht, bei dem die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt wird, vor der Entscheidung über den Antrag darauf hin, dass dieser mangels Vorliegens der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, darf der Antragsteller nur dann weiterhin auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertrauen, wenn er vernünftigerweise davon ausgehen durfte, die Zweifel ausräumen zu können, und die gerichtliche Auflage ordnungsgemäß erfüllt (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2008 - XII ZB 151/07 , juris Rn. 12; vom 26. Mai 2008 - II ZB 19/07 , NJW-RR 2008, 1306 Rn. 12; vom 18. Juni 2020 - IX ZB 45/19 , NJW-RR 2020, 944 Rn. 7).c) Für ein solches Vertrauen auf Seiten des Antragsstellers - der zu den gerichtlichen Beanstandungen fristgerecht ausführt - kann auch sprechen, dass ihm nicht nur durch das erstinstanzliche Gericht, sondern - auf Basis vergleichbarer Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen - kurz zuvor durch das Berufungsgericht in einem anderen Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt wurde.

Tenor

Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 15. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29. Juni 2020 gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der vorgenannte Beschluss aufgehoben.

Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kassel vom 13. März 2019 gewährt.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 3.510,18 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 115 ; ZPO § 233 S. 1; ZPO § 234 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten, einen Automobilhändler, auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein gebrauchtes Fahrzeug in Anspruch.

Das Landgericht hat den Beklagten zur Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, insgesamt von 8.091,52 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, sowie zur Zahlung der Kosten für ein außergerichtlich eingeholtes Gutachten und einer Notreparatur verurteilt. Ferner hat das Landgericht festgestellt, dass sich der Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.

Innerhalb der laufenden Berufungsfrist hat der Beklagte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren beantragt, in welchem er gegen die Berechnung der Nutzungsentschädigung vorgehen möchte; im Übrigen nimmt er die Verurteilung hin. Der Senatsvorsitzende des Berufungsgerichts hat den Beklagten mit Verfügung vom 18. Juli 2019 darauf hingewiesen, dass Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden könne, da innerhalb der Frist zur Einlegung der Berufung kein vollständiger Antrag gestellt worden sei. Die Darlegung der Einnahmen aus selbständiger Arbeit genügten nicht den Anforderungen. Es sei "unplausibel" und "unglaubhaft", dass die Einnahmen eines Selbständigen über Jahre hinweg unverändert seien. Der Hinweis des Beklagten, ihm sei vom selben Senat in einem anderen Verfahren auf Basis identischer Unterlagen im August 2018 Prozesskostenhilfe bewilligt worden, verhelfe dem Beklagten nicht weiter, da die Akten nicht mehr vorlägen. Die Vorlage des Einkommensteuerbescheids für 2017 sei zum Beleg der aktuellen Einkommensverhältnisse offensichtlich ungeeignet. Der Beklagte hat "Gelegenheit zur Stellungnahme und ggf. Rücknahme des Antrags binnen drei Wochen" erhalten.

Er hat in seiner - fristgerechten - Stellungnahme ausgeführt, seine Angaben zum monatlichen Einkommen aus dem vorgelegten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 deckten sich mit denen im Jahr 2019; monatliche Auswertungen lasse er nicht erstellen. Ein Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 liege ihm bisher nicht vor.

Mit Beschluss vom 19. August 2019, dem Beklagtenvertreter am 2. September 2019 zugestellt, hat das Berufungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beklagte die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfebewilligung erfülle, wobei grundsätzlich an den Ausführungen des Vorsitzenden vom 18. Juli 2019 festgehalten werde, weil jedenfalls die Vorlage der letzten Gewinnermittlung erforderlich sei, da der vorgelegte Einkommensteuerbescheid als solcher nicht erkennen lasse, wie sich die Einkünfte des Beklagten errechneten. Jedenfalls habe die beabsichtigte Berufung keine Aussicht auf Erfolg, da sie sich (nur) gegen die Berechnung der vom Kläger gezogenen Nutzungen durch das Landgericht richte und diese Berechnung nicht zu beanstanden sei.

Mit am 16. September 2019 eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil mit dem Antrag eingelegt, den Beklagten nur zur Rückzahlung von 4.581,34 € - statt des ausgeurteilten Betrags von 8.091,52 € -, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu verurteilen, und hat Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungseinlegungs- und vorsorglich in die Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Mit Verfügung vom 28. November 2019 hat das Berufungsgericht den Parteien mitgeteilt, es sei dem Beklagten "zuzugeben", dass die Berechnung der Nutzungsentschädigung im angegriffenen Urteil des Landgerichts unzutreffend und diejenige des Beklagten in dessen Prozesskostenhilfeantrag vom 29. April 2019 zutreffend sei. Es hat angeregt, der Beklagte solle den - auf Basis seiner Berechnung - im Vergleich zum angegriffenen Urteil verminderten Betrag (4.581,34 €) an den Kläger zahlen und die Parteien sollten sodann den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären. Der Senat werde dann - in geänderter Besetzung - darüber zu entscheiden haben, ob das Prozesskostenhilfegesuch in ordnungsgemäßer Form gestellt worden sei, was im Beschluss vom 19. August 2019 offengelassen worden sei, und ob dem Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei.

Der Beklagte hat hierauf mitgeteilt, die Zahlung sei ihm aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation derzeit "leider nicht möglich"; zudem habe sich der Kläger zu dem gerichtlichen Vorschlag nicht geäußert.

Nach einem entsprechenden Hinweis hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 29. Juni 2020 die Berufung des Beklagten sowie den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die am 2. Mai 2019 abgelaufene Berufungsfrist ( § 517 ZPO ) sei unzulässig, da die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist nicht gewahrt worden sei. Diese habe vorliegend nicht erst mit der Zustellung des die Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses vom 19. August 2019 begonnen, sondern bereits mit Zugang des Hinweises des Senatsvorsitzenden vom 18. Juli 2019. Damit sei der erst am 16. September 2019 - nach Versagung der Prozesskostenhilfe - gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Berufung verspätet gewesen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei Wiedereinsetzung nur zu bewilligen, wenn die Partei ihr Prozesskostenhilfegesuch bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereicht und diesem Antrag einen ordnungsgemäß ausgefüllten Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen beigefügt habe. Nur dann müsse die Partei mit einer Verweigerung der Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit nicht rechnen. Demgegenüber müsse die Partei hiervon jedoch ausgehen, wenn das Rechtsmittelgericht auf Zweifel hinsichtlich der Bedürftigkeit hingewiesen habe und die Partei vernünftigerweise davon ausgehen müsse, diese nicht ausräumen zu können.

So lägen die Dinge hier, nachdem der Beklagte mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 18. Juli 2019 darauf hingewiesen worden sei, er habe keinen vollständigen Antrag gestellt, insbesondere genügten seine Darlegungen zu den Einnahmen aus selbständiger Arbeit ohne Beifügung von Unterlagen nicht den Anforderungen. Nach Zugang dieser Verfügung habe der Beklagte damit rechnen müssen, dass sein Prozesskostenhilfeantrag mangels Bedürftigkeit zurückgewiesen würde.

Somit habe bereits der Zugang dieses Hinweises - und nicht erst der Erhalt des die Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses - die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist ausgelöst.

Mit einem am 5. August 2020 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schriftsatz seines Instanzanwalts hat der Beklagte um Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens gegen diesen ihm am 7. Juli 2020 zugestellten Beschluss des Berufungsgerichts nachgesucht. Mit Beschluss vom 8. Dezember 2020 hat der Senat diesem Begehren entsprochen und mit ergänzendem Beschluss vom 7. Januar 2021 dem Beklagten seine jetzigen Prozessbevollmächtigten beigeordnet. Der Beklagte beantragt (sinngemäß) Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerde- und Rechtsbeschwerdebegründungsfrist. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt er die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses des Berufungsgerichts.

II.

Dem Beklagten ist gemäß § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, weil er vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe und der Beiordnung eines Rechtsanwalts durch den Senat ohne Verschulden daran gehindert war, diese Fristen einzuhalten. Die Wiedereinsetzungsfristen des § 234 Abs. 1 ZPO sind gewahrt. Diese beginnen nach § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. In einem dem Anwaltszwang unterliegenden Verfahren wie dem Rechtsbeschwerdeverfahren wird das der Rechtsverfolgung entgegenstehende Hindernis der Mittellosigkeit erst mit der Beiordnung eines Rechtsanwalts beseitigt. Erst dann liegt eine vollständige Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag der bedürftigen Partei vor, die das der Rechtsverfolgung oder -verteidigung entgegenstehende Hindernis der Mittellosigkeit beseitigt (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2001 - IX ZR 407/98 , NJW 2001, 2545 unter III 2 a; Beschlüsse vom 17. Juni 2004 - IX ZB 208/03 , NJW 2004, 2902 unter III 2 c; vom 27. August 2019 - VI ZB 32/18 , NJW 2019, 3727 Rn. 5; vom 9. Juli 2020 - V ZR 30/20 , NJW 2021, 242 Rn. 5).

III.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungseinlegung und -begründung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Die Rechtsbeschwerde des Beklagten, die sich gegen die Abweisung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das Berufungsgericht und gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig richtet, ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 , § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist ( § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ). Die angegriffene Entscheidung verletzt den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch des Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz ( Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 74, 228 , 234 ; BVerfG, NJW 2012, 2869 Rn. 8; NZA 2016, 122 Rn. 10; Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 2016 - VIII ZB 55/15 , WuM 2016, 632 Rn. 1; vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16 , NJW 2017, 2041 Rn. 9; vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17 , NJW-RR 2018, 1325 Rn. 9; vom 28. April 2020 - VIII ZB 12/19 , NJW-RR 2020, 818 Rn. 13). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht missachtet.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Dem Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Frist zur Einlegung und Begründung der Berufung einzuhalten ( § 233 ZPO ). Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen verkannt, unter denen einer mittellosen Partei, die um Prozesskostenhilfe für ein Berufungsverfahren nachsucht, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war der Beklagte vorliegend schuldlos daran gehindert, die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung zu wahren und hat rechtzeitig ( § 234 Abs. 1 , 2 ZPO ) Wiedereinsetzung beantragt. Denn die Wiedereinsetzungsfristen begannen nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, bereits mit Zustellung des gerichtlichen Hinweises vom 18. Juli 2019, wonach die Darlegungen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten nicht den Anforderungen genügten, sondern erst mit Zugang des die Prozesskostenhilfe - wegen mangelnder Erfolgsaussicht - versagenden Beschlusses. Bis zu diesem Zeitpunkt durfte der Beklagte darauf vertrauen, ihm werde die beantragte Prozesskostenhilfe nicht aufgrund fehlender Bedürftigkeit verweigert, und war damit schuldlos an der Einhaltung der vorgenannten Fristen gehindert.

a) Eine Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist lediglich einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stellt, ist bei noch laufendem Prozesskostenhilfeverfahren schuldlos verhindert, die Rechtsmittel- beziehungsweise Rechtsmittelbegründungsfrist einzuhalten, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit rechnen musste. Dies ist der Fall, wenn sich die Partei bei objektiver Betrachtung für bedürftig halten und davon ausgehen darf, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ordnungsgemäß dargelegt zu haben. Hierfür ist erforderlich, dass dem Antrag innerhalb der Rechtsmittelfrist eine vollständig und wahrheitsgemäß ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem dafür vorgesehenen Formular nach § 117 Abs. 4 ZPO nebst den insoweit notwendigen Belegen beigefügt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 2001 - XI ZR 161/01 , BGHZ 148, 66 , 69 ; vom 13. Dezember 2016 - VIII ZB 15/16 , NJW-RR 2017, 691 Rn. 8; vom 18. Juni 2020 - IX ZB 45/19 , NJW-RR 2020, 944 Rn. 6).

aa) Das Hindernis zur Einlegung (und Begründung) des Rechtsmittels entfällt und die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO beginnt grundsätzlich nicht vor der Bekanntgabe der Entscheidung des Gerichts über den Prozesskostenhilfeantrag (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 1985 - IVb ZB 142/84 , juris Rn. 8).

Wird - wie vorliegend - die beantragte Prozesskostenhilfe nach dem Ablauf der Rechtsmittelfrist verweigert, bleibt der Partei nach der Bekanntgabe der Entscheidung noch eine Zeit von höchstens drei bis vier Tagen für die Überlegung, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will. Im Anschluss an diese Überlegungsfrist beginnt die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO für das Wiedereinsetzungsgesuch und die damit zu verbindende Einlegung des Rechtsmittels. Das gilt auch dann, wenn das Gericht - wie hier - nicht die Bedürftigkeit der Partei, sondern die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung verneint hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 1985 - IVb ZB 142/84 , aaO Rn. 8 f.; vom 9. Juli 2020 - V ZR 30/20 , NJW 2021, 242 Rn. 6).

bb) Die Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO beginnt allerdings dann nicht erst mit Bekanntgabe der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag, sondern bereits (früher), wenn für die Partei schon zuvor (etwa) aufgrund eines gerichtlichen Hinweises erkennbar ist, dass ihr Antrag keinen Erfolg haben wird (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 2001 - XI ZR 161/01 , BGHZ 148, 66 , 69 ; vom 31. Januar 2007 - XII ZB 207/06 , NJW-RR 2007, 793 Rn. 5; vom 16. November 2010 - VIII ZB 55/10 , NJW 2011, 230 Rn. 23; vom 25. März 2015 - XII ZB 96/14 , juris Rn. 5). In diesen Fällen darf der Antragsteller nur dann weiterhin auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertrauen, wenn er vernünftigerweise davon ausgehen durfte, die Zweifel ausräumen zu können, und die gerichtliche Auflage ordnungsgemäß erfüllt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2008, XII ZB 151/07 , juris Rn. 12; vom 26. Mai 2008 - II ZB 19/07 , NJW-RR 2008, 1306 Rn. 12; vom 13. Januar 2010 - XII ZB 108/09 , NJW-RR 2010, 424 Rn. 5; vom 18. Juni 2020 - IX ZB 45/19 , NJW-RR 2020, 944 Rn. 7).

Setzt das Gericht dem Antragsteller zur Vervollständigung seiner Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eine Frist, darf er dann auf die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe jedenfalls bis zum Ablauf der Frist vertrauen. Erfüllt der Antragsteller die gerichtlichen Auflagen fristgemäß, so endet sein schutzwürdiges Vertrauen erst mit Zustellung des die beantragte Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2008 - XII ZB 151/07 , aaO; vom 26. Mai 2008 - II ZB 19/07 , aaO). Dies gilt auch in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren mangels Erfolgsaussicht versagt wird; auch dann ist eine Partei, die die wirtschaftlichen Voraussetzungen des § 114 ZPO für genügend dargetan halten durfte, bis zur Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch (sowie bis zum Ablauf einer weiteren kurzen Überlegungsfrist) ohne Verschulden verhindert, die Berufungsfrist einzuhalten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. November 1984 - IVb ZB 119/84 , NJW 1986, 257 unter II; vom 18. Oktober 2000 - IV ZB 9/00 , NJW-RR 2001, 570 unter II).

b) So liegen die Dinge hier.

Der Beklagte musste - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nach Erhalt des gerichtlichen Hinweises vom 18. Juli 2019 nicht damit rechnen, dass ihm die beantragte Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit verweigert wird. Nach der Art der Beanstandungen in diesem Hinweis und der ihm gewährten "Gelegenheit zur Stellungnahme" durfte der Beklagte von der Nachbesserungsfähigkeit seiner Angaben ausgehen. Er konnte somit weiterhin darauf vertrauen, dass er die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfüllt, so dass nach vorstehenden Grundsätzen die Wiedereinsetzungsfrist ( § 234 Abs. 1 , 2 ZPO ) bezüglich der Einlegung und Begründung der Berufung erst nach Erhalt des die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses - sowie einer Überlegungszeit - begann. Diese Frist hat der Beklagte gewahrt.

aa) Er hat auf den vorgenannten Hinweis fristgerecht zu seiner Einkommenssituation vorgetragen, darauf hingewiesen, dass er mangels finanzieller Mittel keine monatlichen betriebswirtschaftlichen Auswertungen erstellen könne und der Einkommensteuerbescheid des Jahres 2017 der aktuellste sei, der ihm vorliege.

bb) Hiernach durfte der Beklagte weiter darauf vertrauen, ihm werde die beantragte Prozesskostenhilfe nicht mangels Bedürftigkeit versagt. Denn auf Basis vergleichbarer Einkommens- und Vermögensnachweise wurde ihm erstinstanzlich Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.

Ist dies der Fall, kann ein Rechtsmittelkläger bei im wesentlichen gleichen Angaben zu den Vermögensverhältnissen erwarten, dass auch das Gericht des zweiten Rechtszugs ihn als bedürftig im Sinne des § 115 ZPO ansieht. Die Partei braucht nicht damit zu rechnen, dass das Rechtsmittelgericht strengere Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit stellt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 1987 - IVb ZB 157/86 , juris Rn. 9 mwN).

Dies änderte sich vorliegend auch nicht nach dem gerichtlichen Hinweis vom 18. Juli 2019. Zwar kann mit einem entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts das Vertrauen des Antragstellers, aufgrund einer erstinstanzlich gewährten Prozesskostenhilfe eine solche bei unveränderten wirtschaftlichen Verhältnissen auch in der zweiten Instanz zu erhalten, erschüttert sein, da er nunmehr gewärtigen muss, dass das Berufungsgericht die Sache anders einschätzen würde als das Gericht erster Instanz (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 - VI ZB 44/17 , NJW-RR 2018, 1270 Rn. 6).

Jedoch waren die im Hinweis des Berufungsgerichts geäußerten Bedenken - wie ausgeführt - ausräumbar. Anhaltspunkte dafür, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten im Vergleich zur Vorinstanz in einer für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erheblichen Weise geändert hätten, bestanden nicht. Der demgegenüber vom Berufungsgericht herangezogene "Erfahrungssatz", dass Einkünfte aus selbständiger Arbeit in der Regel schwankend seien, ist durch nichts belegt. Zudem hat der Beklagte gewissen Schwankungen seiner Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit gerade dadurch Rechnung getragen, dass er diese im Vergleich zur ersten Instanz als "im Wesentlichen unverändert" beschrieb.

cc) Das Vertrauen des Beklagten - trotz der im gerichtlichen Hinweis vom 18. Juli 2019 geäußerten Bedenken - die wirtschaftlichen Voraussetzungen zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe - weiterhin - zu erfüllen, folgt auch daraus, dass ihm derselbe Senat einige Zeit zuvor (am 2. August 2018) in einem anderen Berufungsverfahren auf Basis der gleichen Unterlagen Prozesskostenhilfe bewilligt hatte. Auch dort hatte der Beklagte (nur) den Einkommensteuerbescheid (des Jahres 2017) vorgelegt. Darauf, dass dem Berufungsgericht die Akten des damaligen Verfahrens nicht mehr vorlagen - so die Ausführungen im Hinweis vom 18. Juli 2019 -, kommt es für das (fortbestehende) Vertrauen des Beklagten in die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht an.

Daher musste er - trotz geäußerter Bedenken - nicht davon ausgehen, dass derselbe Senat einige Monate später die beantragte Prozesskostenhilfe im Ergebnis mangels Bedürftigkeit versagen werde. Dies hat das Berufungsgericht letztlich auch nicht getan, sondern die Ablehnung der Prozesskostenhilfe allein tragend auf die fehlende Erfolgsaussicht gestützt (die es dann später aber als gegeben ansah).

c) Der Umstand, dass im Streitfall die Berufung letztlich ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegt und begründet wurde, steht der Annahme, dass sie zunächst wegen der Mittellosigkeit des Beklagten nicht erfolgt ist, nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99 , NJW 1999, 3271 unter II 3 b dd; vom 25. Oktober 2017 - IV ZB 22/16 , NJW-RR 2018, 61 Rn. 19).

d) Nach Vorstehendem begann somit die zweiwöchige Frist zur Wiedereinsetzung erst mit dem Ablauf einer mit Zustellung des die Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses am 2. September 2019 in Gang gesetzten drei- bis viertägigen Überlegungsfrist. Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung - verbunden mit der Einlegung und Begründung der Berufung ( § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO ) -, welcher am 16. September 2019 bei Gericht eingegangen ist, hat der Beklagte die Fristen des § 234 Abs. 1 ZPO gewahrt.

3. Die angefochtene Entscheidung kann demnach keinen Bestand haben; sie ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ( § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ).

Vorinstanz: LG Kassel, vom 13.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 1070/16
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 29.06.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 15 U 116/19
Fundstellen
FamRZ 2021, 967
MDR 2021, 635
MDR 2021, 858
NJW-RR 2021, 568
ZIP 2021, 1728