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BGH - Entscheidung vom 10.03.2021

6 StR 317/20

Normen:
StPO § 354 Abs. 1

Fundstellen:
StV 2021, 422

BGH, Urteil vom 10.03.2021 - Aktenzeichen 6 StR 317/20

DRsp Nr. 2021/4863

Revision der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln; Abgrenzung der Mittäterschaft von der Beihilfe beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln

Ob die Beteiligung am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln als Mittäterschaft oder Beihilfe zu werten ist, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung aller von der Vorstellung der Beteiligten umfassten Umstände zu beurteilen, bei denen das eigene Interesse am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung sowie die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu besondere Bedeutung haben und insbesondere maßgeblich ist, welches Gewicht dem Tatbeitrag im Rahmen des auf Umsatz gerichteten Gesamtgeschäfts zukommt.

Tenor

1.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 16. Juni 2020

a)

im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen und des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig ist,

b)

unter Aufrechterhaltung der jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben

aa)

in den Aussprüchen über die Strafen in den Fällen 1 bis 5 der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe,

bb)

im Einziehungsausspruch, soweit er die als Tatmittel verwendeten Gegenstände betrifft.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StPO § 354 Abs. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte die Angeklagte, um ihre finanzielle Situation zu verbessern, das Angebot des gesondert verfolgten W. angenommen, bei Kokaingeschäften mitzuwirken. Von August 2018 bis zum 18. Dezember 2019 kam es sodann zu neun Taten, die im Wesentlichen gleichermaßen wie folgt abliefen:

Die Angeklagte und W. fuhren mit dem Pkw der Angeklagten von W. nach H. , wo W. von dem gesondert verfolgten P. Kokain erhielt. Während der Fahrt teilte W. der Angeklagten mit, wieviel Kokain er erworben hatte. Die Angeklagte hatte keinen Einfluss auf die Einkaufsmenge und auch mit der Bezahlung nichts zu tun. Vor der ersten Fahrt hatte W. ihr die Mobilfunknummer von P. gegeben, um diesen im Falle seiner Festnahme vor einem möglichen Zugriff warnen zu können.

Gelagert wurde das Kokain in der Wohnung der Angeklagten. Sie verstaute es dort in einem Kosmetikkoffer, den sie im Schlafzimmer in einem Kleiderschrank aufbewahrte. In der Wohnung der Angeklagten stellten die Angeklagte und W. auch zum Verkauf bestimmte sogenannte Bömbchen zu je einem Gramm her. Teilweise streckten sie das Kokain mit Mannitol, das die Angeklagte auf Veranlassung von W. in einer Apotheke erworben hatte. W. wog das Kokain und das Mannitol mittels einer Feinwaage ab und portionierte es, woraufhin die Angeklagte das Kokain seinen Anweisungen entsprechend streckte. Das Abpacken in kleine Tütchen übernahm W. . Die Angeklagte verklebte die Tütchen schließlich mit Hilfe eines Feuerzeugs und drückte diejenigen, die gestrecktes Kokain enthielten, mit einem Finger ein, um diese von denjenigen mit nicht gestrecktem Kokain unterscheiden zu können.

Die Angeklagte und W. verkauften das Kokain gewinnbringend an verschiedene Abnehmer, gestrecktes Kokain für 60 € und nicht gestrecktes für 90 € pro Gramm. Die Preise hatte W. festgelegt, der auch den Großteil der Verkäufe erledigte. Die Angeklagte hatte ihm einen Schlüssel für ihre Wohnung überlassen, um das Kokain zum Verkauf holen zu können, falls sie nicht zu Hause war. Sie selbst veräußerte das Kokain zunächst nur an zwei Abnehmer, deren Kontaktdaten W. ihr gegeben hatte, und an eine von ihr angeworbene Kundin. Kontakt zu ihren Abnehmern hielt die Angeklagte über ihr Mobiltelefon. Sie verkaufte das Kokain in ihrer Wohnung, auf einem in der Nähe gelegenen Parkplatz oder auf dem Parkplatz einer Spielhalle, in der sie beschäftigt war. Die Verkaufserlöse legte sie auf ihren Küchentisch, von wo W. das Geld an sich nahm.

Wenn der Kokainvorrat aus der vorherigen Fahrt aufgebraucht war, fuhren beide - jeweils in Abständen von etwa acht Wochen - wieder nach H. , um sich neues Kokain zu besorgen. Bei den ersten drei Fahrten erwarb W. jeweils 200 g Kokain von P. (Fälle 1 bis 3 der Urteilsgründe), bei der vierten 300 g (Fall 4 der Urteilsgründe) und bei der fünften 500 g (Fall 5 der Urteilsgründe). Das Kokain hatte stets einen Wirkstoffgehalt von mindestens 88,4 %, nach dem Strecken mindestens 51,5 %. In den Fällen 1 bis 5 der Urteilsgründe zahlte W. der Angeklagten für ihre Mitwirkung jeweils 200 €.

Bei der sechsten Fahrt (Fall 6 der Urteilsgründe) erwarb W. ein Kilogramm Kokain von P. . Da er anschließend einige Zeit "Urlaub" machen wollte, die Kokainverkäufe aber uneingeschränkt fortgesetzt werden sollten, stellte er der Angeklagten vor seiner Abreise seine damalige Mitbewohnerin, die gesondert verfolgte B. , vor und erklärte ihr, dass diese während seines Urlaubs die Verkäufe an einen Teil seiner Abnehmer übernehmen solle. Die Angeklagte war damit nicht einverstanden, weil sie B. von Anfang an nicht leiden konnte, willigte aber schließlich gleichwohl ein, weil sie davon ausging, dass B. nur während des Urlaubs von W. tätig werde. W. gab der Angeklagten eine Liste mit Kontaktdaten von 17 Abnehmern, denen sie nunmehr neben ihren drei bisherigen Kunden Kokain verkaufen konnte. Während der Abwesenheit von W. holte B. einmal Kokain bei der Angeklagten ab, weil ihr vorheriger Verkaufsvorrat aufgebraucht war. Für ihre Mitwirkung bei der sechsten Tat zahlte W. der Angeklagten 5.000 €. Danach erklärte er ihr, dass sie den erzielten Gewinn teilten.

Bei der siebten, achten und neunten Fahrt (Fälle 7 bis 9 der Urteilsgründe) erwarb W. ebenfalls jeweils ein Kilogramm Kokain von P. . Die Angeklagte erhielt für ihre Tätigkeit bei der siebten Tat wiederum 5.000 € und bei der achten Tat 7.000 € von W. . Zu einem Verkauf des bei der neunten Tat erworbenen Kokains kam es nicht mehr, weil die Angeklagte und W. nach ihrer Rückkehr aus H. festgenommen wurden. B. verkaufte ohne Wissen der Angeklagten auch in den Fällen 7 und 8 der Urteilsgründe aus dem jeweils erworbenen Vorrat Kokain an Abnehmer von W. , wenn dieser verhindert war.

II.

Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich - ungeachtet des umfassenden Aufhebungsantrags - ausweislich der Begründung nur gegen den Schuldspruch in den Fällen 1 bis 5 und 7 bis 9 der Urteilsgründe sowie den zugehörigen Rechtsfolgenausspruch und ist als insoweit beschränkt anzusehen. Sie ist teilweise begründet.

1. Der Schuldspruch lediglich wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen 1 bis 5 hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass das Landgericht die Angeklagte insoweit nicht wegen (mit-)täterschaftlichen Handeltreibens verurteilt hat.

a) Das Landgericht hat die Annahme bloßer Beihilfe damit begründet, dass die Angeklagte zwar in allen Stadien des Handeltreibens beteiligt gewesen, insgesamt in den Fällen 1 bis 5 aber noch als "Randfigur" aufgetreten sei. Sie habe bei den Beschaffungsfahrten den Verkäufer nicht gesehen, und ihr Abnehmerkreis sei sehr überschaubar gewesen. Auch ihr eigenes Interesse an den Taten sei noch gering gewesen, weil sie nur eine sehr niedrige Entlohnung erhalten habe. "Ihr Umfang an den Taten" sei somit insgesamt noch gering gewesen, und die Durchführung der Taten sei auch nicht maßgeblich von ihrem Willen abhängig gewesen.

b) Diese Ausführungen stoßen auf durchgreifende rechtliche Bedenken.

Ob die Beteiligung am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln als Mittäterschaft oder Beihilfe zu werten ist, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung aller von der Vorstellung der Beteiligten umfassten Umstände zu beurteilen, bei denen das eigene Interesse am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung sowie die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu besondere Bedeutung haben und insbesondere maßgeblich ist, welches Gewicht dem Tatbeitrag im Rahmen des auf Umsatz gerichteten Gesamtgeschäfts zukommt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. Februar 2007 - 2 StR 516/06, BGHSt 51, 219 , 222 ff.; Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 270/11, NStZ 2012, 40 , 41 mwN).

Daran gemessen belegen die Feststellungen in den Fällen 1 bis 5 eine (mit-)täterschaftliche Tatbeteiligung der Angeklagten. Ihre Handlungen erschöpften sich nicht in untergeordneten Tätigkeiten wie etwa bloßen Kurierdiensten. Sie war vielmehr in alle Stadien des Handeltreibens in Form von arbeitsteiligem Vorgehen eingebunden. Sie fuhr gemeinsam mit W. nach H. , um das Kokain zu kaufen, und stellte dafür ihren eigenen Pkw zur Verfügung. Wenngleich sie keinen persönlichen Kontakt zu dem Verkäufer hatte, verfügte sie doch von Anfang an über dessen Mobilfunknummer, unter der sie ihn im Falle einer Festnahme von W. vor einem möglichen Zugriff hätte warnen können. Sie stellte ihre Wohnung zur Lagerung des Kokains zur Verfügung, wo sie es gemeinsam mit W. streckte, portionierte und verpackte. Schließlich verkaufte sie eigenhändig Kokain an drei Abnehmer, unter anderem an eine von ihr angeworbene Kundin. Zumindest bei der Lagerung und dem Verkauf des Kokains verfügte sie über einen eigenen Gestaltungsspielraum; insbesondere konnte sie selbst Abnehmer akquirieren. Insgesamt kam ihren Tatbeiträgen deshalb im Rahmen des Gesamtgeschäfts maßgebliche Bedeutung zu. Überdies hatte die Angeklagte ein erhebliches finanzielles Interesse am Taterfolg.

c) Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst, weil auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden können, die zu einer anderen Beurteilung führen. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagten bereits mit der Anklage gemeinschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zur Last gelegt war.

2. Der Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in den Fällen 7 und 9 sowie aufgrund des mitgeführten Pfeffersprays wegen bewaffneten Handeltreibens im Fall 8 hat demgegenüber Bestand. Die Revision wendet sich ohne Erfolg dagegen, dass das Landgericht bandenmäßiges Handeln der Angeklagten verneint hat. Die zugrundeliegende Beweiswürdigung hält eingedenk des insoweit beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs rechtlicher Überprüfung stand (vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. März 2020 - 5 StR 623/19, NStZ-RR 2020, 143 mwN). Sie erweist sich insbesondere nicht als lückenhaft.

Das Landgericht hat namentlich bedacht, dass sich aus abgehörten Telefongesprächen vom 25. August 2019 Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagten die Tatbeteiligung von B. in der Zeit nach dem "Urlaub" von W. bekannt war, vermochte sich aber hiervon nicht zu überzeugen, insbesondere weil die Angeklagte im Gespräch mit ihrer Abnehmerin mehrfach betont hatte, sie werde bei einer Mitwirkung der B. aus den Geschäften mit W. "aussteigen". Diese Wertung ist möglich, zwingend muss sie nach allgemeinen Regeln nicht sein. Die dagegen gerichteten Einwände der Revision erschöpfen sich in dem revisionsrechtlich unbeachtlichen Versuch, die Beweiswürdigung des Landgerichts durch eine eigene Bewertung zu ersetzen.

3. Die Schuldspruchänderung in den Fällen 1 bis 5 führt zur Aufhebung der betreffenden Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Sie entzieht auch der an sich rechtsfehlerfrei gemäß § 74 Abs. 1 StGB angeordneten Einziehung der von der Angeklagten als Tatmittel verwendeten Gegenstände die Grundlage, weil diese Maßnahme den Charakter einer Nebenstrafe hat und deshalb in untrennbarem inneren Zusammenhang mit der Bemessung der Strafe steht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 11. Februar 2020 - 4 StR 525/19, NStZ 2020, 407 , 408).

Insoweit bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die jeweils zugehörigen Feststellungen können jedoch bestehen bleiben, weil sie von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt sind (§ 353 Abs. 2 StPO ). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Braunschweig, vom 16.06.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 806 Js 45054/19 1 KLs 31/20 205 Ss 58/20
Fundstellen
StV 2021, 422