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BGH - Entscheidung vom 20.04.2021

XIII ZB 85/20

Normen:
FamFG § 84

BGH, Beschluss vom 20.04.2021 - Aktenzeichen XIII ZB 85/20

DRsp Nr. 2021/10244

Rechtmäßige Anordnung von Haft zur Sicherung einer Abschiebung

Es erschließt sich grundsätzlich ohne Weiteres, dass der organisatorische Aufwand für die Buchung eines Abschiebefluges mit Sicherheitsbegleitung sechs Wochen in Anspruch nimmt. Insbesondere gilt das für einen Abschiebeflug während der Coronapandemie.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 12. November 2020 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 84 ;

Gründe

I. Der Betroffene, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste erstmals 2013 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. Dezember 2014 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Er wurde aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche zu verlassen. Die Abschiebung nach Serbien wurde angedroht. Am 12. November 2019 wurde er abgeschoben. Am 13. Dezember 2019 reiste er ohne Aufenthaltstitel erneut in das Bundesgebiet ein.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 7. Oktober 2020 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung bis zum 8. Dezember 2020 angeordnet. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 12. November 2020 festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts den Betroffenen auf Grund eines Verfahrensfehlers in dem Zeitraum vom 7. Oktober bis zum 12. November 2020 in seinen Rechten verletzt habe. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen und die Haftanordnung mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Sicherungshaft mit Ablauf des 7. Dezember 2020 ende. Dagegen richtet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er nach Ablauf der Haftzeit die Feststellung begehrt, dass ihn die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts auch in dem Zeitraum vom 12. November bis zum 7. Dezember 2020 in seinen Rechten verletzt hätten.

I. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht meint, die Haftanordnung sei aufrecht zu erhalten. Die Voraussetzungen der Sicherungshaft lägen vor. Die beteiligte Behörde habe das Beschleunigungsgebot nicht verletzt. Die schnellste begleitete Rückführungsmöglichkeit habe mit dem Sammelcharter vom 1. Dezember 2020 bestanden. Dass kein Linienflug mit Sicherheitsbegleitung gewählt worden sei, unterliege dem organisatorischen Spielraum der beteiligten Behörde und sei insoweit nicht zu beanstanden. Als zeitlicher Puffer für allfällige Verzögerungen seien allerdings nicht sieben, sondern nur sechs Tage angemessen, weswegen die Haft nur bis zum 7. Dezember 2020 aufrecht zu erhalten sei.

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde verneint das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei einen Verstoß der beteiligten Behörde gegen das Beschleunigungsgebot.

a) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen verlangt, dass die Behörde die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und die Dauer der Sicherungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird. Ein Verstoß gegen dieses Gebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2010 - V ZB 205/09, juris Rn. 16, vom 11. Juli 2019 - V ZB 28/18, juris Rn. 7, und vom 24. Juni 2020 - XIII ZB 9/19, juris Rn. 12).

b) Hiergegen hat die beteiligte Behörde nicht dadurch verstoßen, dass die Abschiebung des Betroffenen von vornherein am 1. Dezember 2020 mittels eines Sammelcharters erfolgen sollte. Die begleitete Abschiebung des Betroffenen mit einem Linienflug wäre nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht vor dem 1. Dezember 2020 möglich gewesen.

aa) Bereits unter normalen Umständen erschließt sich grundsätzlich ohne Weiteres, dass der organisatorische Aufwand für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung sechs Wochen in Anspruch nimmt, da erst die für die Begleitung in Betracht kommenden Personen ermittelt und innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitfenster die Flüge für den Betroffenen und die Begleitpersonen gebucht werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11). Im Streitfall kam hinzu, dass die Rückführung während der Coronapandemie organisiert werden musste. Auf Grund dieser besonderen Umstände hätten bei einer Rückführung mittels Linienflugs die begleitenden Polizeibeamten im Zielland nicht übernachten können, weswegen nur Linienflugverbindungen mit direktem Rückflug in Betracht hätten gezogen werden können, was die Auswahl unter möglichen Flugverbindungen bereits erheblich eingeschränkt und eine längere Planungszeit erfordert hätte. Eine Umstellung der Praxis von Sammelabschiebungen auf Individualabschiebungen mittels Linienflügen in allen gleichgelagerten Fällen hätte zudem bedeutet, dass eine viel größere Anzahl an Polizeibeamten der 14-tägigen Quarantäne nach Rückkehr zu unterwerfen gewesen wäre, was die Verfügbarkeit von Personal stark eingeschränkt und den organisatorischen Zeitaufwand jeder einzelnen Individualabschiebung erheblich vergrößert hätte; der Fall des Betroffenen kann insoweit also nicht isoliert betrachtet werden. Die beteiligte Behörde durfte deshalb von vornherein davon ausgehen, dass die Organisation einer begleiteten Individualabschiebung deutlich mehr Zeit als die normalerweise zu veranschlagenden sechs Wochen in Anspruch nehmen würde und nicht vor dem 1. Dezember 2020, also schneller als vor Ablauf von knapp acht Wochen, zu organisieren gewesen wäre. Sie musste daher, anders als die Rechtsbeschwerde meint, bereits keine Organisationsversuche im Hinblick auf eine Individualabschiebung unternehmen und durfte für den Betroffenen sogleich die am 1. Dezember 2020 stattfindende Sammelabschiebung vorsehen.

bb) Ohne Erfolg verweist die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16. Februar 2012 ( V ZB 320/10, InfAuslR 2012, 225 Rn. 16 f.; s.a. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2019 - V ZB 28/18, juris Rn. 8), wonach es der Ausländerbehörde nicht erlaubt ist, wegen einer Überlastung der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen staatlichen Stelle den Ausländer länger als für eine Abschiebung unbedingt erforderlich in Haft zu halten. Denn in dem damaligen Fall war die Polizei auf Grund eines Großeinsatzes wegen eines Atommülltransports überlastet, was vorhersehbar war und durch Planung und Hinzuziehung von Kräften aus anderen Teilen des Bundesgebiets hätte verhindert werden können. Im Gegensatz dazu betrifft die Coronapandemie das gesamte Bundesgebiet mit erheblichen zusätzlichen Belastungen für die Polizeikräfte des Bundes und der Länder. Dadurch bedingte Verzögerungen sind unvermeidbar. Der Betroffene hat sie - in den Grenzen des § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG - hinzunehmen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG . Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Gelsenkirchen, vom 07.10.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 702 XIV (B) 16/20
Vorinstanz: LG Essen, vom 12.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 7 T 38/20