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BGH - Entscheidung vom 23.02.2021

XIII ZB 12/19

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3

BGH, Beschluss vom 23.02.2021 - Aktenzeichen XIII ZB 12/19

DRsp Nr. 2021/9201

Rechtmäßige Anordnung der Sicherungshaft bis zur Rückführung eines abgelehnten Asylbewerbers

Grundsätzlich bedarf es, wenn die beteiligte Behörde einen längeren Zeitraum als sechs Wochen für die Organisation einer sicherheitsbegleiteten Rückführung des Betroffenen für erforderlich hält und deshalb die Anordnung längerer Haft beantragt, einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies unter Ausführungen etwa zu Art des Fluges, Buchungslage der in Betracht kommenden Luftverkehrsunternehmen, Anzahl der gegebenenfalls erforderlichen Begleitpersonen, Personalsituation usw. nachvollziehbar erklärt. Soll die Haft allerdings im Hinblick auf eine allfällige Verzögerung der Rückführung nur um wenige Tage verlängert werden, erübrigen sich eingehendere Erläuterungen, sofern im Übrigen der für die Rückführung erforderliche Zeitbedarf nachvollziehbar dargelegt ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Ingolstadt, 2. Zivilkammer, vom 18. Januar 2018 wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Dolmetscherkosten nicht erhoben werden.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I. Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste am 21. Juli 2017 von Österreich kommend nach Deutschland ein. Im Zug auf der Strecke zwischen Salzburg und München wurde er bei einer grenzpolizeilichen Kontrolle ohne gültige Einreise- oder Aufenthaltsdokumente aufgegriffen. Ein von ihm zuvor gestellter Asylantrag war mit vollziehbarem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29. Mai 2017 als unbegründet abgelehnt worden, zugleich war ihm die Abschiebung angedroht worden.

Mit Beschluss vom 26. Juli 2017 ordnete das Amtsgericht gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum 14. Oktober 2017 an. Die Beschwerde des Betroffenen wies das Landgericht mit der Maßgabe zurück, dass die Haft spätestens am 3. Oktober 2017 enden sollte.

Die beteiligte Behörde hat mit Schreiben vom 27. September 2017 die Verlängerung der Haft bis zum 6. Oktober 2017 im Hinblick auf den für die Rückführung gebuchten Flug am 5. Oktober 2017 beantragt. Das Amtsgericht hat Termin zur Anhörung auf den 29. September 2017 anberaumt und den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen geladen. Mit Beschluss vom 29. September 2017 hat es die Verlängerung der Haft bis zum 6. Oktober angeordnet. Die dagegen eingelegte Beschwerde, mit der der Betroffene nach erfolgter Abschiebung die Feststellung begehrt, in seinen Rechten verletzt worden zu sein, hat das Landgericht zurückgewiesen.

Mit der Rechtsbeschwerde, der die beteiligte Behörde entgegentritt, verfolgt der Betroffene sein Feststellungsbegehren weiter.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Betroffene ist nicht in seinen Rechten verletzt.

1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Anordnung zur Verlängerung der Haft sei rechtmäßig gewesen. Ihr habe ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Der Umstand, dass dem Verfahrensbevollmächtigten der Haftantrag mit der Ladung nicht übermittelt worden sei, hätte den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör nicht verkürzt.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

a) Der Haftantrag war zulässig.

aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).

bb) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag der beteiligten Behörde, in dem sie dargelegt hat, dass wegen der am 26. September 2017 bestätigten Buchung des für den 5. Oktober 2017 geplanten Fluges zur Rückführung des Betroffenen nach Casablanca eine Verlängerung der Haft bis zum 6. Oktober 2017 erforderlich sei.

(1) Grundsätzlich bedarf es, wenn die beteiligte Behörde einen längeren Zeitraum als sechs Wochen für die Organisation einer sicherheitsbegleiteten Rückführung des Betroffenen für erforderlich hält und deshalb die Anordnung längerer Haft beantragt, einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies unter Ausführungen etwa zu Art des Fluges, Buchungslage der in Betracht kommenden Luftverkehrsunternehmen, Anzahl der gegebenenfalls erforderlichen Begleitpersonen, Personalsituation usw. (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. November 2018 - V ZB 54/18, Asylmagazin 2019, 79 Rn. 8), nachvollziehbar erklärt (BGH, Beschlüsse vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 26/19, juris Rn. 9; vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7, und vom 10. November 2020 - XIII ZB 58/19, Rn. 12 jeweils mwN). Soll die Haft allerdings im Hinblick auf eine allfällige Verzögerung der Rückführung nur um wenige Tage verlängert werden, erübrigen sich eingehendere Erläuterungen, sofern im Übrigen der für die Rückführung erforderliche Zeitbedarf nachvollziehbar dargelegt ist.

(2) So liegt der Fall hier. Dem Haftantrag war ohne Weiteres zu entnehmen, dass die Haft nur deswegen um drei Tage verlängert werden sollte, weil der für die Rückführung erforderliche Flug von München nach Casablanca nach erfolgter Identifizierung des Betroffenen durch die marokkanischen Behörden am 5. Oktober 2017, und damit zwei Tage nach dem zuvor angeordneten Ende der Haft, erfolgen sollte, und weil der beteiligten Behörde diese Flugbuchung erst am 26. September 2017 bestätigt worden war. Diese hatte im vorangegangenen Beschwerdeverfahren - insbesondere unter Hinweis auf die erforderliche Identifizierung des Betroffenen durch die marokkanischen Behörden - nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen insgesamt mit einer Bearbeitungszeit von zehn Wochen ab der am 25. Juli 2017 erfolgten Übergabe der Fingerabdrücke des Betroffenen an die marokkanischen Behörden zu rechnen war.

b) Das Beschwerdegericht hat die Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens ergeben, hinreichend berücksichtigt.

aa) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 6 und 20; vom 27. September 2018 - V ZB 96/18, juris Rn. 7 ff.; vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19; juris Rn. 4; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 5). Es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7).

bb) Nach diesen Grundsätzen liegt keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren vor. Das Amtsgericht hat die Teilnahme des Verfahrensbevollmächtigten am Anhörungstermin vom 29. September 2017 nicht vereitelt.

(1) Es hat am 28. September 2017 auf den Haftantrag der beteiligten Behörde Termin zur Anhörung auf den 29. September 2017 anberaumt und den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen noch am selben Tag per Fax um 11.31 Uhr zu diesem Termin geladen. Dieser nahm umgehend Kenntnis von der Ladung und teilte dem Amtsgericht bereits um 12.28 Uhr per Fax mit, den Termin am 29. September 2019 nicht wahrnehmen zu können.

(2) Danach bestand für das Amtsgericht keine Veranlassung zu einer Terminverlegung. Ist ein Verfahrensbevollmächtigter an dem geplanten Anhörungstermin verhindert, ist das Haftgericht grundsätzlich nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag zu einer Verlegung des Termins verpflichtet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10, juris Rn. 10; vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 28/20, juris Rn. 18). Einen solchen Antrag stellte der Verfahrensbevollmächtigte nicht, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.

(3) Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen der Antrag der beteiligten Behörde auf Haftverlängerung nicht zugleich mit der Ladung - und auch nicht nachfolgend auf seinen Hinweis an das Gericht, dass ihm ein solcher Antrag nicht vorliege - übermittelt wurde. Will der Verfahrensbevollmächtigte eines Betroffenen es vom Gegenstand der Anhörung abhängig machen, ob er an dieser Anhörung teilnimmt oder ihr fernbleibt, und hat das Gericht ihn über den Gegenstand nicht wie geboten informiert, muss er dies deutlich machen und unter Hinweis auf die ihm fehlende Information einen Antrag auf Terminverlegung stellen. Tut er dies nicht, sondern teilt er dem Gericht - wie hier lediglich mit, den Termin nicht wahrnehmen zu können, gibt er damit regelmäßig zu erkennen, ungeachtet des Gegenstands der Anhörung an dem Termin nicht teilnehmen zu wollen.

Dem Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten vom 28.September 2017 war nicht zu entnehmen, dass er an dem anberaumten Termin selbst teilnehmen oder sich durch einen Unterbevollmächtigten vertreten lassen oder die Teilnahme vom Gegenstand der Anhörung abhängig machen wollte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er bereits im vorangegangenen Beschwerdeverfahren an einem Anhörungstermin trotz Ladung nicht teilgenommen hat und dies dem Gericht vorab in gleicher Weise mitgeteilt hatte.

c) Soweit die - trotz entsprechender Bitte des Verfahrensbevollmächtigten - nicht erfolgte Übermittlung des Haftantrags den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt hat, legt die Rechtsbeschwerde nicht dar, inwieweit die angegriffene Entscheidung auf dem geltend gemachten Verstoß beruht. Der Antrag, von dem der Verfahrensbevollmächtigte spätestens im Anhörungstermin hätte Kenntnis erlangen können, war dem Betroffenen ausweislich des Protokolls übergeben und übersetzt worden. Darüber hinaus war der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen auch nicht völlig im Unklaren über den Gegenstand der Anhörung. Er vermutete vielmehr, dass Gegenstand der Anhörung ein Antrag der beteiligten Behörde auf Verlängerung der Haft war, beantragte insofern Verfahrenskostenhilfe und stellte vorsorglich einen Zurückweisungsantrag.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG . Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Ingolstadt, vom 29.09.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 9 XIV 45/17
Vorinstanz: LG Ingolstadt, vom 18.01.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 24 T 1530/17