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BGH - Entscheidung vom 15.04.2021

III ZB 61/20

Normen:
ZPO § 42 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 15.04.2021 - Aktenzeichen III ZB 61/20

DRsp Nr. 2021/8133

Rechtfertigung der Besorgnis der Befangenheit in einem Verfahren des "Dieselskandals"

Der Anschein fehlender Unparteilichkeit kann auch dann bestehen, wenn der Richter gegen eine Prozesspartei Klage und darin den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung erhoben hat, sofern dieses Verfahren noch andauert oder noch nicht lange Zeit zurückliegt; mit der Beteiligung an einem solchen Verfahren nimmt der Richter gegenüber dieser Partei keine neutrale Haltung ein, sondern erscheint als deren Gegner. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Beurteilung der vorliegenden Klageforderung in einem engen Zusammenhang mit der Bewertung des Verhaltens des (ehemaligen) Prozessgegners des Richters - hier der Volkswagen AG im sogenannten Dieselabgasskandal - steht.

Tenor

Die in der Erklärung des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. H. vom 4. Februar 2021 mitgeteilten Umstände rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

Normenkette:

ZPO § 42 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten zu 2 Schadensersatz. Sie wirft ihr vor, in den 3,0 l-Dieselmotor Schadstoffklasse EU 5 eines von ihr, der Klägerin, erworbenen Fahrzeugs (Typ VW Touareg 3.0 TDI) eine verbotene Abschalteinrichtung eingebaut zu haben. Die Klage hat in erster Instanz keinen Erfolg gehabt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin, soweit sie sich gegen die Beklagte zu 2 richtet, als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 ZPO genüge. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

Am 4. Februar 2021 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. H. , angezeigt, dass er im Frühjahr 2014 einen Volkswagen CC mit dem Motor EA 189 erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die Volkswagen AG erhoben habe. Die Beklagte zu 2 hat darauf mitgeteilt, dass sonach ein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Senatsvorsitzenden zu rechtfertigen. Die Klägerin hat hierzu keine Stellungnahme abgegeben.

II.

Die in der Anzeige des Vorsitzenden Richters mitgeteilten Tatsachen rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist die Befangenheit eines Richters zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 - II ZB 14/19, NJW 2020, 1680 Rn. 9 und vom 28. Juli 2020 - VI ZB 94/19, NJW 2020, 3458 Rn. 7, jeweils mwN). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der "böse Schein", das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (BGH aaO).

Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen - sei es auch nur mittelbaren - wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht (BGH aaO). Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO kann dementsprechend begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche erhebt, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 aaO Rn. 10 und vom 28. Juli 2020 aaO Rn. 8).

Der Anschein fehlender Unparteilichkeit kann auch dann bestehen, wenn der Richter gegen eine Prozesspartei Klage und darin den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung erhoben hat, sofern dieses Verfahren noch andauert oder noch nicht lange Zeit zurückliegt; mit der Beteiligung an einem solchen Verfahren nimmt der Richter gegenüber dieser Partei keine neutrale Haltung ein, sondern erscheint als deren Gegner (vgl. zu einer entsprechenden Musterfeststellungsklage Senat, Beschluss vom 25. März 2021 - III ZB 57/20, zur Veröffentlichung vorgesehen).

2. Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor.

a) Die Klägerin macht mit ihrer Rechtsbeschwerde unter anderem geltend, zur Begründung der Berufung auf ihren erstinstanzlichen Vortrag hingewiesen zu haben, nach dem die Beklagte zu 2, die die 3,0-Liter-Motoren für die Fahrzeuge des gesamten VW-Konzerns herstelle, gemeinsam mit VW versucht habe, die Abschalteinrichtung vor den Aufsichtsbehörden zu verstecken; außerdem sei die Zugehörigkeit der Beklagten zu 2 zum VW-Konzern ein Anhaltspunkt für ihr sittenwidriges Handeln, ihre Abhängigkeit von Entscheidungen der VW AG sei bekannt.

b) Unter Zugrundelegung dieses Vorbringens steht die Beurteilung der Klageforderung in einem engen Zusammenhang mit der Bewertung des Verhaltens der Volkswagen AG. Dieser gegenüber erscheint der Vorsitzende Richter in Anbetracht seiner auf den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung gestützten Klage indes als "Gegner". Der Sachverhalt ist geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters aufkommen zu lassen. Dabei genügt bereits der "böse Schein", die tatsächliche Einstellung des Richters ist insoweit nicht ausschlaggebend.

Vorinstanz: LG Kempten, vom 06.02.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 14 O 430/19
Vorinstanz: OLG München, vom 30.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 14 U 6915/19