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BGH - Entscheidung vom 29.04.2021

III ZR 273/20

Normen:
ZPO § 42 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 29.04.2021 - Aktenzeichen III ZR 273/20

DRsp Nr. 2021/8150

Rechtfertigung der Besorgnis der Befangenheit im Verfahren um den "Dieselabgasskandal"

Der Anschein fehlender Unparteilichkeit kann auch dann bestehen, wenn der Richter gegen eine Prozesspartei Klage und darin den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung erhoben hat, sofern dieses Verfahren noch andauert oder noch nicht lange Zeit zurückliegt; mit der Beteiligung an einem solchen Verfahren nimmt der Richter gegenüber dieser Partei keine neutrale Haltung ein, sondern erscheint als deren Gegner.

Tenor

Die in der Erklärung des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. H. vom 14. Januar 2021 mitgeteilten Umstände rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

Normenkette:

ZPO § 42 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz. Er wirft ihr vor, in den Dieselmotor des Typs EA 897 eines von ihm erworbenen Fahrzeugs (Audi A5 3,0 TDI) eine verbotene Abschalteinrichtung eingebaut zu haben. Die Klage hat in beiden Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht hat der Kläger Beschwerde eingelegt.

Am 14. Januar 2021 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. H. , angezeigt, dass er im Frühjahr 2014 einen Volkswagen CC mit dem Motor EA 189 erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die Volkswagen AG erhoben habe. Die Beklagte hat darauf mitgeteilt, dass sonach ein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Senatsvorsitzenden zu rechtfertigen. Der Kläger hat erklärt, seinerseits bestünden keine Einwendungen gegen eine Entscheidungsbeteiligung des Senatsvorsitzenden.

II.

Die in der Anzeige des Vorsitzenden Richters mitgeteilten Tatsachen rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist die Befangenheit eines Richters zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 - II ZB 14/19, NJW 2020, 1680 Rn. 9 und vom 28. Juli 2020 - VI ZB 94/19, NJW 2020, 3458 Rn. 7, jeweils mwN). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der "böse Schein", das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (BGH aaO).

Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen - sei es auch nur mittelbaren - wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht (BGH aaO). Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO kann dementsprechend begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche erhebt, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 aaO Rn. 10 und vom 28. Juli 2020 aaO Rn. 8).

Der Anschein fehlender Unparteilichkeit kann auch dann bestehen, wenn der Richter gegen eine Prozesspartei Klage und darin den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung erhoben hat, sofern dieses Verfahren noch andauert oder noch nicht lange Zeit zurückliegt; mit der Beteiligung an einem solchen Verfahren nimmt der Richter gegenüber dieser Partei keine neutrale Haltung ein, sondern erscheint als deren Gegner (vgl. zu einer entsprechenden Musterfeststellungsklage Senat, Beschluss vom 25. März 2021 - III ZB 57/20, zur Veröffentlichung vorgesehen).

2. Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor.8 a) Der Kläger beruft sich zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde unter anderem darauf, von einem sittenwidrigen Verhalten im Zusammenhang mit dem "Dieselskandal" sei auszugehen, wenn ein Konzern im eigenen Kostenund Gewinninteresse durch jahrelange bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes Fahrzeuge mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr bringe (Beschwerdebegründung S. 6 f), dass die Entwicklung von Motoren einen wesentlichen Bestandteil der grundsätzlichen Ausrichtung eines Autokonzerns darstelle und die Entscheidung über den Einbau unzulässiger Software von den verantwortlichen Entscheidungsträgern im Unternehmen getroffen werde (aaO S. 11) und dass die Motorenentwicklung in den Bereich der grundlegenden Strategieentscheidungen eines Fahrzeugkonzerns falle und es sich dabei um zentrale geschäftspolitische Entscheidungen, die sich maßgeblich auf die Finanz- und Geschäftsplanung eines Konzerns auswirkten, handele (aaO S. 13).

b) Unter Zugrundelegung dieses auf den VW-Konzern bezogenen Vorbringens steht die Beurteilung der Klageforderung in einem engen Zusammenhang mit der Bewertung des Verhaltens der Volkswagen AG. Dieser gegenüber erscheint der Vorsitzende Richter in Anbetracht seiner auf den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung gestützten Klage indes als "Gegner". Der Sachverhalt ist geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters aufkommen zu lassen. Dabei genügt bereits der "böse Schein", die tatsächliche Einstellung des Richters ist insoweit nicht ausschlaggebend.

Vorinstanz: LG Augsburg, vom 20.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 93 O 1087/19
Vorinstanz: OLG München, vom 07.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 27 U 7473/19