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BGH - Entscheidung vom 29.04.2021

III ZR 272/20

Normen:
ZPO § 42 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 29.04.2021 - Aktenzeichen III ZR 272/20

DRsp Nr. 2021/8149

Rechtfertigung der Besorgnis der Befangenheit im Verfahren um den "Dieselabgasskandal"

Zwar kann der Anschein fehlender Unparteilichkeit auch dann bestehen, wenn der Richter gegen eine Prozesspartei Klage und darin den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung erhoben hat, sofern dieses Verfahren noch andauert oder noch nicht lange Zeit zurückliegt; mit der Beteiligung an einem solchen Verfahren nimmt der Richter gegenüber dieser Partei keine neutrale Haltung ein, sondern erscheint als deren Gegner. Daran fehlt es jedoch, wenn der betreffende Richter in seinem Klageverfahren unerlaubte Handlungen gerügt hat, bezüglich derer im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemacht wird, sie seien der hiesigen Beklagten zuzurechnen. Der Anschein, der Richter könnte die Würdigung seines Sachverhalts auf den vorliegenden Fall übertragen, kann nicht begründet werden, wenn zwei unabhängig voneinander zu bewertende Sachverhalte vorliegen, die zwar gewisse Parallelen, aber keine erheblichen Überschneidungen im Tatsächlichen aufweisen.

Tenor

Die in der Erklärung des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. H. vom 14. Januar 2021 mitgeteilten Umstände rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit nicht.

Normenkette:

ZPO § 42 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten zu 2 Schadensersatz. Er wirft ihr vor, in den Dieselmotor des Typs 3,0 l V6 eines von ihm erworbenen Fahrzeugs (Audi SQ5 3.0 TDI Competition Quattro) eine verbotene Abschalteinrichtung eingebaut zu haben. Die Klage hat in beiden Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit seiner - insoweit - vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch gegen die Beklagte zu 2 weiter.

Am 14. Januar 2021 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. H. , angezeigt, dass er im Frühjahr 2014 einen Volkswagen CC mit dem Motor EA 189 erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die Volkswagen AG erhoben habe. Die Beklagte zu 2 hat darauf mitgeteilt, dass sonach ein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Senatsvorsitzenden zu rechtfertigen. Der Kläger hat erklärt, seinerseits bestünden keine Einwendungen an einer Entscheidungsbeteiligung des Senatsvorsitzenden.

II.

Die in der Anzeige des Vorsitzenden Richters mitgeteilten Tatsachen rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit nicht.

1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist die Befangenheit eines Richters zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 - II ZB 14/19, NJW 2020, 1680 Rn. 9 und vom 28. Juli 2020 - VI ZB 94/19, NJW 2020, 3458 Rn. 7, jeweils mwN). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der "böse Schein", das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (BGH aaO).

Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen - sei es auch nur mittelbaren - wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht (BGH aaO). Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO kann dementsprechend begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche erhebt, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 aaO Rn. 10 und vom 28. Juli 2020 aaO Rn. 8).

Der Anschein fehlender Unparteilichkeit kann auch dann bestehen, wenn der Richter gegen eine Prozesspartei Klage und darin den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung erhoben hat, sofern dieses Verfahren noch andauert oder noch nicht lange Zeit zurückliegt; mit der Beteiligung an einem solchen Verfahren nimmt der Richter gegenüber dieser Partei keine neutrale Haltung ein, sondern erscheint als deren Gegner (vgl. zu einer entsprechenden Musterfeststellungsklage Senat, Beschluss vom 25. März 2021 - III ZB 57/20, zur Veröffentlichung vorgesehen).

2. Nach diesen Maßstäben liegt hier kein Ablehnungsgrund vor.

Seiner Klage hat der Vorsitzende Richter zugrunde gelegt, dass Vorstandsmitglieder und/oder Mitarbeiter der Volkswagen AG ihm gegenüber unerlaubte Handlungen begangen hätten. Der Kläger macht mit seiner Revision im vorliegenden Verfahren nicht geltend, dass diese Handlungen der Beklagten zu 2 zuzurechnen wären oder dass sie mit der Volkswagen AG zusammengewirkt hätte. Dass beide Unternehmen in einem Konzern verbunden sind, hat für die Entscheidung des Falles daher keine Bedeutung. Dies gilt auch, soweit der Kläger sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts wendet, aus Ermittlungsverfahren gegen 38 im Konzern der Beklagten zu 2 tätige Beschuldigte könnten sich keine Erkenntnisse ergeben, die sich auf die Festsetzung der Kfz-Steuer gegen Halter von Fahrzeugen, welche mit einem von der Beklagten zu 2 entwickelten und hergestellten Motor versehen seien, auswirken könnten. Solche möglichen Erkenntnisse waren nicht Gegenstand des Sachverhalts, aus dem der Senatsvorsitzende Rechte hergeleitet hat, so dass auch insoweit nicht der Anschein begründet werden kann, der Vorsitzende Richter könnte die Würdigung seines Sachverhalts auf den vorliegenden Fall übertragen. Es liegen vielmehr zwei unabhängig voneinander zu bewertende Sachverhalte vor, die zwar gewisse Parallelen, aber keine erheblichen Überschneidungen im Tatsächlichen aufweisen.

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 11.07.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 21 O 293/18
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 02.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 4 U 174/19