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BGH - Entscheidung vom 27.04.2021

VIII ZR 142/19

Normen:
GasGVV § 5 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 27.04.2021 - Aktenzeichen VIII ZR 142/19

DRsp Nr. 2021/10853

Preisgestaltung bei der Lieferung von Erdgas

Es ist geklärt, dass die Transparenzanforderungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 4 bis 6 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (Gas-Richtlinie) auf einseitige Preiserhöhungen eines Energieversorgungsunternehmens grundsätzlich selbst dann nicht unmittelbar anzuwenden sind, wenn sich die Gesellschaftsanteile des Energieversorgungsunternehmens vollständig - hier mit 59,25 % sogar lediglich überwiegend - in öffentlicher Hand befinden. Insbesondere muss sich ein solches Energieversorgungsunternehmen die vorbezeichneten Regelungen der Gas-Richtlinie nicht direkt entgegenhalten lassen, soweit es - wie hier - weder "dem Staat oder dessen Aufsicht" untersteht noch als Energieversorger von einer staatlichen Stelle mit einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut und hierzu mit "besonderen Rechten" ausgestattet worden ist, die nicht für alle am Markt tätigen Energieversorgungsunternehmen in gleicher Weise zur Anwendung gelangt wären.

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Beklagten durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.

Normenkette:

GasGVV § 5 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Beklagte bezog von der Klägerin, einem regionalen Energie- und Wasserversorgungsunternehmen, als Tarifkunde im Rahmen der Grundversorgung leitungsgebunden Erdgas. Bei der Klägerin handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Gesellschaftsanteile zu 59,25 % von der Wirtschaftsbetriebe L. GmbH gehalten werden, deren Alleingesellschafterin wiederum die Stadt L. ist.

In der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2008 erhöhte die Klägerin den Arbeitspreis für das von ihr gelieferte Erdgas sechsmal und senkte ihn dreimal ab. Der Beklagte widersprach den Preiserhöhungen, die er für unwirksam und unbillig hält, und zahlte auf die Entgeltabrechnungen der Klägerin nur Teilbeträge auf der Grundlage des Arbeitspreises, den die Klägerin vor dem 1. Januar 2005 zugrunde gelegt hatte. Demgegenüber macht die Klägerin geltend, Grund für die vorstehend genannten Preisänderungen seien jeweils Änderungen ihrer Bezugskosten gewesen, wobei sie mit den Preiserhöhungen ihre gestiegenen Bezugspreise nicht einmal in vollem Umfang weitergegeben habe.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin für den Abrechnungszeitraum vom 1. März 2005 bis zum 31. Dezember 2008 rückständige Beträge für die Lieferung von Erdgas in Höhe von 1.894,53 € sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, jeweils nebst Verzugszinsen, geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und der Klage - mit Ausnahme der Erstattung der Rechtsanwaltskosten sowie eines Teils der Zinsforderung - stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

II.

1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht (mehr) vor (§ 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist insbesondere auch nicht mehr zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, nachdem der Senat mit drei Urteilen vom 29. Januar 2020 ( VIII ZR 80/18, BGHZ 224, 302 , und VIII ZR 385/18, NJW-RR 2020, 615 , sowie VIII ZR 75/19, juris) die - bis dahin in der Instanzrechtsprechung unterschiedlich beantwortete und insoweit vom Berufungsgericht in seinem zuvor erlassenen Urteil zutreffend als klärungsbedürftig bewertete - Rechtsfrage dahingehend entschieden hat, dass die Transparenzanforderungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 4 bis 6 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. Nr. L 176, S. 57; im Folgenden: Gas-Richtlinie) auf einseitige Preiserhöhungen eines Energieversorgungsunternehmens grundsätzlich selbst dann nicht unmittelbar anzuwenden sind, wenn sich die Gesellschaftsanteile des Energieversorgungsunternehmens vollständig - im vorliegenden Fall mit 59,25 % sogar lediglich überwiegend - in öffentlicher Hand befinden.

2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

a) Entgegen der Auffassung der Revision ist das auf Zahlung der rückständigen Beträge für Gaslieferungen gerichtete Klagebegehren schlüssig. Ebenso ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Bemessung der Anspruchshöhe ohne weiteres nachvollziehbar. Insbesondere weichen die für die einzelnen Lieferjahre geltend gemachten Beträge auch nicht von den jeweiligen Jahresrechnungen ab. Vielmehr ist den Rechnungen für 2005 bis 2008 sowie der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen tabellarischen Aufstellung (Anlage K 9) ohne weiteres zu entnehmen, dass die für den jeweiligen Abrechnungszeitraum ausgewiesenen Forderungen stets zusätzlich die aus den Vorjahren noch offene Restforderung umfassen und dass die Klägerin in den Jahresabrechnungen die jeweils geleisteten Abschlagszahlungen zum Abzug brachte.

b) Das Berufungsgericht hat den zwischen den Parteien im streitbefangenen Zeitraum bestehenden Gaslieferungsvertrag rechtsfehlerfrei und unangegriffen als einen Tarifkundenvertrag (jetzt: Grundversorgungsvertrag) angesehen. Bei diesem ergibt sich die Berechtigung der Klägerin zu den streitgegenständlichen Gaspreiserhöhungen (Weitergabe von Bezugskostensteigerungen) dem Grunde nach aus der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157 , 133 BGB ) des zwischen den Parteien geschlossenen Gaslieferungsvertrags und nicht aus den - zum 8. November 2006 außer Kraft getretenen - Bestimmungen in § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676 - AVBGasV ) beziehungsweise in § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz ( Gasgrundversorgungsverordnung - GasGVV ) vom 26. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2391 ) in der bis zum 29. Oktober 2014 geltenden Fassung (im Folgenden: GasGVV aF; vgl. zum Ganzen nur Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - VIII ZR 158/11, BGHZ 207, 209 Rn. 66 ff.; vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 80/18, BGHZ 224, 302 Rn. 17 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

c) Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass im vorliegenden Fall die nicht fristgemäß in das nationale Recht umgesetzten Transparenzanforderungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 4 bis 6 in Verbindung mit Anhang A der Gas-Richtlinie keine Anwendung finden und die Ausübung des Preisänderungsrechts der Klägerin deshalb an keine weiteren als die in den Gasversorgungsverordnungen genannten Wirksamkeitsvoraussetzungen geknüpft war. Denn wie der Senat - nach Erlass des Berufungsurteils - unter umfassender Auseinandersetzung mit der diesbezüglichen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) entschieden hat, kommt eine unmittelbare Anwendung der genannten Bestimmungen der Gas-Richtlinie - ungeachtet der (vom Berufungsgericht ebenfalls verneinten, vom Senat indes bislang offengelassenen) Frage, ob diese Bestimmungen die hierfür erforderliche inhaltliche Unbedingtheit und hinreichende Genauigkeit aufweisen - auf einseitige Preiserhöhungen eines Energieversorgungsunternehmens grundsätzlich auch dann nicht in Betracht, wenn sich die Gesellschaftsanteile des Energieversorgungsunternehmens vollständig - vorliegend mit 59,25 % sogar nur überwiegend - in öffentlicher Hand befinden (Senatsurteile vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 80/18, BGHZ 224, 302 Rn. 21 ff., und VIII ZR 385/18, NJW-RR 2020, 615 Rn. 30 ff., sowie VIII ZR 75/19, juris Rn. 33 ff.).

aa) Soweit die Revision demgegenüber der Auffassung ist, die Klägerin müsse sich als "im kommunalen Eigentum der Stadt L. stehendes Energieversorgungsunternehmen" die vorbezeichneten Regelungen der Gas-Richtlinie direkt entgegenhalten lassen, zeigt sie vom Senat in den genannten Urteilen nicht behandelte Rechtsfragen oder im vorliegenden Fall anders gelagerten oder übergangenen Sachverhalt nicht auf. Vielmehr unterstand die Klägerin ausgehend von den Feststellungen des Berufungsgerichts weder "dem Staat oder dessen Aufsicht" - da etwaige Weisungs- und Aufsichtsbefugnisse der Stadt L. ihr gegenüber nicht auf der Ausübung besonderer hoheitlicher Befugnisse, sondern auf deren privatrechtlicher Stellung als Mitgesellschafter beruhten (vgl. hierzu ausführlich Senatsurteil vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 80/18, aaO Rn. 38 ff.) -, noch war sie als Energieversorger von einer staatlichen Stelle mit einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut und hierzu mit "besonderen Rechten" ausgestattet worden, die nicht für alle am Markt tätigen Energieversorgungsunternehmen in gleicher Weise zur Anwendung gelangt wären (im streitgegenständlichen Zeitraum etwa gemäß § 10 EnWG 1998 beziehungsweise §§ 36 , 118 Abs. 3 EnWG 2005; vgl. zum Ganzen auch Senatsurteil vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 80/18, aaO Rn. 35 ff.).

bb) Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats kann eine unmittelbare Anwendbarkeit der Transparenzanforderungen der Gas-Richtlinie für den streitgegenständlichen Zeitraum auch nicht aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV beziehungsweise des § 5 Abs. 2 GasGVV aF hergeleitet werden, da eine solche Auslegung über den erkennbaren Willen des nationalen Gesetz- und Verordnungsgebers hinausginge (vgl. hierzu ausführlich etwa Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - VIII ZR 158/11, aaO Rn. 44 ff., und VIII ZR 13/12, juris Rn. 46 ff.). Mithin kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, dass Art. 3 Abs. 3 der Gas-Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang A Buchst. b und c nach einer zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs - auf die zuletzt auch die Revision hingewiesen hat - dahin auszulegen ist, dass eine persönliche Mitteilung einer allein zwecks Abwälzung von Bezugskostensteigerungen an den Kunden beabsichtigten Preisänderung (nur) dann keine Voraussetzung für die Gültigkeit der betreffenden Preisänderung ist, wenn die Kunden den Vertrag jederzeit kündigen können und über angemessene Rechtsbehelfe verfügen, um Ersatz für den Schaden zu erhalten, der gegebenenfalls durch das Unterbleiben einer persönlichen Mitteilung der Änderungen entstanden ist (vgl. EuGH, C-765/18, ZIP 2020, 975 Rn. 36 - Stadtwerke Neuwied). Der Umstand, dass die Bestimmungen in § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV beziehungsweise § 5 Abs. 2 GasGVV aF nicht den Transparenzvorgaben der GasRichtlinie genügten, ist in der einschlägigen Rechtsprechung des Senats bereits berücksichtigt und Ausgangspunkt des sich aus der ergänzenden Vertragsauslegung ergebenden Preisänderungsrechts des Energieversorgers (vgl. wiederum Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - VIII ZR 158/11, aaO Rn. 20 ff.; vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 80/18, aaO Rn. 16 ff.; jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

cc) Entgegen der Auffassung der Revision besteht auch keine Veranlassung, den vorliegenden Rechtsstreit in Hinblick auf die unmittelbare Anwendbarkeit der Transparenzanforderungen der Gas-Richtlinie nach Art. 267 Abs. 1 bis 3 AEUV dem Gerichtshof vorzulegen (hierzu ausführlich bereits Senatsurteile vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 80/18, aaO Rn. 46 ff.; VIII ZR 385/18, aaO Rn. 55 ff.; VIII ZR 75/19, aaO Rn. 58 ff.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Revision besonders hervorgehobenen Urteil des Gerichtshofs vom 4. Dezember 1997 (EuGH, C-253/96 bis C-258/96, Slg. 1997, I-6907 - Kampelmann), wie der Senat in seinen Urteilen vom 29. Januar 2020 ( VIII ZR 80/18, aaO Rn. 49, und VIII ZR 385/18, aaO Rn. 58, sowie VIII ZR 75/19, aaO Rn. 61) ebenfalls bereits näher begründet hat.

d) Schließlich ist das Berufungsgericht nach durchgeführter Beweisaufnahme (Sachverständigen- und Zeugenbeweis) rechtsfehlerfrei zu der sorgfältig begründeten Beurteilung gelangt, dass die streitgegenständlichen Preiserhöhungen der Klägerin deren (Bezugs-)Kostensteigerungen hinreichend abbilden und sie daher berechtigt war, diese Preiserhöhungen vorzunehmen. Soweit die Revision demgegenüber allgemein ausführt, die Klägerin habe die Preisänderungen auch dazu genutzt, zusätzliche Gewinne zu generieren, ist bereits nicht ersichtlich, worauf sie diese (nicht näher begründete) Annahme stützt.

3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.

Vorinstanz: AG Lingen, vom 14.10.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 12 C 1363/09
Vorinstanz: LG Osnabrück, vom 08.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 S 78/17