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BGH - Entscheidung vom 24.03.2021

VIII ZR 165/19

Normen:
BGB § 134
BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1
AVBFernwärmeV § 24 Abs. 4 S. 1

BGH, Urteil vom 24.03.2021 - Aktenzeichen VIII ZR 165/19

DRsp Nr. 2021/7029

Preisanpassungsklauseln in Gas- bzw. Fernwärmelieferungsverträgen; Anspruch auf Rückzahlung der über den Anfangspreis hinaus gezahlten Entgelte in voller Höhe

Im Falle von Rückforderungen von Entgelten für Energielieferungen ist für die vom Senat für bestimmte Konstellationen in langjährigen Versorgungsverhältnissen entwickelte ergänzende Vertragsauslegung, mit denen die Rückforderungsansprüche des Kunden zugunsten des Versorgers begrenzt werden, von vornherein kein Raum, wenn der Kunde dem Preis bereits innerhalb von drei Jahren ab Vertragsbeginn widersprochen hat.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 16. Mai 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Ahrensburg vom 22. November 2017 wird (insgesamt) zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.

Normenkette:

BGB § 134 ; BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1; AVBFernwärmeV § 24 Abs. 4 S. 1;

Tatbestand

Die Klägerin bezog für ihr Wohnhaus in A. seit dem 1. Juli 2010 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, später von dieser selbst, Fernwärme, die in einem mit Erdgas betriebenen Blockheizkraftwerk erzeugt wird. Den Brennstoff kaufte die Beklagte von einem Lieferanten.

Rechtliche Grundlage der Belieferung der Klägerin, insbesondere auch für die Erstellung der hier streitgegenständlichen Rechnungen für die Jahre 2011 bis 2013 ist ein von der Beklagten vielfach verwendeter Mustervertrag, der in § 7 vorformulierte Preisbestimmungen für Arbeits-, Mess- und Grundpreise enthält, die der Senat im Urteil vom 18. Dezember 2019 ( VIII ZR 209/18, NJW 2020,1205; zum Wortlaut der Preisbestimmungen in § 7 des Mustervertrags dort Seite 1206) in einem Rechtsstreit zwischen der hiesigen Beklagten und einem anderen Fernwärmekunden für unwirksam erachtete.

Die Klägerin zahlte für die von ihr in den Jahren 2011 bis 2013 abgenommene Fernwärme die ihr von der Beklagten in den jeweiligen Jahresabrechnungen in Rechnung gestellten Entgelte, welche die Beklagte nach Maßgabe der vorgenannten (unwirksamen) Regelung des Mustervertrags in regelmäßigen Abständen angepasst hatte.

Mit Schreiben vom 24. Mai 2013 widersprach die Klägerin der Festsetzung des "aktuellen" Arbeitspreises und leistete bis auf weiteres die geforderten Abschläge unter Vorbehalt und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Rückzahlung der für die Jahre 2011 bis 2013 über den Anfangspreis hinaus in Rechnung gestellten und von ihr bezahlten Fernwärmeentgelte in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 819,59 € nebst Zinsen gerichteten Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht den Zahlbetrag - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils auf 3,94 € nebst Zinsen verringert. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

Der Klägerin stehe nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB gegen die Beklagte (lediglich) ein Anspruch auf Rückzahlung des auf die Arbeitspreisanpassung zum 1. April 2013 entfallenden Entgeltanteils in Höhe von 3,94 € zu, da die Preisanpassungsklausel in § 7 Abs. 2 des zwischen den Parteien bestehenden Wärmelieferungsvertrags, auf die sich die Beklagte zur Begründung ihrer Entgeltansprüche stütze, unwirksam sei; die Klausel verstoße gegen das Gebot der Kostenorientierung des § 24 Abs. 3 Satz 1 AVBFernwärmeV aF/§ 24 Abs. 4 Satz 1 AVBFernwärmeV nF.

Wie der Bundesgerichtshof wiederholt zu unwirksamen Preisanpassungsklauseln in Gas- beziehungsweise Fernwärmelieferungsverträgen entschieden habe, sei die in Energielieferungsverträgen durch die Unwirksamkeit einer Preisanpassungsklausel eingetretene Lücke im Regelungsplan der Parteien im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157 , 133 BGB zu schließen, wenn es sich um ein langjähriges Versorgungsverhältnis handele, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen habe und er nunmehr auch für länger zurückliegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend mache. In diesen Fällen führe eine ergänzende Vertragsauslegung dazu, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen könne, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden sei, beanstandet habe.

Vorliegend habe die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 24. Mai 2013 der Arbeitspreiserhöhung, die von der Beklagten zum 1. April 2013 vorgenommen worden sei, widersprochen. Deshalb habe die Klägerin Anspruch auf den sich aus dieser (unwirksamen) Preiserhöhung ergebenden Entgeltanteil in Höhe von 3,94 €. Die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Rückforderungsansprüche auch für die in den Jahren 2012 und 2011 zu Unrecht gezahlten Entgeltanteile scheiterten daran, dass mit dem Schreiben vom 24. Mai 2013 nur dem "aktuellen Arbeitspreis", mithin nur dem zur Zeit des Widerspruchs geltenden Preis, widersprochen worden sei, weiter zurückliegenden zu Unrecht erhöhten Preisen aber nicht.

II.

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Noch zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die auch im Vertragsverhältnis mit der Klägerin verwendete Preisanpassungsklausel in § 7 des Mustervertrags wegen Verstoßes gegen das Gebot der Kostenorientierung gemäß § 24 Abs. 4 Satz 1 AVBFernwärmeV in Verbindung mit § 134 BGB nichtig ist.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch gemeint, dass die Klägerin die für die Jahre 2011 bis 2013 gezahlten Entgelte, soweit sie den zu Beginn des Vertragsverhältnisses maßgeblichen Arbeitspreis überstiegen, nicht vollständig gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückfordern kann. Das Berufungsgericht hat insoweit verkannt, dass für die vom Senat für bestimmte Konstellationen in langjährigen Versorgungsverhältnissen entwickelte ergänzende Vertragsauslegung, mit denen die Rückforderungsansprüche des Kunden zugunsten des Versorgers begrenzt werden, von vornherein kein Raum ist, wenn der Kunde - wie hier die Klägerin - dem Preis bereits innerhalb von drei Jahren ab Vertragsbeginn widersprochen hat.

1. Die Revision der Klägerin ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat das Berufungsgericht die Revision (auch) zu deren Gunsten zugelassen. Im Urteilstenor ist die Revision unbeschränkt zugelassen; eine Eingrenzung der Revisionszulassung auf die Beklagte lässt sich der Begründung in den Entscheidungsgründen nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen (vgl. zur Revisionsbeschränkung auf eine Partei: BGH, Urteile vom 5. November 2003 - VIII ZR 320/02, NJW-RR 2004, 426 unter II; vom 11. Dezember 2019 - IV ZR 8/19, VersR 2020, 208 Rn. 33; Senatsbeschluss vom 10. April 2018 - VIII ZR 247/17, NJW 2018, 1880 Rn. 11; jeweils mwN). Denn dort heißt es nur, es bestehe Anlass zu klären, ob die teilweise der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Gasgrundversorgung entnommenen Grundsätze auch auf Fernwärmelieferungsverträge zu übertragen seien. Diese Grundsätze betreffen sowohl die zum Nachteil der Beklagten entschiedene Frage des Anspruchsgrundes als auch die zum Nachteil der Klägerin entschiedene Frage der Anspruchshöhe.

2. Die Preisanpassungsklausel für den Arbeitspreis in § 7 Abs. 2 des - konkludent nach § 2 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) vom 20. Juni 1980 (BGBl. I S. 742 ) geschlossenen - Fernwärmelieferungsvertrags der Parteien ist gemäß § 24 Abs. 4 Satz 1 AVBFernwärmeV in Verbindung mit § 134 BGB nichtig. Sie verstößt gegen das in den vorgenannten Normen verankerte Gebot der Kostenorientierung, da der gewählte Preisänderungsparameter die tatsächlichen Brennstoffbezugskosten der Beklagten nicht ausreichend abbildet. Zur Begründung im Einzelnen wird auf das auf der Grundlage derselben Preisanpassungsklausel der Beklagten ergangene Senatsurteil vom 18. Dezember 2019 ( VIII ZR 209/18, NJW 2020, 1205 Rn. 19 ff.) Bezug genommen.

3. Der Klägerin steht aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der im streitigen Zeitraum 2011 bis 2013 über den Anfangspreis hinaus gezahlten Entgelte in voller Höhe zu, weil diese Beträge angesichts der unwirksamen Preisklausel ohne Rechtsgrund erbracht worden sind.

Eine Einschränkung der Rückforderungsansprüche der Klägerin nach den vom Senat entwickelten Grundsätzen zur ergänzenden Vertragsauslegung (Senatsurteile vom 24. September 2014 - VIII ZR 350/13, NJW 2014, 3639 Rn. 16 und vom 18. Dezember 2019 - VIII ZR 209/18, NJW 2020, 1205 Rn. 40 [jeweils zu Fernwärme]; vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, BGHZ 192, 372 Rn. 21 ff. und vom 15. April 2015 - VIII ZR 59/14, BGHZ 205, 43 Rn. 43 [jeweils zu Gas]; vom 15. Januar 2014 - VIII ZR 80/13, NJW 2014, 1877 Rn. 20, 23 [Strom]; vom 3. Dezember 2014 - VIII ZR 370/13, NJW 2015, 1167 Rn. 28 ff. [zur fehlenden Einbeziehung einer Preisanpassungsklausel]) kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn es handelt sich hier nicht um ein Versorgungsverhältnis, in dem der Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen für einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 2014 - VIII ZR 80/13, aaO Rn. 20 ff.). Im Gegenteil hat die Klägerin mit Schreiben vom 24. Mai 2013 und damit bereits binnen drei Jahren seit Vertragsbeginn dem Preis widersprochen. Dass die Klägerin dabei die Formulierung, sie widerspreche dem "aktuellen" Arbeitspreis, verwendet hat, ist unschädlich, denn auf die Gründe für den Widerspruch kommt es nicht an. Weder bedarf es der Angabe von Gründen, noch führte deren Nennung dazu, dass sich der Widerspruch auf diese beschränken würde (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. September 2011 - VIII ZR 14/11, juris Rn. 7; vom 27. September 2011 - VIII ZR 5/11 und VIII ZR 12/11, juris Rn. 6; vom 6. Dezember 2011 - VIII ZR 224/11, juris Rn. 6; Senatsurteile vom 22. Februar 2012 - VIII ZR 34/11, NJW-RR 2012, 690 Rn. 31; vom 15. Januar 2014 - VIII ZR 80/13, aaO Rn. 22). Somit findet eine Begrenzung der - sich auf den über den Anfangspreis hinausgehenden Anteil der gezahlten Entgelte beziehenden - Rückforderungsansprüche der Klägerin nicht statt.

III.

Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts im Umfang der Anfechtung keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ). Der Senat entscheidet in der Sache selbst, da es weiterer Feststellungen nicht bedarf und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO ). Die Berufung der Beklagten war (insgesamt) zurückzuweisen, da der Klägerin der gesamte vom Amtsgericht ausgeurteilte Betrag in Höhe von 819,59 € nebst Zinsen zusteht.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 24. März 2021

Vorinstanz: AG Ahrensburg, vom 22.11.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 49 C 1360/16
Vorinstanz: LG Lübeck, vom 16.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 14 S 248/17