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BGH - Entscheidung vom 28.01.2021

X ZR 2/19

Normen:
PatG § 121 Abs. 2

BGH, Urteil vom 28.01.2021 - Aktenzeichen X ZR 2/19

DRsp Nr. 2021/6886

Patentfähigkeit eines Verfahrens zur Diagnose einer Sepsis oder sepsisähnlichen systemischen Infektionen durch Detektion von Procalcitonin 3-116

1. Elemente, die zur erfindungsgemäßen Lösung gehören,dürfen bei der Bestimmung des der Erfindung zugrundeliegenden Problems nicht berücksichtigt werden.2. Eine für die Ausführbarkeit hinreichende Offenbarung ist gegeben, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs auf Grund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird.3. Die Detektion eines bestimmten Stoffs im Serum eines potentiellen Patienten stellt einen wesentlichen Beitrag für ein Diagnoseverfahren dar, das sich den Umstand zunutze macht, dass der betreffende Stoff bei einer vermuteten Erkrankung im Serum des Patienten auftritt.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 17. Dezember 2018 unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin zu 3 und der Anschlussberufung der Klägerinnen zu 1 und 2 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Normenkette:

PatG § 121 Abs. 2 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 028 493 (Streitpatents), das am 13. Oktober 1999 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 15. Oktober 1998 angemeldet wurde und nach Erlass des angefochtenen Urteils wegen Zeitablaufs erloschen ist. Es betrifft ein Verfahren zur Diagnose von Sepsis und sepsisähnlichen systemischen Infektionen. Patentanspruch 1, auf den zwei weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

"Verfahren zur Diagnose von Sepsis und sepsisähnlichen systemischen Infektionen, wobei Procalcitonin 3-116 in einer Probe aus dem Blut eines Patienten detektiert wird."

Die Klägerinnen zu 1 und 2, die von der Beklagten wegen Patentverletzung in Anspruch genommen werden, und die Klägerin zu 3, deren Abnehmer ebenfalls von der Beklagten in Anspruch genommen werden, haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen sowohl der Stammanmeldung als auch der hieraus geteilten Anmeldung des Streitpatents hinaus und sei nicht patentfähig. Die Klägerin zu 3 hat außerdem geltend gemacht, die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in drei geänderten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die aus dem Tenor des angefochtenen Urteils ersichtliche Fassung hinausgeht. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter und verteidigt das Streitpatent hilfsweise weiterhin in der Fassung des erstinstanzlichen Hilfsantrags I, mit Hilfsantrag II in der Fassung des angefochtenen Urteils sowie mit Hilfsantrag III in einer weiteren geänderten Fassung. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen und verfolgen ihr erstinstanzliches Begehren auf vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents weiter, die Klägerinnen zu 1 und 2 im Wege der Anschlussberufung und die Klägerin zu 3 im Wege der Berufung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Berufung der Klägerin zu 3 ist ebenso wie die Anschlussberufung der Klägerinnen zu 1 und 2 unbegründet.

I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Diagnose von Sepsis und sepsisähnlichen systemischen Infektionen, das sich das Auftreten von Procalcitonin-Teilpeptiden bei dieser Art Infektionen zu Nutze macht.

1. In der Streitpatentschrift wird ausgeführt, aus der deutschen Patentschrift 42 27 454 (NiK5) sei bekannt, dass die Bestimmung des Prohormons Procalcitonin und von sich davon ableitenden Teilpeptiden im Serum oder Plasma eines Patienten ein wertvolles diagnostisches Hilfsmittel zur Früherkennung von potentiell zu Sepsis führenden Infektionen, zur Abgrenzung einer Sepsis von nicht-infektiösen Ätiologien sowie zur Erkennung des Schweregrads und therapiebegleitenden Verlaufsbeurteilung einer Sepsis und sepsisähnlicher systemischer Infektionen darstelle (Abs. 2).

Procalcitonin bestehe aus 116 Aminosäuren, deren Sequenz seit längerem bestimmt sei, und sei unter der Bezeichnung Procalcitonin 1-116 als Prohormon von Calcitonin bekannt. Es werde normalerweise in den C-Zellen der Schilddrüse produziert und dann spezifisch in das Hormon Calcitonin sowie die weiteren Teilpeptide Katacalcin und einen N-terminalen Rest aus 57 Aminosäuren (Aminoprocalcitonin) gespalten (Abs. 4).

Sepsispatienten wiesen einen stark erhöhten Procalcitoninspiegel auf, der auch bei Patienten zu beobachten sei, denen die Schilddrüse entfernt worden sei. Es sei daher zu vermuten, dass das im Blut von Sepsispatienten nachweisbare Procalcitonin außerhalb der Schilddrüse gebildet werde (Abs. 5).

Es sei auch erkannt worden, dass das bei einer Sepsis als Procalcitonin bestimmte Peptid nicht notwendigerweise mit dem Procalcitonin voller Länge übereinstimmen müsse, wobei als mögliche Unterschiede posttranslationale Modifikationen des bekannten Procalcitonins oder Veränderungen der Primärstruktur, aber auch modifizierte, verkürzte oder verlängerte Aminosäuresequenzen für denkbar erachtet worden seien. Da bei den angewandten analytischen Bestimmungsverfahren keine Unterschiede zwischen dem als Calcitonin-Vorläufer bekannten Procalcitonin 1-116 und dem bei Sepsis gebildeten Procalcitonin zu erkennen gewesen seien, sei aber vorläufig angenommen worden, dass das bei Sepsis gebildete Procalcitonin mit dem bekannten Calcitonin-Vorläufer identisch sei (Abs. 6).

2. In der Streitpatentschrift finden sich keine Angaben zu der der Erfindung zugrundeliegenden Aufgabe. Es wird zwar ausgeführt, dass Ziel der Patentanmeldung sei, die technischen Lehren patentrechtlich abzusichern, die sich aus der Erkenntnis ergäben, dass das bei Sepsis und sepsisähnlichen systemischen Infektionen im Serum von Patienten nachweisbare Procalcitonin nicht Procalcitonin 1-116, sondern Procalcitonin 3-116 sei (Abs. 16). Darin kann die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe jedoch schon deshalb nicht gesehen werden, weil Elemente, die zur erfindungsgemäßen Lösung gehören, bei der Bestimmung des der Erfindung zugrundeliegenden Problems nicht berücksichtigt werden dürfen (BGH, Urteil vom 11. November 2014 - X ZR 128/09, GRUR 2015, 356 Rn. 9 - Repaglinid).

Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe ist darin zu sehen, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, mit dem eine Sepsis oder sepsisähnliche systemische Infektionen möglichst sicher diagnostiziert werden können.

3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Patentanspruch 1 ein Verfahren vor, dessen Merkmale sich mit dem Patentgericht wie folgt gliedern lassen:

1.

Das Verfahren dient der Diagnose von Sepsis und sepsisähnlichen systemischen Infektionen.

2.

Es wird Procalcitonin 3-116 in einer Probe aus dem Blut eines Patienten detektiert.

4. In Übereinstimmung mit dem Patentgericht ist als Fachperson ein Diplom-Chemiker der Fachrichtung Biochemie, ein Diplom-Biochemiker oder ein Molekularbiologe mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Immunologie anzusehen, die jeweils und gegebenenfalls auch als Team mit der Entwicklung von diagnostischen Verfahren basierend auf der Bestimmung von Blutproteinen befasst und vertraut sind.

5. Zentrale Bedeutung kommt der Detektion von Procalcitonin 3-116 nach Merkmal 2 zu.

a) Procalcitonin 3-116 weist eine Aminosäuresequenz von 114 Aminosäuren auf. Es ist gegenüber dem vollständigen Procalcitonin 1-116 mit einer Aminosäuresequenz von 116 Aminosäuren am Aminoterminus (= N-Terminus) um ein Dipeptid mit der Struktur Ala-Pro verkürzt, stimmt im Übrigen aber mit Procalcitonin 1-116 überein.

b) Das Streitpatent definiert nicht näher, was unter dem Begriff "detektieren" zu verstehen ist.

aa) Das Patentgericht hat angenommen, mangels einer Definition in der Beschreibung des Streitpatents sei für die Auslegung von Merkmal 2 maßgeblich, was der Fachmann im Kontext der Offenbarung der Streitpatentschrift unter Einbeziehung seines am gattungsmäßigen Stand der Technik orientierten Vorverständnisses den Patentansprüchen als Erfindungsgegenstand entnehme. Daher umfasse Merkmal 2 mit dem Begriff "detektieren" nicht nur die Identifizierung von Procalcitonin 3-116 und die quantitative Bestimmung seiner Konzentration nach erfolgreicher Aufarbeitung und Isolierung. Vielmehr sei Merkmal 2 auch dann erfüllt, wenn Procalcitonin 3-116 nicht isoliert, sondern lediglich in der Weise undifferenziert miterfasst werde, wie dies bei den zum Prioritätszeitpunkt verfügbaren immunanalytischen Tests der Fall sei, die sämtliche Formen von Procalcitonin als Gesamt-Procalcitonin und damit neben anderen Vorläuferpeptiden des Calcitonin zwangläufig auch Procalcitonin 3-116 erfassten. Die Kenntnis der Anwesenheit oder Existenz von Procalcitonin 3-116 werde dabei entgegen der Ansicht der Beklagten nicht vorausgesetzt.

bb) Dem kann nicht beigetreten werden.

(1) Bereits der Wortlaut von Patentanspruch 1 bringt zum Ausdruck, dass das erfindungsgemäße Diagnoseverfahren auf die Identifizierung von Procalcitonin 3-116 und nicht auf ein bloßes unspezifisches Miterfassen desselben gerichtet ist.

(2) Dies steht in Einklang mit der Beschreibung, in der ausgeführt wird, dass der Erfindung die überraschende Erkenntnis zugrunde liegt, dass das bei Sepsis und sepsisähnlichen systematischen Infektionen im Serum von Patienten in vergleichsweise hohen Konzentrationen nachweisbare Procalcitonin nicht das vollständige Procalcitonin 1-116 mit 116 Aminosäuren sei, sondern ein am Aminoterminus um ein Dipeptid verkürztes, ansonsten jedoch identisches Procalcitonin (Procalcitonin 3-116) mit einer Aminosäuresequenz von nur 114 Aminosäuren (Abs. 8). Entsprechend ist auch das beanspruchte Verfahren zur Diagnose von Sepsis oder sepsisähnlichen systematischen Infektionen auf die gegenüber Procalcitonin 1-116 spezifische Detektion von Procalcitonin 3-116 in einer Blutprobe gerichtet und ist ein insoweit undifferenziertes Detektieren von Procalcitonin nicht hinreichend.

In der Beschreibung wird es zudem als naheliegend angesehen, dass Untersuchungen, die mit dem Procalcitoninpeptid voller Länge durchgeführt worden seien, u.a. deshalb abweichende oder widersprüchliche Ergebnisse geliefert hätten, weil im Falle von Sepsis und anderen entzündlichen systemischen Infektionen vermutlich nicht Procalcitonin 1-116, sondern das verkürzte Procalcitonin 3-116 eine aktive Rolle spiele (Abs. 13). Auch dieser Gesichtspunkt setzt eine spezifische Identifizierung von Procalcitonin 3-116 voraus.

(3) Dass nach den Erläuterungen in Abschnitt A des experimentellen Teils der Streitpatentschrift für die Isolierung und Charakterisierung des Procalcitoninpeptids aus Serumproben von Sepsispatienten ein zum Prioritätszeitpunkt handelsüblicher Procalcitonin-Assay (LUMItest® PCT, B.R.A.H.M.S. Diagnostica) eingesetzt wurde, mit dem lediglich Gesamt-Procalcitonin ohne Differenzierung der einzelnen Formen ermittelt werden konnte, führt zu keiner anderen Beurteilung.

Der handelsübliche Procalcitonin-Assay wurde nach der Beschreibung des Experiments in einem ersten Verfahrensschritt dazu verwendet, um die Procalcitonin-Konzentration der zu untersuchenden Probe aus Seren verschiedener Patienten mit schwerer Sepsis zu ermitteln (Abs. 19). Er wurde ferner eingesetzt, um in dem mittels Affinitätschromatographie aus der Mischprobe isolierten und anschließend gereinigten Procalcitonin diejenigen Fraktionen zu bestimmen, in denen eine Procalcitonin-Immunreaktivität nachweisbar war (Abs. 22). An diese Verfahrensschritte sind indessen weitere Verfahrensschritte wie eine Massenspektrometrie und eine N-terminale Sequenzierung angeschlossen, die darauf gerichtet sind, die N-Termini der in den Fraktionen mit einer Procalcitonin-Immunreaktivität enthaltenen Peptide zu ermitteln und so die Anwesenheit von Procalcitonin 3-116 festzustellen.

c) Dass das mit Patentanspruch 1 beanspruchte Verfahren laut Merkmal 2 auf die bloße Detektion von Procalcitonin 3-116 abstellt, ohne dass ein Schwellenwert für die Procalcitonin-Konzentration angegeben ist, ab dem vom Vorliegen einer Sepsis oder einer sepsisähnlichen systemischen Infektion auszugehen ist, steht der Einordnung des beanspruchten Verfahrens als Diagnoseverfahren nicht entgegen. Die Detektion eines bestimmten Stoffs im Serum eines potentiellen Patienten stellt einen wesentlichen Beitrag für ein Diagnoseverfahren dar, das sich den Umstand zunutze macht, dass der betreffende Stoff bei einer vermuteten Erkrankung im Serum des Patienten auftritt. Unabhängig davon sind im Stand der Technik, wie sich insbesondere aus der von der Streitpatentschrift in Bezug genommenen NiK5 ergibt, bereits Schwellenwerte für die Procalcitonin-Konzentration im Patientenserum offenbart, bei denen auf das Vorliegen einer Sepsis oder einer sepsisähnlichen Infektion zu schließen ist (NiK5 S. 2 Z. 45-49). Diesen liegt zwar die Vorstellung zugrunde, dass das bei Sepsis auftretende Procalcitonin dem als Calcitonin-Vorläufer bekannten, in der Schilddrüse gebildeten Procalcitonin entspricht, nicht zuletzt deshalb, weil die damals bekannten immundiagnostischen Bestimmungsverfahren keine Unterscheidung von möglichen anderen Erscheinungsformen von Procalcitonin ermöglichten. Ausgehend hiervon geht es dem Streitpatent indessen darum, die Diagnose gegenüber den im Stand der Technik bekannten Verfahren nicht durch die Präzisierung von Schwellenwerten zu verbessern als vielmehr darum, die Diagnose dadurch sicherer zu machen, dass das mit einem handelsüblichen Procalcitonin-Assay in Serum eines Patienten ermittelte Gesamt-Procalcitonin weitergehend darauf hin analysiert wird, ob es sich dabei nicht um eine andere Form von Procalcitonin als bisher angenommen handelt, insbesondere ob die Probe das nach der Erfindung bei einer Sepsis oder sepsisähnlichen Infektion typischerweise auftretende Procalcitonin 3-116 enthält.

Auch der Umstand, dass die Erfindung im experimentellen Teil der Streitpatentschrift ausgehend von einer Mischprobe aus den Seren verschiedener Patienten erläutert wird, steht der Qualifizierung des erfindungsgemäßen Verfahrens als Diagnoseverfahren im Unterschied zu einem Detektionsverfahren nicht entgegen. Gründe, weshalb das geschilderte Verfahren nicht auch geeignet sein sollte, Procalcitonin 3-116 im Serum nur eines Patienten zu detektieren, sind nicht ersichtlich.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung sei gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht unzulässig erweitert. Sowohl aus der Anmeldung des Streitpatents (NiK2) als auch aus der Stammanmeldung (internationale Patentanmeldung WO 00/22439, NiK3) gehe für den Fachmann unmittelbar und eindeutig hervor, dass das nach Aufarbeitung und Analyse isolierte Procalcitonin 3-116 mittels aus dem Stand der Technik bekannter immunanalytischer Verfahren bestimmt und stets mit dem Ziel der Diagnose einer Sepsis oder von sepsisähnlichen systemischen Infektionen detektiert werde. Damit ergebe sich aus dem Gesamtkonzept der Stammanmeldung und der daraus geteilten Anmeldung auch die Lehre, im Gesamt-Procalcitonin enthaltenes, um die beiden N-terminalen Aminosäuren verkürztes Procalcitonin 3-116 mittels des handelsüblichen LUMItest® PCT mitzuerfassen, zu detektieren und aufgrund der danach im Blut von Patienten gemessenen Konzentration von Gesamt-Procalcitonin, deren Wert sich nicht von den vor dem Zeitrang des Streitpatents ermittelten Messwerten unterscheide, ein Diagnostizierverfahren gemäß Patentanspruch 1 auszuführen. Ausführen in diesem Sinne bedeute dabei nichts anderes als ein in labormedizinscher Hinsicht praktikables immunanalytisches Verfahren zur Ermittlung der Konzentration an Gesamt-Procalcitonin in einer Blutprobe einzusetzen.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei auch so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann die Erfindung ausführen könne. Dies gelte jedenfalls insoweit, als die erfindungsgemäße Lehre das Miterfassen bzw. unspezifische Detektieren von Procalcitonin 3-116 bei der Bestimmung der Konzentration bzw. der Immunaktivität von Gesamt-Procalcitonin umfasse. Insofern werde mit der Bezugnahme auf den LUMItest® PCT in der Beschreibung des Streitpatents die Vorgehensweise anhand eines zum Prioritätszeitpunkt im Handel erhältlichen immunanalytischen Tests beschrieben, der sich dem Fachmann geläufiger Grundoperationen und Arbeitsweisen der biochemisch-immunologischen Analytik bediene und damit auch ohne weitere Angaben und experimentelle Einzelheiten durchführbar sei. Hinreichend offenbart sei die erfindungsgemäße Lehre zudem insoweit, als sie die spezifische Detektion von Procalcitonin 3-116 in dem Sinne umfasse, dass Procalcitonin 3-116 nach entsprechender Aufarbeitung im Blut des Patienten identifiziert werde. In Abschnitt A des experimentellen Teils der Beschreibung werde ein Verfahren aufgezeigt, das zwar zeit- und kostenintensiv und damit wenig praktikabel, aber dennoch nacharbeitbar sei. Dass es an einer ausführbaren Offenbarung eines Verfahrens fehle, das auf die spezifische und selektive Detektion von Procalcitonin 3-116 in einer Blutprobe gerichtet sei und die Bestimmung ermögliche, in welcher Menge Procalcitonin 3-116 im Vergleich zu Procalcitonin 1-116 und/oder zu Gesamt-Procalcitonin in der Probe enthalten sei, weil es seinerzeit für eine solche Bestimmung und Messung an den hierfür benötigten, für Procalcitonin 3-116 selektiven Antikörpern gefehlt habe, habe nicht die Nichtigkeit des Streitpatents zur Folge. Denn eine Lehre dieses Inhalts sei nicht Gegenstand des Streitpatents.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung sei indessen nicht patentfähig, weil er sowohl durch die deutsche Patentschrift 42 27 454 (NiK5) als auch durch die zur selben Patentfamilie gehörende internationale Patentanmeldung 94/04927 (NiK6) vollständig offenbart sei.

Die beiden Entgegenhaltungen offenbarten ein Verfahren zur Diagnose von Sepsis und sepsisähnlichen systemischen Infektionen, bei dem mittels bereits bekannter immunanalytischer Tests nicht nur Procalcitonin 1-116, sondern auch weitere proteolytische Abbauprodukte des aus einer Sequenz von 114 Aminosäuren bestehenden Präprocalcitonin in Summe und damit undifferenziert bestimmt würden. Dabei werde in den Entgegenhaltungen explizit ausgeführt, dass auch gegebenenfalls weitere existierende Varianten mit vergleichbarer Immunreaktivität bestimmt würden.

Die wissenschaftlichen Erläuterungen in NiK5 und NiK6 lieferten den Beleg dafür, dass Procalcitonin 3-116 bei den zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents bekannten immunanalytischen Testverfahren miterfasst werde. So beruhe das Erfassen von Procalcitonin und anderen verwandten Peptiden bzw. Varianten mit vergleichbarer (Immun-)Reaktivität bei dem in der Veröffentlichung von P. P. Ghillani et al. (Identification and Measurement of Calcitonin Precursors in Serum of Patients with Malignant Diseases, Cancer Research 1989, 6845-6851, NiK11) beschriebenen monoklonalen Radioimmunassay, der auch für die Verfahren der NiK5 und NiK6 verwendet werde, auf einem als herkömmlicher Sandwich-Test ausgebildeten immunanalytischen Verfahren, in dem sowohl monoklonale anti-Katacalcin-Antikörper als auch monoklonale anti-Calcitonin-Antikörper als Reagenzien verwendet würden. Damit wiesen die im Sandwich-Test erfassten Peptide zwingend sowohl die Katacalcin- als auch die Calcitoninsequenz auf. Erfasst würden folglich neben Procalcitonin 1-116 auch beliebige andere Vorläufersubstanzen von Calcitonin, soweit diese zugleich die Katacalcinsequenz aufwiesen und damit verschieden von Calcitonin seien.

Bei einem anderen nach NiK5 und NiK6 in Betracht kommenden Verfahren zur Bestimmung von Procalcitonin würden monoklonale oder polyklonale Antikörper mit einer Spezifität für das N-terminale Spaltpeptid N-Procalcitonin 1-57 von Procalcitonin, insbesondere für dessen Aminosäuren 51-57, verwendet. Bei einem Einsatz von Antikörpern gegen die Region der Aminosäuresequenz 51 bis 57 würden sämtliche Calcitonin-Vorläufer erfasst, unabhängig davon, welche N-terminale Aminosäuresequenz sie aufwiesen. Danach werde sowohl das native Procalcitonin 1-116 als auch das um das aminoterminale Dipeptid Ala-Pro verkürzte Procalcitonin 3-116 als natürlich auftretendes proteolytisches Abbauprodukt erfasst.

Zwar werde in NiK5 oder NiK6 weder die proteolytische Bildung von Procalcitonin 3-116 noch die Erfassung von Procalcitonin 3-116 im immunanalytischen Test ausdrücklich beschrieben. Für die Erfüllung von Merkmal 2 genüge es indessen, dass die Aminosäuresequenz von Procalcitonin 3-116 in den bereits vor dem Zeitrang des Streitpatents bekannten Strukturen von Präprocalcitonin und von Procalcitonin 1-116 enthalten und damit vollständig vorgebildet gewesen sei, mit der Folge, dass Procalcitonin 3-116 im Falle seines Auftretens im Gemisch mit anderen Abbauprodukten von Präprocalcitonin und Procalcitonin 1-116 mittels der verfügbaren immunanalytischen Tests zwangsläufig miterfasst werde.

III. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Berufung der Beklagten in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

1. Das Patentgericht ist zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht.

Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ist ein Verfahren zur Diagnose einer Sepsis oder sepsisähnlichen systemischen Infektionen durch Detektion von Procalcitonin 3-116 sowohl in der Anmeldung (NiK2) als auch in der Stammanmeldung (NiK3) des Streitpatents unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend offenbart. In NiK2 und NiK3 ist in Übereinstimmung mit der Streitpatentschrift ausgeführt, mit dem in Abschnitt A des experimentellen Teils der Beschreibung geschilderten Verfahren habe im Blut von Sepsispatienten das 114 Aminosäuren umfassende Procalcitonin-Peptid Procalcitonin 3-116 nachgewiesen werden können. Weiter heißt es in den Anmeldeunterlagen ebenfalls übereinstimmend mit den Ausführungen in der Streitpatentschrift, dass diese Erkenntnis und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen in neue diagnostische Verfahren umgesetzt werden könnten (NiK2 Abs. 7-8; NiK3 S. 3 Abs. 2-3). Dass Patentanspruch 1 der Anmeldung NiK2 neben der Detektion von Procalcitonin 3-116 weitere Verfahrensschritte vorsieht, und in den Patentansprüchen der Stammanmeldung NiK3 nicht konkret von der Detektion von Procalcitonin 3-116, sondern allgemein von der Bestimmung eines Teilpeptids die Rede ist, führt entgegen der Auffassung der Klägerinnen nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn der Offenbarungsgehalt der Anmeldung erschöpft sich nicht im Gegenstand der formulierten Ansprüche.

2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist so offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen kann.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine für die Ausführbarkeit hinreichende Offenbarung gegeben, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs auf Grund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 - X ZR 51/06, GRUR 2010, 901 , Rn. 31 - Polymerisierbare Zementmischung; Urteil vom 7. Oktober 2014 - X ZR 168/12, juris Rn. 18 - Fixationssystem).

b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

aa) Die Darstellung in Abschnitt A des experimentellen Teils der Beschreibung des Streitpatents gibt dem Fachmann ausreichende Handlungsanweisungen, um in einem Patientenserum Procalcitonin 3-116 ohne unzumutbare Schwierigkeiten detektieren zu können, zumal das Verfahren mittels eines zum Prioritätszeitpunkt im Handel verfügbaren immunanalytischen Tests durchgeführt werden soll, für dessen Anwendung der Fachmann - wie das Patentgericht festgestellt hat - keine über die Anweisungen in der Beschreibung des Streitpatents hinausgehenden weiteren Angaben benötigt.

bb) Der Ausführbarkeit steht nicht entgegen, dass im Streitpatent kein Schwellenwert für die Konzentration von Procalcitonin 3-116 im Serum eines Patienten angegeben ist, ab dem vom Vorliegen einer Sepsis oder einer sepsisähnlichen systemischen Infektion auszugehen ist. Wie bereits im Zusammenhang mit der Auslegung des Streitpatents ausgeführt, sind in der von der Streitpatentschrift in Bezug genommenen NiK5 derartige Schwellenwerte für die Konzentration von Procalcitonin angegeben. Diese unterscheiden zwar nicht nach der Form des Procalcitonin, sondern beziehen sich undifferenziert auf Gesamt-Procalcitonin. Nachdem der Lehre des Streitpatents jedoch die Erkenntnis zugrunde liegt, dass das im Falle einer Sepsis im Serum eines Patienten nachweisbare Procalcitonin nicht das Gesamt-Procalcitonin ist, sondern in der verkürzten Form Procalcitonin 3-116 besteht, bieten die in NiK5 genannten Werte dem Fachmann eine ausreichende Anleitung für die Verwirklichung der Lehre des Streitpatents.

3. Indessen ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung entgegen der Auffassung des Patentgerichts in NiK5 und in der inhaltsgleichen NiK6 nicht vollständig offenbart.

a) NiK5 und NiK6 offenbaren ein Verfahren zur Früherkennung, zur Erkennung des Schweregrads sowie zur therapiebegleitenden Verlaufsbeurteilung einer Sepsis, bei dem aus der Anwesenheit und der Menge des Peptids Procalcitonin und/oder eines daraus abgeleiteten Teilpeptids, das nicht das reife Calcitonin ist, in Proben von biologischen Flüssigkeiten von Patienten auf das Vorliegen einer Sepsis, ihren Schweregrad oder den Erfolg einer therapeutischen Behandlung zurückgeschlossen wird.

b) Damit ist Merkmal 1 offenbart.

c) Nicht offenbart ist hingegen Merkmal 2.

aa) Zum Hintergrund der Erfindung wird in NiK5 und NiK6 ausgeführt, man habe von Procalcitonin gewusst, dass es in einer Reihe von Geweben, insbesondere in den thyroidalen C-Zellen und in Tumorgewebe auftrete und dort auch tatsächlich zur Bildung von Calcitonin führe. Dementsprechend sei Procalcitonin bis zu der in NiK5 und NiK6 dokumentierten Erfindung in der Regel als Calcitonin-Vorläufer angesehen worden (NiK5 S. 2 Z. 50-51; NiK6 S. 3 Abs. 2 a.E.). Calcitonin sei bereits als wertvoller Biomarker für zahlreiche maligne Erkrankungen (Tumormarker) bekannt gewesen (NiK5 S. 3 Z. 19-20; NiK6 S. 5 Abs. 3). Anders als bei Tumorpatienten, bei denen Procalcitoninspiegel und Calcitoninspiegel sich parallel zueinander verhielten, sei indessen bei Sepsispatienten ein Anstieg des Procalcitoninspiegels ohne gleichzeitiges Ansteigen des Calcitoninspiegels zu beobachten gewesen. Außerdem sei, nachdem auch bei Sepsispatienten, denen die Schilddrüse entfernt worden sei, eine für eine Sepsis typische signifikante Erhöhung des Procalcitoninspiegels habe festgestellt werden können, klar geworden, dass im Falle einer Sepsis das Procalcitonin nicht in der Schilddrüse, sondern in anderen Organen gebildet werde (NiK5 S. 3 Z. 52-68; NiK6 S. 8 Abs. 2 - S. 9 Abs. 1). Dies habe zu der den Verfahren nach NiK5 und NiK6 zugrundeliegenden Erkenntnis geführt, dass Procalcitonin und gegebenenfalls gewisse seiner höhermolekularen Spaltprodukte hochrelevante Biomarker für das Vorliegen einer Sepsis darstellen und die Konzentration dieser Stoffe in biologischen Flüssigkeiten von Patienten Rückschlüsse auf den Schweregrad einer septischen Erkrankung zulässt und damit einen wertvollen Parameter für die Verlaufsbeurteilung und Therapieüberwachung bei Sepsis bildet (NiK5 S. 2 Z. 35-39; NiK6 S. 2 Abs. 4).

(1) In Bezug auf die Form von Procalcitonin habe man gewusst, dass es ein aus 116 Aminosäuren bestehendes Peptid gebe, das ein proteolytisches Abbauprodukt des durch eine bestimmte Art der Genexpression des Gens CALC-1 erzeugten primären Proteins Prä-Procalcitonin darstelle und seinerseits in der Regel einem weiteren stufenweisen Abbau unter Freisetzung von Calcitonin unterliege. Dabei würden zuerst zwei größere Peptide - das N-Procalcitonin-(1-57)-peptid und das C-Procalcitonin-(60-116)-peptid - gebildet. Das C-Procalcitonin-(60-116)-peptid könne dann weiter in das Hormon Calcitonin und das Peptid Katacalcin aufgespalten werden (NiK5 S. 2 Z. 55-68; NiK6 S. 3 unten - S. 4).

Ferner sei bekannt gewesen, dass außer dieser Form von Procalcitonin in humanen thyroidalen C-Zellen auch eine Variante gebildet werde, die sich in den letzten acht Aminosäuren des C-Terminus unterscheide (NiK5 S. 3 Z. 1-4; NiK6 S. 4 Abs. 2).

(2) Es seien auch bereits geeignete Verfahren zur quantitativen und qualitativen Bestimmung von Procalcitonin und seiner gegebenenfalls auftretenden Spaltprodukte bekannt gewesen (NiK5 S. 2 Z. 52-54; NiK6 S. 3 Abs. 3). So sei zur Bestimmung von Calcitonin-Vorläufern wie Procalcitonin und C-Procalcitonin-(60-116)-peptid ein immundiagnostisches Verfahren entwickelt worden, das nach dem Prinzip des immunoradiometrischen Assays (IRMA) arbeite und die selektive Bestimmung von Procalcitonin neben Calcitonin mit Hilfe eines Paars monoklonaler Antikörper ermögliche, von denen der eine für eine außerhalb der Calcitoninsequenz liegende Region (Aminosäuren 1-11 des Katacalcins bzw. 96-107 des Procalcitonins) und der andere für die den Aminosäuren 11 bis 17 des Calcitonins entsprechende Region (Aminosäuren 70-76 des Procalcitonins) spezifisch sei (NiK5 S. 3 Z. 20-47; NiK6 S. 5 Abs. 3 bis S. 6 Abs. 1).

bb) Für das erfindungsgemäße Bestimmungsverfahren sei das geschilderte Verfahren direkt oder unter Verwendung ähnlicher monoklonaler Antikörper anwendbar (NiK5 S. 3 Z. 38; NiK6 S. 6 Abs. 1), wobei die Erfindung nicht auf die Anwendung dieses Verfahrens beschränkt sei. Vielmehr könnten auch andere an sich bekannte Verfahren zur Bestimmung von Procalcitonin angewandt werden, wie etwa solche, bei denen andere monoklonale oder polyklonale Antikörper verwendet würden, beispielsweise mit einer Spezifität für das N-Procalcitonin-(1-57)-peptid (NiK5 S. 4 Z. 15-19; NiK6 Z. 9 Abs. 4 bis S. 10 Abs. 1).

Die bekannten und auch bei der Entwicklung der Erfindung der NiK5 und NiK6 angewandten immundiagnostischen Bestimmungsverfahren ermöglichten keine Unterscheidung der beiden beschriebenen Procalcitonine voneinander und von anderen nahen verwandten Peptiden. Procalcitonin im Sinne der Erfindung stehe daher für eines oder mehrere Peptide, die das bekannte Procalcitonin, aber auch die im Stand der Technik beschriebene Variante mit einer abweichenden Aminosäurezusammensetzung am C-Terminus umfassten sowie gegebenenfalls weitere existierende Varianten, die in den zu ihrer Bestimmung eingesetzten selektiven immundiagnostischen Verfahren eine vergleichbare Reaktivität aufwiesen. Alle diese Peptide enthielten Peptidsequenzen von 57 Aminosäuren oder mehr, insbesondere 116 Aminosäuren wie das vollständige Procalcitonin, die der bekannten Sequenz des Procalcitonins entsprächen oder Teilsequenzen davon darstellten, wobei Abweichungen in dem den Aminosäuren 108 bis 116 des Procalcitonins entsprechenden Bereich möglich seien (NiK5 S. 3 Z. 7-17; NiK6 S. 4 Abs. 2 bis S. 5 Abs. 1).

cc) Damit ist eine selektive Detektion von Procalcitonin 3-116, wie sie das erfindungsgemäße Verfahren nach Merkmal 2 erfordert, nicht eindeutig und unmittelbar offenbart. Zwar lässt sich unter die offene Definition von Procalcitonin in NiK5 und NiK6 auch diese Variante von Procalcitonin subsumieren. Den allgemein gehaltenen Ausführungen zu den Spaltprodukten und den möglichen Varianten von Procalcitonin ist angesichts der Vielzahl der in Betracht kommenden Formen aber nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass eine mögliche Variante von Procalcitonin auch Procalcitonin 3-116 sein kann und diese Variante auch als Marker für die Diagnose einer Sepsis in Betracht kommt.

4. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 auch in der Veröffentlichung von M. D. Smith et al. (Elevated Serum Procacitonin Levels in Patients with Melioidosis, Clinical Infection Diseases 1995, 641-645, NiK19) nicht vollständig offenbart.

Diese Entgegenhaltung berichtet über die Ergebnisse einer Untersuchung zur Bestimmung des prognostischen Werts von Procalcitonin bei Melioidose, die ein breites Spektrum an klinischen Symptomen aufweist, darunter auch Sepsis. Nachdem eine Studie ergeben habe, dass bei Sepsispatienten ein erhöhter Procalcitoninspiegel zu beobachten sei und die ermittelten Werte mit der Schwere der Erkrankung zu korrelieren schienen, sei bei Patienten mit Melioidose ebenfalls der Procalcitoninspiegel gemessen worden (NiK19 S. 641 li. Sp.). Dabei verwendeten die Autoren der NiK19 einen spezifischen, ultrasensitiven immunoluminometrischen Assay, der auf dem in NiK11 beschriebenen, auch von der Streitpatentschrift in Bezug genommenen und bei den Verfahren nach NiK5 und NiK6 angewandten immunoradiometrischen Assay beruht. Wie der Test nach der NiK11 verwendet auch der Test in der NiK19 zwei monoklonale Antikörper, von denen einer als Fänger-Antikörper gegen das Katacalcin-Molekül und der andere als Träger-Antikörper gegen einen Teil des Calcitonin-Moleküls gerichtet ist (NiK19 S. 642 li. Sp.). Als Ergebnis hält die Untersuchung fest, dass eine erhöhte Procalcitoninproduktion nicht spezifisch für Melioidose sei, jedoch ein Zusammenhang zwischen einem extrem hohen Procalcitoninspiegel und einer schweren Infektion bestehe. Der Procalcitoninspiegel sei daher ein guter Indikator für den Schweregrad der Erkrankung und von Nutzen bei der Überwachung der Behandlung von Melioidose und anderen Infektionen (NiK19 S. 644 re. Sp.).

In NiK19 ist lediglich von der Bestimmung und Messung von Procalcitonin im allgemeinen die Rede. Eventuell gebildete Spaltprodukte, insbesondere Procalcitonin 3-116 werden in NiK19 nicht erwähnt, so dass es an einer Offenbarung von Merkmal 2 fehlt.

5. Ebenso wenig wird der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch den Beitrag von S. Petitjean et al. (Étude de l’immunoréactivité calcitonin-like au cours des processus infectieux, Immuno-analyse & Biologie Spécialisée 1994, 302-307, NiK20) vorweggenommen.

Die Entgegenhaltung berichtet über eine Studie zum Nachweis, dass Procalcitonin das Hauptmolekül ist, das für die Calcitonin-ähnliche Immunreaktivität im Serum von Patienten mit einem auf einer Infektion beruhenden Krankheitsbild verantwortlich ist, und dass ein Zusammenhang zwischen einer Sepsis und einem erhöhten Procalcitoninwert besteht. Zur Vorgehensweise ist ausgeführt, dass verschiedene Kombinationen von Antikörpern die spezifische Erkennung verschiedener Calcitonin-Vorläufer ermöglichten. Die HPLC-Analyse gereinigter Seren, die aufgrund ihrer starken Calcitonin-ähnlichen Immunreaktivität ausgewählt worden seien, ermögliche es, die verschiedenen immunreaktiven Calcitonin-ähnlichen Molekülformen zu identifizieren. NiK20 nennt in diesem Zusammenhang lediglich das vollständige Procalcitonin-Molekül und C-Procalcitonin 60-116, das als mutmaßliches Spaltprodukt (produit de clivage putatif) von Procalcitonin bezeichnet wird (NiK20 in den Abschnitten "Résultats" und "Discussions"). Damit wird Merkmal 2 auch in NiK20 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.

IV. Die Entscheidung des Patentgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend.

Dem Fachmann war die selektive Detektion von Procalcitonin 3-116 zur Diagnose einer Sepsis auch nicht durch den Stand der Technik nahegelegt.

1. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ergab sich aus NiK5 und NiK6 für den Fachmann keine Anregung, nach weiteren Teilpeptiden von Procalcitonin zu suchen, die eine sicherere Diagnose einer Sepsis oder sepsisähnlichen Infektionen ermöglichen, und das in diesen Entgegenhaltungen offenbarte Verfahren dahin weiterzuentwickeln, dass als Marker Procalcitonin 3-116 eingesetzt wird.

Zwar werden in NiK5 und NiK6 die seinerzeit bekannten Spaltprodukte sowie eine in der Fachliteratur beschriebene Variante von Procalcitonin aufgeführt und ferner allgemein darauf verwiesen, dass Procalcitonin im Sinne der diesen Schriften zugrundeliegenden Erfindung darüber hinaus auch gegebenenfalls weitere existierende Varianten umfasse, die in den zu ihrer Bestimmung eingesetzten selektiven immundiagnostischen Bestimmungsverfahren eine vergleichbare Reaktivität aufwiesen (NiK5 S. 2 Z. 63 bis S. 3 Z. 1-13; NiK6 S. 3 Abs. 4 bis S. 5 Abs. 1).

Eine Anregung, sich mit einzelnen, insbesondere gegenüber Procalcitonin 1-116 verkürzten Formen von Procalcitonin näher zu befassen, um gegebenenfalls darunter einen spezifischen Marker für die Diagnose von Sepsis oder sepsisähnlichen Infektionen zu ermitteln, ergab sich für den Fachmann hieraus indessen nicht.

Die proteolytischen Spaltprodukte von Procalcitonin waren nach den Ausführungen in NiK5 und NiK6 bereits bekannt (NiK5 S. 2 Z. 52-53; NiK6 S. 3 Abs. 3), so dass insoweit kein Anlass für eine weitere Suche bestand.

Was mögliche Varianten von Procalcitonin angeht, wird in NiK5 und NiK6 zwar die Möglichkeit angesprochen, dass über die in der Fachliteratur beschriebene Variante mit der abweichenden Aminosäurezusammensetzung am C-Terminus hinaus weitere Varianten existieren. Keine der beiden Entgegenhaltungen bietet indessen Anhaltspunkte dafür, dass es unter diesen Varianten von Procalcitonin möglicherweise welche gibt, die - als Marker eingesetzt - bessere und zuverlässigere Ergebnisse für die Diagnose einer Sepsis oder sepsisähnlicher Infektionen liefern könnten als die in NiK5 und NiK6 als bekannt beschriebenen Formen von Procalcitonin und nach denen zu suchen es sich für den Fachmann lohnte. Im Zusammenhang mit den gegebenenfalls weiteren existierenden Varianten ist nur von solchen die Rede, die in den zu ihrer Bestimmung eingesetzten selektiven immundiagnostischen Bestimmungsverfahren eine vergleichbare Reaktivität wie die bekannten Formen von Procalcitonin aufweisen. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des Umstandes, dass die bei der Entwicklung der Erfindung angewandten immundiagnostischen Bestimmungsverfahren zum damaligen Zeitpunkt keine Unterscheidung der einzelnen Formen von Procalcitonin ermöglichten, wird der Fachmann den Hinweis auf die mögliche Existenz weiterer Varianten lediglich als Erläuterung des Umstandes verstehen, dass nach dem Verfahren gemäß Patentanspruch 1 der NiK5 bzw. der NiK6 neben dem Gehalt des Peptids Procalcitonin auch/oder der Gehalt eines daraus gebildeten Teilpeptids, das nicht das reife Calcitonin ist, zu bestimmen ist, damit aus der festgestellten Anwesenheit und Menge des bestimmten Peptids auf das Vorliegen einer Sepsis, ihres Schweregrads und/oder des Erfolgs einer therapeutischen Behandlung zurückgeschlossen werden kann. Eine Anregung, nach Varianten zu suchen, mit denen hinsichtlich der Diagnose von Sepsis und sepsisähnlichen Infektionen bessere Ergebnisse erzielt werden können als mit den bekannten Formen von Procalcitonin, ist damit nicht verbunden. Dies gilt umso mehr als in NiK5 und NiK6 die Vermutung geäußert wird, dass im Falle einer Sepsis tatsächlich der Spiegel des intakten Procalcitonins erhöht sei und die daraus gebildeten Teilpeptide allenfalls von untergeordneter Bedeutung seien (NiK5 S. 4 Z. 24-25; NiK6 S. 10 Abs. 1 a.E.).

2. Aus NiK19 und NiK20 ergaben sich keine weitergehenden Anregungen.

V. Daraus, dass das Streitpatent in der erteilten Fassung Bestand hat, ergibt sich zugleich, dass der Berufung der Klägerin zu 3 und der Anschlussberufung der Klägerinnen zu 1 und 2 der Erfolg zu versagen ist.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 28. Januar 2021

Vorinstanz: BPatG, vom 17.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 4 Ni 16/17 (EP)