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BGH - Entscheidung vom 28.04.2021

5 StR 500/20

Normen:
StGB § 213 Alt. 1

Fundstellen:
NStZ 2022, 40

BGH, Urteil vom 28.04.2021 - Aktenzeichen 5 StR 500/20

DRsp Nr. 2021/8072

Hohe Wahrscheinlichkeit des Todeseintritts eines Opfers bei äußerst gefährlichen (Gewalt-)Handlungen des Täters, wenn er mit seinem Handeln trotz Wissen über die Möglichkeit des Erfolgseintritts fortfährt und einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt

Eine hohe und zudem anschauliche konkrete Lebensgefährlichkeit der Tatausführung stellt auf beiden Vorsatzebenen das wesentliche auf bedingten Tötungsvorsatz hinweisende Beweisanzeichen dar.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 3. Juli 2020 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StGB § 213 Alt. 1;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe vor der Maßregel angeordnet. Der hiergegen gerichteten und mit der näher ausgeführten Sachrüge begründeten Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der vielfach – auch wegen gefährlicher Körperverletzung – vorbestrafte drogenabhängige Angeklagte in L. den ihm aus der Haft bekannten Nebenkläger R. in den Abendstunden des 16. Dezember 2019. Zwischen beiden kam es zum Streit. Nach einer verbalen Auseinandersetzung attackierte der Nebenkläger den Angeklagten mit Faustschlägen gegen den Kopf und forderte ihn auf, die Auseinandersetzung an einem anderen Ort körperlich auszutragen. Damit war der Angeklagte einverstanden, beide gingen die E. stadteinwärts.

Unterwegs nahm der Angeklagte einen mitgeführten Schraubenzieher mit ca. 15 cm langer Spitze in die Hand und stach damit überraschend dem Nebenkläger in den Bauch, um ihn zu verletzen. R. wurde oberhalb des Nabels am Bauch getroffen und erlitt einen 5 cm langen und 0,7 cm breiten Kratzer (Tat 1). Er hatte mit einer Auseinandersetzung mit Fäusten, aber nicht mit dem Einsatz von Werkzeugen oder Waffen gerechnet und ergriff zu seiner Verteidigung eine in der Nähe gelegene Holzlatte, woraufhin der Angeklagte flüchtete.

Der Angeklagte ging nun zu einem Café, wo er sein Fahrrad abgestellt hatte. Von dort fuhr er zu einer Wohnung, in der er – nicht ausschließbar – Crystal und Heroin konsumierte. Bewaffnet mit einem ca. 60 cm langen mit Paketband umwickelten Besenstiel und einem 30 cm langen Küchenmesser fuhr er kurz nach Mitternacht zurück zum Café, weil er davon ausging, dort den Nebenkläger anzutreffen. Das Messer und den Besenstiel als Schlagstock nahm er mit, um gegen den größeren und schwereren Nebenkläger gerüstet zu sein; zudem beeinträchtigte ihn eine schmerzhafte Schulterverletzung. Als er den Nebenkläger vor dem Café mit anderen erblickte, fuhr er schnell mit dem Fahrrad an ihn heran, stieg ab, lief mit erhobenem Schlagstock auf ihn zu und versuchte, ihn damit zu verletzen. Der Nebenkläger hob zum Schutz das Fahrrad auf und hielt es vor sich, um sich vor Schlägen des Angeklagten zu schützen. Zuletzt warf er das Fahrrad in Richtung des Angeklagten, der dadurch zu Fall kam. Der Nebenkläger konnte dem Angeklagten den Schlagstock entwenden und ließ ihn zu Boden fallen. Es folgte eine Rangelei der beiden. Der Nebenkläger schlug den Angeklagten mit Fäusten, um dessen Angriff zu beenden. Nun zog der Angeklagte das mitgeführte Messer und setzte dieses ein- oder zweimal in einer schneidenden Bewegung gegen den Halsbereich des Nebenklägers ein. Dadurch kam es zur Durchtrennung der Halsschlagader, was sofort zu massivem Blutverlust führte. Der Angeklagte, der erkannte, dass er dem Nebenkläger eine lebensbedrohliche Verletzung zugefügt hatte, war über das Ausmaß der Verletzung schockiert und warf das Messer weg. Anschließend flüchtete er (Tat 2).

Der Nebenkläger überlebte aufgrund eines Luftröhrenschnitts mit anschließender Operation. Hierbei kam es zu einer Verletzung des Gesichtsnervs, in deren Folge die Mimik der rechten Gesichtshälfte stark eingeschränkt ist, er das rechte Auge nicht mehr vollständig schließen kann und es beim Sprechen zu Speichelaustritt kommt. Er leidet hierdurch bedingt an erheblichen Schlafstörungen und Kopfschmerzen, meidet aufgrund seiner Einschränkungen soziale Kontakte und hat stark abgenommen.

II.

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet.

1. Die Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf (vgl. zum Maßstab der revisionsgerichtlichen Kontrolle BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 14/20, NJW 2020, 2741 ). Dies gilt – entgegen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts – auch für die Annahme des Schwurgerichts, der Angeklagte habe bei Tat 2 mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt.

a) Insoweit gilt: Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn zudem billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit ihm abfindet. Bei äußerst gefährlichen (Gewalt-)Handlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Eine hohe und zudem anschauliche konkrete Lebensgefährlichkeit der Tatausführung stellt mithin auf beiden Vorsatzebenen das wesentliche auf bedingten Tötungsvorsatz hinweisende Beweisanzeichen dar. Zwar kann im Einzelfall der (Eventual-)Vorsatz fehlen, wenn etwa dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung etwa bei Affekt oder alkoholischer Beeinflussung nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Das Vertrauen auf einen glimpflichen Ausgang lebensgefährdenden Tuns darf dabei aber nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sondern muss tatsachenbasiert sein. Schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht erstrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers rechtfertigt die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes (BGH, Urteil vom 4. März 2021 – 5 StR 509/20 mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Dezember 2018 – 5 StR 517/18, NStZ 2019, 208 ; Beschluss vom 23. Juni 2020 – 5 StR 601/19).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Wertung des Landgerichts nicht zu beanstanden, im Hinblick auf die Vorgeschichte, das Mitführen von Schlagstock und Messer und den schnellen Einsatz des Messers in einem dynamischen Geschehen gegen eine besonders gefährdete Körperregion (Hals) sei von einem bedingten Tötungsvorsatz auszugehen, weil der Angeklagte nicht darauf habe vertrauen können, den Nebenkläger nicht tödlich zu treffen.

Diese Würdigung des Schwurgerichts weist auch keine beachtlichen Lücken auf. Die Erörterungsbedürftigkeit einzelner Tatumstände lässt sich nicht abstrakt, sondern immer nur konkret von Fall zu Fall bestimmen. Bei einem bewussten Einsatz eines 30 cm langen Küchenmessers mit ein oder zwei Schnittbewegungen gegen den Hals des Opfers im Rahmen eines dynamischen Geschehens ohne relevante Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit hätte es zur Ablehnung eines Eventualtötungsvorsatzes ganz erheblicher gegenläufiger Gesichtspunkte bedurft, deren Vorliegen das Landgericht indes nicht festgestellt hat. Vor diesem Hintergrund musste die Strafkammer nicht noch einmal ausdrücklich den anschließenden „Schock“ des Angeklagten über die Schwere der Verletzung in seine Gesamtwürdigung einstellen, da dies bei Eventualvorsatz nicht stets eine erörterungsbedürftige Besonderheit darstellt. Angesichts des gesamten Verhaltens des Angeklagten und insbesondere seiner absichtlichen Bewaffnung mit einem derart großen Messer zwecks Einsatzes im Rahmen einer Auseinandersetzung bedurften auch eine etwaige affektive Erregung und der mögliche Einfluss konsumierter Betäubungsmittel insoweit keiner weiteren ausdrücklichen Erwähnung.

2. Die Rechtsfolgenentscheidungen erweisen sich ebenfalls als rechtsfehlerfrei.

Dies gilt insbesondere für die Ablehnung eines minder schweren Falls des Totschlags nach § 213 Alt. 1 StGB . Danach muss der Täter ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden sein. Die für sich gesehen nicht unbedenkliche Erwägung des Landgerichts, die ersten Boxschläge des Nebenklägers gegen den Angeklagten seien hierfür schon zu lange her gewesen (vgl. dagegen BGH, Beschluss vom 19. September 2017 – 1 StR 436/17, NStZ-RR 2018, 20 mwN), beschreibt vor dem Hintergrund der sich an diese Provokation zeitnah anschließenden gefährlichen Körperverletzung zulasten des Nebenklägers (Tat 1) eine für die Ablehnung von § 213 Alt. 1 StGB ausreichende motivationspsychologische Zäsur. Denn damit waren die kurz zuvor verübten Faustschläge des Nebenklägers gleichsam „abgegolten“.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Leipzig, vom 03.07.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 305 Js 68345/19
Fundstellen
NStZ 2022, 40