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BGH - Entscheidung vom 20.04.2021

X ZR 40/19

Normen:
EPÜ Art. 54 Abs. 2
EPÜ Art. 56
EPÜ Art. 54 Abs. 2
EPÜ Art. 56
EPÜ Art. 54 Abs. 2
EPÜ Art. 56

Fundstellen:
GRUR 2021, 1049
MDR 2021, 953

BGH, Urteil vom 20.04.2021 - Aktenzeichen X ZR 40/19

DRsp Nr. 2021/8838

Heranziehung von bildlichen Darstellungen eines eingetragenen Designs als Ausgangspunkt für technische Überlegungen; Streitpatent betreffend ein Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer

Im Einzelfall kann Anlass bestehen, bildliche Darstellungen eines eingetragenen Designs als Ausgangspunkt für technische Überlegungen heranzuziehen.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 4. Dezember 2018 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Normenkette:

EPÜ Art. 54 Abs. 2 ; EPÜ Art. 56 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 646 362 (Streitpatents), welches am 20. September 1994 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 21. September 1993 angemeldet worden ist und ein Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz betrifft. Patentanspruch 1, auf den sechs weitere Ansprüche zurückbezogen sind, hat in einem vorangegangenen Nichtigkeitsverfahren (BGH, Urteil vom 25. April 2006 - X ZR 16/03) folgende Fassung erhalten (die Änderung gegenüber der erteilten Fassung ist hervorgehoben):

Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer, mit einem zumindest teilweise in den Kiefer eindrehbaren Implantatkörper, in dem ein Werkzeugaufnahmemittel (86) zum Einschrauben des Implantats angeordnet ist und der eine Außenfläche aufweist, die an ihrem unteren Teil mindestens teilweise mit einem Außengewinde zur Bildung eines Gewindeabschnitts (82) versehen ist und an einem oberen Teil einen gewindefreien Kopfabschnitt (84) aufweist, wobei zwischen dem Kopfabschnitt (84) und dem Gewindeabschnitt (82) ein Mittelabschnitt (83) mit einem Gewinde geringerer Tiefe und zylindrischem Kern angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass sich das Werkzeugaufnahmemittel (86) zum Einschrauben des Implantats durch den Kopfabschnitt (84) und mindestens über den größten Teil des Mittelabschnitts (83) mit dem Gewinde geringerer Tiefe erstreckt.

Die Klägerin, die wegen Verletzung des Streitpatents rechtskräftig verurteilt ist, hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Anmeldung hinaus, sei nicht patentfähig und nicht so offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent in der geltenden Fassung sowie mit drei Hilfsanträgen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent mit ihren erstinstanzlichen Anträgen sowie einem neuen Hilfsantrag verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet und führt zur Abweisung der Klage.

I. Das Streitpatent betrifft ein Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer.

1. In der Streitpatentschrift wird ausgeführt, bekannte Schraubimplantate, die in eine vorgefertigte Aufnahmebohrung im Kiefer eingeschraubt würden, seien im Kopfbereich so gestaltet, dass beim Einsetzen Verquetschungen aufträten. Dies könne das Einheilen des Implantats im Kiefer verzögern. Auch böten die bekannten Schraubimplantate vielfach nur unzureichenden Halt.

2. Vor diesem Hintergrund betrifft das Streitpatent das Problem, ein Schraubimplantat zur Verfügung zu stellen, das sich leicht in den Kiefer einsetzen lässt und dort sowohl rasch als auch fest einheilt.

3. Zur Lösung schlägt das Streitpatent ein Schraubimplantat vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

1.

Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer mit einem zumindest teilweise in den Kiefer eindrehbaren Implantatkörper.

2.

Die Außenfläche des Implantatkörpers weist drei Abschnitte auf, und zwar

2.1

einen unteren Teil, der mindestens teilweise mit einem Außengewinde zur Bildung eines Gewindeabschnitts (82) versehen ist,

2.2

einen oberen Teil, der durch einen gewindefreien Kopfabschnitt (84) gebildet wird,

2.3

einen zwischen Kopfabschnitt (84) und Gewindeabschnitt (82) angeordneten Mittelabschnitt (83) mit

2.3.1

einem Gewinde geringerer Tiefe

2.3.2

und zylindrischem Kern.

3.

Im Inneren des Implantatkörpers ist ein Werkzeugaufnahmemittel (86) zum Einschrauben des Implantats angeordnet, das sich

3.1

durch den Kopfabschnitt (84) und

3.2

mindestens über den größten Teil des Mittelabschnitts (83) mit dem Gewinde geringerer Tiefe erstreckt.9

4.

Mit der Auslegung dieser Merkmale hat sich der Senat bereits im ersten Nichtigkeitsverfahren befasst. Hieran hält er fest.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die europäische Patentanmeldung 424 734 (NK7) sei weder hinsichtlich des in Figur 1 noch des in Figur 8 gezeigten Ausführungsbeispiels neuheitsschädlich. Die Ausführungsform nach Figur 1 zeige zwar ein Schraubimplantat für die Benutzung im Kiefer zur Befestigung von Zahnimplantaten. Es fehle jedoch an einem Mittelabschnitt mit einem Gewinde geringer Tiefe. Die Ausführungsform nach Figur 8 sei nicht zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer geeignet und weise kein Werkzeugaufnahmemittel im Sinne der Merkmalsgruppe 3 auf.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei dem Fachmann, einem Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau oder Medizintechnik mit materialkundlichen Kenntnissen und einem Zahnarzt mit implantologischer Praxiserfahrung, jedoch ausgehend von der französischen Designanmeldung 932249-011 (NK11V) nahegelegt gewesen. In NK11V sei eine Schraubvorrichtung zur Befestigung eines Zahnimplantats offenbart, welche mit Ausnahme der Merkmale 2.3.1 und 2.3.2 alle Merkmale aus Patentanspruch 1 verwirkliche. Zum Stand der Technik hätten weiterhin Schraubimplantate gehört, deren oberer Bereich entweder konisch oder zylindrisch ausgestaltet sei. Beispielsweise zeigten die aus NK7, der US-amerikanischen Patentschrift 5 195 892 (NK9) und dem spanischen Industriemodell I0123609 (NK10) bekannten dentalen Schraubimplantate jeweils einen oberen Bereich, der zylindrisch ausgeformt sei, während die im Streitpatent als Stand der Technik angeführte US-amerikanischen Patentschrift 5 000 686 (im ersten Nichtigkeitsverfahren als K3 bezeichnet) ein dentales Schraubimplantat mit einem konusförmigen oberen Bereich zeige. Dem Fachmann sei bekannt gewesen, dass bei einem Schraubimplantat mit einem konischen oberen Bereich ein für den Kieferknochen ungünstiger Druck in axialer Richtung auf den kortikalen bzw. Randbereich des Kieferknochens ausgeübt werde, wie es auch in der NK7 bezüglich der dort in der Figur 1 gezeigten Ausführungsform angesprochen werde. Daraus ergebe sich die Anregung, auch bei dem in NK11V gezeigten Implantat für den bereits ein Gewinde geringerer Tiefe aufweisenden Mittelabschnitt eine Zylinderform vorzusehen. Dieser Abschnitt weise dann zwangsläufig auch einen zylindrischen Kern auf.

Die zusätzlichen Merkmale der Hilfsanträge seien entweder der NK11V zu entnehmen oder stellten rein handwerkliche Maßnahmen des Fachmanns dar.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

1. Wie das Patentgericht zutreffend und insoweit unangegriffen ausgeführt hat, ist die Erfindung so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, und der Gegenstand von Patentanspruch 1 geht nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.

2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist in NK7 nicht vollständig offenbart.

a) NK7 offenbart Mittel zur Fixierung von Prothesen an Knochen und stellt sich die Aufgabe, einen besseren Halt durch Reduzierung des operativen Traumas sowie durch maximale anfängliche Kongruenz mit minimalem Druck zu erzielen. Die Entgegenhaltung zeigt verschiedene Ausführungsbeispiele für unterschiedliche Einsatzzwecke.

aa) Das in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 dargestellte Ausführungsbeispiel zeigt ein Schraubimplantat, das insbesondere für zahnmedizinische Zwecke geeignet ist (Sp. 15 Z. 44-47). Es kann in den Kieferknochen eingedreht werden und eine Zahnprothese aufnehmen (Sp. 16 Z. 36-42).

Die Außenfläche dieses Implantats weist an ihrem unteren, konusförmigen Schaft (14) ein selbstschneidendes Gewinde (28) und daran anschließend ein Schraubgewinde (26) auf, dessen äußerer Durchmesser über die gesamte Länge hinweg konstant ist und mit dem Durchmesser des zylinderförmigen und gewindelosen Kopfabschnitts (12) übereinstimmt (Sp. 16 Z. 56 bis Sp. 17 Z. 44). An der oberen Seite des Kopfabschnitts (12) ist eine prismenförmige Vertiefung (16) angebracht, die in Figur 1 durch gestrichelte Linien angedeutet wird. Diese ermöglicht es, das Implantat in den Knochen einzuschrauben (Sp. 16 Z. 36-42). Dieses Werkzeugaufnahmemittel erstreckt sich indessen nicht über den größten Teil eines Mittelabschnitts gemäß Merkmal 3.2.

Damit sind die Merkmale 1 bis 2.3.1 sowie die Merkmale 3 und 3.1 offenbart, nicht aber die Merkmale 2.3.2 und 3.2.

bb) Das in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 8 dargestellte Ausführungsbeispiel zeigt eine Schraube, die insbesondere für orthopädische Zwecke geeignet ist (Sp. 18 Z. 6 f.).

Dieses Implantat unterscheidet sich von der Ausführungsform in Figur 1 nur durch ein drittes Gewinde (23) an der Außenfläche des Kopfabschnitts (112) (Sp. 21 Z. 12-19). Dieses Gewinde kann nur dann vorgesehen werden, wenn ein Gegenelement (82) zur Anwendung kommt, etwa eine Platte, die auf der Außenschicht (50) des Oberschenkelknochens aufliegt. Die Platte verhindert, dass sich äußere Lagen der Außenschicht (50) anheben und beschädigt werden, wenn das selbstschneidende Gewinde (23) in die Außenschicht (50) greift (Sp. 21 Z. 20-26). Das Gewinde (23) kann auch nicht-selbstschneidend sein. Dann muss im korrespondierenden Bereich des Knochens ein Innengewinde mit Hilfe eines Gewindeschneiders gebildet werden (Sp. 21 Z. 27-30).

Damit sind die Merkmalsgruppe 2 sowie die Merkmale 3 und 3.1 offenbart, nicht aber die Merkmale 1 und 3.2.

3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist durch die vom Patentgericht herangezogenen Entgegenhaltungen nicht nahegelegt.

a) Zutreffend hat das Patentgericht angenommen, dass ein Mittelabschnitt mit einem Gewinde und einem zylindrischen Kern für ein zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer geeignetes Implantat durch NK7 nicht nahegelegt ist.

Veranlassung für eine solche Kombination könnte sich aus NK7 allenfalls dann ergeben, wenn ersichtlich wäre, dass die in Figur 8 dargestellte Ausführungsform über den in NK7 angeführten Einsatzzweck hinaus auch zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer geeignet ist. Letzterem stehen die Ausführungen entgegen, wonach das dritte Gewinde nur zusammen mit einem Gegenelement (82) eingesetzt werden kann. Dass ein solches Gegenelement auch an einem Implantat zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer angebracht werden könnte, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Ob andere Verwendungszwecke am Kiefer in Frage kommen, kann offenbleiben, weil eine Eignung dafür zur Verwirklichung von Merkmal 1 nicht ausreicht.

Die Ausführungen, wonach das Gewinde (23) auch nicht-selbstschneidend sein kann, führen insoweit nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Ihnen ist nicht zu entnehmen, dass in diesem Fall ein Gegenelement (82) entbehrlich ist. Das Schneiden eines Gewindes ist, wie NK7 ausdrücklich klarstellt, auch in dieser Konstellation erforderlich.

b) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist eine solche Ausgestaltung auch nicht ausgehend von NK11V nahegelegt.

aa) Im Ansatz zutreffend hat das Patentgericht angenommen, dass NK11V als Ausgangspunkt für die Suche nach Schraubimplantaten mit verbesserten technischen Eigenschaften in Betracht kommt.

(1) Entgegen der Auffassung der Berufung ist unerheblich, ob es sich bei NK11V um den nächstliegenden Stand der Technik handelt.

Nach der in anderem Zusammenhang auch von der Berufung angeführten Rechtsprechung des Senats ist die Einordnung einer Entgegenhaltung als - aus ex-post-Sicht - nächstkommender Stand der Technik für die Bejahung der Frage, ob die Entgegenhaltung einen geeigneten Ausgangspunkt für fachliche Bemühungen bildet, weder ausreichend noch erforderlich (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 , GRUR 2009, 382 Rn. 51 - Olanzapin; BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 - Xa ZR 138/05, GRUR 2009, 1039 , Rn. 20 - Fischbissanzeiger; Urteil vom 31. Januar 2017 - X ZR 119/14, GRUR 2017, 498 Rn. 28 - Gestricktes Schuhoberteil).

(2) Entgegen der Auffassung der Berufung kann auch die Veröffentlichung eines eingetragenen Designs einen geeigneten Ausgangspunkt für technische Überlegungen bilden.

(a) Der Senat hat - ohne die Frage zu problematisieren - schon verschiedentlich Designpatente und Geschmacksmuster als möglichen Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 - X ZR 135/08 Rn. 36; Urteil vom 5. Oktober 2016 - X ZR 78/14, GRUR 2017, 148 Rn. 53 f. - Opto-Bauelement; Urteil vom 18. Dezember 2018 - X ZR 37/17, GRUR 2019, 499 Rn. 47 - Eierkarton).

(b) Diese Vorgehensweise steht in Einklang mit Art. 54 Abs. 2 EPÜ und der darauf beruhenden Rechtsprechung des Senats zum Offenbarungsgehalt von Zeichnungen in Patenanmeldungen.

Nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ bildet den Stand der Technik alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist. Hierzu gehören nicht nur textliche, sondern auch bildliche Darstellungen. Vor allem im Zusammenhang mit der Frage, ob der Gegenstand eines Patents ursprünglich offenbart ist, hat der Senat deshalb wiederholt entschieden, dass technische Merkmale auch allein durch die in einer Patentanmeldung enthaltenen Zeichnungen offenbart sein können (vgl. etwa BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - Xa ZR 52/08, GRUR 2010, 599 Rn. 22 - Formteil; Urteil vom 24. Januar 2012 - X ZR 88/09, GRUR 2012, 475 Rn. 32 - Elektronenstrahltherapiesystem).

(c) Ein vergleichbarer Offenbarungsgehalt kann sich im Einzelfall auch aus Zeichnungen oder bildlichen Darstellungen in den veröffentlichten Unterlagen eines eingetragenen Designs ergeben.

Solche Unterlagen enthalten zwar in der Regel keine ausdrücklichen Ausführungen zu technischen Aspekten. Ihnen kann aber dennoch ein technischer Offenbarungsgehalt zukommen, wenn schon aus der bildlichen Darstellung technische Zusammenhänge oder Funktionen hervorgehen.

Dies gilt insbesondere in Bezug auf technische Merkmale, die schon durch bloße Inaugenscheinnahme eines Erzeugnisses wahrnehmbar sind. Ob solche Merkmale durch das Anbieten und Liefern solcher Erzeugnisse oder durch die Veröffentlichung von bildlichen Darstellungen mit vergleichbarem Offenbarungsgehalt zugänglich gemacht werden, begründet keinen grundlegenden Unterschied. Angesichts dessen kann im Einzelfall Anlass bestehen, als Ausgangspunkt für technische Überlegungen nicht nur auf am Markt erhältliche Erzeugnisse zurückzugreifen, sondern auch auf Abbildungen solcher Erzeugnisse in den Unterlagen eines eingetragenen Designs.

(3) Im Streitfall bestand danach Veranlassung, NK11V als Ausgangspunkt für Überlegungen zur Verbesserung von Schraubimplantaten für Zahnersatz heranzuziehen.

NK11V betrifft eine Befestigung für die Zahnheilbehandlung. Diese ist in folgenden Abbildungen dargestellt:

Aus diesen Abbildungen, deren erste mit Figur 1 der nach dem Prioritätstag veröffentlichten, aber prioritätsälteren Anmeldung WO 94/09717 (und des daraus hervorgegangenen europäischen Patents 668 751, NK4) übereinstimmt, ergeben sich auch ohne zusätzliche Erläuterungen Erkenntnisse über die Form der einzelnen Bestandteile des Implantats sowie der daran ausgebildeten Gewinde.

bb) Den oben wiedergegebenen Zeichnungen ist eine einschraubbare Befestigungsvorrichtung zu entnehmen, die einen kurzen gewindelosen Teil an der Oberseite sowie zwei darunter angeordnete, unterschiedlich geformte Gewinde umfasst, von denen das untere um einen zylindrischen und das obere Gewinde um einen konischen Kern geführt ist. Die zweite Abbildung zeigt darüber hinaus eine Öffnung an der Oberseite, die in den Abschnitt mit dem oberen Gewinde hineinragt und in ihrem unteren Bereich einen Kranz von Einkerbungen aufweist. Weitere Einzelheiten, insbesondere die Gewindetiefe sind demgegenüber nicht eindeutig zu erkennen.

cc) Damit sind die Merkmale 1 bis 2.1 sowie die Merkmale 2.3 und 2.3.1 offenbart.

dd) Zu Recht hat das Patentgericht ferner das Merkmal 2.2 als offenbart angesehen.

Entgegen der Auffassung der Berufung lässt die erste Abbildung ungeachtet des Umstands, dass sie nicht als maßstabstabsgerechte Zeichnung angesehen werden kann, deutlich erkennen, dass der nach innen abgeschrägte Bereich an der Oberseite der Vorrichtung nicht nur eine Kante ist, die durch das Auslaufen des Gewindes entsteht. Die Höhe dieses Bereichs ist deutlich größer als der Abstand zwischen zwei Gewindegängen.

ee) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist Merkmal 3 demgegenüber nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.

Angesichts des Umstands, dass die beiden Abbildungen erkennbar nur einige wenige Gestaltungselemente zeigen, erscheint es allerdings eher fernliegend, dass die im unteren Bereich der Öffnung dargestellten Strukturen bloße Spiegelungen oder sonstige grafische Gestaltungen wiedergeben. Auch wenn die Abbildungen ein Geschmacksmuster wiedergeben, sprechen die besseren Gründe vielmehr für die Deutung, dass es sich um die - wenn auch nur schematische - Darstellung eines für die Funktion wesentlichen Elements handelt.

Auch vor diesem Hintergrund lässt die zweite Abbildung - die nicht mit Figur 2 aus NK4 übereinstimmt - aber nicht eindeutig erkennen, ob es sich um ein Mittel handelt, das das Einschrauben der Vorrichtung in den Kiefer ermöglichen soll, oder um Markierungen, die die korrekte Ausrichtung des in die Hülse einzusetzenden Zahnersatzes gewährleisten sollen. Dass die Strukturen beiden Zwecken zugleich dienen könnten, ist zwar nicht auszuschließen, aber ebenfalls nicht eindeutig offenbart.

ff) Wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, fehlt es ferner an einer Offenbarung von Merkmal 2.3.2.

Der obere Gewindebereich ist in beiden Abbildungen erkennbar konusförmig dargestellt.

gg) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts war es ausgehend von NK11V nicht nahegelegt, den konusförmigen durch einen zylindrischen Gewindebereich zu ersetzen und diesen mit einer geringeren Gewindetiefe auszugestalten als den ebenfalls zylindrischen unteren Gewindebereich.

(1) Aus dem vom Patentgericht festgestellten Umstand, dass aus dem Stand der Technik sowohl eine konische als auch eine zylindrische Ausformung des oberen Teils bekannt waren, ergab sich keine hinreichende Anregung zu einer solchen Änderung.

Auch wenn verschiedene Ausgestaltungen bekannt waren, ergab sich daraus nicht, dass einzelne Gestaltungselemente beliebig gegeneinander austauschbar sind.

(2) Aus dem Umstand, dass ein Schraubimplantat mit einem konischen oberen Teil einen für den Kieferknochen ungünstigen Druck ausüben kann, wie dies etwa in NK7 ausgeführt wird (Sp. 16 Z. 28-35), ergab sich ebenfalls keine Anregung für eine Ausgestaltung entsprechend den Merkmalen 2.3.1 und 2.3.2.

NK7 zieht aus dem genannten Umstand die Schlussfolgerung, dass es günstiger sei, jede axiale Krafteinwirkung im Bereich des Schraubenkopfes (12) zu vermeiden und diesen so ausgestalten, dass er lediglich radiale Kräfte auf den Kiefer übertragen kann (Sp. 16 Z. 28-35). Daraus ergab sich keine Veranlassung, in diesem Bereich ein Gewinde anzubringen. Dies gilt umso mehr, als NK7, wie bereits oben dargelegt wurde, ein Gewinde in diesem Bereich nur für den Fall als möglich ansieht, dass ein Gegenelement (82) vorhanden ist.

Um zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen, hätte der Fachmann mithin sowohl aus NK11V als auch aus NK7 und seinem allgemeinen Fachwissen gezielt einzelne Gesichtspunkte isolieren und in neuer Kombination zusammenfügen müssen. Hierzu bedurfte es einer konkreten Anregung. Eine solche findet sich weder in den genannten Entgegenhaltungen noch an anderer Stelle.

c) In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin vorgebracht, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 habe sich ausgehend von NK9 in naheliegender Weise in Kombination mit allgemeinem Fachwissen ergeben. Dem ist nicht beizutreten.

aa) NK9 betrifft ein Zahnimplantatsystem mit einem im Kieferknochen zu verankerndem Implantat. Die nachfolgenden Figuren 1 und 2 zeigen hierfür ein Ausführungsbeispiel; die weitere Figur 9 zeigt einen Werkzeugschlüssel zum Eindrehen des Implantats.

Das Implantat 1 weist einen zylindrischen Körper sowie einen halbkugelförmigen Kuppelabschnitt an dessen unterem Ende auf. Der zylindrische Körper ist entlang fast der ganzen Länge mit einem Außengewinde 3 versehen, wobei jedoch im oberen Bereich ein glatter Halsabschnitt 6 vorgesehen ist (NK9 Sp. 2 Z. 17-22). Im inneren des zylindrischen Körpers befindet sich eine Innengewindebohrung 7 sowie darüber ein zylindrischer Hohlraum mit Riffelungen 8 (Sp. 2 Z. 37-42). Zum Eindrehen des Implantats wird ein Werkzeugschlüssel 20 mit Hilfe einer Schraube 23 befestigt, so dass das Implantat über die Riffelung 22 in den mit einer Bohrung versehenen Kieferknochen manuell eingedreht werden kann (Sp. 3 Z. 22-31).

bb) Damit sind die Merkmale 1 bis 2.2 sowie 3 und 3.1 offenbart, nicht aber die Merkmalsgruppe 2.3.

cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin bestand keine Veranlassung, das in NK9 offenbarte Implantat mit einem Mittelabschnitt zu versehen, in dem das zylindrische Gewinde eine geringere Tiefe aufweist als im darunter gelegenen Abschnitt.

Eine solche Ausgestaltung war zwar objektiv möglich. Weder aus NK9 noch aus sonstigen Umständen ergab sich aber eine hinreichende Anregung zu einer solchen Abwandlung.

IV. Die Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend (§ 119 Abs. 1 PatG ).

Wie bereits das Patentgericht in seinem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis ausgeführt hat, ergeben sich aus den übrigen Entgegenhaltungen keine weitergehenden Anregungen.

V. Der Rechtsstreit ist zur Entscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2PatG).

Das Streitpatent erweist sich aus den oben aufgezeigten Gründen alsrechtsbeständig.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 20. April 2021

Vorinstanz: BPatG, vom 04.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 4 Ni 60/16 (EP)
Fundstellen
GRUR 2021, 1049
MDR 2021, 953