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BGH - Entscheidung vom 18.05.2021

XIII ZB 78/20

Normen:
FamFG § 62
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5

BGH, Beschluss vom 18.05.2021 - Aktenzeichen XIII ZB 78/20

DRsp Nr. 2021/12443

Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung; Fehlender zulässiger Haftantrag

Im Hinblick auf die Sicherung einer Abschiebung liegt ein zulässiger Haftantrag schon dann nicht vor, wenn es an ausreichenden Angaben zu der erforderlichen Dauer der Haft fehlt. Insbesondere dann, wenn die beantragte Haftdauer - wie hier mit knapp zwei Monaten - nicht so kurz bemessen ist, dass sich ihre Notwendigkeit von selbst verstünde, bedarf es dabei einer Begründung, die den für die Flugbuchung benötigten Zeitraum und die daraus folgende notwendige Haftdauer erklärt, etwa durch Angaben zu Terminen und zur Frequenz nutzbarer Flugverbindungen und zur Buchungslage. Das gilt erst recht, wenn - wie hier - die Flugüberstellung unbegleitet und in ein europäisches Land erfolgen sollte.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 18. Zivilkammer - vom 17. September 2020 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 3. August 2020 den Betroffenen in dem Zeitraum vom 3. bis zum 26. August 2020 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Erlangen auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 62 ; FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5;

Gründe

I. Der Betroffene, ein ukrainischer Staatsangehöriger, reiste am 19. August 2016 mit einem polnischen Schengen-Visum zum Zweck des Daueraufenthalts nach Deutschland ein, beantragte zunächst Asyl und, nach seiner Heirat mit einem deutschen Staatsangehörigen, am 30. Juli 2017 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Beide Anträge hatten keinen Erfolg. Das zuständige Bundesamt nahm seine Heirat zum Anlass, seinen Asylantrag im nationalen Verfahren erneut zu prüfen, lehnte ihn mit Bescheid vom 15. März 2018 wiederum ab und drohte dem Betroffenen die Abschiebung in die Ukraine an. Dieser Aufforderung leistete der Betroffene zwar am 22. Juni 2019 Folge, kehrte aber bereits am 6. Juli 2019 wiederum ohne ein Visum zur Familienzusammenführung nach Deutschland zurück. Seinen erneuten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lehnte die beteiligte Behörde am 4. September 2019 ab und forderte den Betroffenen unter Androhung der Abschiebung und unter Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots für die Dauer eines Jahres für den Fall der Abschiebung auf, spätestens 14 Tage nach Bekanntgabe des Bescheids Deutschland zu verlassen. Ein Eilantrag des Betroffenen gegen diese Entscheidung an das Verwaltungsgericht wurde abgelehnt. Die beteiligte Behörde versuchte mehrfach, nach ihren Angaben am 18. Mai und 19. Juli 2017, am 8. Januar, 28. Mai und 27. September 2018 und am 19. März 2019, den Betroffenen in die Ukraine abzuschieben. Ihre Bemühungen blieben ohne Erfolg.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 3. August 2020 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung in die Ukraine bis zum 30. September 2020 erwirkt. Die - nach seiner Abschiebung in die Ukraine am 26. August 2020 mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Haft fortgeführte - Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt.

II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung des Amtsgerichts für rechtmäßig. Ihr liege ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Der Betroffene sei aufgrund seiner unerlaubten Wiedereinreise vollziehbar ausreisepflichtig. Aus der unerlaubten Wiedereinreise ergebe sich nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ein Haftgrund. Außerdem lägen die Vermutungen für Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3a Nr. 5 und Nr. 6 AufenthG vor. Zahlreiche Abschiebungsmaßnahmen gegen den Betroffenen seien in der Vergangenheit vergeblich gewesen, weil dieser durch nicht gemeldete Wohnortwechsel die behördlichen Maßnahmen vereitelt und sich damit der Abschiebung entzogen habe. Außerdem sei ihm die Erklärung seines Ehemannes zuzurechnen, der gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde im Aufenthaltsverfahren erklärt habe, die Abschiebung solle mit allen Mitteln verhindert werden. Ferner sei ein konkreter Anhaltspunkt für Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3b Nr. 2 AufenthG gegeben, weil der Betroffene für die Rückkehr in die Ukraine und die unerlaubte Wiedereinreise 1.987,95 € aufgewandt und erfolglos von der Regierung von Oberbayern zurückgefordert habe.

2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Haftanordnung des Amtsgerichts war rechtswidrig und hat den Betroffenen während der Dauer ihres Vollzugs vom 3. bis zum 26. August 2020 in seinen Rechten verletzt, was nach § 62 FamFG auf dessen Antrag hin festzustellen ist. Es fehlt schon an einem zulässigen Haftantrag.

a) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, und vom 26. Januar 2021 - XIII ZB 14/20, juris Rn. 9).

b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht. Es fehlt jedenfalls an ausreichenden Angaben zu der erforderlichen Dauer der Haft.

In ihrem Haftantrag vom 28. Juli 2020 hat die beteiligte Behörde zur erforderlichen Dauer der Haft ausgeführt, eine Sammelabschiebung für August 2020 sei zwar bereits telefonisch durch das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen in Aussicht gestellt worden. Dennoch könne es bei der Einplanung des Betroffenen zur Rückführung durch das Landesamt aktuell noch zu Verzögerungen kommen. Ein endgültiger Termin für die Sammelabschiebung stehe noch nicht fest, gegebenenfalls könne die Abschiebung auch erst im September 2020 erfolgen, weshalb die Haftdauer von zwei Monaten erforderlich sei.

Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, für die Begründung der beantragten Haft unzureichend (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. April 2018 - V ZB 208/17, juris Rn. 6 und vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 49/19, juris Rn. 9 mwN). Die beantragte Haftdauer ist mit knapp zwei Monaten auch nicht so kurz, als dass sich ihre Notwendigkeit von selbst verstünde, zumal die Flugüberstellung unbegleitet und in ein europäisches Land erfolgen sollte. Es bedurfte vielmehr einer Begründung, die den für die Flugbuchung benötigten Zeitraum und die daraus folgende notwendige Haftdauer erklärte, etwa durch Angaben zu Terminen und zur Frequenz nutzbarer Flugverbindungen und zur Buchungslage (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. November 2018 - V ZB 54/18, Asylmagazin 2019, 79 Rn. 8, und vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 16/19, InfAuslR 2020, 241 Rn. 10). Daran fehlt es. Die Behörde hat lediglich mitgeteilt, dass eine Sammelabschiebung für August 2020 in Aussicht gestellt sei, aber keine Angaben dazu gemacht, wann diese stattfinden und dass und aus welchen Gründen für den Fall, dass der Betroffene hierbei nicht sollte berücksichtigt werden können, keine andere zeitnahe Flugverbindung in die Ukraine zur Verfügung stehen soll. Sie hat in dem Haftantrag auch nicht nachvollziehbar dargelegt, dass Sicherungshaft bis Ende August angeordnet werden konnte, vielmehr die - tatsächlich erfolgte - Abschiebung im August lediglich als möglich bezeichnet, aber nicht dargelegt, aus welchen Gründen sie im Fall des Betroffenen zu erwarten war.

c) Dieser Mangel ist nicht geheilt worden. Dazu hätten die beteiligte Behörde ergänzende Angaben machen oder die Vorinstanzen ergänzende Feststellungen treffen und den Betroffenen erneut persönlich anhören müssen. Beides ist nicht geschehen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG . Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG . Der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe erledigt sich damit.

Vorinstanz: AG Erlangen, vom 03.08.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 8 XIV 19/20
Vorinstanz: LG Nürnberg-Fürth, vom 17.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 18 T 5669/20