Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 28.01.2021

III ZR 90/20

Normen:
ZPO § 42 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 28.01.2021 - Aktenzeichen III ZR 90/20

DRsp Nr. 2021/2856

Gerechtfertigte Besorgnis der Befangenheit eines Richters im Zusammenhang mit dem Abgasskandal wegen Anhängigkeit einer eigenen Schadensersatzklage; Äußerung eines Richters im Zusammenhang mit einem Verfahren bezüglich illegaler Abschalteinrichtungen bei Kraftfahrzeugen

Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen - sei es auch nur mittelbaren - wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht. Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO kann dementsprechend begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche erhebt, kann in diesem Fall Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt.

Tenor

Die in der Erklärung des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. H. vom 24. November 2020 mitgeteilten Umstände rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

Normenkette:

ZPO § 42 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte unter dem Vorwurf der Beihilfe zu kapitalmarktrechtlichen Pflichtverletzungen der Volkswagen AG (im Folgenden: VW AG) sowie ihrer Konzernmutter, der Porsche Automobil Holding SE (im Folgenden: Porsche SE), auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte lieferte für die VW AG eine Motorsteuerungssoftware, mit der seit 2008 die Dieselmotoren der Baureihe EA 189 ausgerüstet wurden. Diese Software bewirkt, dass bei der Abgasprüfung günstigere Stickstoff-Emissionswerte erzielt werden als außerhalb des Prüfstands.

Anfang September 2015 räumte VW gegenüber US-amerikanischen Behörden ein, eine als "defeat device" bezeichnete Software in ihren Dieselfahrzeugen verbaut zu haben. Mit Ad-hoc-Mitteilungen vom 22. und 23. September 2015 informierte sie den Kapitalmarkt über die Abgasmanipulationen.

Der Kläger erwarb am 19. Dezember 2014 insgesamt 145 Stück Vorzugsaktien der Porsche SE. Er behauptet, er hätte diesen Erwerb unterlassen, hätte er Kenntnis von dem Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen gehabt. Er ist der Ansicht, die Beklagte hafte als Gehilfin insbesondere für die Verletzung von Kapitalmarktinformationspflichten durch die VW AG und die Porsche SE.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat Schadensersatzansprüche aus § 830 Abs. 2 BGB i.V.m. § 826 , § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 325 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 331 Abs. 1 , 2 HGB , § 400 AktG , § 37v Abs. 2 Nr. 2 WpHG a.F. sowie §§ 37b und 37c WpHG verneint. Es hat ausgeführt, es könne dahinstehen, ob eine beihilfefähige Haupttat vorliege, da eine Haftung der Beklagten als Gehilfin aus anderen Gründen nicht in Betracht komme. Gehe man davon aus, dass die Dieselmotoren der Baureihe EA 189 mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen gewesen seien, stelle dies eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Erwerber der Fahrzeuge durch den Motor- bzw. Fahrzeughersteller dar. Es liege nahe, dass die Beklagte jedenfalls eine objektive Beihilfehandlung zur Schädigung der Fahrzeugerwerber durch die VW AG erbracht habe. Vorliegend gehe es aber nicht um eine Haftung gegenüber den Erwerbern von Dieselfahrzeugen und daher auch nicht um eine Haftung der Beklagten als Gehilfin zu diesen Haupttaten, sondern um die Verletzung von Pflichten gegenüber dem Kapitalmarkt. Insofern habe die Beklagte keine Tätigkeiten entfaltet, die den für eine Haftung als Gehilfin erforderlichen deliktischen Sinnbezug aufgewiesen hätten. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.

Am 24. November 2020 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. H. , angezeigt, dass er im Frühjahr 2014 einen VW CC mit dem Motor EA 189 erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die VW AG erhoben habe. Die Beklagte hat darauf mitgeteilt, dass sonach ein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Senatsvorsitzenden zu rechtfertigen. Der Kläger hat hierzu keine Stellungnahme abgegeben.

II.

Die in der Anzeige des Vorsitzenden Richters mitgeteilten Tatsachen rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist die Befangenheit eines Richters zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 - II ZB 14/19, NJW 2020, 1680 Rn. 9 und vom 28. Juli 2020 - VI ZB 94/19, NJW 2020, 3458 Rn. 7, jeweils mwN). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der "böse Schein", das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (BGH aaO). Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen - sei es auch nur mittelbaren - wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht (BGH aaO). Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO kann dementsprechend begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche erhebt, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 aaO Rn. 10 und vom 28. Juli 2020 aaO Rn. 8).

2. Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor. Seiner Erklärung vom 24. November 2020 zufolge hat der Vorsitzende Richter einen VW CC mit dem Motor EA 189 erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die VW AG erhoben. Die Frage, ob Käufern von Fahrzeugen der Marke VW, die mit dem hier in Rede stehenden Dieselmotor EA 189 nebst Abschalteinrichtung ausgestattet sind, Schadensersatzansprüche gegen die VW AG als Herstellerin dieser Automobile zustehen, ist im vorliegenden Verfahren eine Vorfrage, die bejaht werden muss, um annehmen zu können, dass die VW AG und die Porsche SE zu einer Kapitalmarktinformation verpflichtet waren, zu der die hiesige Beklagte Beihilfe geleistet hat. Auch wenn das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, weil es die Haftung der Beklagten aus anderen Gründen verneint hat, ist es nicht ausgeschlossen, dass auch diese Vorfrage im Revisionsverfahren zu prüfen sein könnte, so dass der Vorsitzende Richter insoweit den gleichen Sachverhalt und die gleichen Rechtsfragen zu beurteilen hätte wie in eigener Sache. Dies ist geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters aufkommen zu lassen. Dabei genügt bereits der "böse Schein", die tatsächliche Einstellung des Richters ist insoweit nicht ausschlaggebend.

Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 20.08.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 7 O 387/18
Vorinstanz: OLG Stuttgart, vom 24.03.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 10 U 518/19