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BGH - Entscheidung vom 08.02.2021

AnwZ (Brfg) 28/20

Normen:
BRAO § 112c Abs. 1 S. 1
ZPO § 180 S. 3

BGH, Beschluss vom 08.02.2021 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 28/20

DRsp Nr. 2021/6133

Geltung des Dokuments in dem Moment des Einlegens in einen zu den Geschäftsräumen gehörenden Briefkasten als zugestellt; Widerruf der Zulassung eines Rechtsanwalts zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 26. Juli 2017 wird zugelassen.

Normenkette:

BRAO § 112c Abs. 1 S. 1; ZPO § 180 S. 3;

Gründe

I.

Der Kläger ist seit 1995 im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 10. Februar 2016 widerrief die Beklagte die Zulassung wegen Vermögensverfalls. Der Bescheid wurde dem Kläger im Wege der Ersatzzustellung in den Briefkasten seines Büros eingelegt. Auf dem Umschlag der Sendung, die den Widerrufsbescheid enthielt, war das Datum der Zustellung nicht vermerkt. Die Zustellungsurkunde weist den 17. Februar 2016 als Tag der Zustellung aus. Der Kläger gibt an, wegen krankheitsbedingter Abwesenheit vom Büro erst am 19. Februar 2016 von dem Bescheid Kenntnis genommen zu haben.

Die am 21. März 2016 (Montag) eingegangene Anfechtungsklage des Klägers hat der Anwaltsgerichtshof mit Urteil vom 26. Juli 2017 als unzulässig verworfen. Der Kläger hat die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs beantragt. Der Senat hat mit Beschluss vom 14. Januar 2019 (AnwZ (Brfg) 59/17, juris) den Antrag des Klägers abgelehnt. Auf die Verfassungsbeschwerde des Klägers hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22. Juli 2020 (NVwZ 2020, 1661 ff.) den Beschluss des Senats aufgehoben und die Sache an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

II.

Der nach § 112e Satz 2 BRAO , § 124a Abs. 4 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag des Klägers hat Erfolg. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nicht erst dann gegeben, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg. Denn das Zulassungsverfahren hat nicht die Aufgabe, das Berufungsverfahren vorwegzunehmen. Ernstliche Zweifel sind vielmehr bereits dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, NVwZ 2020, 1661 Rn. 16).

Der Anwaltsgerichtshof hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 56 Abs. 2 VwGO , § 180 Satz 1 und 2 ZPO ein Dokument, das zum Zwecke der Zustellung in einen zu den Geschäftsräumen gehörenden Briefkasten eingelegt werde, in dem Moment des Einlegens als zugestellt gelte. Die Zustellung sei hier am 17. Februar 2016 bewirkt worden. Dass der Zusteller entgegen § 180 Satz 3 ZPO das Datum der Zustellung nicht auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks eingetragen habe, stehe einer wirksamen Zustellung nicht entgegen. Dies sei auch keine Verletzung einer zwingenden Zustellungsnorm im Sinne des § 189 ZPO , so dass nicht auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs abgestellt werden könne. Der Anwaltsgerichtshof hat insoweit unter anderem auf Kommentarliteratur zu § 180 ZPO und auf den Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 15. Februar 2016 ( 6 S 1870/15, juris) verwiesen.

Der Kläger hat sich demgegenüber auf den Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 6. Mai 2014 (BFHE 244, 536 ff.) berufen, der davon ausgeht, dass § 180 Satz 3 ZPO eine zwingende Zustellungsvorschrift ist und dass ein Verstoß dagegen nach § 189 ZPO heilbar ist (vgl. dazu auch BFH, BFHE 251, 162 ff.). Diese Ansicht würde hier dazu führen, dass der 19. Februar 2016 als Tag der Zustellung gilt.

Wie ein Verstoß gegen § 180 Satz 3 ZPO einzustufen ist beziehungsweise auf welchem prozessualen Weg Konsequenzen aus dem Fehlen oder der Fehlerhaftigkeit eines Vermerks nach § 180 Satz 3 ZPO angezeigt sind, ist nicht im Zulassungsverfahren, sondern im Berufungsverfahren zu klären (vgl. BVerfG, NVwZ 2020, 1661 Rn. 20).

III.

Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO ).

Vorinstanz: AnwGH Berlin, vom 26.07.2017 - Vorinstanzaktenzeichen II AGH 4/16