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BGH - Entscheidung vom 24.02.2021

AK 6/21

Normen:
StPO § 116
StPO § 122
StGB § 211
StGB § 212
VStGB § 8
VStGB § 9
VStGB § 10
VStGB § 11

BGH, Beschluss vom 24.02.2021 - Aktenzeichen AK 6/21

DRsp Nr. 2021/4448

Fortdauer der angeordneten Untersuchungshaft; Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) durch finanzielle und logistische Hilfen; Indirekte Unterstützung von Mord, Totschlag und Kriegsverbrechen

Eine terroristische Vereinigung unterstützt, wer, ohne selbst Mitglied der Organisation zu sein, deren Tätigkeit und terroristische Bestrebungen direkt oder über eines ihrer Mitglieder fördert. Dabei kann sich die Förderung auf die innere Organisation der Vereinigung und deren Zusammenhalt, auf die Erleichterung einzelner von ihr geplanter Straftaten, aber auch allgemein auf die Erhöhung ihrer Aktionsmöglichkeiten oder die Stärkung ihrer kriminellen Zielsetzung richten. Dafür genügt bereits, wenn - wie hier - unter anderem Kommunikationsmittel zur Verfügung gestellt wurden, um einem IS-Mitglied in Syrien funktionsfähige Kommunikationswege zu eröffnen und damit die Aktionsmöglichkeiten der terroristischen Vereinigung im Krisengebiet zu erhöhen.

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Celle übertragen.

Normenkette:

StPO § 116 ; StPO § 122 ; StGB § 211 ; StGB § 212 ; VStGB § 8 ; VStGB § 9 ; VStGB § 10 ; VStGB § 11 ;

Gründe

I.

Der Angeschuldigte ist am 28. Juli 2020 vorläufig festgenommen worden und befindet sich seit diesem Tage aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 23. Juli 2020 ( 2 BGs 496/20) ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe zwischen August 2015 und Januar 2018 in Hi. in sechs Fällen die ausländische terroristische Vereinigung "Islamischer Staat" (IS), deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB ) oder Totschlag (§ 212 StGB ) oder Kriegsverbrechen (§§ 8 , 9 , 10 , 11 oder 12 VStGB ) zu begehen, unterstützt und hierzu in einem Fall (Fall 6) tateinheitlich dem Bereitstellungsverbot der im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Verordnung der Europäischen Gemeinschaften Nr. 881/2002 zuwidergehandelt, die der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme diene, indem er einer im Anhang dieser Verordnung aufgeführten Organisation Gelder zur Verfügung gestellt habe, strafbar gemäß § 129a Abs. 5 , § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 , §§ 52 , 53 StGB , § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1091/2013 der Kommission vom 4. November 2013 - im Amtsblatt der Europäischen Union L 293 S. 36 veröffentlicht am 5. November 2013.

Der Generalstaatsanwalt in Celle hat mit Anklageschrift vom 13. Januar 2021 unter anderem wegen der dem Haftbefehl zugrundeliegenden Tatvorwürfe Anklage zum Oberlandesgericht Celle erhoben.

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle hat mit Beschluss vom 19. Januar 2021 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und die Akten dem Senat zur besonderen Haftprüfung vorgelegt.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeschuldigte ist den ihm in dem Haftbefehl vom 23. Juli 2020 zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Verdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region "ash-Sham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit dem Ausrufen des "Kalifats" im Juni 2014 von ISIG in IS umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm - hatte seit 2010 der "Emir" Abu Bakr al-Baghdadi inne. Al-Baghdadi war von seinem Sprecher zum "Kalifen" erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem "Kalifen" unterstehen ein Stellvertreter sowie "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein "Kriegsminister" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "Shura-Räte". Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "Al-Furqan" produziert und über die Medienstelle "al-l'tisam" verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel" (einem weißen Oval mit der Inschrift: "Allah - Rasul - Muhammad") auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem "Kriegsminister" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die von ihr besetzten Gebiete teilte die Vereinigung in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf das Schaffen totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellen, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom ISIG bzw. IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging die Vereinigung immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb ihres Machtbereichs Terroranschläge. So hat sie für Anschläge in Europa, etwa in Frankreich, Belgien und Deutschland, die Verantwortung übernommen.

bb) Der Angeschuldigte und seine Brüder O. und A. S. gehörten lange Jahre in verschiedenen Funktionen dem am 7. März 2017 verbotenen Verein "Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e.V." (DIK Hildesheim) an. In dem Verein wurden spätestens seit Anfang 2015 in konspirativer Weise durch Indoktrination der salafistischen Ideologie, angeführt durch den Prediger A. (alias " XXX "), zahlreiche Personen zielgerichtet radikalisiert und sie zur Ausreise in das Kriegsgebiet nach Syrien und in den Irak zum Anschluss an die terroristische Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) motiviert. A. S. reiste selbst am 30. April 2015 aus Deutschland aus und gliederte sich in Syrien als Mitglied in den IS ein. Er wirkte - bis Anfang 2019 - in führender Funktion an der Aufrechterhaltung und Förderung der militärischen Präsenz und Aktivität des IS in Syrien mit, indem er andere in die militärische Struktur des IS eingebundene Mitglieder der terroristischen Vereinigung zum Einsatz anforderte und sie in eine Einheit türkischer Kämpfer aufnahm, der er selbst angehörte.

Mitte August 2015 reiste F. S. gemeinsam mit ihren Kindern aus Deutschland aus und begab sich zu ihrem Ehemann A. S. nach Syrien, wo sie sich als Mitglied des IS betätigte und bis zu ihrer Rückkehr Anfang 2018 aufhielt.

Unmittelbar vor seiner Ausreise zum IS übertrug A. S. dem Angeschuldigten umfassende Vertretungsmacht. Aufgrund einer am 29. April 2015 notariell beglaubigten Generalvollmacht war der Angeschuldigte - neben der Ehefrau F. S. - alleinvertretungsberechtigt in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, auch über den Tod A. S. hinaus. Dies beinhaltete die Verfügungsberechtigung über alle in Deutschland weiterhin bestehenden Konten des A. S., so dass der Angeschuldigte fortan als sein Vermögensverwalter in Deutschland agierte. Zudem erhielt er vor der Ausreise der F. S. Verfügungsberechtigung auch zu deren Konten. Der Angeschuldigte war im Besitz von Bankkarten zu den Konten der Eheleute S. .

Der Angeschuldigte sowie sein Bruder O. standen gemeinsam in ständigem Kontakt mit A. S. in Syrien und leisteten diesem in der Folgezeit finanzielle, logistische und sonstige materielle Hilfe, um damit ihn und den IS zu fördern.

Entsprechend konkreter Anweisungen von A. S. führte der Angeschuldigte finanzielle Transaktionen zugunsten und zulasten der Konten der Eheleute S. durch, insbesondere hob er im Zeitraum von August 2015 bis Februar 2017 einen Gesamtbetrag von 26.974 € ab, um den Kontostand der Konten gering zu halten und Pfändungen durch staatliche Stellen aufgrund des unberechtigten Weiterbezugs von Kindergeld zu entgehen. Zudem sorgte der Angeschuldigte für eine ausreichende Deckung des Kreditkartenkontos des A. S., um den Geldeinzug von durch ihn getätigten Internetkäufen in Syrien, die dem Angeschuldigten jeweils zur Weiterleitung an S. geliefert worden waren, sicherzustellen.

Folgende Unterstützungshandlungen sind konkretisierbar:

Fälle 1 und 2:

Im Zeitraum vom 24. August bis 29. Dezember 2015 verschaffte der Angeschuldigte dem A. S. in Syrien in zwei Fällen jeweils einen WhatsApp- und Telegram-Account, die mit zwei vom Angeschuldigten registrierten Mobilfunknummern eingerichtet worden waren. Die zur Einrichtung der WhatsApp- und Telegram-Profile jeweils notwendigen Aktivierungscodes übermittelte der Angeschuldigte an S. über die Messenger-Anwendung von Facebook. Die so eingerichteten Kommunikationsmittel wurden von A. S. in der Folgezeit zum Nachrichtenaustausch für Zwecke des IS, insbesondere zur Kommunikation mit Personen, die sich dem IS anschließen wollten und sich hierzu auf dem Weg nach Syrien befanden, genutzt.

Zur Mobilfunknummer XXX übermittelte der Angeschuldigte am 24. August 2015 um 19: 19 Uhr (UTC) den Einrichtungscode für das Telegram-Konto, den Code für den WhatsApp-Account um 19: 20 Uhr (UTC). Mittels dieser Kommunikationsmittel hielt A. S. Kontakt zum IS-Mitglied G., zudem gab S. diese Erreichbarkeit an B. kurz vor dessen Schleusung zum IS von der Türkei nach Syrien im September 2015 weiter.

Am 29. Dezember 2015 übersandte der Angeschuldigte zu der von ihm kurz zuvor aktivierten SIM-Karte zur Mobilfunknummer XXX jeweils Screenshots mit den Aktivierungscodes von WhatsApp (16: 33 Uhr UTC) und Telegram (16: 35 Uhr UTC) an A. S. . Den vom Messengerdienst WhatsApp zusätzlich per Telefonanruf an den Angeschuldigten übermittelten weiteren Code teilte dieser A. S. - wiederum durch Übersendung eines Screenshots - um 17: 50 Uhr (UTC) mit. Auch diese Kommunikationsmittel nutzte A. S. als Erreichbarkeit zum Nachrichtenaustausch in seiner Funktion als hochrangiges IS-Mitglied.

Fall 3:

Im gemeinsamen Zusammenwirken mit deren Ehemann A. S. organisierte der Angeschuldigte Anfang August 2015 die Ausreise der F. S. mit ihren vier minderjährigen Kindern von Deutschland über die Türkei nach Syrien zum IS. Für den von A. S. über die Firma "Br. " für einen Preis von 1.342,47 € gebuchten Flug am 15. August 2015 um 03: 15 Uhr von H. nach Antalya/Türkei sorgte der Angeschuldigte - wie zuvor mit S. vereinbart - durch Einzahlung eines Betrags von 1.500 € auf das mit der Kreditkarte verknüpfte Bankkonto des A. S. bei der Sparkasse Hi. (IBAN XXX) für die notwendige Kontodeckung hinsichtlich der am selben Tag erfolgten Abbuchung durch das Kreditkartenunternehmen American Express. Der Angeschuldigte fuhr F. S. und ihre vier Kinder am frühen Morgen des 15. August 2015 zum Flughafen H. . Von dort gelangte sie über Antalya mittels einer von A. S. organisierten Schleusung nach Syrien, wo sie am 16. August 2015 bei ihrem Ehemann in ar-Raqqa ankam und sich - wie vom Angeschuldigten bezweckt - in den IS als Mitglied eingliederte und sich fortan in der Vereinigung betätigte.

Fälle 4 und 5:

In zwei Fällen zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten im Sommer 2015 transferierte der Angeschuldigte elektronische Kommunikationsgeräte wie Mobiltelefone und Tablets zu A. S. nach Syrien, welche dieser entweder zum eigenen Gebrauch für die Vereinigung oder zur Weitergabe oder zum Weiterverkauf an andere IS-Mitglieder beim Angeschuldigten angefordert hatte. Der Transfer erfolgte jeweils über T. und As. mittels als Hilfskonvois getarnter Krankenwagenfahrten des Vereins " XXX ".

Ende Juli/Anfang August 2015 übergab der Angeschuldigte dem As. in Deutschland - vermutlich in Hi. - zwei Smartphones Samsung S5 und S6 sowie ein Apple iPad und ein Apple iPad mini zum Weitertransport über die Türkei nach Syrien. Dieser übergab die Gegenstände am 29. August 2015 an der türkisch-syrischen Grenze an T., der sie auf Geheiß von A. S. nach Al Bab/Syrien brachte. T. verkaufte am 15. September 2015 das Apple iPad mini für 360 $ weiter, übernahm selbst das Mobiltelefon S6 für einen Kaufpreis von 480 $ und überbrachte die restlichen Geräte sowie den erlösten Betrag gemeinsam mit der weiteren Lieferung dem A. S. zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt Mitte Oktober 2015 ("paar Tage" vor dem 24. Oktober 2015).

Für eine weitere Lieferung nach Syrien überbrachte der Angeschuldigte dem As. Ende August 2015 zwei blau karierte Taschen mit unbekanntem Inhalt sowie einen Apple iMac. Der Krankenwagenkonvoi startete in Deutschland Mitte September 2015 und kam am 30. September 2015 in Syrien an. Anschließend gelangte insbesondere der Apple iMac gemeinsam mit der vorherigen Lieferung Mitte Oktober 2015 zu A. S., der diesen für seine Tätigkeit für den IS zumindest bis August 2018 nutzte.

Fall 6:

Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Zeitraum vom 16. Februar 2017 bis 3. Januar 2018 transferierte der Angeschuldigte dem A. S. nach Syrien über nicht näher bekannte Mittelsmänner einen Bargeldbetrag in Höhe von 17.000 € zur weiteren Verwendung für die Vereinigung IS. Hierunter befand sich ein von M. dem S. geschuldeter Geldbetrag von 15.000 €, den M. dem Angeschuldigten zur Begleichung der Schulden übergeben hatte.

b) Der dringende Tatverdacht beruht im Hinblick auf die terroristische Vereinigung IS auf den diesbezüglichen Gutachten islamwissenschaftlicher Sachverständiger und entsprechenden Auswerteberichten des Bundeskriminalamts.

In Bezug auf die dem Angeschuldigten zur Last gelegten Tathandlungen ergibt sich der dringende Tatverdacht im Wesentlichen aus bei der Auswertung zahlreicher Kommunikationsmittel gesicherten Inhalten, unter anderem aus den Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof gegen A. ( 2 BJs 75/17-3) und F. S. ( 2 BJs 1004/18-3) sowie aus diversen Urkunden, Bankkarten, Abrechnungsunterlagen, Kontoauswertungen, Lichtbildern und den Angaben von Zeugen. Soweit es die Verschaffung von Freischaltcodes für Telegram- und Whatsapp-Accounts betrifft (Fälle 1 und 2), hat der Angeschuldigte diese Tätigkeiten als solche eingeräumt; allerdings habe sein Tun der privaten Kontakthaltung zu seinem Lieblingsbruder gedient und nicht der Unterstützung des IS. Gleiches gelte für sein Tätigwerden im Zusammenhang mit der Ausreise der Familienangehörigen des A. S. (Fall 3) unter dem Aspekt der Familienzusammenführung.

Entgegen dem ebenfalls in diese Richtung weisenden generellen Vorbringen in dem Schriftsatz vom 25. August 2020, mit dem der Angeschuldigte den Fortbestand des Haftbefehls angegriffen hat, ist bei vorläufiger Bewertung davon auszugehen, dass er die ihm zur Last gelegten Handlungen nicht ausschließlich aus "Bruderliebe" und in Unkenntnis der konkreten Betätigung des A. S. in Syrien vornahm, sondern die damit - wenn auch möglicherweise nicht vorrangig (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2021 - StB 49/20, juris Rn. 14) - verbundene Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung IS zumindest erkannte und billigte. Hierfür spricht nicht nur das sich auch in seiner Bevollmächtigung widerspiegelnde Vertrauensverhältnis des Angeschuldigten zu seinem Bruder A. S. und dessen Ehefrau, sondern auch die vormalige gemeinsame Tätigkeit beider Brüder in dem salafistisch geprägten Verein DIK Hildesheim.

Wegen der Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände wird im Übrigen auf die eingehenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 23. Juli 2020 und die Anklageschrift vom 13. Januar 2021 nebst Beweismittelliste Bezug genommen.

c) Danach unterstützte der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit in sechs Fällen eine terroristische Vereinigung im Ausland und handelte hierzu in einem Fall (Fall 6) tateinheitlich dem Bereitstellungsverbot der im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Verordnung der Europäischen Gemeinschaften Nr. 881/2002 zuwider, die der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, indem er einer im Anhang dieser Verordnung aufgeführten Organisation Gelder zur Verfügung stellte, strafbar gemäß § 129a Abs. 5 , § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 , §§ 52 , 53 StGB , § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1091/2013 der Kommission vom 4. November 2013 - im Amtsblatt der Europäischen Union L 293 S. 36 veröffentlicht am 5. November 2013.

aa) Eine terroristische Vereinigung unterstützt, wer, ohne selbst Mitglied der Organisation zu sein, deren Tätigkeit und terroristische Bestrebungen direkt oder über eines ihrer Mitglieder fördert. Dabei kann sich die Förderung richten auf die innere Organisation der Vereinigung und deren Zusammenhalt, auf die Erleichterung einzelner von ihr geplanter Straftaten, aber auch allgemein auf die Erhöhung ihrer Aktionsmöglichkeiten oder die Stärkung ihrer kriminellen Zielsetzung. Nicht erforderlich ist, dass der Organisation durch die Tathandlung ein messbarer Nutzen entsteht. Vielmehr genügt es, wenn die Förderungshandlung an sich wirksam ist und der Organisation irgendeinen Vorteil bringt; ob dieser Vorteil genutzt wird und daher etwa eine konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder auch nur eine organisationsbezogene Handlung eines ihrer Mitglieder mitprägt, ist dagegen ohne Belang (BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 134).

Der Angeschuldigte stellte dem IS-Mitglied A. S. Freischaltcodes für Messengerdienste und elektronische Kommunikationsgeräte zur Verfügung und versetzte ihn damit in die Lage, mit anderen IS-Mitgliedern und sonstigen Kontaktpersonen in Syrien zu kommunizieren, Waffengeschäfte und Schleusungen für die Vereinigung abzuwickeln und Nachrichten über das Internet zu verbreiten. Die Möglichkeiten des Zugriffs auf das Internet sowie die Zugriffszeiten sind im Krisengebiet begrenzt. Vor dem Hintergrund, dass Kommunikations- und Internetprovider bestehende Konten schließen, sobald sich Hinweise auf eine Nutzung in Syrien oder im Irak ergeben, sind die IS-Mitglieder vor Ort auf die Bereitstellung entsprechender Medien angewiesen, die keine unmittelbaren Rückschlüsse auf den Nutzer ermöglichen. Das Zurverfügungstellen der Kommunikationsmittel - namentlich mit deutschen Mobilfunkrufnummern verknüpfter und durch den Angeschuldigten eingerichteter Telegram- und WhatsApp-Accounts - erfolgte mithin, um dem IS-Mitglied A. S. in Syrien funktionsfähige Kommunikationswege zu eröffnen und damit die Aktionsmöglichkeiten der terroristischen Vereinigung im Krisengebiet zu erhöhen.

Durch die finanzielle und logistische Unterstützung der Ausreise der beitrittswilligen F. S. leistete der Angeschuldigte einen konkreten Beitrag dazu, dass diese Mitglied der Vereinigung werden konnte, und damit einhergehend zur Vergrößerung des Mitgliederbestands der Vereinigung.

Zudem übermittelte der Angeschuldigte seinem Bruder einen erheblichen Geldbetrag nach Syrien. Hierdurch eröffnete er dem gesondert Verfolgten A. S. die Möglichkeit, Waffen, Kleidung und sonstige Ausrüstungsgegenstände, die dem bewaffneten Kampf der Vereinigung zu Gute kommen, zu erwerben.

bb) Die Übermittlung des Geldes an das IS-Mitglied A. S. (Fall 6) verstößt ferner gegen das Bereitstellungsverbot gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1091/2013 der Kommission vom 4. November 2013 - im Amtsblatt der Europäischen Union L 293 S. 36 veröffentlicht am 5. November 2013. Der IS unterliegt als gelistete Vereinigung diesem Verbot. Er wurde durch Verordnung (EG) Nr. 1840/2004 der Kommission vom 21. Oktober 2004 unter der Bezeichnung seiner Vorgängerorganisation "Jama'at al-Tawhid Wa'al-Jihad", alias JTJ, alias "al-Zarqawi-network" ("Al-Zarqawi-Netzwerk"), alias "al-Tawhid", alias "the Monotheism and Jihad Group" ("Gruppe Einheit Gottes und Heiliger Krieg"), in Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 gelistet. Nach Art. 2 Abs. 2 der genannten Verordnung dürfen den gelisteten Personen und Gruppierungen Gelder weder direkt noch indirekt zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.

cc) Gemäß § 3 StGB ist deutsches Strafrecht anwendbar. Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Unterstützern des IS liegt vor.

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO ). Der ausweislich des Haftbefehls zudem angenommene Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO ) ist demgegenüber mit Rücksicht darauf, dass keine der im Gesetz genannten Katalogtaten betroffen ist, nicht gegeben.

Der dringende Tatverdacht gegen den Angeschuldigten bezieht sich auf die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in sechs Fällen, von denen jeder einzelne im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht ist. Er hat demnach im Fall seiner Verurteilung mit der Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden erheblichen Fluchtanreiz stehen auch unter Berücksichtigung der fluchthemmenden Umstände keine hinreichenden Gründe entgegen. Ob die von dem Angeschuldigten bis zu seiner Inhaftierung ausgeübte selbständige Tätigkeit im Baubereich nach einer Haftentlassung weitergeführt werden kann, erscheint nach den eigenen Angaben des Angeschuldigten derzeit ungewiss. Allerdings ist der Angeschuldigte als Ehemann und Vater von vier Kindern in Deutschland familiär verwurzelt. Dieser Umstand ist für sich genommen jedoch nicht geeignet, ihn von einer Flucht abzuhalten, denn er verfügt über vielfältige Kontakte etwa in den Libanon oder nach Syrien, die ihn in die Lage versetzen, sich einer Strafverfolgung im Inland zu entziehen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass sich der Angeschuldigte, sollte er in Freiheit gelangen, nicht dem Strafverfahren stellen wird.

Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind aus den genannten Gründen nicht erfolgversprechend.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO ) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen.

Die mit der Anklageschrift an das Oberlandesgericht Celle übersandten Ermittlungsakten umfassen nebst Sonderheften und Beiakten mittlerweile über 80 Aktenbände. Gleichwohl hat der Generalstaatsanwalt in Celle die Anklage bereits fünfeinhalb Monate nach der Festnahme des Angeschuldigten fertiggestellt. Während dieses Zeitraums wurden die weiter erforderlichen Ermittlungen geführt. Neben anderem wurden umfangreiche Chat-Protokolle aus den seitens des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof gegen A. ( 2 BJs 75/17-3) und F. S. ( 2 BJs 1004/18-3) geführten Ermittlungsverfahren weiter ausgewertet und die Asservate aus der Durchsuchungsmaßnahme vom 28. Juli 2020, darunter 24 Mobiltelefone und sechs Computer gesichtet; zudem wurden 25 weitere Zeugen vernommen. Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats beim Oberlandesgericht hat die Zustellung der Anklageschrift bereits unter dem 14. Januar 2021 veranlasst und zunächst eine dem Umfang der Sache angemessene Erklärungsfrist von drei Wochen gesetzt.

4. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ).