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BGH - Entscheidung vom 31.03.2021

AK 16/21

Normen:
StGB § 211
StGB § 212
StGB § 89a
StGB § 53
StPO § 121

BGH, Beschluss vom 31.03.2021 - Aktenzeichen AK 16/21

DRsp Nr. 2021/6256

Fortdauer der Untersuchungshaft des wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat inhaftierten Angeklagten

Ist der Angeklagte der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat dringend verdächtig und besteht Fluchtgefahr, rechtfertigt dies die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus, wenn die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen ein Urteil noch nicht zugelassen haben.

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht München übertragen.

Normenkette:

StGB § 211 ; StGB § 212 ; StGB § 89a; StGB § 53 ; StPO § 121 ;

Gründe

I.

Die Angeklagte wurde am 7. September 2020 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Nürnberg vom 26. August 2020 ( 58 Gs 7381/20) festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft, seit dem 29. Oktober 2020 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag ( 3 BGs 680/20).

Gegenstand des nunmehr vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeklagte habe zwischen Anfang Dezember 2019 und dem 7. September 2020 in L. , F. sowie an anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschland durch sechs selbständige Handlungen einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn gerichteten Verbrechens bedroht und durch eine weitere Handlung eine schwere staatsgefährdende Gewalttat, nämlich eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 StGB oder des § 212 StGB , vorbereitet, die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen, indem sie Gegenstände sowie Stoffe sich verschaffte und verwahrte, die zur Herstellung von Brandvorrichtungen wesentlich sind, strafbar gemäß § 89a Abs. 1 , Abs. 2 Nr. 3 , § 241 Abs. 1 , § 53 StGB . Die Angeklagte soll, getragen von ihrer staats- und fremdenfeindlichen Haltung, anonyme Drohschreiben versandt haben, und zwar jeweils zwei an zwei bayerische Kommunalpolitiker sowie jeweils eines an einen Moscheeverein und einen in der Flüchtlingshilfe tätigen Verein. Ferner soll sie Vorbereitungen getroffen haben, unter Verwendung von Brandsätzen Amtsträger als Repräsentanten der von ihr abgelehnten staatlichen Ordnung zu töten.

Der Generalbundesanwalt hat unter dem 15. Januar 2021 Anklage zum Oberlandesgericht München wegen der im Haftbefehl genannten Taten erhoben, allerdings unter abweichender rechtlicher Würdigung, namentlich in Bezug auf eine zusätzlich angenommene Strafbarkeit wegen Waffendelikten und auf die Bewertung der Konkurrenzen. Das Oberlandesgericht hat durch Beschluss vom 22. Februar 2021 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und am 15. März 2021 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Eine Haftprüfung durch den Senat nach den §§ 121 , 122 StPO ist bereits veranlasst. Hierfür ist im Ergebnis nicht entscheidend, dass der zunächst vollzogene Haftbefehl den Vorwurf der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat noch nicht enthalten hat und eine neue Frist für die Haftprüfung beginnt, wenn erst im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordene Tatvorwürfe für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls tragen und deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl ergeht (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 6. April 2017 - AK 14/17, juris Rn. 7 mwN). Denn im Fall zusätzlicher Tatvorwürfe ist der Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen (s. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2019 - AK 34/19, NStZ 2019, 626 Rn. 8, 39 ). Wegen der bereits am Festnahmetag gewonnenen, einen dringenden Tatverdacht begründenden Erkenntnisse ist danach für den Fristbeginn der 8. September 2020 maßgeblich.

2. Die Angeklagte ist der ihr mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Anfang Dezember 2019 versandte die Angeklagte eine Beileidskarte an die Privatanschrift eines bayerischen Landrates. Als individueller Text der am 6. Dezember 2019 dem Adressaten zugegangenen Karte waren dessen Name, sein Geburtsdatum, daneben - ersichtlich an Stelle eines Todesdatums - ein Fragezeichen sowie der Zusatz "Juden- und Ausländerfreund - erschossen auf der Terrasse" seines Hofes, "Wir kriegen euch alle!" enthalten.

bb) Ende Januar 2020 verschickte die Angeklagte an die private Adresse eines bayerischen Bürgermeisters eine am 31. Januar 2020 zugestellte Karte entsprechenden Aufbaus mit dem abschließenden Text "Juden- und Ausländerfreund - Welch passender Straßenname!". Dieser Zusatz spielte auf die Anschrift an, die einen Bezug zu einer Geschosse auffangenden Vorrichtung hat. In dem Umschlag befand sich zudem eine Pistolenpatrone.

cc) Die Angeklagte versandte an den Landrat Anfang März 2020 einen weiteren, am 5. März 2020 ausgelieferten Brief, der eine Gutscheinkarte mit dem Aufdruck "Wunscherfüller - Für Dich - Viel Spaß", den Text "Letzte Warnung!" und ein Gewehrgeschoss enthielt.

dd) An den Bürgermeister richtete die Angeklagte Anfang März eine weitere, am 5. März 2020 eingegangene Sendung mit einer als "Gutschein de Luxe" bezeichneten Karte, die mit den Worten "Letzte Warnung!" beschriftet war und ebenfalls eine Gewehrpatrone enthielt.

ee) Zudem schickte die Angeklagte an eine islamische Gemeinde einen Brief mit einem Pistolengeschoss, dem Text "Ihr werdet niemals sicher sein!" und der Abbildung eines Schweinekopfes. Die am 5. März 2020 am Vereinssitz eingegangene Sendung nahm am selben Tag ein Vereinsmitglied zur Kenntnis.

ff) Schließlich erreichte am 9. März 2020 ein ähnlicher Brief der Angeklagten die Vorsitzende eines in der Flüchtlingshilfe tätigen Vereins. Das Kuvert enthielt neben einer Pistolenpatrone eine Gutscheinkarte mit aufgedrucktem Schweinekopf und der Beschriftung mit einem bestimmten Datum sowie dem Zusatz "Wir sehen uns!". An dem genannten Tag sollte ein vom Verein geplantes und beworbenes Fest stattfinden.

Die jeweiligen Adressaten sahen die Schreiben, wie von der Angeklagten beabsichtigt, als ernsthafte Androhung eines Tötungsdelikts zu ihrem Nachteil an.

gg) Die Angeklagte plante seit dem Frühjahr 2020, Tötungsdelikte durchzuführen. Sie erwarb im Mai 2020 verschiedene Bücher, welche die Fertigung von Sprengvorrichtungen und die Begehung von Anschlägen zum Gegenstand hatten. Entsprechend der in einem der Bücher enthaltenen Anleitungen zur Herstellung von Brandvorrichtungen beschaffte sie sich einen gefüllten Benzinkanister, Zündschnüre, Feuerwerkskörper und weitere Utensilien, die sie am 7. September 2020 ebenso wie eine schusssichere Weste, einen Waffengürtel, einen Schlagring, eine Schleuder und Stahlkugeln in ihrem Pkw lagerte. Sie war fest entschlossen, zeitnah einen Brandsatz herzustellen und diesen bei einem Anschlag einzusetzen, bei dem Amtsträger als Repräsentanten der von ihr abgelehnten freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgewählte Menschen muslimischen Glaubens getötet werden sollten. Zu einer Ausführung kam es wegen der Festnahme der Angeklagten nicht.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich zu den objektiven Vorgängen vor allem aus den sichergestellten Briefen und den im Fahrzeug der Angeklagten aufgefundenen Gegenständen. Dafür, dass die Angeklagte, die sich nicht zur Sache eingelassen hat, die Schreiben verschickte, sprechen die Ermittlungen zu deren Herkunft. Demnach wurden fünf Karten, die den versandten entsprechen, Ende Januar und Anfang März 2020 jeweils in demselben Drogeriemarkt gekauft. Bei der Bezahlung fand eine für die Angeklagte ausgestellte Kundenkarte Verwendung. Ergänzend deuten die Begleitumstände darauf hin, dass die Angeklagte die Tatmittel erwarb und sie versandte. Auf die subjektive Tatseite lässt sich aus dem äußeren Geschehen schließen. Hierzu sind etwa die mehrfachen drohenden Postsendungen, die Zusammenstellung der im Auto aufbewahrten Sachen, durch Zeugenaussagen, elektronische Datenauswertung und Notizzettel belegte Ausforschungsbemühungen in Bezug auf Polizeibeamte, Mandatsträger sowie muslimische Gebetszeiten, das durch regelmäßige Ortswechsel geprägte Untertauchen und die Befassung mit spezifischen terroristischen Themen in den Blick zu nehmen.

Wegen weiterer Einzelheiten zur vorläufigen Bewertung der Beweisergebnisse wird auf den vollzogenen Haftbefehl und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich die Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest hinsichtlich der versandten Schreiben wegen Bedrohung gemäß § 241 Abs. 1 StGB und im Übrigen wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a Abs. 1 , 2 Nr. 3 StGB strafbar gemacht hat. Inwieweit sie darüber hinaus weitere Straftatbestände, insbesondere Waffendelikte (§ 52 WaffG ) sowie Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 StGB ), verwirklichte und wie die Taten konkurrenzrechtlich zu bewerten sind, bedarf für die Frage der Haftfortdauer derzeit keiner Erörterung.

Die von der Angeklagten zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat beschafften und aufbewahrten Gegenstände sind für die Herstellung einer Spreng- oder Brandvorrichtung wesentlich im Sinne des § 89a Abs. 2 Nr. 1 , 3 StGB (s. zu den Voraussetzungen BGH, Urteil vom 12. November 2020 - 3 StR 31/20, juris Rn. 9 ff.). Die Angeklagte war zu einer solchen Gewalttat nach vorläufiger Bewertung der Beweislage fest entschlossen. Hierfür reicht es aus, wenn der Entschluss zur Tatbegehung als solcher - zum "Ob" der Verwirklichung - gefasst ist. Die konkrete Art der Ausführung, Zeit und Ort sowie potentielle Opfer müssen noch nicht festgelegt sein (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - 3 StR 243/13, BGHSt 59, 218 Rn. 41, 45 ; Beschlüsse vom 6. April 2017 - 3 StR 326/16, BGHSt 62, 102 Rn. 13; vom 22. August 2019 - StB 17/18, juris Rn. 34).

Die in Aussicht genommene Tötung anderer Menschen war nach den Umständen bestimmt und geeignet, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Die vorbereitete Tat entsprang der Feindschaft der Angeklagten gegen das freiheitlich-demokratische Staats- und Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland sowie der Ablehnung deren Migrationspolitik; die Angeklagte wählte ihre potentiellen Opfer nur deshalb aus, weil sie die von ihr angefeindete Ordnung als Amtsträger oder in sonstiger Weise repräsentierten (s. BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - 3 StR 243/13, BGHSt 59, 218 Rn. 39; Beschluss vom 22. August 2019 - StB 17/18, juris Rn. 35).

3. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls ergeben sich, wie in diesem insgesamt zutreffend dargelegt, aus § 169 Abs. 1 StPO , § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 74a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 , § 142a Abs. 1 Satz 1 und 2 GVG .

Die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat durch die Angeklagte hat nach einer Gesamtwürdigung der Umstände und Auswirkungen der Tat unter besonderer Berücksichtigung des Gewichts des geplanten Angriffs auf das betroffene Rechtsgut des Gesamtstaats eine besondere Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 aE GVG (s. zum Maßstab BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238 , 253 f.; Beschlüsse vom 22. August 2019 - StB 21/19, juris Rn. 40 f.; vom 24. November 2009 - 3 StR 327/09, BGHR GVG § 120 Abs. 2 Nr. 3a Sicherheit 4 aE).

Die danach eröffnete Zuständigkeit gilt ebenso für die Bedrohungsdelikte; denn diese stehen mit dem die Bundeszuständigkeit begründenden Vorwurf des § 89a StGB in einem derart engen persönlichen und deliktsspezifisch-sachlichen Zusammenhang, dass eine getrennte Verfolgung und Aburteilung auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern als in hohem Maße sachwidrig erschiene (vgl. allgemein BGH, Beschlüsse vom 26. November 2020 - AK 36/20, juris Rn. 22; vom 20. September 2012 - 3 StR 314/12, juris Rn. 20; vom 13. Januar 2009 - AK 20/08, BGHSt 53, 128 Rn. 39 f.).

4. Es ist der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Es ist wahrscheinlicher, dass sich die Angeklagte - sollte sie auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen als sich ihm stellen wird. So hat sie ihre Wohnung aufgegeben, nachdem ihr im August 2020 ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf molekulargenetische Untersuchung mitgeteilt worden war. Im Folgenden hat sie sich an verschiedenen Orten verborgen gehalten und am 6. September 2020 unter Angabe falscher Personalien ein Hotelzimmer bezogen. Der danach hinzugekommene, gegenüber der damaligen Sachlage deutlich erheblichere Tatvorwurf der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat führt, unabhängig vom Vorliegen weiterer Delikte, zu einem gesteigerten Fluchtanreiz. Besondere Gesichtspunkte, die diesem entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Solche haben die Angeklagte insbesondere nicht davon abgehalten unterzutauchen.

Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden.

5. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO ) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Der Vorwurf der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat hat sich erst am Tag der Festnahme ergeben und im Folgenden weiterer Aufklärung bedurft. Insbesondere sind sichergestellte Schriftstücke und Datenträger auszuwerten gewesen. Der Aktenumfang beläuft sich, neben mehreren Beiakten, auf 19 Ordner. Der Generalbundesanwalt hat im Januar 2021 Anklage erhoben und der Vorsitzende des mit der Sache befassten Senats des Oberlandesgerichts mit Übermittlung der Anklageschrift eine - angesichts der konkreten Sachlage nicht unangemessen lange - Erklärungsfrist von sechs Wochen bestimmt. Das Oberlandesgericht hat zeitnah nach deren Ablauf das Hauptverfahren eröffnet und Termine zur Hauptverhandlung ab dem 29. April 2021 - regelmäßig zwei pro Woche - bestimmt.

6. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Angeklagten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ).