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BGH - Entscheidung vom 03.02.2021

6 BGs 4/21

Normen:
StGB § 129a Abs. 1
StGB § 129b Abs. 1
StPO § 101 Abs. 5 S. 1

BGH, Beschluss vom 03.02.2021 - Aktenzeichen 6 BGs 4/21

DRsp Nr. 2021/13648

Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung im Ausland; Gefährdung des Untersuchungszwecks durch die Benachrichtigung des Beschuldigten von einer gegen ihn durchgeführten verdeckten Maßnahme

1. Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks ist ab dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt nach Beendigung der verdeckt geführten Ermittlungsmaßnahme so lange gegeben, wie die begründete Erwartung besteht, dass durch die verdeckte Ermittlungsführung weitere beweiserhebliche Erkenntnisse gewonnen werden können.2. Bei der Zurückstellung der Benachrichtigung wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks gewinnen die Belange des Betroffenen mit zunehmender Dauer der Zurückstellung an Gewicht.

Tenor

Der Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 18. Januar 2021 auf weitere Zurückstellung der Benachrichtigung nach Art. 101 Abs. 6 Satz 1 StPO wird abgelehnt.

Normenkette:

StGB § 129a Abs. 1 ; StGB § 129b Abs. 1 ; StPO § 101 Abs. 5 S. 1;

Gründe

I.

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB .

1. Mit Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 6 BGs 157/16 – war die Ausschreibung des Beschuldigten nach § 163e StPO angeordnet worden. Der Beschuldigte war aufgrund dessen in der Zeit vom 14. Oktober 2016 bis zum 13. Oktober 2017 in den polizeilichen Datensystemen INPOL und SIS zur Beobachtung ausgeschrieben. Die Maßnahme führte zu der einzigen Feststellung, dass der Beschuldigte am ... als Insasse eines Pkw durch Polizeikräfte kontrolliert worden war und sich dabei in Begleitung des Fahrzeugführers und -halters befand.

2. Benachrichtigungen der Betroffenen gemäß § 101 Abs. 5 Satz 1 StPO erfolgten bislang nicht. Sie wurden nach Ablauf des 13. Oktober 2017 durch den Generalbundesanwalt wegen einer möglichen Gefährdung des Untersuchungserfolgs einstweilen zurückgestellt, um zunächst die in einem gesondert geführten Ermittlungsverfahren gegen A. sichergestellten Erkenntnisse auszuwerten (vgl. SA „Verdeckte Ermittlungsmaßnahme“, Bl. 98).

3. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft stimmte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 18. Oktober 2018 – 6 BGs 292/18 – einer weiteren Zurückstellung der Benachrichtigung der Betroffenen zu und bestimmte deren Dauer zunächst auf ein weiteres Jahr, weil die Auswertung der „Inhalte der Datenträger, die in der gesonderten Strafsache 2 StE gegen A. sichergestellt werden konnten, im Hinblick auf Hinweise auf die Einbindung des Beschuldigten K. in die ..." noch nicht abgeschlossen gewesen sei (dieser Beschluss ist nicht Gegenstand der vorgelegten SA „Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen“; aus dem hier vorliegenden Retent ist indes ersichtlich, dass er ergangen ist).

4. Auf Antrag des Generalbundesanwalts vom 17. Oktober 2019 wurde mit Beschluss vom 18. Oktober 2019 – 6 BGs 101/19 – der Zurückstellung gerichtlich um ein weiteres Jahr zugestimmt (SA „Verdeckte Ermittlungsmaßnahme“, Bl. 110 ff.), weil „insbesondere die Auswertung der – äußerst umfangreichen – Inhalte der Datenträger, die in der gesonderten Strafsache 2 StE gegen A. sichergestellt werden konnten, im Hinblick auf Hinweise auf die Einbindung des Beschuldigten K. in die ... noch nicht abgeschlossen“ gewesen sei.

5. Am 15. Oktober 2020 beantragte der Generalbundesanwalt eine Zurückstellung um ein weiteres Jahr. Hierzu führte er in der Antragsschrift aus:

„Zwar liegt inzwischen das Ergebnis der Auswertung der Inhalte der in der gesonderten Strafsache 2 StE gegen A. sichergestellten Datenträger vor, das den Tatverdacht gegen den Beschuldigten K. zusätzlich erhärtet hat; insoweit verweise ich auf den Vermerk des Bundeskriminalamts vom 24. September 2020 (Bl. 117-120 d. SA-SBd.).

Indes ist noch eine Auswertung der im gesonderten Ermittlungsverfahren 2 BJs gegen A. sichergestellten Datenträger im Hinblick auf Hinweise auf die Einbindung des Beschuldigten K. in die Strukturen der ... vorzunehmen. A. ist verdächtig, sich spätestens seit ... 2016 zumindest bis ... 2017 schwerpunktmäßig in ... als ... betätigt zu haben (Bl. 121-136 d. SA-SBd.). Es steht zu erwarten, dass die A. sichergestellten Datenträger auch Bezüge zu dem Beschuldigten K. enthalten. Insoweit wird ebenfalls ergänzend auf den Vermerk des Bundeskriminalamts vom 24. September 2020 Bezug genommen (Bl. 117-120 d. SA-SBd.).“

Mit Beschluss vom 20. Oktober 2020 – 6 BGs 112/20 – wurde einer weiteren Zurückstellung bis zum 15. Januar 2021 zugestimmt; der weiter gehende Antrag wurde zurückgewiesen und hierzu in der Beschlussbegründung – ebenso wie zuvor in anderen wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der ... (vgl. nur Beschluss vom 6. Oktober 2020 – 6 BGs 106/20) oder der ... (vgl. nur Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 6 BGS 123/20) geführten Verfahren – auf Folgendes hingewiesen:

„b) Tragfähige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Untersuchungszwecks durch die Benachrichtigung des Beschuldigten von einer gegen ihn durchgeführten verdeckten Maßnahme können auch in Erkenntnissen eines anderen Ermittlungsverfahrens erblickt werden. Ist dort die Auswertung der Erkenntnisse noch nicht abgeschlossen und belegt die bisherige Verdachtslage die – über bloße Vermutungen hinausgehende – Annahme, dass zwischen den Beteiligten zur Tatzeit etwa persönliche Beziehungen bestanden, namentlich ein Nachrichtenaustausch auch über Nachrichtenmittler erfolgte, kann dies eine vorläufige weitere Zurückstellung zum Schutze des Untersuchungszwecks gebieten.

Stützt die Staatsanwaltschaft ihren Antrag auf solche Erkenntnisse aus einem Bezugsverfahren, ist der schlichte Hinweis auf noch ausstehende Auswertungen allerdings unzureichend. Erforderlich ist eine substantiierte, tatsachengestützte Darlegung der Gefährdung des Untersuchungszwecks anhand der konkreten Erkenntnis- und Verdachtslage sowie die Vorlage der vollständigen Ermittlungsakten, auch des in Bezug genommenen Verfahrens, um eine eigenverantwortliche gerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Die Verfahrensakten haben insbesondere zu dokumentieren, dass auch die Auswertung der Erkenntnisse im Bezugsverfahren mit der in jedem Strafverfahren stets gebotenen Zügigkeit betrieben worden ist. Denn mit zunehmender Dauer der Zurückstellung gewinnen die Belange des Betroffenen an Gewicht; der Gesetzgeber hat bewusst keinen festen Zeitpunkt für die Unterrichtung bestimmt, fordert stattdessen aber eine Abwägung zwischen den genannten Belangen und den Rechtsschutzinteressen des Betroffenen (LR/Hauck, 27. Aufl., § 101 Rn. 37; KMR/v. HeintschelHeinegg/Bockemühl, 87. Lfg., § 101 Rn. 27). Bei unvertretbarer Verzögerung oder fehlender Nachprüfbarkeit anhand der Aktendokumentation können diese Belage je nach Lage des Falles gar das Abwägungsergebnis bestimmen.

2. Gemessen hieran liegen die Voraussetzungen einer weiteren Zurückstellung noch vor. Die Auswertung der verdeckt geführten Ermittlungsmaßnahmen im vorliegenden Verfahren ist hier zwar abgeschlossen. Es besteht derzeit jedenfalls für den in der Beschlussformel benannten Zeitraum aber eine Gefährdung des Untersuchungszwecks mit Blick auf ausstehende Ermittlungen in dem vom Generalbundesanwalt benannten Ermittlungsverfahren gegen A. . Soweit eine längere Zurückstellung beantragt wurde, war dem nicht zuzustimmen. Es ist schlicht nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die – soweit ersichtlich – im Jahre 2017 sichergestellten und zumindest bereits gesichteten Datenträger (vgl. Vermerk des Generalbundesanwalts vom 17. Oktober 2019, S. 5) nicht innerhalb von drei Jahren bereits abgeschlossen worden ist. Den vom Bundeskriminalamt im Vermerk vom 24. September 2020 weitergehend – freilich pauschal – in Bezug genommenen anderen Ermittlungsverfahren hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift für die Prüfung der Gefährdung des Untersuchungszwecks erkennbar keine Bedeutung beigemessen.“

6. Unter dem 18. Januar 2021 beantragte der Generalbundesanwalt die Zurückstellung um ein weiteres Jahr und führte zur Begründung nunmehr aus:

„Bei einer Benachrichtigung des Beschuldigten K. über die Maßnahme und der damit verbundenen Information über die Existenz des Verfahrens wäre zum jetzigen Zeitpunkt der Erfolg etwaiger künftiger Ermittlungshandlungen – wie z.B. Telekommunikationsüberwachungen, längerfristiger Observationen oder einer möglichen Durchsuchung der Wohn- und Nebenräume des Beschuldigten oder seiner Person – gefährdet oder gar vereitelt.

Für P. sind ausweislich des Vermerks des Bundeskriminalamts vom 15. Januar 2021 (Bl. 155-160 d. SA-SBd) aus der Vergangenheit wiederholt Kontakte zu rechtskräftig verurteilten ...-Mitgliedern und weiteren Personen, hinsichtlich denen konkrete Hinweise auf eine Zugehörigkeit oder zumindest ein Näheverhältnis zur Organisation vorliegen, bekannt. Überdies ist bekannt, dass die... extrem klandestin agiert ...; in diesem Zusammenhang konnte bereits beobachtet werden, dass Benachrichtigungen gemäß § 101 StPO von Personen im Umfeld der ... an den Beschuldigtenkreis und die Organisation weitergegeben wurden. Daher steht zu besorgen, dass auch P. bei einer an ihn gerichteten Benachrichtigung gemäß § 101 StPO den Beschuldigten K. direkt oder über eine Informationsweitergabe an andere Vereinigungsmitglieder von der Existenz des Verfahrens unterrichten und somit warnen könnte.

Schon vor diesem Hintergrund ist die weitere Zurückstellung – ungeachtet des Umstandes, dass im Verfahrenskomplex ... aktuell weitere, noch verdeckt geführte Personenverfahren gegen die gesondert Verfolgten A. (2 BJs ), B. (2 BJs ), C. (2 BJs ) und andere Personen anhängig sind, die im unmittelbaren Sachzusammenhang mit den vorliegenden Verfahren stehen und im Falle einer Benachrichtigung möglicherweise offengelegt werden müssten, weshalb auch insoweit eine – Gefährdung des Untersuchungszwecks zu besorgen stünde – auch im Lichte der durch § 101 Abs. 5 StPO geschützten rechtlichen Interessen der Betroffenen K. und P. gerechtfertigt.“

Seinem Antrag schloss der Generalbundesanwalt einen Stehordner „Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen“ sowie fünf Stehordner bei, die eine Ablichtung der Einleitungsverfügung des Generalbundesanwalts aus dem Jahre 2016 und eine solche des dieser damals zugrundegelegten Vermerks des Bundeskriminalamts mit Fußnotenhinweisen enthalten. In dem Stehordner „Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen“ waren auch enthalten zwei Vermerke des Bundeskriminalamts vom 1. Dezember 2020 bzw. vom 15. Januar 2021, in denen die etwa in dem Verfahren gegen A. erlangten – hier indes nicht beigeschlossenen – Erkenntnisse mit Blick auf den Beschuldigten bewertet wurden; Fußnotenhinweise in dem Vermerk nehmen wiederum Bezug auf die Ermittlungsakte, die dem Antrag nicht beigeschlossen worden war.

II.

Die Voraussetzungen für eine nochmalige Zurückstellung der Benachrichtigung liegen nicht erkennbar vor (§ 101 Abs. 6 Satz 1 StPO ). Die vom Generalbundesanwalt geltend gemachte Gefährdung des Untersuchungszwecks nach § 101 Abs. 5 Satz 1 StPO ist – auch eingedenk eines insoweit bestehenden Beurteilungsspielraums – nicht in einer Weise dargetan, welche die hier durch den Antrag erwirkte eigenverantwortliche gerichtliche Zustimmungsentscheidung erfordert.

1. Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks (§ 101 Abs. 5 StPO ) ist ab dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt nach Beendigung der verdeckt geführten Ermittlungsmaßnahme (vgl. BT-Drucks 16/5846, S. 61) so lange gegeben, wie die begründete Erwartung besteht, dass durch die verdeckte Ermittlungsführung weitere beweiserhebliche Erkenntnisse gewonnen werden können.

a) Werden in demselben Ermittlungsverfahren mehrere verdeckte Untersuchungshandlungen nach § 101 Abs. 1 StPO parallel oder sukzessive durchgeführt, so kann auch nach Beendigung einer Maßnahme deren Bekanntgabe zunächst unterbleiben, weil eine entsprechende Mitteilung die weitere Erforschung des Sachverhalts im Hinblick auf eine andere, noch verdeckt geführte Maßnahme gefährden könnte (§ 101 Abs. 6 Satz 4 StPO ; vgl. MüKo-StPO/Günther, § 101 Rn. 56 mwN.; KMR/Bär, 99. Lfg., § 101 Rn. 27).

b) Tragfähige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Untersuchungszwecks durch die Benachrichtigung des Beschuldigten von einer gegen ihn durchgeführten verdeckten Maßnahme können auch in Erkenntnissen eines anderen Ermittlungsverfahrens erblickt werden. Ist dort die Auswertung der Erkenntnisse noch nicht abgeschlossen und belegt die bisherige Verdachtslage die – über bloße Vermutungen hinausgehende – Annahme, dass zwischen den Beteiligten zur Tatzeit etwa persönliche Beziehungen bestanden, namentlich ein Nachrichtenaustausch auch über Nachrichtenmittler erfolgte, kann dies eine vorläufige weitere Zurückstellung zum Schutze des Untersuchungszwecks gebieten. Stützt die Staatsanwaltschaft ihren Antrag auf solche Erkenntnisse aus einem Bezugsverfahren, ist der schlichte Hinweis auf noch ausstehende Auswertungen allerdings unzureichend. Erforderlich ist eine substantiierte, tatsachengestützte Darlegung der Gefährdung des Untersuchungszwecks anhand der konkreten Erkenntnis- und Verdachtslage sowie die Vorlage der vollständigen Ermittlungsakten, auch des in Bezug genommenen Verfahrens, um eine eigenverantwortliche gerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen.

c) Der Gesetzgeber hat bewusst keinen noch näheren Zeitpunkt für die Unterrichtung bestimmt, fordert stattdessen aber eine Abwägung zwischen den genannten Belangen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege einerseits und den Rechtsschutzinteressen des Betroffenen anderseits (LR/Hauck, 27. Aufl., § 101 Rn. 37; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 63. Aufl. § 101 Rn. 19). Dabei kommt der in Zeitabständen wiederkehrenden eigenverantwortlichen und nicht auf eine Plausibilitätsprüfung, etwa anhand eines Aktenvermerks nach § 101 Abs. 5 Satz 2 StPO , beschränkten gerichtlichen Kontrolle die Bedeutung zu, die Zurückstellung der an sich zu veranlassenden Benachrichtigung in zeitlicher Hinsicht auf das „unbedingt Erforderliche“ zu begrenzen (BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 – 2 BvR 236, 237, 422/08, BVerfGE 129, 208 , 257; BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98, 1084/99, BVerfGE 109, 279 , 364 ff.; LR/Hauck, a.a.O., 38).

aa) Von Bedeutung für die gebotene Abwägung zwischen den Belangen einer effektiven Strafverfolgung und den Rechtsschutzinteressen der Betroffenen ist zum einen, ob mit der noch nicht bekannt gewordenen Maßnahme beweiserhebliche Erkenntnisse erlangt werden könnten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 63. Aufl., § 101 Rn. 19; LR/Hauck, a.a.O., Rn. 39; SK-StPO/Wolter/Jäger, 5. Aufl., § 101 Rn. 29), etwa durch an die Auswertung zeitlich und inhaltlich anschließenden Folgemaßnahmen.

bb) In die gebotene Abwägung ist zum anderen die Art und Weise der Verfahrensführung einzustellen.

(1) Nach Abschluss sämtlicher verdeckt geführter Maßnahmen sind die gewonnenen Beweismittel – dem strafprozessualen Zügigkeitsgebot entsprechend – zeitnah auszuwerten, um auf dieser Grundlage die Entscheidung zu ermöglichen, ob weitere Folgemaßnahmen eingedenk dessen erforderlich sind.

(2) Wird dem Ermittlungsverfahren zeitweise oder gar längerfristig ohne einen durch die Verfahrensakten dokumentierten Sachgrund nicht der notwendige zügige Fortgang eingegeben, ist auch dieser Aspekt zu bewerten. Zwar bringt ein Antrag auf Zurückstellung durch die Staatsanwaltschaft regelmäßig zum Ausdruck, dass das Verfahren weiter gefördert werden soll. Ein gleichwohl durch die Verfahrensakten belegter sachgrundloser längerer Verfahrensstillstand kann aber auf ein im Einzelfall nur noch sehr begrenztes Strafverfolgungsinteresse schließen lassen. Anhaltspunkte für die Verfahrensführung geben etwa Aktenvermerke über Art und Umfang erfolgter Auswertungsarbeiten.

(3) Überdies gewinnen die Belange des Betroffenen mit zunehmender Dauer der Zurückstellung an Gewicht. Denn für die Strafverfolgungsbehörden besteht – im Rahmen strafprozessualer Verwendungsregelungen – für die Dauer der Zurückstellung die Möglichkeit, die mit der Ermittlungsmaßnahme erhobenen Daten – ohne Kenntnis des Betroffenen – noch weiterer, auch verfahrensübergreifender Auswertung und Verwendung zuzuführen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 1999 – 1 BvR 2226/94, 2420, 2437/95, BVerfGE 100, 313 , 398). Schon vor diesem Hintergrund erwiese sich die gegenteilige Annahme, das Benachrichtigungsinteresse nehme mit der Dauer des Verfahrens ab und sei am größten unmittelbar im Nachgang zur staatlichen Datenerhebung, als Fehlschluss. Diese Annahme wäre überdies unvereinbar mit dem normativen Gewicht des rechtlich geschützten Anspruchs eines Grundrechtsträgers auf spätere Kenntnisnahme von staatlichen Ermittlungsmaßnahmen, die in seine Rechtsposition eingreifen oder eingegriffen haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98, 1084/99, BVerfGE 109, 279 , 367). Jede Zurückstellung der Benachrichtigung verzögert nämlich die Rechtsschutzmöglichkeiten der – vor Erlass der ermittlungsrichterlichen Anordnung nicht angehörten (§ 33 Abs. 4 StPO ) – Betroffenen. Denn ohne eine Kenntnis von der Ermittlungsmaßnahme können diese weder die Unrechtmäßigkeit der Informationsgewinnung noch etwaige Rechte auf Löschung der Aufzeichnungen geltend machen (Art. 19 Abs. 4 GG ). Schließlich nimmt mit zunehmendem zeitlichen Abstand zu der angeordneten Maßnahme die Effektivität des Rechtsschutzes ab (vgl. BVerfGE, a.a.O., S. 364). Vor diesem Hintergrund erweist sich jede „Eingrenzung der Mitteilungspflicht“ als weiterer Eingriff in die durch die bislang verdeckte geführte Ermittlungsmaße betroffenen Rechtsgüter (vgl. BVerfGE, a.a.O., S. 364).

d) Die Zurückstellung der Benachrichtigung wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks hat schließlich auch den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit zu genügen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98, 1084/99, BVerfGE 109, 279 , 364 ff.). Hier ist neben der Dauer der Zurückstellung, der Verfahrenskomplexität und den Bemühungen um einen zügigen Verfahrensabschluss auch die Art und Tiefe erfolgter Eingriffe in Rechtspositionen des Betroffenen einzustellen.

2. Gemessen an diesen rechtlichen Maßgaben liegen derzeit keine anhand der Verfahrensakten gerichtlich eigenverantwortlich nachprüfbaren Tatsachen vor, die die Voraussetzungen einer weiteren Zurückstellung tragen.

a) Die Ermittlungsakten wurden – trotz wiederholter gerichtlicher Hinweise gerade auch in vergleichbaren Konstellationen (vgl. nur Beschlüsse vom 6. Oktober 2020 – 6 BGs 106/20 – und vom 7. Dezember 2020 – 6 BGS 123/20) – dem Vorgang nicht beigeschlossen. Die Gefährdung des Untersuchungszwecks ist auch nicht derart evident, dass hierauf ausnahmsweise verzichtet werden konnte. Die Ermittlungsmaßnahme lief bereits im Oktober 2017 aus. Die Vorlage von Einleitungsverfügung und des dieser zugrunde liegenden polizeilichen Vermerks ist erkennbar ungeeignet, eine den vorstehenden Maßgaben verpflichtete gerichtliche Überprüfung, namentlich die gebotene Abwägungsentscheidung, zu ermöglichen. Dies gilt gleichermaßen für die beiden vorgelegten, polizeiliche Bewertungen zusammenfassenden Vermerke des Bundeskriminalamts (vgl. SA „Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen“, Bl. 149 ff.).

b) Ob die vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof angedeutete, allerdings weder näher ausgeführte, noch durch Ermittlungsakten belegte Gefährdung des Untersuchungszwecks auch durch Bezüge („unmittelbarer Sachzusammenhang“) zu gesonderten Ermittlungsverfahren, insbesondere gegen B. (2 BJs ) und C. (2 BJs ), besteht, ist ebenfalls hier derzeit nicht nachvollziehbar (vgl. bereits Beschluss vom 7. Dezember 2021 – 6 BGs 123/20).

Wenske

Richter am Bundesgerichtshof