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BGH - Entscheidung vom 23.03.2021

1 StR 52/21

Normen:
StGB § 213 Alt. 2

Fundstellen:
NStZ 2022, 479
StV 2022, 311

BGH, Beschluss vom 23.03.2021 - Aktenzeichen 1 StR 52/21

DRsp Nr. 2021/8068

Erfolgreiche Revision gegen den Rechtsfolgenausspruch bei Beurteilung des Vorliegens eines minder schweren Falles des Totschlags

Hat das Gericht rechtsfehlerhaft das Vorliegen eines minder schweren Falles des Totschlags nach § 213 Alt. 2 StGB verneint und infolge dessen angenommen, dass ein minder schwerer Fall nur unter zusätzlicher Heranziehung des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB vorliege, hat es sich rechtsfehlerhaft die Möglichkeit verstellt, den Strafrahmen ein weiteres Mal nach § 21 , § 49 Abs. 1 StGB zu mildern.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 10. November 2020 aufgehoben

a)

im Strafausspruch und

b)

im Ausspruch über die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit den zugehörigen Feststellungen.

2.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 213 Alt. 2;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt; von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen.

I.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen führten der Angeklagte und seine Ehefrau, K. , eine ambivalente, einerseits von Zuneigung und regelmäßigen sexuellen Kontakten, andererseits aber von heftigen verbalen und teilweise auch körperlichen Auseinandersetzungen geprägte Beziehung. Insbesondere die starke Eifersucht der inzwischen verstorbenen Ehefrau des Angeklagten war Anlass für diese Streitigkeiten und Grund für eine starke psychische Belastung sowie eine zunehmende Alkoholabhängigkeitserkrankung des Angeklagten, die öfters zu aggressivem Verhalten des Angeklagten und zu Tätlichkeiten (Ohrfeigen und Schubsen) bei den ehelichen Auseinandersetzungen führte. Im Rahmen einer stationären psychiatrischen Behandlung im Jahr 2019 wurden beim Angeklagten eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik (ICD-10 F 43.2), psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol nebst Abhängigkeitssyndrom (ICD-10 F 10.2) sowie durch Alkohol mit Entzugssyndrom (ICD-10 F 10.3) festgestellt. Trotz einer bei diesem stationären Aufenthalt absolvierten Entgiftung, einer anschließend von April bis Ende Juli 2019 durchgeführten stationären Entwöhnungsbehandlung und seiner durchgehend vorhandenen Therapiemotivation steigerte der Angeklagte nach seiner Entlassung nach nur kurzer Zeit der Abstinenz seinen Alkoholkonsum unter dem Druck der Streitigkeiten mit seiner Ehefrau und der hierdurch zunehmenden Frustration weiter. Im September 2019 trennten sich die Eheleute vorübergehend, wobei der Angeklagte – anders als seine verstorbene Ehefrau – den Kontakt mit den inzwischen wegen der Gefahr der Verwahrlosung aus der Familie genommenen und in einer Pflegefamilie untergebrachten gemeinsamen Kindern aufrechterhielt. Bis

Am frühen Abend des 8. März 2020 besuchten der Angeklagte und seine Ehefrau gemeinsam ein Restaurant. Nach Rückkehr in das Hotelzimmer des Angeklagten legte sich der Angeklagte, der insgesamt mindestens fünf bis sechs Bier und zwei Schnäpse konsumiert hatte, auf eines der Betten und versuchte zu schlafen. Es entwickelte sich ein Streit, in dessen Rahmen K. dem Angeklagten hartnäckig vorwarf, fremdzugehen. Der Angeklagte, der seinen letzten Arbeitsplatz infolge einer Trunkenheitsfahrt verloren und erst kürzlich eine neue Arbeitsstelle angetreten hatte und dort am nächsten Morgen nicht alkoholbedingt auffallen wollte, bat seine Ehefrau im Rahmen des Streits mehrfach vergeblich, ihn in Ruhe zu lassen oder zu gehen. Nachdem K. trotz dieser wiederholten Bitten nicht von ihm abließ, entschloss sich der Angeklagte, um sich den Vorhaltungen und Anschuldigungen seiner Ehefrau zu entziehen, vor dem Gebäude eine Zigarette zu rauchen. Er stand zwischen 20.20 Uhr und 20.30 Uhr von seinem Bett auf, ging in Richtung der Zimmertür und zog sich etwas an, während seine Ehefrau ihm weiterhin vorwarf, er wolle sie loswerden. Beim Anziehen erblickte der Angeklagte auf einem Tisch ein Küchenmesser mit einer einseitig scharf geschliffenen Klinge (Klingenlänge ca. 20 cm und Klingenbreite 2,5 cm). Er fasste spontan den Entschluss, seine Ehefrau mit diesem Messer anzugreifen, um sie zum Schweigen zu bringen. Er ergriff das Messer mit seiner rechten Hand und ging schnell ca. zwei Meter auf seine Ehefrau zu. Als er

Die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht der Tat einzusehen, war trotz seiner Alkoholisierung (Blutalkoholkonzentration von 1,9 Promille um 22.24 Uhr) nicht beeinträchtigt; infolge einer akuten Belastungsreaktion war indes seine Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, nicht ausschließbar im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert.

II.

Der Schuldspruch hat Bestand; insbesondere ist er von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen. Der Rechtsfolgenausspruch hält indes revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Der Strafausspruch erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft und unterliegt daher der Aufhebung, weil das Landgericht das Vorliegen eines minder schweren Falles des Totschlags gemäß § 213 2. Alternative StGB allein aufgrund der allgemeinen Strafzumessungskriterien nicht tragfähig verneint hat.

Die Berücksichtigung dieses – einzigen als straferschwerend gewerteten – Umstands begegnet schon deshalb durchgreifenden Bedenken, weil es dem Angeklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er in der Hoffnung, seine Ehe und Familie retten zu können, die Annäherung zu seiner Ehefrau suchte und zuließ, obwohl er aufgrund der Persönlichkeit seiner Ehefrau und den hieraus resultierenden Problemen mit weiteren massiven psychischen Belastungen und sogar körperlichen Auseinandersetzungen rechnen musste. Dass der Angeklagte versuchen wollte, seine Ehe zu retten und mit seiner Ehefrau trotz

Indem das Landgericht das Vorliegen eines minder schweren Falles des Totschlags nach § 213 2. Alternative StGB aufgrund der allgemeinen Strafzumessungskriterien allein mit dem vorgenannten Argument verneint und infolge dessen angenommen hat, dass ein minder schwerer Fall nur unter zusätzlicher Heranziehung des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB vorliege, hat es sich rechtsfehlerhaft die Möglichkeit verstellt, den Strafrahmen ein weiteres Mal nach § 21 , § 49 Abs. 1 StGB zu mildern (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. März 2019 – 2 StR 17/19 Rn. 3 und vom 11. Februar 2015 – 1 StR 629/14 Rn. 9, jeweils mwN).

b) Ungeachtet des daher schon nicht rechtsfehlerfrei gewählten Strafrahmens erschließt sich im Übrigen nicht, warum das Landgericht aufgrund des unter Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB angewandten Strafrahmens des § 213 StGB von einem bis zu zehn Jahren trotz der zahlreichen

c) Da es sich bei dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler um einen reinen Wertungsfehler handelt, haben die dem Strafausspruch zugrunde liegenden Feststellungen Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO ).

2. Der Ausspruch über die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) hält ebenfalls der auf die Sachrüge gebotenen sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Bereits die Ablehnung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem beim Angeklagten festgestellten Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und der Tat begegnet durchgreifenden Bedenken. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Alkoholerkrankung des Angeklagten mitursächlich für dessen Aggressivität und den gelegentlichen (geringfügigeren) Tätlichkeiten im Rahmen von eifersuchtsbedingten Konflikten zwischen den Eheleuten. Zudem wollte sich der Angeklagte dem aufdringlichen Verhalten seiner Ehefrau am Tatabend nach den getroffenen Feststellungen gerade deshalb entziehen, weil er besorgt war, dass er am folgenden Morgen bei der neuen Arbeitsstelle „alkoholbedingt auffallen“ könnte. Auch in Anbetracht des Umstands, dass es sich bei der Tat um eine Beziehungstat aus einer besonderen Konfliktlage heraus gehandelt hat, hätte es im Übrigen einer substantielleren Erörterung bedurft, warum die nicht unerhebliche Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit für die Tatbegehung nicht einmal mitursächlich gewesen ist.

Die Feststellungen zum Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs und einer hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten sind von den zur Aufhebung führenden Rechtsfehlern betroffen und haben daher keinen Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO ). Das neue Tatgericht wird insoweit – naheliegenderweise unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen – neue Feststellungen zu treffen haben.

Vorinstanz: LG Kempten, vom 10.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 250 Js 4857/20
Fundstellen
NStZ 2022, 479
StV 2022, 311