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BGH - Entscheidung vom 12.05.2021

5 StR 120/20

Normen:
StGB § 56 Abs. 1
StGB § 56 Abs. 2

BGH, Urteil vom 12.05.2021 - Aktenzeichen 5 StR 120/20

DRsp Nr. 2021/9286

Erfolglose Revision der Staatsanwaltschaft wegen Rechtsfehlern in der Einzel- und Gesamtstrafenzumessung

1. Das Tatgericht muss in seinem Urteil in einer der revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Weise die dafür maßgebenden Gründe mitteilen.2. Im Hinblick auf eine Strafaussetzung zur Bewährung muss die erforderliche Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit umso gewichtigere strafmildernde Gesichtspunkte aufzeigen, je näher sie an der Zweijahresgrenze liegt.

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 13. September 2019 aufgehoben, soweit die Vollstreckung der gegen den Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 56 Abs. 1 ; StGB § 56 Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten − nach einer Verständigung − wegen Betruges in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt allein hinsichtlich der Entscheidung zur Strafaussetzung vertreten wird, hat in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte wandte sich um den Jahreswechsel 2014/2015 an einen unbekannt gebliebenen Hintermann, der Kontakt zu Abnehmern für illegal beschaffte Waren hatte, und bot diesem an, gegen Bezahlung solche auf Bestellung zu besorgen.

In der Folgezeit suchte er mit einer Alias-Identität ein Unternehmen zur Übernahme, um dieses für seine beabsichtigten betrügerischen Geschäfte zu nutzen. So wurde er im April 2016 zunächst weiterer Geschäftsführer eines Bauunternehmens und übernahm im Januar 2017 sämtliche Geschäftsanteile.

Im Zeitraum von Dezember 2016 bis März 2017 bestellte der Angeklagte für die Firma bei verschiedenen Unternehmen Waren und Dienstleistungen. Der Angeklagte blieb − wie von ihm von vornherein beabsichtigt – nahezu sämtliche Zahlungen an die Geschäftspartner schuldig; allenfalls kleinere Beträge wurden gezahlt, um den Partnern weiterhin eine Zahlungswilligkeit vorzuspiegeln. In insgesamt 18 Fällen erlangte der Angeklagte – nach Abzug der geleisteten (Teil-) Zahlungen − Vermögensgegenstände im Gesamtwert des Einziehungsbetrages von etwa 806.000 Euro, die er an den Hintermann weitergab. Von den erhaltenen Provisionen bestritt der Angeklagte mit dem nach Abzug seines Aufwandes verbliebenen Gewinn von 55.000 Euro seinen Lebensunterhalt.

2. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht wegen Gewerbsmäßigkeit jeweils einen besonders schweren Fall des Betruges nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB angenommen und zudem in acht Fällen das Regelbeispiel des herbeigeführten Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Sinne des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB als erfüllt angesehen. Es hat unter Berücksichtigung der einzelnen Schadenshöhen eine Einsatzstrafe von einem Jahr und vier Monaten und im Übrigen Einzelfreiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr verhängt.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, soweit die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

1. Das Rechtsmittel ist wirksam auf den Strafausspruch beschränkt.

Die Staatsanwaltschaft hat zwar einen unbeschränkten Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils gestellt. Sie erachtet das Urteil ausweislich der Begründung aber nur deshalb für fehlerhaft, weil das Landgericht zu geringe Einzelstrafen verhängt, den Angeklagten zu einer zu niedrigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und diese zur Bewährung ausgesetzt habe.

Widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung, ist unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV das Angriffsziel durch Auslegung zu ermitteln (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 26. April 2017 – 2 StR 47/17; vom 22. Februar 2017 – 5 StR 545/16). Danach hat die Beschwerdeführerin hier deutlich zu erkennen gegeben, dass sie sich allein gegen den Strafausspruch wendet und mit ihrem Rechtsmittel nicht den Schuldspruch angreifen will.

2. Entgegen der Ansicht der Revision weist die Einzel- und Gesamtstrafenzumessung keine Rechtsfehler auf.

a) Diese ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts, dessen Aufgabe es ist, aufgrund der Hauptverhandlung die wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2019 – 4 StR 47/19, NStZ-RR 2019, 339 mwN).

b) Eingedenk dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes hält die Strafzumessung des Landgerichts revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Es hat die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände in den Blick genommen und zumindest vertretbar gewürdigt. Die Strafkammer hat zugunsten des Angeklagten sein vor der Anklageerhebung erklärtes Teilgeständnis sowie die geständige Einlassung zu Beginn der Hauptverhandlung berücksichtigt. Sie hat ferner seine übernommene Verantwortung für die Anwerbung der beiden – nicht revidierenden − Mitangeklagten gewürdigt. Zulasten des Angeklagten hat das Landgericht die mehrfachen und auch einschlägigen Vorstrafen sowie die aus dem konkreten Tatbild (Erwerb einer gut eingeführten Gesellschaft, Anmietung von Geschäftsräumen mit scheinbar hoher Lagerkapazität, Mitangeklagte in den Rollen als Malermeister und Chefsekretärin) folgende hohe kriminelle Energie eingestellt. Nach alledem löst sich die verhängte Strafe entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin noch nicht von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, und ist damit auch nicht unvertretbar milde.

Soweit die Revision besorgt, das Landgericht habe die Bemessung der Strafe so vorgenommen, dass ihre Vollstreckung noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, deckt sie keinen Rechtsfehler auf. Denn die Strafzumessungsgründe des angefochtenen Urteils geben keinen Anhalt dafür, dass das Landgericht durch unzulässige Vermengung von Gesichtspunkten der Strafzumessung mit solchen der Strafaussetzung zur Bewährung eine nicht mehr schuldangemessene Gesamtstrafe verhängt haben könnte (vgl. BGH, Urteile vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123 , 133; vom 4. Juli 2019 – 4 StR 47/19, NStZ-RR 2019, 339 , 340; vom 28. November 2018 – 5 StR 376/18).

3. Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Diese nach § 56 Abs. 1 und 2 StGB zu treffende Entscheidung ist Aufgabe des Tatgerichts, dem auch insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16). Es ist aber erforderlich, dass das Urteil in einer der revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Weise die dafür maßgebenden Gründe mitteilt. Für die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren sind daher zunächst Ausführungen zum Vorliegen einer günstigen Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB notwendig. Ferner muss das Tatgericht besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB darlegen, welche die Strafaussetzung zur Bewährung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht erscheinen lassen.

b) Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht.

Dies gilt schon hinsichtlich der Kriminalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB , weil sich die Ausführungen der Strafkammer in der reinen Wiedergabe des Wortlauts erschöpfen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 6. Juli 2017 – 4 StR 415/16, NJW 2017, 3011 , 3012). Zudem erweist sich die Annahme von besonderen Umständen nach § 56 Abs. 2 StGB als fehlerhaft. Denn die erforderliche Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit, die umso gewichtigere strafmildernde Gesichtspunkte aufzeigen muss, je näher sie an der Zweijahresgrenze liegt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2019 – 4 StR 47/19, NStZ-RR 2019, 339 , 340 mwN), ist lückenhaft.

aa) Das Landgericht hat seine Annahme darauf gestützt, dass der Angeklagte trotz seines „fortgeschrittenen Alters“ bislang keine Freiheitsstrafe verbüßen musste und er infolge der viermonatigen Untersuchungshaft die Konsequenzen weiterer Straftaten erfahren habe. Insoweit fehlt es schon an der gebotenen Erörterung der Vorstrafensituation. Denn er wusste schon seit einer im März 2012 verhängten und zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten, dass bei weiteren Straftaten die Freiheitsentziehung drohte. Dieser Warneffekt hielt den Angeklagten aber nicht davon ab, sich bereits Ende 2014/Anfang 2015, mithin noch während der bis April 2015 andauernden Bewährungszeit, an den Hintermann zu wenden, dem er die ab Dezember 2016 betrügerisch erlangten Vermögensgegenstände gegen Zahlung überließ.

bb) Soweit die Strafkammer daneben auf die vom Angeklagten im Rahmen der Verständigung eingegangene Verpflichtung, einen erheblichen Teil des verursachten Schadens wiedergutzumachen, rekurriert hat, erlaubt dies keine Gewichtung des mildernden Gehalts. Denn nähere Umstände zu Umfang und Umsetzung der Wiedergutmachungspflicht werden nicht mitgeteilt. Dies gilt umso mehr, da offen bleibt, wie der Angeklagte, der die abgeurteilten Straftaten zur Finanzierung seines Lebensunterhalts beging, bei einem nach Abzug seiner Zahlungsverpflichtungen monatlich zur Verfügung stehenden Betrag von 390 Euro in der Lage sein soll, einen erheblichen Teil des gegenständlichen Schadens von nahezu 806.000 Euro innerhalb von fünf bis sieben Jahren zurückzuzahlen.

4. Die zur Strafaussetzung getroffenen Feststellungen werden durch die aufgezeigten Fehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO ). Sie können ergänzt werden, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Lübeck, vom 13.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 720 Js 20197/17 6 KLs 7/18 4 Ss 29/20