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BGH - Entscheidung vom 27.01.2021

6 StR 451/20

Normen:
StGB § 23 Abs. 2
StGB § 211 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 27.01.2021 - Aktenzeichen 6 StR 451/20

DRsp Nr. 2021/4112

Ausnutzungsbewusstsein als Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise des Mordes; Abwägung einer Strafrahmenverschiebung

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 9. September 2020 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 23 Abs. 2 ; StGB § 211 Abs. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit Brandstiftungsdelikten und gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO ). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO .

1. Nach den Feststellungen zündete der Angeklagte in dem Bewusstsein, dass das Feuer für ihn unbeherrschbar und geeignet sein würde, eine Vielzahl von Menschen an Leib und Leben zu verletzen, im Obergeschoss einer Obdachlosenunterkunft eine Matratze an, um den dort wohnenden Geschädigten S. zu töten. Nachdem der Angeklagte das Feuer gelegt hatte, suchte er den Geschädigten mit dem Ziel auf, diesen durch Messerstiche zumindest erheblich zu verletzen und dadurch seine Flucht vor dem Feuer zu verhindern, was ihm aber nicht gelang. Er wollte den Umstand ausnutzen, dass der Geschädigte mit keinem Angriff rechnete. Das Schicksal der weiteren zwei Bewohner der Obdachlosenunterkunft, mit deren Anwesenheit der Angeklagte zumindest rechnete, war ihm gleichgültig.

Die Schwurgerichtskammer hat der Tat den Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt und auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. Eine Strafmilderung wegen Versuchs gemäß § 23 Abs. 2 StGB hat sie abgelehnt.

2. Der Strafausspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Es begegnet durchgreifenden Bedenken, dass die Schwurgerichtskammer im Rahmen der - wegen der anderenfalls angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe - besonders sorgfältig vorzunehmenden Abwägung einer Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2019 - 5 StR 449/19, NStZ 2020, 599 , 600 mwN) zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass er "nicht nur den Zeugen S. , sondern auch die Zeugen R. und F. zu töten versucht und dabei zwei Mordmerkmale - heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln - verwirklicht hat". Denn es fehlen Feststellungen dazu, dass der Angeklagte auch im Hinblick auf die weiteren Bewohner der Obdachlosenunterkunft die Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer erkannt und bewusst zur Tatbegehung ausnutzen wollte. Dieses Ausnutzungsbewusstsein ist aber Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise (vgl. BGH, Urteile vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691 , 692; vom 9. Februar 2000 - 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166 , 167).

3. Wegen des vom Landgericht zutreffend bezüglich aller Opfer bejahten Mordmerkmals der gemeingefährlichen Mittel wirkt sich der Rechtsfehler auf den Schuldspruch nicht aus. Die ihm zugrundeliegenden Feststellungen haben Bestand und dürfen vom neuen Tatgericht widerspruchsfrei ergänzt werden. Hingegen ist der Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO ).

Vorinstanz: LG Lüneburg, vom 09.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 1502 Js 13947/20 27 Ks 7/20