Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 13.04.2021

VI ZR 518/20

Normen:
BGB § 826
BGB § 823 Abs. 2
StGB § 263

BGH, Beschluss vom 13.04.2021 - Aktenzeichen VI ZR 518/20

DRsp Nr. 2021/9287

Anspruch auf Schadensersatz gegen einen Fahrzeughersteller wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung

1. Die Verhaltensänderung des Volkswagen Konzerns ab September 2015 in Bezug auf den sogenannten Abgasskandal mit Dieselmotoren des Typs EA189 hat dazu geführt, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber späteren Käufern und gerade im Hinblick auf den Schaden, der bei diesen durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags nach dem 22. September 2015 entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist.2. Diese Verhaltensänderung ist nicht auf die Kernmarke Volkswagen beschränkt, sondern erstreckt sich auf andere Diesel-Fahrzeuge des Volkswagen Konzerns mit der entsprechenden Steuerungssoftware.

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Kammergerichts vom 27. Februar 2020 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.

Normenkette:

BGB § 826 ; BGB § 823 Abs. 2 ; StGB § 263 ;

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.

Der Kläger erwarb am 26. Juni 2016 von einem Dritten einen gebrauchten Skoda Superb. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189, Schadstoffnorm Euro 5, ausgestattet, den die Beklagte hergestellt hat. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in einen Stickoxid-optimierten Abgasrückführungsmodus 1. Es ergeben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Grenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Modus 1 eingehalten.

Vor Abschluss des Kaufvertrages, am 22. September 2015, teilte die Beklagte mit einer Ad-hoc-Mitteilung sowie einer Pressemitteilung gleichen Inhalts mit, dass sie die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren mit Hochdruck vorantreibe. Betroffen seien Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen. Bei diesem Motortyp sei eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden. Volkswagen arbeite daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen. Das Unternehmen stehe dazu derzeit in Kontakt mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und anderen zuständigen Behörden. Bisherige interne Prüfungen hätten ergeben, dass die Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden sei. Zeitgleich setzte die Beklagte ihre Vertragshändler und Servicepartner über das Vorhandensein der Abschalteinrichtungen in den betroffenen Fahrzeugen mit Dieselmotor und die Notwendigkeit einer technischen Maßnahme in Kenntnis. Anfang Oktober 2015 richtete die Beklagte eine Webseite ein, auf der durch Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer überprüft werden konnte, ob ein Fahrzeug aus dem Volkswagen Konzern eine Software aufweist, die Stickoxidwerte im Prüfstandslauf optimiert. Über diese Webseite informierte die Beklagte mit einer Pressemitteilung vom 2. Oktober 2015. In einer weiteren Pressemitteilung vom 15. Oktober 2015 teilte die Beklagte mit, dass das KBA den Rückruf der betroffenen Dieselfahrzeuge beschlossen habe und ab Januar 2016 mit der Nachbesserung der Fahrzeuge begonnen werden solle. Der sogenannte VW-Dieselskandal war zudem in Deutschland seit dem 22. September 2015 Gegenstand einer intensiven Berichterstattung in allen Medien.

Das Landgericht hat die auf Erstattung des Kaufpreises nebst Prozesszinsen und Rechtsanwaltskosten sowie Feststellung des Annahmeverzugs gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge in vollem Umfang weiter.

II.

1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht mehr vor (§ 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Rechtsfragen, die das Berufungsgericht veranlasst haben, die Revision zuzulassen, sind durch die nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Urteile des Bundesgerichtshofs vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 und vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 244/20 geklärt.

2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat dem Kläger im Ergebnis zu Recht einen Anspruch auf Schadensersatz versagt.

a) Ein Anspruch gem. § 826 BGB scheitert daran, dass sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen und von der Revision nicht in Frage gestellten Feststellungen das gesamte Verhalten der Beklagten bis zum Eintritt des Schadens beim Kläger in der gebotenen Gesamtschau nicht als sittenwidrig darstellt.

aa) Die vom Berufungsgericht festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten ab September 2015 hat wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber späteren Käufern und gerade im Hinblick auf den Schaden, der bei diesen durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags nach dem 22. September 2015 entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34).

bb) Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich nichts Anderes daraus, dass der Kläger ein Fahrzeug der Marke Skoda und nicht der Marke Volkswagen erworben hat. Die Beklagte hat ihre Verhaltensänderung nach den getroffenen Feststellungen nicht auf ihre Kernmarke Volkswagen beschränkt, sondern im Gegenteil bereits in ihrer Ad-hoc-Mitteilung sowie der Pressemitteilung vom 22. September 2015 darauf hingewiesen, dass die Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden sei, ohne diesbezüglich eine Einschränkung auf eine bestimmte Marke des Konzerns vorzunehmen. Die Mitteilungen der Beklagten vom 22. September 2015 waren objektiv geeignet, das Vertrauen potentieller Käufer von Gebrauchtwagen aller Konzernmarken mit Dieselmotoren des Typs EA189 in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezüglich Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarungen und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten Fahrzeugen der Konzernmarken mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für das bewusste Ausnutzen einer diesbezüglichen Arglosigkeit dieser Käufer war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 15, 17 ).

cc) Dass die Beklagte möglicherweise auch im Hinblick auf die von ihrer Kernmarke Volkswagen abweichenden Marken ihrer Konzerntöchter weitere Schritte zu einer klareren Aufklärung potentieller, mit der Konzernstruktur und dem Markenportfolio der Beklagten nicht vertrauter Fahrzeugkäufer hätte unternehmen können, steht der Verneinung eines objektiv sittenwidrigen Vorgehens im Verhältnis zum Kläger ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass nicht jeder potentielle Käufer subjektiv verlässlich über die Verwendungsbreite der unzulässigen Abschalteinrichtung in den verschiedenen Marken der Beklagten informiert wurde (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 18).

b) Ein Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB besteht nicht, weil es jedenfalls an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden fehlt (Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 18).

c) Der Klaganspruch ergibt sich schließlich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV, weil es sich bei den Vorschriften der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt (Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.). Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (Art. 267 Abs. 3 AEUV ) wegen der Auslegung der genannten Vorschrift ist entgegen der Ansicht der Revision nicht veranlasst (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 16).

3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 23.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 37 O 351/18
Vorinstanz: KG, vom 27.02.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 20 U 92/19