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BGH - Entscheidung vom 22.04.2021

IX ZR 67/20

Normen:
BGB § 185 Abs. 1
BGB § 185 Abs. 2 S. 1
BGB § 362 Abs. 2
BGB § 488 Abs. 1 S. 2

BGH, Beschluss vom 22.04.2021 - Aktenzeichen IX ZR 67/20

DRsp Nr. 2021/8140

Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens wegen eines auf dem Vertrag quittierten Erhalts der vermeintlichen Darlehensvaluta in bar; Behauptung der Unterzeichnung der Vertragsurkunde nur zum Schein und zur Verdeckung einer Schwarzgeldabrede im Zusammenhang mit einem Grundstücksgeschäft

Stützt das Gericht seine Würdigung auf aus seiner Sicht unzureichenden Parteivortrag, den es für entscheidungserheblich ansieht, muss es die Parteien unmissverständlich hierauf hinweisen und ihnen die Möglichkeit eröffnen, ihr Vorbringen zu ergänzen.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 12. März 2020 wird zugelassen.

Auf die Revision der Klägerin wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BGB § 185 Abs. 1 ; BGB § 185 Abs. 2 S. 1; BGB § 362 Abs. 2 ; BGB § 488 Abs. 1 S. 2;

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückzahlung eines behaupteten Darlehens über 50.000 € in Anspruch. Auf einem als Darlehensvertrag zwischen den Parteien bezeichneten Schriftstück quittierte nicht nur die damalige Geschäftsführerin der Beklagten den Erhalt der vermeintlichen Darlehensvaluta in bar, sondern auch ein V. S. . Die Beklagte hat behauptet, die Vertragsurkunde sei nur zum Schein und zur Verdeckung einer Schwarzgeldabrede im Zusammenhang mit einem Grundstücksgeschäft des S. mit dem späteren Geschäftsführer der Klägerin errichtet worden. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das angefochtene Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Anschlussberufung der Klägerin, mit der diese einen weitergehenden Zinsanspruch geltend gemacht hat, hat es zurückgewiesen. Mit ihrer Revision, deren Zulassung sie begehrt, möchte die Klägerin die Zurückweisung der Berufung der Beklagten und die Änderung des Zinsausspruchs zu ihren Gunsten erreichen.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise.

1. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob zwischen den Parteien ein Darlehensvertrag geschlossen wurde. Entscheidend sei, dass es für einen Rückzahlungsanspruch nicht genüge, auf den Abschluss eines Darlehensvertrages zu verweisen. Erforderlich sei vielmehr zusätzlich der Nachweis, dass der Geldbetrag dem Darlehensnehmer auch tatsächlich zugeflossen sei. Aufgrund der Bestätigung der Empfangnahme der 50.000 € sowohl durch die damalige Geschäftsführerin H. der Beklagten als auch durch S. greife die einer Quittung zuerkannte Beweisfunktion nicht ein. Auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände belegten nicht hinreichend sicher, dass das Geld wenigstens zunächst in das Vermögen der Beklagten gelangt sei. Da die Klägerin zudem behauptet habe, das Bargeld sei von ihrem aktuellen Geschäftsführer nach der Unterzeichnung des Schriftstücks auf den Tisch gelegt und liegengelassen worden, woraufhin dieser den Raum verlassen habe, sei denkbar, dass S. das Geld anschließend eigenmächtig - ohne Zustimmung der weiterhin in dem Raum anwesenden Zeugin H. - an sich genommen habe.

2. a) Die zuletzt genannte Erwägung des Berufungsgerichts, auf der sein Urteil beruht, beinhaltet eine Überraschungsentscheidung unter Übergehung unstreitigen Vorbringens der Parteien. Eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn sich eine Entscheidung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem nach dem bisherigen Prozessverlauf aus Sicht der betroffenen Partei nicht zu rechnen gewesen ist. Art. 103 Abs. 1 GG räumt dem Einzelnen das Recht ein, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Zwar muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag hierauf einstellen. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährleistung rechtlichen Gehörs setzt aber voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt überhaupt erkennen kann, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann. Stützt das Gericht seine Würdigung auf aus seiner Sicht unzureichenden Parteivortrag, den es für entscheidungserheblich ansieht, muss es die Parteien unmissverständlich hierauf hinweisen und ihnen die Möglichkeit eröffnen, ihr Vorbringen zu ergänzen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 - XII ZR 86/10, NJW-RR 2011, 1009 Rn. 12; vom 3. Juli 2014 - IX ZR 285/13, WM 2014, 1786 Rn. 7; vom 12. Mai 2020 - VIII ZR 171/19, MDR 2020,1011 Rn. 13; vgl. auch BVerfG, MDR 2018, 614 Rn. 4 mwN zur st. Rspr.).

b) Die Klägerin hat nach dem unstreitigen Tatsachenvortrag sowie in Anbetracht der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung und der von dem Berufungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht erkennen können, es könne für dieses fraglich sein, dass die Beklagte als vermeintliche Darlehensnehmerin mit der Mitnahme des Bargeldes durch S. einverstanden war.

Das Berufungsgericht hätte daher die Klägerin gemäß § 139 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO auf seine abweichende Würdigung aufmerksam machen müssen. Nach diesen Bestimmungen darf das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt, der nicht nur eine Nebenforderung betrifft und den die Parteien erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten haben oder den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien, nur dann stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat.

aa) Richtig ist der rechtliche Ausgangspunkt in der Argumentation des Berufungsgerichts, dass ein begründeter Rückzahlungsanspruch aus einem wirksam abgeschlossenen Darlehensvertrag gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB auch die vorherige Hingabe der Valuta an den Darlehensnehmer oder mit dessen Zustimmung (gemäß § 362 Abs. 2 BGB iVm § 185 Abs. 1 , Abs. 2 Satz 1 Fall 1 BGB ) an eine andere Person erfordert (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 2002 - XI ZR 47/01, BGHZ 152, 331 , 336 f; vom 25. April 2006 - XI ZR 193/04, BGHZ 167, 252 Rn. 31; vom 17. November 2009 - XI ZR 36/09, BGHZ 183, 169 Rn. 16). Offenbleiben kann, ob die Beweisfunktion einer Geldempfangsquittung (dazu BGH, Urteil vom 10. Juni 1985 - III ZR 178/84, MDR 1986, 31 f) verloren geht, wenn diese von einer weiteren Person neben dem (angeblichen) Darlehensnehmer unterzeichnet wurde, wie das Berufungsgericht weiter angenommen hat.

bb) Unabhängig davon, ob eine Darlehensabrede von den Beteiligten ernsthaft gewollt war, ist bis zum Erlass des Berufungsurteils unstreitig gewesen, dass der Betrag von 50.000 € - zumindest - im Ergebnis an S. gelangen sollte. Ebenso hat außer Streit gestanden, dass die Beklagte als vermeintliche Darlehensnehmerin in Person ihrer damaligen Geschäftsführerin H. damit auch von Anfang an einverstanden war. Demgemäß hat das Landgericht in seinem Urteil zutreffend ausgeführt: "Die Beklagte muss sich so behandeln lassen, als wäre die Valutierung ihr gegenüber erfolgt, das selbst dann, wenn der Bargeldbetrag, wie sie vorträgt, dem Zeugen S. direkt übergeben worden wäre. Die Geldübergabe ist unstreitig im Beisein der Zeugin H. erfolgt, die diese Übergabe dann jedenfalls gebilligt hätte. Immerhin hat sie, wenn auch gemeinsam mit dem Zeugen S. quittiert, das Geld erhalten zu haben." Soweit die Klägerin behauptet hat, ihr heutiger Geschäftsführer habe S. das Geld nicht persönlich zur Verfügung stellen wollen, bezog sich dies lediglich auf das Bestreben, den Darlehensvertrag nicht mit dem zahlungsschwachen S. abzuschließen. Das Einvernehmen aller Beteiligten, dass der Geldbetrag letztlich an S. gelangen sollte, hat die Klägerin damit nicht in Frage gestellt. Das ergibt sich insbesondere aus der Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin durch das Landgericht. Entgegen der Erwiderung der Beklagten im Beschwerdeverfahren folgt auch aus ihrer Berufungsbegründung nichts Anderes. Im Gegenteil hebt sie darin gerade die Aussage der Zeugin H. als früherer Geschäftsführerin der Beklagten vor dem Landgericht als "in jeder Hinsicht glaubhaft" hervor. Auch nach dieser Aussage gingen alle Beteiligten des Vorgangs, vor allem aber die Zeugin selbst, von Anfang an davon aus, dass S. den Barbetrag von 50.000 € erhalten sollte.

Das Berufungsgericht hat daher mit seiner Annahme, S. könne das Geld ohne Zustimmung der Beklagten an sich genommen haben, seinem Urteil eine weitere Sachverhaltsvariante zugrunde gelegt, die so von keiner der Parteien, auch nicht stillschweigend oder indirekt, in den Rechtsstreit eingeführt worden ist. Die Klägerin hat schon aus diesem Grund nicht damit rechnen müssen, das Berufungsgericht könne ohne vorherigen Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 ZPO seiner Entscheidung einen alternativen Sachverhalt zugrunde legen.

cc) Die Klägerin hat auch nicht aufgrund des Verlaufs der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht von sich aus auf ein derart abweichendes Verständnis in der Würdigung des Lebenssachverhalts schließen müssen. Das Berufungsgericht hat in seiner Verhandlung S. als Zeugen vernommen. S. hat bekundet, dass die damalige Geschäftsführerin der Beklagten das Darlehen "nur aus Gefälligkeit gemacht" habe. "Ohne die Mitwirkung von Frau H. und ihrer Firma" hätte er, so S. , "keine Möglichkeit gehabt", an die "benötigten 50.000 € cash zu kommen". Damit hat er das unstreitige Vorbringen der Parteien zu einem Einvernehmen zwischen ihm und der Zeugin H. und der von Anfang an von allen Beteiligten der Transaktion - zumindest letztendlich - gewollten Erlangung des Geldes durch ihn bestätigt. Auch und gerade in Anbetracht dieser Aussage ist es für die Klägerin nicht vorhersehbar gewesen, das Berufungsgericht könne zu der Feststellung kommen, S. habe den Geldbetrag möglicherweise eigenmächtig an sich genommen.

3. Das angefochtene Urteil beruht auf der Gehörsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach der auf einen Hinweis erfolgten Klarstellung zu einer anderen Beurteilung der Valutierung des behaupteten Darlehens gelangt wäre.

Vorinstanz: LG Flensburg, vom 08.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 106/18
Vorinstanz: SchlHOLG, vom 12.03.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 7 U 53/19