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BFH - Entscheidung vom 13.04.2021

I R 19/19

Normen:
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
DBA-Österreich 2000/2010 Art. 15 Abs. 2, Abs. 4, Abs. 7
AEUV Art. 45
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a)
DBA-Österreich (2000/2010) Art. 15 Abs. 7
AEUV Art. 45
EStG § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
EStG § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3
EStG § 32b Abs. 2 S. 1 Nr. 2
DBA-Österreich (2000/2010) Art. 15 Abs. 2
DBA-Österreich (2000/2010) Art. 15 Abs. 4

Fundstellen:
BFH/NV 2021, 1357
DStZ 2021, 885

BFH, Urteil vom 13.04.2021 - Aktenzeichen I R 19/19

DRsp Nr. 2021/13858

Umfang der Abzugsfähigkeit von Beiträgen eines unbeschränkt steuerpflichtigen, im Inland ansässigen Arbeitnehmers zu einem inländischen Versorgungswerk bei Erzielung eines Teils der Einkünfte in einem Mitgliedstaat

NV: Beiträge eines unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmers zu einem inländischen Versorgungswerk, die in Zusammenhang mit nach Art. 15 Abs. 1 DBA -Österreich 2000/2010 steuerfreien ausländischen Einkünften stehen, sind weder als Sonderausgaben noch im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Dies verstößt nicht gegen die unionsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 13.02.2019 – 5 K 887/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Normenkette:

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 , § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 , Abs. 2 Satz 1 Nr. 2; DBA -Österreich 2000/2010 Art. 15 Abs. 2 , Abs. 4 , Abs. 7 ; AEUV Art. 45 ;

Gründe

I.

Die im Inland wohnenden Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und wurden in den Streitjahren (2012 und 2014) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Neben Einkünften aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit erzielten sie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Gewerbebetrieb.

Der Kläger war in den Streitjahren nichtselbständig für eine inländische Arbeitgeberin sowohl im Inland (2012: an 47 Tagen; 2014: an 37 Tagen) als auch in Österreich (2012: an 166 Tagen; 2014: an 191 Tagen) tätig. Aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Bayerischen ...versorgung (als Teil der Bayerischen Versorgungskammer) war der Kläger von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Er leistete in den Streitjahren Altersvorsorgebeiträge (einschließlich Arbeitgeberanteil) in Höhe von jeweils ... € an die Versorgungskammer.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) teilte im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer für die Streitjahre den Arbeitslohn des Klägers (2012: ... €; 2014: ... €) und dessen Werbungskosten entsprechend dem Verhältnis der im Inland zu den in Österreich absolvierten Arbeitstagen (2012: 22 % inländische Arbeitstage; 2014: 16 % inländische Arbeitstage) in einen voll steuerpflichtigen und einen nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 24.08.2000 (BGBl II 2002, 735 , BStBl I 2002, 585 ), ab 01.03.2012 i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 29.12.2010 (BGBl II 2011, 1210 , BStBl I 2012, 367 ) —DBA–Österreich 2000/2010— von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer auszunehmenden Teil auf (im Arbeitslohn enthaltene Bonuszahlungen ordnete das FA allerdings in voller Höhe den freizustellenden Einkünften zu). Die nach dem DBA -Österreich 2000/2010 von der Besteuerung freizustellenden Einkünfte berücksichtigte das FA bei der Bemessung des Steuersatzes im Rahmen des Progressionsvorbehalts (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung —EStG—).

Die geleisteten Beiträge zur berufsständischen Altersversorgung setzte das FA in jener Höhe als Sonderausgaben an, die dem Verhältnis des steuerpflichtigen Arbeitslohns zum gesamten Arbeitslohn bis zur Beitragsbemessungsgrenze entsprach. In Bezug auf den darüber hinausgehenden Teil greife das Abzugsverbot des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG . Auch im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigte das FA diesen Teil der Beiträge zur Altersversorgung nicht.

Der österreichische Fiskus besteuerte Teile des vom Kläger bezogenen Arbeitslohns. Die Beiträge zur berufsständischen Altersversorgung wurden dabei —entsprechend dem österreichischen Recht— als Werbungskosten von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer in Abzug gebracht.

Die Kläger sind der Auffassung, die Beiträge des Klägers zur berufsständischen Altersversorgung müssten aus unionsrechtlichen Gründen im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt werden und beziehen sich hierfür auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Bechtel vom 22.06.2017 – C–20/16 (EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271 ).

Die Klage blieb ohne Erfolg; das Finanzgericht (FG) Nürnberg hat sie mit Urteil vom 13.02.2019 – 5 K 887/18 (abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 764 ) als unbegründet abgewiesen.

Gegen das FG-Urteil richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Kläger.

Die Kläger beantragen (sinngemäß),

das FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2012 vom 19.02.2014 bzw. den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 18.09.2015 —jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.06.2018— dahingehend abzuändern, dass bei der Berechnung des Progressionsvorbehalts die bisher unberücksichtigten Beiträge zur Bayerischen ...versorgung in Höhe von ... € (2012) bzw. ... € (2014) mindernd berücksichtigt werden.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die auf die Entlohnung der Tätigkeit in Österreich entfallenden anteiligen Beiträge des Klägers zur berufsständischen Altersversorgung weder bei den Sonderausgaben noch bei der Bemessung des Steuersatzes im Rahmen des Progressionsvorbehalts steuermindernd zu berücksichtigen sind.

1. Dieser Teil der Versorgungsbeiträge ist nicht als Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vom Gesamtbetrag der Einkünfte der Kläger abzuziehen. Der Sonderausgabenabzug ist insoweit ausgeschlossen.

a) Dies folgt aus § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG in der während des Klageverfahrens durch das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl I 2018, 2338 , BStBl I 2018, 1377 ) geschaffenen Fassung, die gemäß § 52 Abs. 18 Satz 4 EStG i.d.F. jenes Gesetzes auf alle offenen Fälle —mithin auch auf den Streitfall— anzuwenden ist (s.a. Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 05.11.2019 – X R 23/17, BFHE 267, 34 , BStBl II 2020, 763 ). Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 EStG ist Voraussetzung für den Sonderausgabenabzug der u.a. in § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG benannten Aufwendungen, dass diese nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen.

aa) Ein solcher Zusammenhang ist immer dann anzunehmen, wenn die Einnahmen und die Aufwendungen —vorliegend die Beiträge zur berufsständischen Altersvorsorge— durch dasselbe Ereignis veranlasst sind. Dies wiederum ist erfüllt, wenn ein Steuerpflichtiger steuerfreie Einnahmen erzielt und dieser Tatbestand gleichzeitig Pflichtbeiträge an einen Sozialversicherungsträger auslöst; in diesem Fall geht die Steuerbefreiung dem Sonderausgabenabzug logisch vor. Die mit der Verausgabung der Pflichtbeiträge verbundene Minderung der Leistungsfähigkeit wird bereits durch den Bezug der steuerfreien Einnahmen aufgefangen (BFH-Urteile vom 18.04.2012 – X R 62/09, BFHE 237, 434 , BStBl II 2012, 721 , und in BFHE 267, 34 , BStBl II 2020, 763 ).

bb) Im Streitfall liegen die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 EStG vor. Nach den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen der Vorinstanz hat der Kläger in den Streitjahren für seine in Österreich ausgeübte unselbständige Arbeit Einnahmen erzielt, die nach Maßgabe von Art. 15 Abs. 2 und 4 DBA–Österreich 2000/2010 nur in Österreich besteuert werden dürfen, weil der Kläger sich jeweils an mehr als 183 Tagen dort aufgehalten hat. Die sonach von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer auszunehmenden Einkünfte dürfen gemäß Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA–Österreich 2000/2010 (i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ) in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehalts bei der Festsetzung des Steuersatzes für andere Einkünfte berücksichtigt werden. Durch die zeitweise Tätigkeit des Klägers in Österreich blieb dessen berufsständische Rentenversicherungspflicht allerdings unberührt, so dass die steuerfrei erzielten Einnahmen Anlass für die vorliegend streitigen Versicherungsbeiträge waren.

b) Die Voraussetzungen der in Reaktion auf das EuGH-Urteil Bechtel (EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271 ) geschaffenen Ausnahme vom Sonderausgabenabzugsverbot gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 EStG sind im Streitfall nicht erfüllt.

Nach dieser Bestimmung sind ungeachtet des Halbsatzes 1 u.a. Vorsorgeaufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu berücksichtigen, soweit sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang u.a. mit in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) erzielten Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit stehen (Buchst. a), diese Einnahmen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Inland steuerfrei sind (Buchst. b) und der Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dieser Einnahmen zulässt (Buchst. c). Da nach den Feststellungen der Vorinstanz der Beschäftigungsstaat Österreich die Altersvorsorgebeiträge des Klägers bei der Besteuerung des Arbeitslohns als Werbungskosten berücksichtigt hat, fehlt es an der in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. c EStG benannten Voraussetzung.

c) Das Sonderausgabenabzugsverbot des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 EStG verstößt in der Konstellation des Streitfalls nicht gegen die unionsrechtliche Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft —AEUV— [Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47]).

aa) Nach der EuGH-Rechtsprechung kann eine nationale Regelung des Wohnsitzstaats, die bei grenzüberschreitenden Erwerbsbetätigungen steuerliche Vergünstigungen betreffend die persönliche oder familiäre Situation —wie der hier in Rede stehende Sonderausgabenabzug für Beiträge zur Altersversorgung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG— beschränkt oder ausschließt, unter dem Gesichtspunkt der zu wahrenden Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn der Beschäftigungsstaat, in dem ein Teil der Einkünfte bezogen wird, derartige Vergünstigungen entweder auf freiwilliger Basis oder auf Grundlage eines bilateralen Abkommens gewährt (EuGH-Urteile de Groot vom 12.12.2002 – C–385/00, EU:C:2002:750, Slg. 2002, I–11819, Rz 99 ff.; Beker vom 28.02.2013 – C–168/11, EU:C:2013:117, BStBl II 2015, 431 , Rz 56). Voraussetzung für eine solche Entpflichtung des Wohnsitzstaats ist allerdings, dass —unabhängig von der Art der Aufteilung— die gesamte persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen "im Ganzen gebührend" berücksichtigt wird (EuGH-Urteil de Groot, EU:C:2002:750, Slg. 2002, I–11819, Rz 101; ebenso EuGH-Urteil Imfeld und Garcet vom 12.12.2013 – C–303/12, EU:C:2013:822, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2014, 183 , Rz 70). Aus diesem Grund kann die Ausgewogenheit der Besteuerungsbefugnisse nur dann gewahrt werden, wenn zwischen der nationalen Steuerregelung im Wohnsitzstaat, die eine Vergünstigung beschränkt bzw. ausschließt, und der im Beschäftigungsstaat gewährten Vergünstigung für die dort zu besteuernden Einkünfte eine wechselseitige Beziehung besteht (EuGH-Urteile Imfeld und Garcet, EU:C:2013:822, HFR 2014, 183 , Rz 73, sowie Bechtel, EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271 , Rz 74; BFH-Urteil in BFHE 267, 34 , BStBl II 2020, 763 , Rz 31; s.a. Senatsbeschluss vom 16.09.2015 – I R 62/13, BFHE 251, 204 , BStBl II 2016, 205 , Rz 39 f.).

bb) Die Vertragsstaaten Deutschland und Österreich haben in Art. 15 Abs. 7 DBA -Österreich 2000/2010 eine Regelung getroffen, die im Hinblick auf die Sozialversicherungsbeiträge zu einer hinreichenden Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers durch den Beschäftigungsstaat Österreich geführt haben. Danach sind Beiträge, die für eine in einem Vertragsstaat unselbständig tätige Person an eine in dem anderen Vertragsstaat errichtete und dort steuerlich anerkannte Einrichtung der Krankheits- und Altersvorsorge geleistet werden, in dem erstgenannten Staat bei der Ermittlung des von der Person zu versteuernden Einkommens in der gleichen Weise, unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen zu behandeln wie Beiträge an in diesem erstgenannten Staat steuerlich anerkannte Einrichtungen der Krankheits- und Altersvorsorge, sofern bestimmte, in Art. 15 Abs. 7 Buchst. a und b DBA -Österreich 2000/2010 benannte, Vorgaben erfüllt sind.

cc) Da der Beschäftigungsstaat Österreich nach Maßgabe dieser Vorgaben verfahren ist und die auf die Entlohnung der dort absolvierten Tätigkeit entfallenden Beiträge des Klägers zur Altersversorgung als Werbungskosten von der Bemessungsgrundlage der österreichischen Einkommensteuer in Abzug gebracht hat, ist nach allem eine nochmalige Berücksichtigung dieser Beiträge im Rahmen des Sonderausgabenabzugs bei der Einkommensteuer des Wohnsitzstaats Deutschland unionsrechtlich nicht geboten.

2. Die auf die Entlohnung der Tätigkeit in Österreich entfallenden Altersvorsorgeaufwendungen des Klägers mindern nicht das für die Berechnung des Progressionsvorbehalts anzusetzende steuerfreie Einkommen.

a) Die anteiligen Altersvorsorgeaufwendungen sind nicht gemäß § 9 EStG als Werbungskosten vom steuerfreien Einkommen abziehbar. Altersvorsorgeaufwendungen u.a. zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen hat der Gesetzgeber durch § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausdrücklich den Sonderausgaben zugeordnet, sodass ein Werbungskostenabzug ausscheidet. Dass es sich bei den Aufwendungen für die Altersversorgung ihrer "wahren" Natur nach um Werbungskosten handelt (vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG , vgl. BFH-Urteil vom 18.04.2012 – X R 62/09, BFHE 237, 434 , BStBl II 2012, 721 ), spielt nach der Gesetzessystematik für die Frage der Abziehbarkeit nach § 9 EStG keine Rolle (Senatsurteil vom 16.09.2015 – I R 61/13, BFH/NV 2016, 401 ; Senatsbeschluss in BFHE 251, 204 , BStBl II 2016, 205 ; BFH-Urteil in BFHE 237, 434 , BStBl II 2012, 721 ).

b) Als Sonderausgaben können die Beiträge zur Altersvorsorge bei der Bemessung des auf das zu versteuernde Einkommen der Kläger anzuwendenden Steuersatzes ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Denn in die von § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG vorgeschriebene Berechnung gehen ausweislich des Wortlauts dieser Vorschrift nur "Einkünfte" ein. Sonderausgaben zählen indessen nicht zu den Einkünften, sondern werden erst im Anschluss an die Ermittlung der Einkünfte vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen (§ 2 Abs. 4 EStG ). Das schließt ihre Berücksichtigung im Rahmen des Progressionsvorbehalts aus (Senatsurteile vom 03.11.2010 – I R 73/09, BFH/NV 2011, 773 , und in BFH/NV 2016, 401 ; Senatsbeschluss in BFHE 251, 204 , BStBl II 2016, 205 ).

c) Entgegen der Auffassung der Kläger verstößt die Nichtberücksichtigung der Altersvorsorgeaufwendungen im Rahmen des Progressionsvorbehalts nicht gegen Art. 45 AEUV . Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit es erfordern könnte, dass der Wohnsitzstaat bei der Berechnung des Progressionsvorbehalts hinsichtlich der nach einem DBA steuerfreien Lohneinkünfte aus einem anderen Mitgliedstaat die steuerfreien ausländischen Einkünfte nicht anhand seines eigenen, sondern anhand des Steuerrechts des Tätigkeitsstaats zu bemessen hätte. Aus dem von den Klägern für ihre Sichtweise in Bezug genommenen EuGH-Urteil Bechtel (EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271 , Rz 71) ergibt sich vielmehr, dass der Wohnsitzstaat die auf das Entgelt für eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgeübte Arbeitstätigkeit entfallenden Vorsorgeaufwendungen von einer steuermindernden Berücksichtigung ausschließen darf, wenn er im Vertragswege von seiner Verpflichtung zur vollständigen Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation der Steuerpflichtigen, die in seinem Hoheitsgebiet wohnen und ihre wirtschaftliche Betätigung teilweise in einem anderen Mitgliedstaat ausüben, entbunden ist oder er feststellt, dass der Beschäftigungsstaat —auch außerhalb irgendeiner Übereinkunft— in Bezug auf die von ihm besteuerten Einkünfte Vergünstigungen gewährt, die mit der Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation derjenigen Steuerpflichtigen im Zusammenhang stehen, die nicht im Hoheitsgebiet dieser Staaten wohnen, dort aber zu versteuernde Einkünfte erzielen (s. oben II.1.c aa).

Da Deutschland im Vertragswege durch Art. 15 Abs. 7 DBA -Österreich 2000/ 2010 für eine Berücksichtigung der Aufwendungen zur Altersversorgung durch den Beschäftigungsstaat Österreich Sorge getragen hat, sind die vom EuGH als maßgeblich angesehenen Kriterien erfüllt. Die die Berücksichtigung der Altersvorsorgeaufwendungen im Rahmen des Sonderausgabenabzugs betreffenden Ausführungen (oben II.1.c) gelten in gleicher Weise für die Ebene des Progressionsvorbehalts. Das Unionsrecht verpflichtet den Wohnsitzstaat nicht zur Berücksichtigung von Aufwendungen für die Altersversorgung, deren Berücksichtigung durch ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung dem die betreffenden Einkünfte besteuernden Beschäftigungsstaat übertragen worden ist.

Der Senat erachtet die aufgezeigte Unionsrechtslage in Anbetracht der zitierten Rechtsprechung des EuGH als eindeutig, so dass es einer abermaligen Vorlage gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht bedarf (vgl. dazu EuGH-Urteil CILFIT vom 06.10.1982 – Rs. 283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

4. Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO ).

Vorinstanz: FG Nürnberg, vom 13.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 5 K 887/18
Fundstellen
BFH/NV 2021, 1357
DStZ 2021, 885