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BVerwG - Entscheidung vom 28.07.2020

9 B 29.20 (9 B 66.19)

Normen:
VwGO § 87b Abs. 3
UmwRG § 6

BVerwG, Beschluss vom 28.07.2020 - Aktenzeichen 9 B 29.20 (9 B 66.19)

DRsp Nr. 2020/12866

Zurückweisung des klägerischen Vortrags zur Nichtauslegung des Wasserkörperdatenblattes wegen Verspätung; Ermessensentscheidung bei der Zurückweisung von Vorbringen oder Beweismitteln

Soweit § 6 UmwRG auf die Regelung zur Zurückweisung verspäteten Vorbringens in § 87b Abs. 3 VwGO Bezug nimmt, um zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen, kann nicht angenommen werden, dass neue Tatsachen, die außerhalb der 6-Wochen-Frist bekannt werden, noch jederzeit als entschuldigt in das Verfahren eingeführt werden könnten.

Tenor

Der Beschluss des Senats vom 16. April 2020 - BVerwG 9 B 66.19 - bleibt aufrechterhalten.

Normenkette:

VwGO § 87b Abs. 3 ; UmwRG § 6;

Gründe

1. Das frühere Verfahren BVerwG 9 B 66.19 (Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. August 2019) wurde auf die begründete Anhörungsrüge des Klägers hin mit Beschluss vom heutigen Tage (BVerwG 9 B 24.20) unter dem Aktenzeichen - 9 B 29.20 - fortgesetzt, soweit es um den bislang nicht berücksichtigten Schriftsatz des Klägers vom 2. Dezember 2019 geht.

Die gemäß § 152a Abs. 5 Satz 2 VwGO erneut zu treffende Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde führt jedoch nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde ist auch unter Berücksichtigung des Schriftsatzes vom 2. Dezember 2019 in der Sache zurückzuweisen. Daher ist die ursprüngliche Entscheidung im Tenor, nicht aber wegen der Begründung aufrechtzuerhalten (vgl. VGH München, Beschluss vom 14. März 2018 - 13a ZB 18.30454 - juris Rn. 3 m.w.N.; Happ, in: Eyermann, VwGO , 15. Aufl. 2019, § 152a Rn. 25). Diese wird vielmehr um die nachfolgenden Gründe ergänzt.

2. Die im Schriftsatz des Klägers vom 2. Dezember 2019 (Teil 2 der Beschwerdebegründung) erhobenen Grundsatz- und Verfahrensrügen führen nicht zur Zulassung der Revision.

a) Die geltend gemachten Grundsatzrügen (S. 8 f.) sind wortgleich mit denen in der Beschwerdebegründung vom 26. November 2019, so dass insoweit auf den Beschluss vom 16. April 2020 - 9 B 66.19 - sowie - zur weiteren Erläuterung - auf den Anhörungsrügenbeschluss vom heutigen Tage (9 B 24.20) verwiesen werden kann.

b) Die Revision ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil im Zusammenhang mit der Zurückweisung des klägerischen Vortrags zur Nichtauslegung des Wasserkörperdatenblattes ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ).

Das Oberverwaltungsgericht hat den diesbezüglichen Vortrag als verspätet angesehen. Innerhalb der Klagebegründungsfrist sei dieser Fehler nicht geltend gemacht worden. Dies sei auch ohne Kenntnis des Inhalts des Wasserkörperdatenblattes möglich gewesen (OVG Lüneburg, Urteil vom 27. August 2019 - 7 KS 24/17 - juris Rn. 159 f.). Selbst wenn man dies anders sähe, sei das verspätete Vorbringen jedenfalls nicht genügend entschuldigt. Die Auffassung des Klägers, ihm stehe es nach Ablauf der Klagebegründungsfrist frei, erst später bekannt gewordene Tatsachen zu jedem späteren Zeitpunkt des Verfahrens einzubringen, überzeuge erkennbar nicht. Eine solche Sichtweise widerspreche eklatant dem Sinn und Zweck der Klagebegründungsfrist, zu einer Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen. Könne während der Klagebegründungsfrist aus Gründen, die nicht in der Sphäre des Klägers liegen, nicht vorgetragen werden, sei ein verspätetes Vorbringen lediglich bis zu dem Zeitpunkt entschuldigt, in dem ein Vortrag möglich und zumutbar geworden sei. Vorliegend habe die Beklagte das fragliche Wasserkörperdatenblatt mit Schriftsatz vom 14. August 2017 vorgelegt. Der Vortrag der Kläger dazu sei jedoch erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 14. August 2019 erfolgt (OVG Lüneburg, Urteil vom 27. August 2019 - 7 KS 24/17 - juris Rn. 160). Es sei schließlich auch nicht mit geringem Aufwand möglich, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln. Denn die Aufklärung, zu welchem Zeitpunkt das aktualisierte Wasserkörperdatenblatt veröffentlicht worden sei, welche Unterlagen ausgelegt worden seien, ob es sich um einen Verfahrensfehler oder um einen materiellen Fehler handele und ob ein etwaiger Verfahrensfehler beachtlich gewesen sei, erfordere eine nähere Prüfung mit nicht mehr geringem Aufwand (ebd. Rn. 161).

Bei der Zurückweisung von Vorbringen oder Beweismitteln nach § 87b VwGO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, deren Voraussetzungen der Senat bereits im Beschluss vom 16. April 2020 - 9 B 66.19 - (juris Rn. 16) näher erläutert hat. Hiervon ausgehend ist ein Verfahrensfehler nicht erkennbar.

Nicht überzeugend ist der Hinweis des Klägers, es habe sich lediglich um einen rechtlichen Hinweis gehandelt, der vom Gericht nicht als verspätet habe ausgeschlossen werden können (S. 7 Mitte), denn die fehlende Auslegung einer Unterlage ist - anders als etwa die Sachurteilsvoraussetzungen einer Klage - keine stets von Amts wegen zu prüfende Tatsache. Ob die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts überzeugend ist, der Kläger habe schon innerhalb der Klagebegründungsfrist die fehlende Auslegung des Wasserkörperdatenblattes rügen können, mag zweifelhaft sein. Dies kann aber dahinstehen, da das Gericht die Zurückweisung selbständig tragend darauf gestützt hat, dass das spätere Vorbringen - erst lange nach Kenntnis des Inhalts des Datenblattes - nicht ausreichend entschuldigt war und zu einer Verzögerung des Verfahrens geführt hätte. Jedenfalls insoweit war das Vorgehen nicht verfahrensfehlerhaft.

Das Oberverwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass § 6 UmwRG auf die Regelung zur Zurückweisung verspäteten Vorbringens in § 87b Abs. 3 VwGO Bezug nimmt, um zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen. Die Auffassung des Klägers, es stehe ihm frei, neue Tatsachen, die ihm außerhalb der 6-Wochen-Frist bekannt werden, noch jederzeit als entschuldigt in das Verfahren einzuführen, steht damit in klarem Widerspruch. Dass - ausgehend von den vom Gericht angenommenen Voraussetzungen (Entschuldigung lediglich bis zu dem Zeitpunkt, in dem ein Vortrag möglich und zumutbar geworden ist) - ein Verfahrensfehler vorlag, legt die Beschwerde nicht dar. Sie weist lediglich darauf hin, dass sie erstmals am 18. August 2017 Kenntnis von dem neuen Datenblatt erlangt habe (S. 7 oben); warum sie nicht unverzüglich darauf reagierte, erläutert sie hingegen nicht, auch nicht im nachgereichten Schriftsatz vom 27. Juli 2020. Soweit der Kläger schließlich die vom Gericht bei der hilfsweisen Anwendung des § 4a UmwRG a.F. angenommene Verzögerung (OVG Lüneburg, Urteil vom 27. August 2019 - 7 KS 24/17 - juris Rn. 165 f.) in Abrede stellt (S. 9), setzt er lediglich seine eigene Würdigung an die Stelle derjenigen des Gerichts. Auch damit wird ein Verfahrensfehler nicht dargelegt.

c) Aus denselben Gründen ist ein Verfahrensmangel auch nicht im Zusammenhang mit der Prüfung des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbotes und des Verbesserungsgebotes nach § 27 Abs. 1 WHG dargelegt. Denn auch insoweit hat das Oberverwaltungsgericht den Vortrag, der erstmals in den Schriftsätzen vom 12. und 25. August 2019 erfolgte, verfahrensfehlerfrei als unentschuldigt verspätet zurückgewiesen und zu Recht angenommen, dass der Sachverhalt nicht mit geringem Aufwand auch ohne Mitwirkung der Beteiligten zu ermitteln war (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Urteil vom 27. August 2019 - 7 KS 24/17 - juris Rn. 407 f.). Der Einwand des Klägers, für die Prüfung des Verschlechterungsverbotes und des Verbesserungsgebotes wäre ein irgendwie relevanter Sachverhaltsaufklärungsaufwand nicht entstanden, greift nicht durch. Vielmehr lassen sich die Einstufung und die vorhabenbedingte Verschlechterung des ökologischen Zustands oder Potentials eines Oberflächenwasserkörpers durch das Gericht regelmäßig nur mit sachverständiger Hilfe zuverlässig beurteilen.

Im Übrigen weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass dieser Rüge die Entscheidungserheblichkeit fehlt, da das Oberverwaltungsgericht die Kausalität des geltend gemachten Fehlers - selbständig tragend - verneint hat. Der - unterstellte - Mangel habe nur örtliche Bedeutung und sei für die Eigentumsbetroffenheit der Kläger nicht kausal (OVG Lüneburg, Urteil vom 27. August 2019 - 7 KS 24/17 - juris Rn. 410). Diese materielle Erwägung wird vom Kläger nicht erfolgreich mit Verfahrens- oder Sachrügen angegriffen.