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BVerwG - Entscheidung vom 18.05.2020

4 B 8.20 (4 B 3.17)

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 93a Abs. 2 S. 1
VwGO § 152a

BVerwG, Beschluss vom 18.05.2020 - Aktenzeichen 4 B 8.20 (4 B 3.17)

DRsp Nr. 2020/9354

Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Gerichtliche Kontrolle von Verkehrsprognosen; Berücksichtigung von tatsächlichen Entwicklungen nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses; Besetzung des Spruchkörpers im Nachverfahren; Musterurteil; Fluglärm

Wesentliche Besonderheiten rechtlicher oder tatsächlicher Art im Sinne von § 93a Abs. 2 S. 1 VwGO liegen nicht immer schon dann vor, wenn die Musterentscheidung mit neuem oder ergänzendem Tatsachen- oder Rechtsvorbringen angegriffen wird.

Tenor

Die Anhörungsrüge der Kläger gegen den Beschluss des Senats vom 6. Februar 2020 - 4 B 3.17 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rügeverfahrens tragen die Kläger zu 2, zu 3 bis 6 und 8, zu 10 bis 12, zu 16 und 17, zu 28, zu 30, zu 34 und 35 sowie zu 40 und 41 zu je 1/8. Die Kläger zu 3 bis 6 und 8, zu 10 bis 12, zu 16 und 17, zu 34 und 35 sowie zu 40 und 41 haften jeweils als Gesamtschuldner. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; VwGO § 93a Abs. 2 S. 1; VwGO § 152a;

Gründe

Die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO hat keinen Erfolg.

Die Kläger machen geltend, der Senat habe Beschwerdevorbringen zur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle von Prognosen und den Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht zur Kenntnis genommen oder erwogen und Verfahrensrügen unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zurückgewiesen. Zudem rügen sie die Nichtbeachtung von erstinstanzlichem Akteninhalt und Klageanträgen. Dies bleibt erfolglos. Der Senat hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die Kläger haben daher keinen Anspruch auf Fortführung des Verfahrens nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO .

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch, deren (Rechts-)Auffassung zu folgen. Die Vorschrift ist nur verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. Januar 2020 - 2 BvR 2592/18 - NStZ 2020, 115 = juris Rn. 11 f. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 42). Die Anhörungsrüge ist dagegen kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Sie verleiht insbesondere keinen Anspruch, dass das Gericht seine Entscheidung anhand der Einwände noch einmal überdenkt und, wenn es an ihr festhält, durch eine ergänzende oder vertiefende Begründung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2020 - 4 A 6.19 - juris Rn. 4).

1. Der Senat hat die zur gerichtlichen Kontrolle von Prognosen aufgeworfenen Grundsatzfragen zur Kenntnis genommen und dargelegt, warum er sie als geklärt ansieht und das Beschwerdevorbringen ihm keinen Anlass gibt, seine Rechtsprechung in einem Revisionsverfahren zu überprüfen (BA Rn. 36 ff.). Das gilt auch für die verfassungsrechtlichen Fragen (BA Rn. 41 f.) und die Berücksichtigung von tatsächlichen Entwicklungen nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses (BA Rn. 43 ff.). Die von den Klägern kritisierte Bezugnahme (BA Rn. 48) auf das Musterurteil vom 4. April 2012 (- 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 59) erschöpft sich darin, dass die verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Rechtsprechung bereits im Musterverfahren erhoben worden waren und der Senat ihnen dort nicht gefolgt ist (vgl. BA Rn. 45).

2. Der Senat hat es ohne Gehörsverstoß abgelehnt, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der zu § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO formulierten Fragen zuzulassen.

a) Mit der im Beschluss vom 6. Februar 2020 unter II. 1. a) 1. Absatz (BA Rn. 11) wiedergegebenen Frage hat sich der Senat befasst und sie - sofern rechtsgrundsätzlich klärungsfähig - als in der Rechtsprechung bereits geklärt erachtet (BA Rn. 14 ff.). Den Hinweis der Beschwerde auf die Dauer des Musterverfahrens und der Nachverfahren hat der Senat gewürdigt (BA Rn. 19). Er hat Gesichtspunkte benannt, die beim Vergleich von Muster- und Nachverfahren eine Rolle spielen können (BA Rn. 20 ff.) und verfassungs- und konventionsrechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit des § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO und den für seine Anwendung entwickelten Maßstab zurückgewiesen (BA Rn. 16 f., 23 ff.). Dass die Kläger meinen, für diese Ausführungen hätte es eines Revisionsverfahrens bedurft, zeigt keinen Gehörsverstoß auf.

b) Gleiches gilt für die unter II. 1. a) 2. Absatz (BA Rn. 11) wiedergegebene Frage nach der Besetzung des Spruchkörpers im Nachverfahren. Der Senat hat dargelegt, warum die aufgeworfene Frage nicht in einem Revisionsverfahren grundsätzlich geklärt werden muss (BA Rn. 29 ff.). Den Einwand, die Richter des Nachverfahrens könnten sich ihre Überzeugung nur auf der Grundlage des Musterurteils bilden, sofern keine Personenidentität mit den Richtern des Musterverfahrens besteht, hat der Senat der Sache nach mit dem Hinweis auf die Beweisregelungen in § 93a Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwGO und das Einstimmigkeitserfordernis (BA Rn. 32) beantwortet. Zu dem Vorbringen, der Verwaltungsgerichtshof habe eine "erneute" Beweisaufnahme abgelehnt, musste der Senat sich nicht verhalten. Die Ausführungen auf S. 14 f. der Beschwerdebegründung dienten dazu, die Klärungsbedürftigkeit der auf S. 4 formulierten Grundsatzfragen darzulegen. Gleiches gilt für die vermeintlich nicht beschiedene "Gehörsrüge" auf S. 16 der Beschwerdebegründung. Die erhobenen Verfahrensrügen sind in der Beschwerdebegründung von S. 24 bis 71 aufgeführt. Es ist nicht Aufgabe des Senats, eine 94 Seiten umfassende Beschwerdebegründung auf weitere, nicht explizit benannte Verfahrensrügen zu sichten. Worauf die Kläger ihre Behauptung stützen, der Verwaltungsgerichtshof sei von einer rechtlichen Bindung der im Nachverfahren entscheidenden Richter an die Musterurteile ausgegangen, ist - sofern im Rahmen der Grundsatzrüge überhaupt von Bedeutung - nicht ersichtlich.

c) Soweit die Kläger beanstanden, der Senat habe die Frage 2 (S. 4 der Beschwerdebegründung) nur sinngemäß wiedergegeben, geht dieser Vortrag am Inhalt des Beschlusses vom 6. Februar 2020 (BA Rn. 33 ff.) vorbei.

3. Der Senat hat die gegen die Entscheidung im Beschlusswege nach § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO gerichtete Verfahrensrüge unter Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zurückgewiesen, soweit diese Rüge erfolglos geblieben ist.

a) Nicht auf einen Gehörsverstoß zielt die Kritik, der Senat habe der Prüfung der Verfahrensrügen fehlerhaft den materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz als maßgeblich zugrunde gelegt. Diese Kritik wendet sich allein gegen die nach Auffassung der Kläger fehlerhafte Rechtsanwendung durch den Senat.

b) Warum der Verwaltungsgerichtshof das Vorbringen zur gerichtlichen Überprüfung von Verkehrsprognosen nicht zum Anlass für eine mündliche Verhandlung nehmen musste, legt der angegriffene Beschluss unter Rn. 57 f. dar. Der Vorwurf, der Senat habe sich nicht mit den in der Beschwerdebegründung genannten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt, trifft weder hinsichtlich der "Prognose-Rechtsprechung" (BA Rn. 41 f.) noch im Hinblick auf § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO (BA Rn. 16 f. und Rn. 23 ff.) zu.

c) Der Senat hat das Beschwerdevorbringen zum "kapazitätslimitierenden Betriebskonzept" zur Kenntnis genommen und erwogen (vgl. BA Rn. 58 ff.). Der Verwaltungsgerichtshof hat den Vortrag der Kläger zu diesem Komplex auf der Grundlage des Musterurteils als nicht entscheidungserheblich erachtet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten. Dagegen ist - wie bereits im Beschluss vom 6. Februar 2020 ausgeführt - nach dem Maßstab des § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO nichts zu erinnern. Die Ausführungen der Anhörungsrügen erschöpfen sich darin, dieser Auffassung zu widersprechen.

d) Die Rüge, der Senat habe das Beschwerdevorbringen zu Gesundheitsgefahren durch nächtlichen Fluglärm nicht berücksichtigt und die Kläger fehlerhaft auf nachträglich geltend zu machende Schutzansprüche verwiesen, liegt angesichts der Ausführungen unter Rn. 65 ff. des Beschlusses vom 6. Februar 2020 neben der Sache. Anders als die Kläger meinen, liegen wesentliche Besonderheiten rechtlicher oder tatsächlicher Art im Sinne von § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht immer schon dann vor, wenn die Musterentscheidung mit neuem oder ergänzendem Tatsachen- oder Rechtsvorbringen angegriffen wird.

e) Das Beschwerdevorbringen zu geringfügigen Lärmbetroffenheiten gibt der Beschluss unter Rn. 72 zutreffend wieder; insoweit wird auf S. 62 f. der Beschwerdebegründung verwiesen. Einen Gehörsverstoß legt die Anhörungsrüge nicht dar. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen schon in den Musterverfahren aus Rechtsgründen keine Veranlassung gesehen, die sog. Geringfügigkeitsschwelle zu konkretisieren. Dass die Kläger dies für rechtsfehlerhaft halten, reicht zur Begründung wesentlicher Besonderheiten im Sinne von § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht aus.

f) Die Kläger rügen, der Senat habe ihren Vortrag zu den Gefahren durch Wirbelschleppen unzulässig verkürzt und ihnen ein Musterurteil entgegengehalten, das zur Wirbelschleppenproblematik keine Feststellungen treffe. Davon kann angesichts der Ausführungen unter Rn. 78 des Beschlusses keine Rede sein.

4. Bei der Behandlung des geltend gemachten Anhörungsmangels sind weder erstinstanzlicher Akteninhalt noch Klageanträge übergangen worden. Abgesehen davon, dass ein Anhörungsmangel in der Beschwerdebegründung (S. 58 ff., 60 ff.) nur zum Thema "An- und Abschwellen/Planklarstellung" (Antrag Nr. 1d) substantiiert gerügt worden ist, hat der Senat sich auch zu den anderen Anträgen verhalten (BA Rn. 85).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 , § 159 Satz 2, Satz 1 i.V.m. § 100 ZPO , § 162 Abs. 3 VwGO . Die Gerichtsgebühr ergibt sich unmittelbar aus Nr. 5400 KV zu § 3 Abs. 2 GKG . Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht.