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BVerwG - Entscheidung vom 15.01.2020

2 B 39.19

Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1-2

BVerwG, Beschluss vom 15.01.2020 - Aktenzeichen 2 B 39.19

DRsp Nr. 2020/3425

Verschulden des Dienstherrn als Voraussetzung für die Aufhebung der Ernennung eines rechtsfehlerhaft ausgewählten Beamten wegen der Verletzung des Bewerbungsanspruchs eines übergangenen Mitbewerbers

Der Anspruch auf Schadensersatz wegen der schuldhaften Verletzung des aus Art. 33 Abs. 2 GG abzuleitenden Bewerbungsverfahrensanspruchs eines Interessenten setzt ein Verschulden des Dienstherrn voraus.

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. Juni 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 31 393,20 € festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 33 Abs. 2 ; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 -2;

[Gründe]

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) sowie auf Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) gestützte Beschwerde der Beklagten ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

1. Der 1961 geborene Kläger steht als Akademischer Oberrat (Besoldungsgruppe A 14) im Dienst der beklagten Universität. Im Hinblick auf das Ausscheiden des damaligen Akademischen Direktors des Pharmazeutischen Instituts der Beklagten mit Ablauf des 30. November 2012 beantragte die Leiterin eines Arbeitsbereichs des Instituts Ende Mai 2012 beim Rektor der Beklagten die Ernennung eines anderen Akademischen Oberrats zum Akademischen Direktor mit Wirkung zum 1. Januar 2013. Auf Vorschlag des Leiters der Personalabteilung erklärte der Kanzler der Beklagten Mitte Juni 2012 sein Einverständnis mit der beabsichtigten Ernennung. Nachdem der Personalrat der wissenschaftlichen Beschäftigten zugestimmt hatte, ernannte der Rektor der Beklagten diesen Akademischen Oberrat mit Wirkung vom 1. Januar 2013 zum Akademischen Direktor.

Mit Schreiben vom 19. Juli 2015 teilte der Kläger dem Rektor der Beklagten mit, man habe ihn darüber informiert, dass die Direktorenstelle ohne sein Wissen anderweitig besetzt worden sei. Der Ernannte habe die Stelle nur deshalb erhalten, weil eine ordnungsgemäße Ausschreibung unterblieben und die Stellenbesetzung in aller Stille geschehen sei. Mit weiterem Schreiben vom 16. September 2015 rügte der Kläger die Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs. Er beantragte die Aufhebung der getroffenen Auswahlentscheidung, der Ernennung des anderen Akademischen Oberrats zum Akademischen Direktor und der Einweisung des Ernannten in eine entsprechende Planstelle, sowie die eigene Beförderung unter Ausnutzung dieser Planstelle, hilfsweise eine erneute Entscheidung hierüber. Schließlich verlangte er, im Wege des Schadensersatzes in dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlicher Hinsicht so gestellt zu werden, als wäre er seinerzeit anstelle des Ernannten befördert worden. Diesen Antrag des Klägers lehnte die Beklagte ab.

Die Klage auf Aufhebung der Auswahlentscheidung und der Ernennung des ausgewählten Oberrats zum Akademischen Direktor und auf Beförderung des Klägers zum Akademischen Direktor, hilfsweise auf Verpflichtung der Beklagten, über die Beförderung des Klägers unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, sind Gegenstand des Urteils des Oberverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2019 - 6 A 1133/17 - und des Beschlusses des Senats über die Nichtzulassung der Beschwerden der Beklagten und des in diesem Verfahren beigeladenen Ernannten (Beschluss vom 15. Januar 2020 - 2 B 38.19 -). Die Klage auf Verpflichtung der Beklagten, den Kläger im Wege des Schadensersatzes in dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlicher Hinsicht so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er mit Wirkung vom 1. Januar 2013 nach Besoldungsgruppe A 15 befördert worden wäre, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte verurteilt, den Kläger im Wege des Schadensersatzes für die Zeit bis zur Bekanntgabe der nach dem Berufungsurteil vom 17. Juni 2019 - 6 A 1133/17 - zu treffenden Auswahlentscheidung dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlich so zu stellen, als wäre er zum 1. Januar 2013 zum Akademischen Direktor (Besoldungsgruppe A 15) befördert worden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beklagte habe den Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers in mehrfacher Hinsicht verletzt. Die Beklagte habe die zu besetzende Beförderungsstelle weder ausgeschrieben noch sämtliche Bewerber aus einem zulässigerweise vorab festgelegten Bewerberkreis von sich aus in die Betrachtung einbezogen. Sie habe auch in Vorbereitung der Auswahlentscheidung für den Kläger wie auch für den Ausgewählten keine dienstlichen Beurteilungen erstellt. Die Verletzung des Verfahrensanspruchs des Klägers habe die Beklagte auch zu vertreten. Die Verletzung der Rechte des Klägers aus Art. 33 Abs. 2 GG sei kausal für seine Nichtbeförderung gewesen. Der Kläger habe es nicht schuldhaft unterlassen, den Schadenseintritt durch Gebrauch eines Rechtsmittels im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB abzuwenden. Der Schadensersatzanspruch sei ferner nicht verwirkt. Die Begrenzung des Schadensersatzanspruchs auf die Zeit bis zur Bekanntgabe einer erneuten Auswahlentscheidung folge aus dem Grundsatz, dass Sekundärrechtsschutz ausgeschlossen sei, wenn und soweit Primärrechtsschutz möglich sei.

2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde der Beklagten beimisst.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO , wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2013 - 1 B 25.12 - Buchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 7 Rn. 3).

a) Die Beklagte sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zunächst in der Frage,

"ob die Aufhebung der Ernennung eines rechtsfehlerhaft ausgewählten Beamten wegen der Verletzung des Bewerbungsanspruchs eines übergangenen Mitbewerbers aus Art. 33 Abs. 2 GG ein Verschulden des Dienstherrn voraussetzt."

Diese Frage vermag die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen, weil sie für die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erheblich ist. Gegenstand des vorliegenden Berufungsurteils ist der Anspruch auf Schadensersatz wegen der schuldhaften Verletzung des aus Art. 33 Abs. 2 GG abzuleitenden Verfahrensanspruchs eines Interessenten. Dieser Schadensersatzanspruch setzt ein Verschulden des Dienstherrn voraus. Die Frage, ob der Erfolg der Anfechtungsklage gegen die Ernennung des ausgewählten Beamten ebenfalls das Verschulden des Dienstherrn voraussetzt, ist für das hier zu entscheidende Schadensersatzbegehren ohne Bedeutung.

Zudem ist, wie im Beschluss des Senats im Parallelverfahren - 2 B 38.19 - ausgeführt, die Frage des Verschuldens für das Urteil des Oberverwaltungsgerichts über die Anfechtungsklage gegen die Ernennung (OVG 6 A 1133/17) nicht tragend und ein Verschulden des Dienstherrn für den Erfolg einer solchen Klage auch nicht erforderlich.

b) Auch die weitere in der Beschwerde der Beklagten bezeichnete Frage,

"ob bei der Gesamtbewertung und -abwägung aller Umstände im Rahmen der Prüfung, ob der in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzte übergangene Mitbewerber sein Recht auf Anfechtung der Ernennung des ausgewählten Beamten verwirkt hat, das berechtigte Vertrauen des ausgewählten Beamten in den Bestand seiner Ernennung regelmäßig dann überwiegt, wenn der übergangene Mitbewerber sein Anfechtungsrecht nicht binnen eines Jahres ab der Ernennung ausgeübt hat",

führt nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO , weil sie im angestrebten Revisionsverfahren nicht grundsätzlich geklärt werden könnte.

Der Grundsatz der Verwirkung erfordert eine Gesamtbewertung aller Umstände des konkreten Einzelfalls, die für das Zeit-, Umstands- und Vertrauensmoment von Bedeutung sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 - BVerwGE 163, 36 Rn. 16 ff. und Beschluss vom 15. Januar 2020 - 2 B 38.19 - Rn. 12 <Parallelsache betrifft die Anfechtung der Ernennung>). Die Festsetzung einer generellen und festen zeitlichen Grenze, bei deren Überschreitung die jeweilige prozessuale Befugnis oder das materielle Recht verwirkt ist und die den Kenntnisstand des Berechtigten hinsichtlich der ihm zustehenden Rechte unberücksichtigt lässt, ist dementsprechend ausgeschlossen.

3. Die Rüge der Divergenz vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 - ist unzulässig.

Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2018 - 2 B 17.18 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO 118 Rn. 7). Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1995 - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung der Beklagten nicht, weil keine rechtssatzmäßige Abweichung aufgezeigt wird.

Die Darlegungen in der Beschwerdebegründung beziehen sich auf die Überlegungen des Oberverwaltungsgerichts im Berufungsurteil vom 17. Juni 2019 - 6 A 1133/17 - unter I.1.d) (UA S. 39 bis 41), auf die im hier angegriffenen Berufungsurteil verwiesen wird (UA S. 35). Diese betreffen jedoch nicht den Aspekt der Verwirkung, sondern die davon zu trennende Frage, ob für das Recht, im Wege der Anfechtung der Ernennung des ausgewählten Beamten die Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs geltend zu machen, unabhängig von den Gesichtspunkten der Verwirkung und der Verjährung aufgrund des Bestandsinteresses des ausgewählten Beamten eine äußere zeitliche Grenze besteht.

Die Beklagte beachtet nicht, dass das Berufungsgericht diese Frage in seinem Berufungsurteil vom 17. Juni 2019 - 6 A 1133/17 - (UA S. 39), nicht, wie von ihr geltend gemacht, verneint, sondern vielmehr offengelassen hat. Zudem betreffen die von der Beschwerde herangezogenen Ausführungen in Rn. 35 des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 2018 - 2 C 10.17 - gerade das Rechtsinstitut der Verwirkung. Die Erwägungen zur Verwirkung des Rechts auf Anfechtung der Ernennung des ausgewählten Bewerbers hängen aber wiederum von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab; die Entwicklung einer generellen und festen zeitlichen Grenze für die Annahme der Verwirkung ist mit Blick auf die Bandbreite möglicher Fallkonstellationen nicht möglich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 40 und § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG .

Vorinstanz: VG Köln, vom 05.04.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 3 K 11364/16
Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 17.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 6 A 1134/17