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BVerwG - Entscheidung vom 07.01.2020

4 B 74.17

Normen:
UVPG (2013) § 2 Abs. 1 S. 2
UVPG § 2 Abs. 2
UmwRG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3

BVerwG, Beschluss vom 07.01.2020 - Aktenzeichen 4 B 74.17

DRsp Nr. 2020/3413

Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für Errichtung und Betrieb einer Gasversorgungsleitung hinsichtlich Gebotenheit der Betrachtung unfallbedingter oder störfallbedingter Auswirkungen

1. Maßgeblich für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses ist der Zeitpunkt seines Erlasses, soweit nicht spätere Änderungen einen vormaligen Rechtsverstoß entfallen lassen.2. Das Unterlassen einer gegebenenfalls gebotenen Betrachtung von Unfällen oder Störfällen stellt grundsätzlich einen inhaltlichen Mangel der Umweltverträglichkeitsprüfung dar. Ein Verfahrensfehler käme allenfalls in Betracht, wenn der Mangel so schwer wiegen würde, dass das zentrale gesetzgeberische Anliegen einer frühzeitigen und effektiven Öffentlichkeitsbeteiligung grundsätzlich in Frage gestellt wäre.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. September 2017 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.

Normenkette:

UVPG (2013) § 2 Abs. 1 S. 2; UVPG § 2 Abs. 2 ; UmwRG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3;

[Gründe]

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO , die die Klägerin ihr beimisst.

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO ) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).

1. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für Errichtung und Betrieb einer Gasversorgungsleitung im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes auf der Grundlage von § 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG 2013 und § 2 Abs. 2 UVPG n.F. die Betrachtung unfall- oder störfallbedingter Auswirkungen geboten ist, ihr Unterlassen zur Verfahrensfehlerhaftigkeit der UVP führt und dies zu einem Aufhebungsanspruch nach § 4 Abs. 1 UmwRG.

Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision.

a) Soweit die Beschwerde die Frage zu § 2 Abs. 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2808 , UVPG n.F.) aufwirft, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit. Maßgeblich für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses ist der Zeitpunkt seines Erlasses, soweit nicht spätere Änderungen einen vormaligen Rechtsverstoß entfallen lassen (BVerwG, Beschluss vom 26. September 2013 - 4 VR 1.13 - NuR 2013, 800 <803> und Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 25). Bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses am 30. Oktober 2013 galt § 2 Abs. 2 UVPG n.F. aber noch nicht.

b) Soweit die Frage § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94 ), für den hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 25. Juli 2013 (BGBl. I S. 2749 , UVPG a.F.) betrifft, fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit. Denn die aufgeworfene Rechtsfrage lässt sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Januar 2017 - 4 B 43.16 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 222 Rn. 3 und vom 9. Mai 2018 - 4 B 40.17 - ZfBR 2018, 589 Rn. 9).

Dabei kann der Senat offenlassen, ob und in welchem Umfang eine Betrachtung unfall- oder störfallbedingter Auswirkungen im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung für Errichtung und Betrieb einer Gasversorgungsleitung geboten ist. Ein entsprechender Fehler hätte jedenfalls nicht zu einem Aufhebungsanspruch nach § 4 Abs. 1 UmwRG geführt. Danach kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens verlangt werden, wenn eine erforderliche UVP beziehungsweise eine erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG) oder eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG). Außerdem besteht ein Aufhebungsanspruch, wenn ein den vorgenannten Fehlern nach seiner Art und Schwere vergleichbarer Verfahrensfehler vorliegt, der nicht geheilt worden ist und der dem Beteiligten die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 UmwRG). Die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG liegen nicht vor.

Fraglich ist schon, ob die fehlende Ermittlung, Beschreibung und Bewertung bestimmter Auswirkungen eines Vorhabens einen Verfahrensfehler im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG darstellt. Unter dem - im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz nicht näher definierten - Begriff des Verfahrensfehlers werden nach herkömmlichem Rechtsverständnis nur Verstöße gegen Rechtsvorschriften gefasst, die die äußere Ordnung des Verfahrens, das heißt den Verfahrensablauf als solchen betreffen. Nicht zum äußeren Verfahrensgang in diesem Sinne gehört dagegen der durch materiell-rechtliche Vorgaben gesteuerte Prozess der Willens- und Entscheidungsbildung. Die UVP umfasst die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Vorhabens oder eines Plans oder Programms auf die Schutzgüter. Sie strukturiert das Verfahren im Vorfeld der Sachentscheidung durch die Phasen der Informationsgewinnung und der Informationsverarbeitung und vollzieht sich in verschiedenen Verfahrensschritten (z.B. Unterrichtung, Beteiligung, zusammenfassende Darstellung, begründete Bewertung, Bekanntmachung), die ordnungsgemäß durchgeführt werden müssen. Von den einzelnen Verfahrensschritten und ihrer Durchführung zu unterscheiden sind die Anforderungen an ihre inhaltliche Ausgestaltung, die von den materiell-rechtlichen Maßstäben der im jeweiligen Einzelfall einschlägigen Fachgesetze geprägt werden, für deren Prüfung die UVP durch Zusammenstellung und Aufbereitung des umweltbezogenen Tatsachenmaterials den Rahmen und die Grundlage bildet (BVerwG, Urteil vom 28. November 2017 - 7 A 17.12 - BVerwGE 161, 17 Rn. 29 ff. m.w.N.).

Angesichts dieser Regelungssystematik betrifft die Frage, ob im Rahmen der UVP neben den betriebsbedingten auch unfall- oder störfallbedingte Auswirkungen des Vorhabens der Betrachtung bedurft hätten, nicht den Verfahrensgang als solchen, sondern beurteilt sich nach fachlichen Gesichtspunkten unter maßgeblicher Berücksichtigung der einschlägigen Vorschriften des Fachrechts. Das Unterlassen einer gegebenenfalls gebotenen Betrachtung von Unfällen oder Störfällen stellt daher jedenfalls grundsätzlich einen inhaltlichen Mangel der UVP dar. Ein Verfahrensfehler käme allenfalls in Betracht, wenn der Mangel so schwer wiegen würde, dass das zentrale gesetzgeberische Anliegen einer frühzeitigen und effektiven Öffentlichkeitsbeteiligung grundsätzlich in Frage gestellt wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2017 - 7 A 17.12 - BVerwGE 161, 17 Rn. 31; vgl. auch Seibert, NVwZ 2019, 337 <339 f.>).

Jedenfalls die Voraussetzungen eines absoluten Verfahrensfehlers nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG, der ohne Weiteres, das heißt unabhängig von den in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 46 VwVfG geregelten Voraussetzungen zur Aufhebung des Planes führen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73 Rn. 41), liegen hier nicht vor. Eine UVP wurde durchgeführt. Diese befasste sich zwar nicht mit den Folgen möglicher Unfälle oder Störfälle, jedoch nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts mit der Frage der technischen Sicherheit der unterirdisch verlegten Erdgasleitung (UA S. 25 f.). Im Rahmen der durchgeführten Öffentlichkeitsbeteiligung trug ein Grundstückseigentümer Sicherheitsbedenken gegen den Bau und Betrieb der Erdgasleitung in der Nähe von Gebäuden vor. Diese Einwände wurden von der Planfeststellungsbehörde behandelt und im Planfeststellungsbeschluss zurückgewiesen. Selbst wenn ein Verfahrensfehler vorläge, wäre dieser daher ersichtlich nach seiner Art und Schwere nicht mit den Fällen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 UmwRG vergleichbar.

Dass die Rechtssache im Fall eines relativen Verfahrensfehlers nach § 4 Abs. 1a UmwRG grundsätzliche Bedeutung haben könnte, macht die Beschwerde nicht geltend. Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht ausgehend von dem Rechtsstandpunkt, dass die durchgeführte UVP nicht zu beanstanden ist, keine Feststellungen zu der sich nach § 4 Abs. 1a Satz 1 UmwRG i.V.m. § 46 VwVfG stellenden Frage getroffen, inwiefern ein Verfahrensfehler die Entscheidung in der Sache beeinflusst haben könnte (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73 Rn. 43 und Beschluss vom 21. Juni 2016 - 9 B 65.15 - Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 20 Rn. 22). Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ist die Revision indes nur zuzulassen, wenn sich eine grundsätzliche Rechtsfrage unmittelbar, nicht erst auf Grund von weiterer Sachaufklärung nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache beantwortet (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 29. März 1961 - 3 B 43.60 - Buchholz 427.3 § 339 LAG Nr. 120 S. 152 und vom 19. Februar 2014 - 4 B 40.13 - BayVBl. 2014, 447 ).

2. Die Beschwerde hält ferner für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob eine Planfeststellungsbehörde stets abwägungsfehlerfrei davon absehen darf, die Auswirkungen eines Schadensszenarios weitergehend zu ermitteln, wenn das betreffende Vorhaben nicht der Störfall-Verordnung ( 12. BImSchV ) unterliegt.

Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie nicht entscheidungserheblich ist. Die Frage ist auf die Annahme des Oberverwaltungsgerichts bezogen, die Planfeststellungsbehörde habe angesichts der Verpflichtung der Beigeladenen auf umfangreiche sicherheitstechnische Vorgaben nach dem einschlägigen Fachrecht davon ausgehen dürfen, bei Einhaltung aller Vorgaben sei der Eintritt eines Schadensfalles - wenn auch nicht mit absoluter Sicherheit - ausgeschlossen. Da im Unterschied zu dem hier nicht anwendbaren § 3 Abs. 3 der Zwölften Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ( 12. BImSchV ) das einschlägige Fachrecht keine explizite Pflicht des Betreibers enthalte, durch vorbeugende Maßnahmen die Auswirkungen eines Störfalles zu begrenzen, stelle das Absehen von der Ermittlung der Auswirkungen eines Schadensszenarios keinen Abwägungsfehler dar (UA S. 54 ff.).

Damit ist das Oberverwaltungsgericht nicht von dem Rechtssatz ausgegangen, es dürfe stets von der Ermittlung von Schadensszenarien abgesehen werden, wenn ein Vorhaben nicht der 12. BImSchV unterfalle. Einen Abwägungsfehler hat es vielmehr in Anwendung und Auslegung des einschlägigen Fachrechts, konkret des Energiewirtschaftsgesetzes , der Gashochdruckleitungsverordnung und der technischen Regeln der Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e.V. verneint. Daran geht die Beschwerde vorbei.

Davon abgesehen hat das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung insoweit auf einen weiteren Begründungsstrang gestützt. Nach seiner Überzeugung hätte, wollte man die unterbliebene Betrachtung der Folgen eines Schadens an der Leitung als Mangel der Abwägung ansehen, ein solcher Mangel auf das Abwägungsergebnis keinen Einfluss gehabt. Aus dem Planfeststellungsbeschluss selbst ergäben sich konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Planfeststellungsbehörde gleichwohl dieselbe Entscheidung getroffen hätte. Die grundsätzliche Erwägung, wonach von einen nach den Regeln der Technik errichteten und betriebenen Erdgasleitung keine Sicherheitsgefahren zu erwarten seien, hänge nicht davon ab, welche Folgen mit einem dennoch eintretenden Schadensfall verbunden wären (UA S. 56).

Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 21. August 2018 - 4 BN 44.17 - Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 21 Rn. 3). In Bezug auf die Erwägung des Oberverwaltungsgerichts, ein Abwägungsfehler hätte sich nicht ausgewirkt, hat die Beschwerde zwar die tatrichterliche Würdigung kritisiert. Einen Zulassungsgrund hat sie in Bezug auf diesen Begründungsstrang indes nicht dargelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und Abs. 3 , § 162 Abs. 3 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 04.09.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 11 D 14/14 AK