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BVerwG - Entscheidung vom 17.02.2020

1 WNB 4.19

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 2
WBO § 18 Abs. 2 S. 1-2
WBO § 23a Abs. 2 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 17.02.2020 - Aktenzeichen 1 WNB 4.19

DRsp Nr. 2020/5629

Streit um die vom Truppendienstgericht vorgenommene Auslegung eines Befehls des Bataillonskommandeurs im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde; Voraussetzungen des Vorliegens eines Aufklärungsmangels; Voraussetzungen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs; Fehlender Maßnahmecharakter eines noch umsetzungsbedürftigen Befehls; Fehlen einer anfechtbaren dienstlichen Maßnahme

Die vom Truppendienstgericht vorgenommene Auslegung des Befehls des Bataillonskommandeurs ist eine Frage der materiellen Rechtsanwendung, die mit der Verfahrensrüge mangelhafter Aufklärung nicht erfolgreich angegriffen werden kann.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Nord vom 16. Januar 2019 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; VwGO § 108 Abs. 2 ; WBO § 18 Abs. 2 S. 1-2; WBO § 23a Abs. 2 S. 1;

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO ) einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 18 Abs. 2 Satz 1 und 2 WBO ) und des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG , § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO ) liegen nicht vor.

a) Der Antragsteller beanstandet, das Truppendienstgericht habe entgegen § 18 Abs. 2 Satz 1 und 2 WBO den Sachverhalt nicht aufgeklärt und ohne Erhebung der insoweit gebotenen Beweise den streitgegenständlichen Befehl des Bataillonskommandeurs in einer Weise ausgelegt, die zu seinem Wortlaut im Widerspruch stehe und daher nicht haltbar sei.

Der behauptete Aufklärungsmangel liegt nicht vor. Der angefochtene Beschluss gibt im Tatbestand den in Form einer Lotus Notes-Nachricht erteilten Befehl des Bataillonskommandeurs - unter Auslassung geringfügiger unerheblicher Passagen - einleitend in indirekter Rede und sodann im wörtlichen Zitat korrekt wieder; angeführt sind insbesondere sämtliche vom Antragsteller als bedeutsam angesehenen Textteile, die in der Beschwerde durch Unterstreichungen hervorgehoben sind. Im Tatbestand des Beschlusses enthalten sind teils im wörtlichen Zitat und teils in indirekter Rede auch die beiden Lotus Notes-Nachrichten, mit denen ein Offizier des Bataillonsstabes die Entscheidung des Kommandeurs an (unter anderem) die nachgeordneten Kompaniechefs weitergegeben hat. Mängel in der Ermittlung der Tatsachen, die nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Truppendienstgerichts für die Entscheidung erheblich sind, sind damit nicht gegeben.

Die vom Truppendienstgericht vorgenommene Auslegung des Befehls des Bataillonskommandeurs ist eine Frage der materiellen Rechtsanwendung, die mit der Verfahrensrüge mangelhafter Aufklärung nicht erfolgreich angegriffen werden kann. Dasselbe gilt, soweit das Truppendienstgericht die beiden Lotus Notes-Nachrichten des Offiziers des Bataillonsstabes für die Auslegung des Kommandeurbefehls herangezogen hat.

b) Auch eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG , § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO ) ist nicht gegeben.

Der Antragsteller sieht sein rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass das Truppendienstgericht den eindeutigen Wortlaut der Lotus Notes-Nachricht mit dem Befehl des Bataillonskommandeurs nicht zur Kenntnis und zur Erwägung genommen habe, sondern sich stattdessen auf eine "Vokabel des Stellvertreters" (gemeint ist die Formulierung in der ersten Lotus Notes-Nachricht des Offiziers des Bataillonsstabes, der Bataillonskommandeur habe "seine Absicht" formuliert) beziehe, die dieser sogleich binnen einer halben Stunde (gemeint: durch seine zweite Lotus Notes-Nachricht) selbst korrigiert habe.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 29. Oktober 2009 - 1 BvR 1729/09 - juris Rn. 12 und vom 18. Januar 2011 - 1 BvR 2441/10 - juris Rn. 10 sowie, auch zum Folgenden, BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 2015 - 1 WNB 1.15 - juris Rn. 4). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht dieser Pflicht Rechnung trägt. Es ist nicht gehalten, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen zu befassen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist erst dann anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände erkennen lassen, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat.

Das Truppendienstgericht hat nicht nur die Lotus Notes-Nachricht des Bataillonskommandeurs und die beiden Lotus Notes-Nachrichten des Offiziers des Bataillonsstabes im Tatbestand des Beschlusses wiedergegeben, sondern sich darüber hinaus - entgegen der Darstellung des Antragstellers - in den Entscheidungsgründen ausdrücklich mit sämtlichen Nachrichten auseinandergesetzt. Es hat seine Rechtsauffassung, dass es sich bei dem Befehl des Kommandeurs um eine noch umsetzungsbedürftige und damit für den Antragsteller nicht unmittelbar anfechtbare Maßnahme handelt, zunächst aus dem Inhalt der Kommandeurentscheidung selbst begründet. Anschließend hat es dieses Ergebnis (fehlender Maßnahmecharakter) durch die Aussagen der beiden (sowohl der ersten als auch der zweiten korrigierenden bzw. klarstellenden) Lotus Notes-Nachrichten des Offiziers des Bataillonsstabes bestätigt gesehen.

Soweit der Antragsteller meint, das Truppendienstgericht hätte in der Zusammenschau der Lotus Notes-Nachrichten den Maßnahmecharakter bejahen müssen, ist dies wiederum eine Frage der materiellen Rechtsanwendung, die mit der Verfahrensrüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht erfolgreich angegriffen werden kann.

2. Die behauptete Abweichung von dem Beschluss des Senats vom 22. Juli 2009 - 1 WB 15.08 - (BVerwGE 134, 246 ) liegt nicht vor (§ 22a Abs. 2 Nr. 2 WBO ).

a) Der Antragsteller macht zutreffend geltend, dass dem Beschluss des Senats der - für die Prüfung der Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung - tragende Rechtssatz zugrunde liegt, dass eine unmittelbar an die Soldaten gerichtete "Anordnung, die keiner weiteren Konkretisierung oder Umsetzung bedarf", eine dienstliche Maßnahme im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO darstellt, die der Überprüfung durch die Wehrdienstgerichte unterliegt (BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2009 - 1 WB 15.08 - BVerwGE 134, 246 Rn. 20). Das Truppendienstgericht weicht von diesem Rechtssatz jedoch nicht ab. Es begründet seine Rechtsauffassung, dass eine anfechtbare dienstliche Maßnahme nicht vorliegt, damit, dass der Befehl des Bataillonskommandeurs noch einer Umsetzung in einen konkreten Dienstplan (Uhrzeiten, Ausgleichsansprüche, Anordnung Mehrarbeit) bedurfte; erst durch die Umsetzung in den Zusatzdienstplan seiner Kompanie sei der Antragsteller unmittelbar betroffen. Das Truppendienstgericht folgt damit der Sache nach dem obigen Rechtssatz und verneint lediglich in der Subsumtion, dass es sich um eine "Anordnung, die keiner weiteren Konkretisierung oder Umsetzung bedarf", handelt. Soweit der Antragsteller diese Subsumtion für fehlerhaft hält, betrifft dies die Rechtsanwendung im Einzelfall, deren (behauptete) Fehlerhaftigkeit nicht mit der Divergenzrüge geltend gemacht werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. September 2012 - 1 WNB 1.12 - juris Rn. 8).

b) Soweit die Beschwerde geltend macht, das Truppendienstgericht weiche von zwei weiteren in dem Beschluss des Senats vom 22. Juli 2009 - 1 WB 15.08 - (BVerwGE 134, 246 Rn. 23 und 62 f.) aufgestellten Rechtssätzen ab, sind diese Rügen ebenfalls unbegründet.

Zwar enthält der Beschluss die Rechtssätze, dass dienstliche Maßnahmen im Wege des Fortsetzungsfeststellungsantrags auch dann anfechtbar bleiben, wenn sie sich bis zur gerichtlichen Entscheidung durch Vollzug oder Zeitablauf erledigt haben (BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2009 - 1 WB 15.08 - BVerwGE 134, 246 Rn. 23), und dass das Unterbleiben der Beteiligung des zuständigen Vertretungsorgans nach dem Soldatenbeteiligungsgesetz die Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch im Verhältnis zu dem betroffenen Soldaten zur Folge hat und für diesen beschwerdefähig ist (BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2009 - 1 WB 15.08 - BVerwGE 134, 246 Rn. 62 f.). Das Truppendienstgericht hat in dem angefochtenen Beschluss jedoch keinen Rechtssatz aufgestellt, der einem oder beiden der genannten Rechtssätze des Senats widerspräche. Das Truppendienstgericht hat sich vielmehr weder zur Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags noch zu einer auf die Verletzung von Beteiligungsrechten gestützten Antragsbefugnis des Antragstellers geäußert, weil es den Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits wegen des Fehlens einer anfechtbaren dienstlichen Maßnahme im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO für unzulässig hielt.

c) Nichts anderes gilt für die Rüge einer Divergenz von den Beschlüssen des Senats vom 15. Februar 1973 - 1 WB 147.71 -, vom 27. Februar 2003 - 1 WB 39.02 - und vom 31. Januar 2018 - 1 WB 42.17, 43.17 -. Eine fehlerhafte Anwendung des von der Beschwerde angeführten und vom Truppendienstgericht referierten Rechtssatzes im vorliegenden Fall begründet die Divergenzrüge nicht.

3. Die Beschwerde hat schließlich auch insoweit keinen Erfolg, als sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO ). Die vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen zu dem Thema, wie einem betroffenen Soldaten bei beteiligungspflichtigen Maßnahmen Rechtsschutz zu gewähren ist, wenn über die Maßnahme in mehreren Stufen oder Schritten entschieden wird und den jeweils entscheidenden Vorgesetzten unterschiedliche Vertretungsorgane nach dem Soldatenbeteiligungsgesetz zugeordnet sind, können sich nur im Rahmen eines zulässigen Antrags auf gerichtliche Entscheidung stellen. Da das Truppendienstgericht den Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits wegen des Fehlens einer anfechtbaren dienstlichen Maßnahme als unzulässig zurückgewiesen hat und die dagegen gerichtete Beschwerde nach dem Gesagten keinen Erfolg hat, kommt eine Klärung der vom Antragsteller als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Fragen in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht in Betracht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO .