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BVerwG - Entscheidung vom 06.04.2020

4 B 43.19

Normen:
VwGO § 91 Abs. 1
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3

BVerwG, Beschluss vom 06.04.2020 - Aktenzeichen 4 B 43.19

DRsp Nr. 2020/6642

Streit um die Verteilung von Starts und Landungen auf den Start- und Landebahnen eines Flughafens im Hinblick auf Bahnbenutzungsregelungen; Auslegung von Bahnbenutzungsregelungen als Optimierungsgebot; Umfang der Verfahrensrüge im Hinblick auf den festgestellten Sachverhalt; Abgrenzung zwischen Klageänderung und Beschränkung des Klagegrundes

Es obliegt allein dem Tatsachengericht, den Inhalt einer behördlichen Erklärung oder eines Verwaltungsakts - hier bezüglich der Auslegung von Bahnbenutzungsregelungen - im Wege der Sachverhalts- und Beweiswürdigung festzustellen. Kritik an einer solchen Feststellung führt daher grundsätzlich nicht auf einen Verfahrensfehler.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. September 2019 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € (5 000 € je Beklagter) festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 91 Abs. 1 ; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 ;

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

I. Der Kläger verlangt von der Beklagten zu 1 als Rechtsträgerin der Luftaufsichtsbehörde, für eine in prozentualen Anteilen bezifferte Verteilung der Starts und Landungen auf den Start- und Landebahnen des Flughafens der Beigeladenen Sorge zu tragen. Gegenüber der Beklagten zu 2 als Flugsicherungsorganisation begehrt er die Feststellung einer Verpflichtung, diese Verteilung durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen. Das Oberverwaltungsgericht wies die Anträge ab, weil den zur Begründung angeführten Bahnbenutzungsregelungen ein quantitativ bestimmbares Regel-/Ausnahme-Verhältnis für die Nutzung der Start- und Landebahnen nicht entnommen werden könne (UA S. 19, S. 23).

1. Die Revision ist hinsichtlich dieser Begehren nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Die Beschwerde wendet sich gegen die Auslegung der Bahnbenutzungsregelungen durch die Vorinstanz. Es obliegt indes dem Tatsachengericht, den Inhalt einer behördlichen Erklärung oder eines Verwaltungsakts im Wege der Sachverhalts- und Beweiswürdigung festzustellen. Kritik an einer solchen Feststellung führt daher grundsätzlich nicht auf einen Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2010 - 10 B 7.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4 und vom 5. März 2019 - 4 BN 18.18 - BauR 2019, 1400 Rn. 38). Mit einer Verfahrensrüge kann nur gerügt werden, dass der Feststellung ein fehlerhaft festgestellter Sachverhalt zugrunde liegt, sie auf einem Rechtsirrtum beruht, die Ermittlung einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt oder einen unumstrittenen Prozessstoff zu Unrecht unberücksichtigt gelassen hat (BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 [amp]lt;280[amp]#62; und Beschlüsse vom 22. Dezember 2016 - 4 B 13.16 - juris Rn. 11 und vom 31. Januar 2019 - 4 B 9.17 - juris Rn. 9).

Einen solchen Fehler legt die Beschwerde nicht dar. Anders als sie geltend macht, hat das Oberverwaltungsgericht den Bahnbenutzungsregelungen nicht die Verbindlichkeit abgesprochen, sondern sie als Optimierungsgebot angesehen. Maßgeblich war der Wortlaut der Regelungen, der weder absolute noch relative Kontingente bestimmt (UA S. 19); dies zieht die Beschwerde nicht in Zweifel. Warum die Auslegung der Vorinstanz dennoch gegen Denkgesetze oder Auslegungsregeln verstoßen soll, zeigt die Beschwerde nicht auf und ist auch nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere für den Einwand, den Bahnbenutzungsregelungen seien Berechnungen zur Kapazität und zur Belastung der Bevölkerung vorausgegangen. Denn auch Regelungen, die durch Berechnungen vorbereitet werden, können auf quantitative Bestimmungen verzichten. Die Beschwerde wendet sich im Übrigen im Stil einer zugelassenen Berufung gegen die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts, ohne einen Verfahrensfehler aufzuzeigen. Daran ändert der wiederholte rhetorische Bezug auf allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze und Auslegungsregeln nichts.

2. Die Beschwerde legt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dar.

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO ) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, siehe bereits BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 [amp]lt;91[amp]#62;).

Die Beschwerde misst den Fragen grundsätzliche Bedeutung bei,

ob Flughafenbetriebsregelungen, die zum Schutz von Anwohnerinnen und Anwohnern vor Fluglärm erlassen und Bestandteil der Genehmigung nach § 6 LuftVG sind, stets ein den Umfang des Schutzes definierender bestimmbarer Mindestgehalt zugemessen werden muss, sowie,

ob Benutzungsregelungen für die Start- und Landebahnen eines Flugplatzes, die zum Schutz von Anwohnerinnen und Anwohnern vor Fluglärm erlassen und Bestandteil der Genehmigung nach § 6 LuftVG sind, als Optimierungsgebote interpretiert werden können.

Worin die rechtsgrundsätzliche Bedeutung dieser Fragen liegen soll, legt die Beschwerde nicht dar. Sie zielen darauf, das Auslegungsergebnis der Vorinstanz im Einzelfall in Zweifel zu ziehen. Die Beschwerde erläutert auch nicht, welche Bedeutung dem angeführten § 6 LuftVG insoweit zukommen und welche rechtsgrundsätzliche Fragen die Norm aufwerfen soll. Der pauschale Hinweis auf die Auslegung der Benutzungsregeln eines anderen Flughafens genügt nicht.

II. Hilfsweise begehrt der Kläger mit einem erstmals kurz vor der mündlichen Verhandlung angekündigten Hilfsantrag gegenüber der Beklagten zu 2 die Feststellung, dass deren Praxis gegen die Bahnbenutzungsregelungen verstößt, soweit als Ausnahmegründe die flüssige Abwicklung des Verkehrs, die Vermeidung von Verspätungen sowie Windverhältnisse mit Rückenwind bis 5 Knoten und Seitenwind bis 15 Knoten angesehen werden. Diesen Hilfsantrag wies das Oberverwaltungsgericht mangels Sachdienlichkeit der Klageänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO als unzulässig ab. Nach seiner Auffassung verfolgen der Hauptantrag und der nach Rechtshängigkeit eingeführte Klagegegenstand des Hilfsantrages verschiedene Rechtsschutzziele.

Die dagegen gerichtete Kritik der Beschwerde führt nicht auf einen Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO . Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob die fehlerhafte Annahme einer Klageänderung ungeachtet des § 91 Abs. 3 VwGO als alleiniger Zulassungsgrund geltend gemacht werden kann (für die Sachdienlichkeit offenlassend BVerwG, Beschluss vom 19. Juni 2010 - 6 B 12.10 - juris Rn. 22; bejahend Wolff, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO , Stand Januar 2020, § 91 Rn. 31; Rennert, in: Eyermann, VwGO , 15. Aufl. 2019, § 91 Rn. 34; verneinend Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO , Stand Juli 2019, § 91 Rn. 77; für die Verneinung einer Klageänderung vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. November 2015 - 4 B 35.15 - juris Rn. 9).

Die Beschwerde macht unter Bezug auf § 264 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO geltend, der Hilfsantrag sei nicht als Änderung der Klage anzusehen, weil ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache lediglich beschränkt werde. Dies trifft nicht zu. Denn der Hilfsantrag macht kein "minus" gegenüber dem Hauptantrag geltend, sondern ein "aliud". Seine Feststellung ist nicht auf ein quantitatives Regel- und Ausnahmeverhältnis gerichtet, sondern auf Feststellungen zu bestimmten tatsächlichen Umständen, ohne deren quantitative Häufigkeit zu berücksichtigen (vgl. auch UA S. 20). Nicht zu überzeugen vermag auch der Einwand, Haupt- und Hilfsantrag hätten gleichermaßen die Feststellung von Verstößen gegen die Bahnbenutzungsregelungen zum Gegenstand. Dies mag zutreffen, geht aber daran vorbei, dass der Hauptantrag nicht auf die Feststellung von jedwedem Verstoß gegen die Bahnbenutzungsregelungen gerichtet war und im Übrigen eine solche Feststellung nicht auf einen hinreichend konkretisierten Sachverhalt bezogen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. August 2007 - 7 C 2.07 - BVerwGE 129, 199 Rn. 27). Die Ausführungen der Beschwerde zum Streitgegenstand der Verpflichtungsklage sind unbehelflich, weil der Kläger gegenüber der Beklagten zu 2 kein Verpflichtungs-, sondern ein Feststellungsbegehren verfolgt.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat entsprechend § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 , § 162 Abs. 2 Satz 3 VwGO , die Festsetzung des Streitwerts für die gegen die Beklagten als einfache Streitgenossen gerichtete Klage auf § 52 Abs. 2 , § 47 Abs. 1 und 3 , § 39 Abs. 1 GKG . Der gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Hilfsantrag war nicht nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG mit dem Hauptantrag zusammenzurechnen. Obwohl er einen anderen Streitgegenstand als der Hauptantrag betraf, verfolgte der Kläger insoweit das gleiche Interesse und damit im kostenrechtlichen Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG denselben Gegenstand (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. April 2019 - 2 OA 850/18 - juris Rn. 7; OVG Schleswig, Beschluss vom 13. August 2018 - 4 O 20/18 - juris Rn. 20).

Vorinstanz: OVG Hamburg, vom 18.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 E 18/18