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BVerwG - Entscheidung vom 01.07.2020

2 WD 15.19

Normen:
GG Art. 3 Abs. 2 S. 2
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1
GG Art. 17a
GG Art. 20 Abs. 1
GG Art. 38 Abs. 1 S. 1
GG Art. 46 Abs. 2
GG Art. 48 Abs. 1
GG Art. 48 Abs. 2
GG Art. 65a
GG Art. 93 Abs. 1 Nr. 4
GG Art. 115b
GG Art. 137 Abs. 1
SG § 6
SG § 7
SG § 8
SG § 10 Abs. 6
SG § 11 Abs. 1 S. 1
SG § 12 S. 2
SG § 15 Abs. 1 S. 2
SG § 17 Abs. 2 S. 3
SG § 23 Abs. 1
SG § 25 Abs. 2
WDO § 17 Abs. 2
WDO § 22 Abs. 1
WDO § 38 Abs. 1
WDO § 58 Abs. 6
WDO § 108 Abs. 3 S. 1
AbgG § 5 Abs. 1
SoldGG § 3 Abs. 3
Verf RP Art. 96 Abs. 1
AbgGRhPf § 2 Abs. 1
AbgGRhPf § 28 Abs. 1 S. 1
StGB § 81
StGB § 82
StGB § 94
StGB §§ 185 ff.
GG Art. 3 Abs. 2 S. 2
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1
GG Art. 17a
GG Art. 20 Abs. 1
GG Art. 38 Abs. 1 S. 1
GG Art. 46 Abs. 2
GG Art. 48 Abs. 1
GG Art. 48 Abs. 2
GG Art. 65a
GG Art. 93 Abs. 1 Nr. 4
GG Art. 115b
GG Art. 137 Abs. 1
SG § 6
SG § 7
SG § 8
SG § 10 Abs. 6
SG § 11 Abs. 1 S. 1
SG § 12 S. 2
SG § 15 Abs. 1 S. 2
SG § 17 Abs. 2 S. 3
SG § 23 Abs. 1
SG § 25 Abs. 2
WDO § 17 Abs. 2
WDO § 22 Abs. 1
WDO § 38 Abs. 1
WDO § 58 Abs. 6
WDO § 108 Abs. 3 S. 1
AbgG § 5 Abs. 1
SoldGG § 3 Abs. 3
RhPfVerf Art. 96 Abs. 1
AbgGRhPf § 2 Abs. 1
AbgGRhPf § 28 Abs. 1 S. 1
StGB § 81
StGB § 82
StGB § 94
StGB §§ 185 ff.
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1
GG Art. 38 Abs. 1 S. 1
SG § 6 S. 1
SG § 8
SG § 10 Abs. 6
SG § 12
SG § 15 Abs. 1 S. 2

Fundstellen:
BVerwGE 169, 66
NVwZ-RR 2020, 1039

BVerwG, Urteil vom 01.07.2020 - Aktenzeichen 2 WD 15.19

DRsp Nr. 2020/12839

Streit um den Vorwurf unangebrachter Äußerungen eines früheren Soldaten gegenüber einer Untergebenen und polemischer Äußerungen als Landtagskandidat im Wahlkampf; Einordnung polemischer Äußerungen eines Offiziers als nominierter Kandidat für eine Partei im Wahlkampf ohne Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue; Einschränkung der Mäßigungspflicht von Soldaten durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit und das grundrechtsgleiche passive Wahlrecht reduzieren in Verbindung mit dem Demokratieprinzip; Anforderungen an Soldaten hinischtlich der Art und Weise von Meinungsäußerungen; Abwägung zwischen Zurückhaltungspflicht und Meinungsfreiheit; Ehrverletzungen von Kameraden; Fahrlässige Ehrverletzung; Wechselwirkungstheorie

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ) und das grundrechtsgleiche passive Wahlrecht (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ) reduzieren in Verbindung mit dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG ) die Mäßigungspflicht nach § 10 Abs. 6 SG , wenn sich ein Offizier als nominierter Kandidat für eine Partei im Wahlkampf polemisch äußert ohne zugleich gegen die Pflicht zur Verfassungstreue (§ 8 SGB) zu verstoßen.

Tenor

Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft gegen das Urteil der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 12. März 2019 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Normenkette:

GG Art. 5 Abs. 1 S. 1; GG Art. 38 Abs. 1 S. 1; SG § 6 S. 1; SG § 8 ; SG § 10 Abs. 6 ; SG § 12 ; SG § 15 Abs. 1 S. 2;

Gründe

I

Das Verfahren betrifft den Vorwurf unangebrachter Äußerungen gegenüber einer Untergebenen und polemischer Äußerungen als Landtagskandidat im Wahlkampf.

1. Der ... geborene frühere Soldat verfügt über den Realschulabschluss und eine Ausbildung zum Schriftsetzer. 1978 wurde er Soldat auf Zeit, ergriff die Unteroffizierslaufbahn und wurde 1986 für die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zugelassen. 1989 wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen und 2000 wurde er in die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes übernommen. Er war 1996 in Kroatien sowie 2003 und 2011 in Afghanistan im Einsatz. 2006 erfolgte die Beförderung zum Oberstleutnant. Zuletzt war er als ... im ... eingesetzt.

Der frühere Soldat wurde 2011 planmäßig im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit "7,00" beurteilt. Er sei ein hoch motivierter Stabsoffizier mit herausragender und beispielgebender Pflicht- und Berufsauffassung. Er übernehme in vorbildlicher Art und Weise Verantwortung. Der nächsthöhere Vorgesetzte ergänzte, der frühere Soldat sei Garant für eine erfolgreiche Auftragserfüllung. Dessen physische Belastbarkeit sei auch für deutlich jüngere Soldaten beispielgebend. Erstinstanzlich hat ihn sein früherer Disziplinarvorgesetzter Oberst ... als äußerst qualifizierten Soldaten beschrieben, der seinen Aufgabenbereich souverän und zur vollsten Zufriedenheit wahrgenommen habe.

Der Disziplinarbuchauszug des früheren Soldaten weist förmliche Anerkennungen aus den Jahren 1981, 1992, 1996 und 2004 aus. 2002 und 2011 erhielt er Leistungsprämien. Der Soldat ist berechtigt, das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold und Silber zu tragen. Gegen ihn wurden wegen des mit Anschuldigungspunkt 1 sachgleichen Vorwurfes unangemessener Äußerungen gegenüber einer Untergebenen disziplinare Vorermittlungen geführt, die mit Verfügung des Kommandeurs ... vom 13. Mai 2016 mit der Feststellung eines Dienstvergehens ihren vorläufigen Abschluss fanden. Der Zentralregisterauszug enthält keine Eintragungen.

Der frühere Soldat wurde am 5. September 2015 auf dem Parteitag der "..." zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl nominiert und im März ... zum Abgeordneten des Landtags von ... gewählt. Seit 18. Mai ... ruhten seine Pflichten aus dem Dienstverhältnis. Der Landtag hat ... sein Einverständnis zur Durchführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens erteilt.

Die Dienstzeit des früheren Soldaten endete mit Ablauf November 2016. Er ist verheiratet, Vater von zwei volljährigen Kindern und bezieht Versorgungsbezüge.

2. Nach der unter dem 29. Mai 2017 erfolgten Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft den früheren Soldaten unter dem 14. Februar 2018 wie folgt angeschuldigt:

"1. Der frühere Soldat tätigte im Zeitraum von September 2014 bis Mai 2015 im und außer Dienst mehrfach Äußerungen gegenüber der ihm unmittelbar unterstellten Hauptmann, jetzt Major, ..., durch die diese sich aufgrund ihrer dem früheren Soldaten bekannten privaten familiären Situation, einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und zwei Kindern, durch ihn als Vorgesetzten kritisiert bzw. vorgeführt fühlte und eine dienstliche Schlechterstellung fürchtete:

a) Am 11. Dezember 2014 im Bus zum Weihnachtsmarktbesuch der Abteilung sah der frühere Soldat an der Major ... herab und sagte in Hörweite zahlreicher Kameraden und Zivilangestellten sinngemäß: 'Frau ..., Sie können ja sogar wie eine Frau aussehen', obwohl er wusste, wenigstens hätte wissen können und müssen, dass die Major ... sich durch seine Äußerung bloßgestellt und herabgewürdigt fühlen würde.

b) Am 28. Mai 2015 sagte der frühere Soldat in seinem Büro in der ...-Kaserne in ... zu der Major ... sinngemäß, dass Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft sich nicht 'bürgerlich-konservativ' entwickeln könnten und nicht garantiert sei, dass ein so großgezogener Sohn einmal selbst eine Frau heirate, obwohl er wusste, wenigstens hätte wissen können und müssen, dass dies durch die Major ... als Vorwurf, deren eigenem Sohn zu schaden, empfunden werden würde.

c) Am 29. Mai 2015 gab der frühere Soldat der Major ... in deren Büro in der ...-Kaserne in ... die ihm zuvor durch die Major ... übersandte Studie 'Lebensbedingungen und Besonderheiten von Regenbogenfamilien mit schwulen Elternteilen' mit u.a. den handschriftlichen Anmerkungen 'Ehe und Familie sind in GG Art. 6 besonders geschützt. D.h. Mutter + Vater + Kinder! Abweichungen werden toleriert, aber nicht gefördert!' sowie 'Die Nation braucht deutsche Kinder!!', wobei das 'deutsche' nachträglich eingefügt war, obwohl er wusste, wenigstens hätte wissen können und müssen, dass die Major ... dies so auffassen würde, als sei sie aus seiner Sicht aufgrund ihres Lebensmodells dienstlich nicht förderungswürdig.

d) Am 29. Mai 2015 fragte der frühere Soldat in seinem Büro in der ...-Kaserne in ... die Major ..., wie ihre Kinder eigentlich entstanden seien und ob sie diese selbst ausgetragen habe, obwohl er wusste, wenigstens hätte wissen können und müssen, dass die Major ... intime Nachfragen diesbezüglich nicht wünschte und sich in ihrer Lebensführung kritisiert fühlte.

2. Am 16. Januar ... äußerte der frühere Soldat in dem Hotel ... im Rahmen einer Parteiveranstaltung der Alternative für Deutschland in einer Rede zum Thema 'Asylpolitik der Bundeskanzlerin' sinngemäß: '(...) sowie der verantwortungslosen Erklärung Merkels, die Aufnahmebereitschaft Deutschlands für Flüchtlinge kenne keine Obergrenze. Sie tun das zum Schaden des eigenen Volkes, dem sie geschworen hat, Schaden von ihm abzuwenden. Das ist nichts Anderes als Vaterlandsverrat.'

3. Am 16. Januar ... äußerte der frühere Soldat in dem Hotel ... in ... im Rahmen einer Parteiveranstaltung ... in einer Rede zum Thema 'Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht 2015' sinngemäß: '(...) es ist doch eine derartige Unverfrorenheit, wenn die verantwortlichen Innenminister und Ministerpräsidenten, die ja die Mitverursacher der aktuellen Polizeimisere sind, jetzt ohne jedes Rückgrat und ohne einen Funken von Fürsorge die völlig überlasteten Polizeikräfte zum Sündenbock ihres eigenen Versagens machen wollen. Pfui Teufel, was für eine ehrlose Bande von Hasenfüßen'."

3. Das Truppendienstgericht Süd hat mit Urteil vom 12. März 2019 das Verfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens eingestellt. Zwar stehe fest, dass sich der frühere Soldat wie angeschuldigt geäußert habe; die unter Punkt 2 und 3 angeschuldigten Äußerungen seien jedoch durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gerechtfertigt. Die Äußerungen nach Anschuldigungspunkt 1 a), 1 b) und 1 d) stellten zwar Pflichtverletzungen dar, weil sie gegen § 10 Abs. 1, 3 und 6, § 12 Satz 2 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstießen; sie seien jedoch fahrlässig begangen worden und geringen Gewichts. Vom Vorwurf einer Pflichtverletzung gemäß Anschuldigungspunkt 1 c) sei der frühere Soldat freizustellen. Da keine gerichtliche Disziplinarmaßnahme geboten sei, müsse das Verfahren eingestellt werden.

4. Mit ihrer frist- und formgerecht zulasten des früheren Soldaten uneingeschränkt eingelegten Berufung macht die Wehrdisziplinaranwaltschaft geltend, die unter Anschuldigungspunkt 2 und 3 angeschuldigten Äußerungen seien nicht durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Zudem wiege der Unrechtsgehalt der festgestellten Pflichtverletzungen deshalb höher, weil sie vorsätzlich begangen worden seien. Aufgrund der Verletzung der inner- und außerdienstlichen Mäßigungspflicht sei eine Kürzung des Ruhegehalts geboten.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Werdegang und zur Person des früheren Soldaten wird auf das Urteil des Truppendienstgerichts, hinsichtlich der näheren Details der Beweisaufnahme auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen.

II

Die zulässige Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist unbegründet. Da sie von ihr in vollem Umfang eingelegt worden ist, hatte der Senat im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, sie rechtlich zu würdigen sowie über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Danach ist die erstinstanzlich vorgenommene Einstellung des Verfahrens rechtlich nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen des § 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 WDO dafür vorliegen.

1. Die angeschuldigten Äußerungen stehen zur Überzeugung des Gerichts in tatsächlicher Hinsicht fest. Der frühere Soldat hat ausdrücklich eingeräumt, alle ihm vorgeworfenen Aussagen getätigt zu haben. Sie werden im Übrigen durch die Aussagen der erstinstanzlich vernommenen Zeugen teilweise bestätigt.

2. Durch die unter Punkt 1 angeschuldigten Äußerungen gegenüber der ihm unterstellten Soldatin Major ... hat der frühere Soldat teilweise seine Dienstpflichten aus § 10 Abs. 6 SG verletzt.

a) Die Vorschrift verlangt von einem Unteroffizier und Offizier, bei seinen Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten. Denn Vorgesetzte brauchen das Vertrauen der Soldaten, die sie führen. Sie sollen ihren Soldaten auch durch Besonnenheit, Offenheit und sachliches Urteil ein Vorbild sein. Intolerantes Auftreten ist damit unvereinbar. Der Sinn der Vorschrift ist es regelmäßig nicht, bestimmte Meinungsäußerungen wegen ihres Inhalts zu verbieten. Den Vorgesetzten bleibt es unbenommen, ihre Meinung frei zu äußern. Sie müssen ihren Standpunkt aber zum Erhalt ihrer Autorität als Vorgesetzte besonnen, tolerant und sachlich vertreten (BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 - BVerfGE 28, 36 <47>; BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2019 - 2 WDB 3.19 - juris Rn. 19).

b) Die Rechte der Zeugin ... hat der frühere Soldat vorliegend dadurch nicht angemessen geachtet, dass er mit der unter Punkt 1 a) angeschuldigten Bemerkung, "sie können ja sogar wie eine Frau aussehen" objektiv den Eindruck erweckt hat, dies sei ansonsten nicht der Fall und angesichts ihres üblichen Erscheinungsbildes besonders hervorhebenswert. Darin liegt eine zwar nur halb ausgesprochene, aber für Dritte klar erkennbare persönliche Spitze gegen die ihm unterstellte Soldatin. Mit dieser nach eigenen Angaben unüberlegten, aber in einem Bus mit Soldatinnen und Soldaten der Einheit laut ausgesprochenen Äußerung hat der frühere Soldat das Ansehen der Soldatin in ihrer Einheit beschädigt. Da die gemeinsame Fahrt der Teileinheit zum Weihnachtsmarkt der Stärkung des Zusammenhalts der Truppe dienen sollte, war der frühere Soldat als Vorgesetzter bei dieser dienstlichen Veranstaltung gehalten, unbedachte Kränkungen zu unterlassen. Durch sein Verhalten hat er gegen seine Pflicht zur Besonnenheit und Sachlichkeit als vorgesetzter Offizier verstoßen und gleichzeitig seine Kameradschaftspflicht (§ 12 SG ) verletzt.

Der Soldat hat zu seiner Verteidigung ausgeführt, er habe der Soldatin ... ein Kompliment machen wollen, das indes - wie er zu spät gemerkt habe - "verunglückt" sei. Dahingehend haben auch die Zeuginnen G. und D., die das Auftreten und die Persönlichkeit des früheren Soldaten aus mehrjähriger Zusammenarbeit kennen, das Geschehen bewertet. Daher kann nicht angenommen werden, der frühere Soldat habe wissentlich und willentlich eine Ehrverletzung der Zeugin ... in Kauf genommen, sodass nur eine fahrlässige Begehensweise vorliegt. Der frühere Soldat hat sich im Übrigen später bei der Soldatin dafür entschuldigt.

c) Auch mit der unter Punkt 1 d) angeschuldigten Äußerung hat der frühere Soldat seine Pflicht zur Zurückhaltung aus § 10 Abs. 6 SG verletzt. Der Hintergrund der Äußerung bestand darin, dass der frühere Soldat und die Zeugin politisch in unterschiedlicher Weise engagiert waren und aus Anlass der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Irland unter vier Augen im Büro eine allgemein gehaltene, familienpolitische Diskussion über das Für und Wider des Adoptionsrechts gleichgeschlechtlicher Paare führten, das damals in Deutschland noch nicht gesetzlich anerkannt war. Dabei wusste der frühere Soldat, dass die ihm dienstlich unterstellte Zeugin selbst in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit zwei Kindern lebte. Mit der unter Punkt 1 d) angeschuldigten höchstpersönlichen Frage, wie ihre Kinder eigentlich entstanden seien und ob sie die Kinder selbst ausgetragen habe, hat er die Ebene der sachbezogenen Diskussion verlassen und ist in die Intim- und Privatsphäre der Zeugin ... eingedrungen. Durch diese Nachfragen hat er als Vorgesetzter die gebotene Sachlichkeit und professionelle Distanz zu der ihm unterstellten Soldatin vermissen lassen.

Dass die Zeugin derartige Nachfragen nach der Herkunft, Zeugung und Schwangerschaft nicht wünschte, hätte der frühere Soldat erkennen können und müssen. Seine Annahme, sich angesichts des damals guten Verhältnisses und des lockeren Umgangstons in dem Gespräch eine solche Frage erlauben zu können, hatte keine ausreichende Grundlage. Zwar hat auch die Zeugin ... ausgesagt, sie sei mit dem früheren Soldaten zunächst beruflich gut ausgekommen. Dies berechtigt jedoch einen Vorgesetzten nicht zu der Annahme, eine ihm unterstellte Soldatin sei mutmaßlich mit dem Wechsel eines allgemein gehaltenen, familienpolitischen Gesprächs hin zur Erörterung ihrer höchstpersönlichen Privatangelegenheiten einverstanden. Auch wenn der frühere Soldat die Grenze des Erlaubten irrtümlich und nicht vorsätzlich überschritten hat, liegt jedenfalls ein grob fahrlässiges Verhalten vor.

d) Die unter den Anschuldigungspunkten 1 b) und 1 c) beschriebenen Äußerungen des früheren Soldaten begründen hingegen keine Pflichtverletzungen. Auch sie standen im Zusammenhang mit dem erwähnten Gespräch Ende Mai 2015 über das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare, in dem es auch um das Zusammenleben in den aus gleichgeschlechtlichen Eltern und Kindern bestehenden "Regenbogenfamilien" ging. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 15 SG zwar einerseits politische Betätigung im Dienst und dienstlichen Anlagen einschränkt, andererseits aber das Recht jedes Soldaten, im Gespräch mit Kameraden seine eigene Meinung zu äußern, unberührt lässt (§ 15 Abs. 1 Satz 2 SG ). Daher kann dem früheren Soldaten nicht vorgeworfen werden, er habe als Offizier aufgrund seiner aus § 10 Abs. 6 SG bestehenden Zurückhaltungspflicht in dienstlichen Anlagen überhaupt nicht über politisch weltanschauliche Fragen mit der ihm unterstellten Soldatin diskutieren dürfen oder er habe ihr gegenüber seine persönliche Meinung zu diesem Thema verschweigen müssen. Vielmehr folgt aus dem Zurückhaltungsgebot des § 10 Abs. 6 SG bei zulässigen politisch weltanschaulichen Gesprächen lediglich, dass der Offizier oder Unteroffizier seine persönliche Auffassung in einer besonnenen, sachlichen und toleranten Art und Weise vertritt.

Dagegen hat der frühere Soldat nicht schon dadurch verstoßen, dass er seine allgemein ablehnende Haltung gegenüber der Erziehung von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften zum Ausdruck gebracht hat. Auch seine unter Punkt 1 b) angeschuldigten Worte, in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft erzogene Kinder würden sich nicht "bürgerlich-konservativ" entwickeln und bei Söhnen sei nicht garantiert, dass sie später eine Frau heiraten würden, stellen objektiv betrachtet nur eine allgemein gehaltene und in sachlichem Ton formulierte Begründung für seine ablehnende Haltung gegenüber "Regenbogenfamilien" dar. Aus der Sicht eines verständigen Dritten ist mit diesen Worten kein unsachlicher persönlicher Angriff auf das Familienleben und Erziehungsverhalten der Zeugin ... verbunden, der § 10 Abs. 6 SG verletzen würde. Anders als in der Anschuldigungsschrift angenommen, hat der frühere Soldat nicht unterschwellig den Vorwurf zum Ausdruck gebracht, die Soldatin schade durch die Erziehung in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft ihren Kindern. Denn der frühere Soldat hat mit seiner allgemein gehaltenen Begründung für die Erziehung in traditionellen Familien und gegen das Erziehungsmodell "Regenbogenfamilie" gerade keinen persönlichen Bezug hergestellt. Bei der disziplinarrechtlichen Würdigung ist der Sinngehalt einer Meinungsäußerung objektiv zu ermitteln (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 - 2 WD 1.08 - BVerwGE 132, 179 Rn. 34 m.w.N.). Gegen diesen Grundsatz wird verstoßen, wenn Teilen einer Meinungsäußerung eine bei hinreichender Beachtung des Zusammenhangs nicht mehr verständliche und damit überzogene Deutung gegeben und sie in dieser Deutung einer disziplinarrechtlichen Würdigung und Ahndung unterworfen wird (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Juli 1992 - 2 BvR 1802/91 - NJW 1992, 2750 <2751>).

e) Dasselbe gilt für die unter Punkt 1 c) angeschuldigten handschriftlichen Anmerkungen des früheren Soldaten. Soweit er auf der ihm von der Soldatin übergebenen Studie zum Leben in "Regenbogenfamilien" die Sätze angebracht hat, dass eine aus Mutter, Vater und Kindern bestehende Ehe und Familie von Art. 6 Abs. 1 GG besonders geschützt sei, dass Abweichungen toleriert, aber nicht gefördert werden und dass die Nation deutsche Kinder brauche, wird auch damit der Boden einer sachlichen Diskussion nicht verlassen. Die darin enthaltene Erklärung, dass Abweichungen nicht gefördert werden, kann aus der Sicht eines objektiven Empfängers vor dem Hintergrund der vorangegangenen familienpolitischen Diskussion über "Regenbogenfamilien" nur als allgemeinpolitische These in Bezug auf die Vergabe von familienbezogenen staatlichen Fördermitteln verstanden werden. Hingegen gibt es keine objektivierbaren Umstände für die in der Anschuldigungsschrift zum Ausdruck kommende Annahme, der frühere Soldat habe damit zum Ausdruck gebracht, die ihm unterstellte Soldatin sei wegen ihres privaten Lebensmodells beruflich in ihrer Offizierslaufbahn nicht mehr förderungswürdig. Die angeschuldigten Äußerungen enthalten auch keine anderweitige das Zurückhaltungsgebot verletzende persönlich abwertende Note gegenüber der Zeugin. Da ihre Kinder deutsche Staatsangehörige sind, kann insbesondere nicht aus dem vom früheren Soldaten eingefügten Zusatz "deutsche Kinder" eine Spitze gegen sie oder ihre Familie abgeleitet werden.

3. Auch mit den unter Anschuldigungspunkt 2 und 3 zitierten Wahlkampfaussagen hat der frühere Soldat seine Dienstpflichten nicht verletzt. Die Äußerungen verstoßen insbesondere nicht gegen das Zurückhaltungsgebot aus § 10 Abs. 6 SG , das die Pflicht zu einem besonnenen, toleranten und sachlichen Auftreten beinhaltet (BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2019 - 2 WDB 3.19 - juris Rn. 19).

a) Das Mäßigungsgebot gilt grundsätzlich auch im Wahlkampf (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1998 - 2 B 85.98 - Buchholz 11 Art. 38 GG Nr. 4). Das gilt auch für sonstige Pflichten wie das Gebot der Verfassungstreue nach § 8 SG (vgl. BVerwG, Urteile vom 10. Mai 1984 - 1 D 7.83 - BVerwGE 76, 157 <163> und vom 1. Februar 1989 - 1 D 2.86 - BVerwGE 86, 99 <115> für Beamte). Denn die Pflichten aus dem Dienstverhältnis ruhen nach § 25 Abs. 2 SG i.V.m. § 5 Abs. 1 AbgG erst im Fall der tatsächlichen Wahl zum Landtagsabgeordneten während der Mitgliedschaft im Landtag. Allerdings haben Soldaten gemäß § 6 Satz 1 SG grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger und können sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG berufen. § 10 Abs. 6 SG schränkt zwar als allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG die Meinungsäußerungsfreiheit zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr (Art. 17a Abs. 1 GG ) ein (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. April 2007 - 2 BvR 71/07 - BVerfGK 11, 82 <86 f.>). Zwischen Grundrechtsschutz und Grundrechtsschranken besteht aber eine Wechselwirkung. Gesetzliche Regelungen, die die Meinungsfreiheit beschränken, sind aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit ihrerseits wieder einschränkend auszulegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198 <208 f.>, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 - BVerfGE 124, 300 <332, 342>).

Die sogenannte "Wechselwirkungstheorie" verlangt mithin eine einzelfallbezogene "Rückvermittlung des grundrechtsbegrenzenden Gesetzes an das beschränkte, aber gleichwohl höherrangige Grundrecht" (Schmitt Glaeser, NJW 1996, 873 <874>). Es muss im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob in der jeweiligen Situation bei Abwägung der geschützten Rechtsgüter das grundrechtlich geschützte Interesse des Soldaten an einer auch in der Form des Auftretens freieren Rede gegenüber dem für Zurückhaltung sprechenden dienstlichen Interesse an der Erhaltung der Autorität als militärischer Vorgesetzter überwiegt. Dies bedeutet insbesondere bei außerdienstlichen Meinungsäußerungen, dass das Zurückhaltungsgebot des § 10 Abs. 6 SG umso mehr zurücktreten muss, je weniger ein Soldat in der konkreten Situation als militärischer Vorgesetzter in Erscheinung tritt, je geringer die dienstlichen Bezüge einer Meinungsäußerung sind und je mehr ein Bedürfnis nach einer spontanen, in der Ausdrucksform scharfen oder auch persönlich werdenden Kritik anzuerkennen ist.

b) Nach diesen Maßstäben ist bei Wahlkampfauftritten eines von einer Partei als Spitzenkandidat nominierten Soldaten dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG durch eine einschränkende Auslegung des § 10 Abs. 6 SG Rechnung zu tragen. Bewirbt sich ein Soldat - wie hier - um ein Landtagsmandat, tritt er nicht in der Rolle eines militärischen Vorgesetzten, sondern als Repräsentant einer politischen Partei auf. Er spricht nicht vor einem spezifisch militärischen Publikum und äußert sich typischerweise zu aktuellen politischen Themen. Auch ein soldatischer Wahlbewerber steht im Wettbewerb mit Kandidaten anderer Parteien und hat aus Gründen der Chancengleichheit im Wahlkampf ein anerkennenswertes Interesse daran, nicht nur zurückhaltend und sachlich aufzutreten, sondern auch kämpferische Worte zu wählen, politische Gegner persönlich anzugreifen und von den Mitteln der Wahlkampfrhetorik Gebrauch zu machen.

Im Wahlkampf macht ein als Spitzenkandidat nominierter Wahlbewerber von seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht ausschließlich zur Entfaltung seiner Persönlichkeit Gebrauch, sondern auch zur Verwirklichung seines grundrechtsgleichen passiven Wahlrechts, d.h. "sich um ein Mandat zu bewerben, sich als Kandidat aufstellen zu lassen, gewählt werden zu können und die Wahl anzunehmen" (vgl. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG , 3. Aufl. 2018, Art. 137 Rn. 16; Bonner Kommentar, GG , Stand Mai 2004, Art. 137 Rn. 244). Diese Rechte stehen auch Soldaten zu. Der Gesetzgeber hat von der in Art. 137 Abs. 1 GG vorgesehenen Möglichkeit der Beschränkung der Wählbarkeit von Berufssoldaten nur in Form von Inkompatibilitätsregelungen (vgl. § 25 Abs. 2 SG i.V.m. § 5 AbgG ) Gebrauch gemacht, die Wählbarkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes aber nicht von vornherein durch Ineligibilitätsvorschriften ausgeschlossen. Ob er dazu befugt gewesen wäre, kann dahingestellt bleiben (zum Meinungsstand: Bonner Kommentar, GG , Stand Mai 2004, Art. 137 Rn. 251; BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2017 - 10 C 2.16 - BVerwGE 159, 113 Rn. 27). Jedenfalls hat er damit in Kauf genommen, dass auch Soldaten für Parlamente kandidieren und in einen Wahlkampf eintreten.

Ein zu diesem Zweck geführter Wahlkampf ist darauf angelegt, Wählerstimmen zu gewinnen. Er lebt von rhetorischen Zuspitzungen und pointierter Kritik an der politischen Handhabung aktueller Probleme, um auf diese Weise die für die eigene Wahl erforderliche Zustimmung der Wähler nicht nur durch die Kraft von Argumenten, sondern auch durch die Kraft von Worten zu erzielen. Da sich in einem Wahlkampf Lager bilden, die um die Mehrheit ringen, sind Wahlkampfreden oft auch durch Polemik und persönliche Attacken auf Vertreter des jeweils anderen Lagers gekennzeichnet, um auf diese Weise die für die eigene Wahl erforderliche Zustimmung bei den Wählern zu gewinnen. Wenn ein Soldat - wie vorliegend - für eine Oppositionspartei kandidiert, stehen die notwendige politische Offensive und die amtsgebundene Defensive (Mäßigung) in einem zusätzlichen Spannungsverhältnis (vgl. Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, SG , 10. Aufl. 2018, § 28 Rn. 29). Zudem richten sich Äußerungen von Kandidaten einer Oppositionspartei zwangsläufig gegen Politiker, die Inhaber eines Regierungsamts sind und in dieser Eigenschaft den Dienstherrn repräsentieren. Diese Besonderheiten der Wahlkampfsituation kann sich ein auch soldatischer Wahlbewerber nicht entziehen. Sie verlangt, seine Mäßigungspflichten zu reduzieren, bildet die Wahl doch die "Quelle der Staatsgewalt" (BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08 u.a. - BVerfGE 123, 267 <340>).

c) Dies bedeutet, dass von einer Partei für die Wahl zu einer gesetzgebenden Körperschaft nominierte Soldaten im Wahlkampf bei ihren allgemeinpolitischen Äußerungen weitgehend im gleichen Umfang vom Recht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG Gebrauch machen können wie andere Wahlkampfkandidaten. Das Zurückhaltungsgebot des § 10 Abs. 6 SG verpflichtet sie nicht, Kritik an Regierungsmitgliedern nur besonnen, sachlich und tolerant zu formulieren. Nur in dem Maße, wie allgemeine Gesetze zum Schutz der Ehre nach Art. 5 Abs. 2 GG Schmähkritik, Formalbeleidigungen oder Verleumdungen verbieten (§§ 185 ff. StGB ), ist dies auch soldatischen Bewerbern untersagt. Zudem fordert der Schutzzweck des § 10 Abs. 6 SG auch im Wahlkampf Mäßigung bei Themen, die die berufliche Stellung als Soldat und den militärischen Bereich berühren. Ein Offizier darf auch im Wahlkampf nicht durch unbedachte oder unsachliche Bemerkungen über die ihm unterstellten Soldaten, seine Kameraden oder militärische Vorgesetzte seine Autorität als Vorgesetzter beeinträchtigen. Zwar darf er Kritik an der Verteidigungspolitik üben (BVerwG, Beschluss vom 12. April 1978 - 2 WDB 24.77 - BVerwGE 63, 37 <40 f.>). Äußerungen im Wahlkampf sind insbesondere dann nicht mehr mit dem Mäßigungsgebot nach § 10 Abs. 6 SG vereinbar, wenn sie ernsthafte Zweifel an der Loyalität eines Soldaten gegenüber seinem Dienstherrn erwecken und den Eindruck entstehen lassen, der Soldat werde den dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten keine Folge leisten. Das Vertrauen in einen Soldaten als Vorgesetzten setzt voraus, dass auch er selbst im Rahmen des gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SG durch Befehl und Gehorsam geprägten Dienstbereichs die Vorgesetzteneigenschaft höherer Vorgesetzter anerkennt und respektiert.

d) Ausgehend davon hat der frühere Soldat mit den beiden angeschuldigten Wahlkampfaussagen nicht gegen § 10 Abs. 6 SG verstoßen. Die Äußerungen des früheren Soldaten sind Ausdruck einer Meinung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG . Denn Gegenstand dieses Grundrechts sind durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnete Äußerungen, bei denen es nicht darauf ankommt, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, begründet oder grundlos, emotional oder rational, wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2018 - 1 BvR 2083/15 - NJW 2018, 2861 Rn. 13 f.).

Meinung ist somit auch die - wertende - Einschätzung des früheren Soldaten, die außerordentlich hohe Zuwanderung von Flüchtlingen im Jahr 2015 habe den Interessen des Landes geschadet, die Bundeskanzlerin habe durch ihre Weigerung, den Zuzug durch Benennung einer Obergrenze einzuschränken, gegen ihren Amtseid verstoßen und damit Verrat am Land begangen. Dasselbe gilt für seine Behauptung, die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 seien auf jahrelange Versäumnisse bei der Ausstattung der Polizei mit Personal und Material zurückzuführen. Die verantwortlichen Ministerpräsidenten und Innenminister dürften nicht von ihrem politischen Versagen durch Kritik am Verlauf des Polizeieinsatzes ablenken. Dadurch benähmen sie sich ehrlos und hasenfüßig. Dass die Äußerungen polemisch überspitzt und herabwürdigend formuliert sind, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 u.a. - BVerfGE 93, 266 <289>). Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch in scharfer Form zu kritisieren, markiert gerade den Kernbereich der Meinungsfreiheit (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2019 - 1 BvR 2433/17 - NJW 2019, 2600 ).

Die polemischen Äußerungen erreichen auch nicht den Grad einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik, sodass sie nicht mehr von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt wären (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 28. April 2007 - 2 BvR 71.07 - BVerfGK 11, 82 <85 f.> und vom 19. Februar 2019 - 1 BvR 1954/17 - NVwZ 2019, 719 Rn. 10 f.). Sie stehen im Kontext und Kommunikationszusammenhang einer im Januar ... gehaltenen Wahlkampfrede. Der frühere Soldat sprach mit der Obergrenze für Flüchtlinge sowie dem polizeilichen Verhalten in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 Themen an, die damals politisch kontrovers beurteilt wurden, seinerzeit im Zentrum einer hitzigen politischen Diskussion standen und Anlass gaben, politische Positionen zu beziehen. Er übte zunächst eine inhaltliche Kritik an den getroffenen Entscheidungen. Die daran anknüpfende Polemik gegenüber den aus seiner Sicht dafür verantwortlichen Politikern bewirkte auch nicht, dass sein sachliches Anliegen (Forderung nach einer "Obergrenze" und Verstärkung von Polizeikräften) völlig in den Hintergrund und eine persönliche Kränkungsabsicht in den Vordergrund trat. Dagegen spricht vor allem, dass die verbal attackierten Personen vom früheren Soldaten in ihrer Eigenschaft als staatliche Funktionsträger - Bundeskanzler, Ministerpräsident, Innenminister - angegriffen wurden und er deren Subjektqualität und Menschenwürde nicht infrage stellte (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. April 2007 - 2 BvR 71.07 - BVerfGK 11, 82 <85>).

Zwar erweckt die Äußerung des früheren Soldaten, die Bundeskanzlerin habe gegen ihren Amtseid verstoßen und "Vaterlandsverrat" begangen, auf den ersten Blick Zweifel an seiner Loyalität gegenüber einer demokratisch legitimierten Repräsentantin seines Dienstherrn. Denn die Bundeskanzlerin übernimmt im Verteidigungsfall nach Art. 115b GG die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte und ist damit für Soldaten fakultativ die höchste Vorgesetzte. Der frühere Soldat hat die Bundeskanzlerin jedoch nicht in militärischem Zusammenhang scharf kritisiert, sondern ihre asylrechtliche Entscheidung gegen eine Zuzugsbegrenzung als "Vaterlandsverrat" gebrandmarkt. Damit hat er aber nicht im strafrechtlichen Sinne Umsturzbestrebungen im Sinne des Hochverrats (§§ 81 f. StGB ) oder Spionagetätigkeiten im Sinne des Landesverrats (§ 94 StGB ) vorgeworfen; vielmehr hat er - wenn auch in äußerst polemischer Form - zum Ausdruck gebracht, ihre Asylpolitik nicht juristisch, sondern politisch für verwerflich zu halten. Damit hat er aber nicht ihre (potenzielle) militärische Vorgesetztenstellung infrage gestellt oder untergraben. Des Weiteren hat er sich - nach eigener Aussage - gerade im Hinblick auf seinen Status als Soldat zugespitzte Äußerungen im Bereich der Verteidigungspolitik enthalten. Auch abwertende Äußerungen gegenüber der (damaligen) Bundesverteidigungsministerin als aktuelle Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (Art. 65a GG ) hat er nicht getätigt. Keine Zweifel an seiner Loyalität begründet auch die Äußerung des früheren Soldaten über die nach seiner Ansicht für die Geschehnisse in der Silvesternacht in Köln 2015 verantwortlichen Amtswalter. Sie repräsentieren nicht seinen Dienstherrn und er ist ihnen gegenüber folglich auch nicht zu besonderer Loyalität verpflichtet.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze verbieten mithin die konkreten Umstände, unter denen die Äußerungen gefallen sind (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 u.a. - BVerfGE 93, 266 <295 f.>), sie als Verstoß gegen § 10 Abs. 6 SG disziplinarisch zu ahnden. Aus entsprechenden Erwägungen hat der frühere Soldat mit seinen Äußerungen auch nicht gegen § 7 SG und § 17 Abs. 2 Satz 3 SG verstoßen.

4. Im Ergebnis hat der frühere Soldat damit durch zwei Äußerungen gegenüber einer ihm unterstellten Soldatin ein Dienstvergehen begangen, das nur mit einer einfachen Disziplinarmaßnahme zu ahnden wäre. Es handelt sich um Pflichtverletzungen lediglich verbaler Art, die nur fahrlässig begangen worden und darum im Vergleich zu einer vorsätzlichen Begehung milder zu gewichten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. August 2019 - 2 WD 28.18 - juris Rn. 54 m.w.N.). Auch in der Kumulation der Pflichtverletzungen erreicht das Dienstvergehen keine solche Schwere, dass eine disziplinargerichtliche Maßnahme geboten wäre (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. September 2018 - 2 WD 14.17 - Buchholz 449 § 11 SG Nr. 3 Rn. 101 und vom 7. Mai 2020 - 2 WD 13.19 - juris Rn. 39). Eine einfache Disziplinarmaßnahme kann jedoch nach Ablauf der sechsmonatigen Verhängungsfrist des § 17 Abs. 2 WDO nicht mehr verhängt werden. Da die pflichtwidrigen Äußerungen im Dezember 2014 und Mai 2015 gefallen sind, das disziplinargerichtliche Verfahren aber erst mit Verfügung vom 29. Mai 2017 eingeleitet worden ist, hat keine rechtzeitige Hemmung der sechsmonatigen Verhängungsfrist stattgefunden. Das Verfahren ist daher unter Feststellung eines Dienstvergehens nach § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO einzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 WD 14.13 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 46 Rn. 37 ff.).

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 138 Abs. 3 , § 140 Abs. 1 WDO .

Vorinstanz: TDG Süd, vom 12.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen TDiG S 4 VL 4/18
Fundstellen
BVerwGE 169, 66
NVwZ-RR 2020, 1039