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BVerwG - Entscheidung vom 09.12.2020

8 C 16.19

Normen:
VwVfG § 48 Abs. 2
VO (EG, EURATOM) 2988/95 Art. 3 Abs. 1
VwGO § 137 Abs. 1

BVerwG, Urteil vom 09.12.2020 - Aktenzeichen 8 C 16.19

DRsp Nr. 2021/7032

Revision eines Unternehmens der Zucker erzeugenden Industrie wegen der Rückforderung von Lagerkostenvergütungen für die Einlagerung von Zucker

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Normenkette:

VwVfG § 48 Abs. 2 ; VO (EG, EURATOM) 2988/95 Art. 3 Abs. 1; VwGO § 137 Abs. 1 ;

Gründe

I

Die Klägerin, ein Unternehmen der Zucker erzeugenden Industrie, wendet sich gegen die Rückforderung von Lagerkostenvergütungen für die Einlagerung von Zucker im Wirtschaftsjahr 1988/1989.

Ihr wurden in dem genannten Zuckerwirtschaftsjahr auf ihre monatlichen Anträge Lagerkostenvergütungen in einer Gesamthöhe von umgerechnet 17 465 977,11 € gewährt. Nach einer Marktordnungsprüfung 1997 und mehrjährigen Ermittlungen legte das Zollfahndungsamt am 12. Februar 2002 einen Schlussbericht zum Tatvorwurf der Steuerhinterziehung vor; parallel erstellten die am Ermittlungsverfahren beteiligten Betriebsprüfer der Beklagten am 28. Februar 2002 unter anderem betreffend das hier streitgegenständliche Zuckerwirtschaftsjahr einen Schlussbericht zur Schadenshöhe infolge Subventionsbetrugs. Dieser wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin im April 2002 übersandt. Zur beabsichtigten Teilrücknahme der Bewilligungen von Lagerkostenvergütungen nahm die Klägerin mit Schreiben vom 20. August 2002 Stellung.

Mit Bescheid Nr. 802 260 vom 30. Januar 2003 hob die Beklagte die Festsetzungen der Lagerkostenvergütungen mit Wirkung für die Vergangenheit in Höhe von insgesamt 525 717,13 € auf und forderte diesen Betrag zurück. Die Klägerin habe in ihren Anträgen bezogen auf fünf Sachverhaltskomplexe, die im Revisionsverfahren in der Sache nicht mehr streitig sind, überhöhte Zuckermengen abgerechnet. In dem Bescheid stellte die Beklagte zugleich dem Grunde nach fest, dass der zurückgeforderte Betrag vom Zeitpunkt des Empfangs der Vergütung an zu verzinsen sei; die Berechnung des Zinsbetrages behielt sie einem gesonderten Zinsbescheid vor. Zur Begründung ihres Widerspruchs berief sich die Klägerin unter anderem auf die Verjährung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2006 beschränkte die Beklagte die Aufhebung der Bewilligung und die Rückforderung auf 270 646,11 € und wies den Widerspruch im Übrigen zurück.

Das Verwaltungsgericht hat die ergangenen Bescheide wegen eines anderen, im Revisionsverfahren nicht mehr streitgegenständlichen Sachverhaltskomplexes in Höhe von 61 851,93 € sowie insoweit aufgehoben, als die Verzinsungspflicht auch bezüglich des restlichen Rückforderungsbetrages für den Zeitraum vor dem 31. Januar 2003 festgestellt worden war. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat den nach diesem Urteil noch verbleibenden Rückforderungsbetrag an die Beklagte gezahlt und mit ihrer Berufung auch die Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung des genannten Betrages nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz beantragt. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zur Verjährung nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 vorgelegt. Nach der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 11. Juni 2015 - C-52/14 [ECLI: EU: C: 2015: 381] - (juris) hat das Oberverwaltungsgericht die Klage auf die Berufung der Beklagten auch insoweit abgewiesen, als die angefochtenen Bescheide das Bestehen einer Zinspflicht für den Zeitraum ab dem 1. Januar 1999 feststellen. Im Übrigen hat es die Berufungen zurückgewiesen. In Höhe des im Berufungsverfahren noch streitigen Betrages von 208 794,18 € seien der Klägerin zu Unrecht Lagerkostenvergütungen bewilligt worden. Der Erstattungsanspruch der Beklagten sei nicht verjährt. Die nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 geltende Verjährungsfrist von vier Jahren ab Begehung der Unregelmäßigkeit habe frühestens am 20. Januar 2000 zu laufen begonnen, weil die Klägerin bis dahin Vergütungsanträge mit überhöhten Zuckermengen gestellt habe. Damit liege eine wiederholte Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 vor. Der Rückforderungsbescheid sei der Klägerin vor Ablauf der Verjährungsfrist zugegangen. Weiterer Maßnahmen zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs habe es nicht bedurft. Der Zinsanspruch sei, soweit er die Zeit ab dem 1. Januar 1999 betreffe, ebenfalls nicht verjährt.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Revision vor, der Rückforderungsanspruch sei nach Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 und jedenfalls in Anwendung der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit verjährt. Die Voraussetzungen einer wiederholten Unregelmäßigkeit seien nicht erfüllt. Die streitgegenständlichen Sachverhaltskomplexe dürften nicht mit anderen als Unregelmäßigkeit anerkannten Sachverhaltskomplexen zu einer wiederholten Unregelmäßigkeit verklammert werden. Auch Rechtsverstöße aus nachfolgenden Zeiträumen, wegen derer kein Rückforderungsbescheid ergangen sei, dürften nicht als Wiederholung berücksichtigt werden. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Juni 2015 (C-52/14) ergebe sich nichts Anderes. Es habe dazu keine hier bindenden Aussagen getroffen, sondern lediglich Auslegungshinweise erteilt. Jedenfalls aber sei der Rückforderungsanspruch mit Ablauf der absoluten Verjährungsfrist von acht Jahren nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 erloschen. Wegen der mittlerweile über zwanzigjährigen Dauer des Verfahrens folge die Verjährung auch aus höherrangigem Recht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 2019 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. November 2009 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2003 (Nr. 802 260) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2006 (Az. 221-324-2003-85) auch bezüglich des verbliebenen Rückforderungsbetrages von 208 794,18 € aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Berufungsurteil.

II

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO ). Die Rückforderung von Lagerkostenvergütungen ist rechtmäßig (1.). Der Erstattungsanspruch der Beklagten ist nicht verjährt (2.). Die Beklagte durfte für den Zeitraum ab dem 1. Januar 1999 feststellen, dass der Erstattungsanspruch dem Grunde nach zu verzinsen ist (3.).

1. Die Rücknahme der Bewilligung und die Rückforderung der konkludent durch Auszahlung an die Klägerin gewährten Lagerkostenvergütungen im Zuckerwirtschaftsjahr 1988/1989 sind im verfahrensgegenständlichen Umfang rechtmäßig. Rechtsgrundlage dafür ist § 10 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen (Marktorganisationsgesetz - MOG -) in der zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides geltenden Fassung vom 24. Juni 2005 (BGBl. I S. 1847 ) i.V.m. § 48 Abs. 2 bis 4 , § 49a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwVfG . Die Bewilligung von Vergütungen war im noch streitgegenständlichen Umfang rechtswidrig. Dagegen erhebt die Klägerin für das Zuckerwirtschaftsjahr 1988/1989 auch keine Einwände mehr.

Die sonstigen Voraussetzungen für die Rücknahme der Bewilligung von Lagerkostenvergütungen liegen vor. Die Klägerin kann der Rücknahme keinen Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 VwVfG entgegenhalten. In der angefochtenen Höhe hat sie die Bewilligung durch Vergütungsanträge mit überhöhten Zuckermengen und damit durch Angaben herbeigeführt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG ). Die Rücknahme ist innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erfolgt. Diese Entscheidungsfrist begann erst mit Eingang der Stellungnahme der Klägerin vom 20. August 2002 (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 2019 - 8 C 9.18 - juris Rn. 28 m.w.N.) und war bei Zugang des Rückforderungsbescheids vom 30. Januar 2003 noch nicht abgelaufen.

2. Der infolge der Teilrücknahme der Bewilligungen von Lagerkostenvergütungen nach § 10 Abs. 3 MOG , § 49a VwVfG NRW entstandene öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten war im Zeitpunkt des Erlasses des Rückforderungsbescheides noch nicht verjährt. Die hier anzuwendende vierjährige Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der europäischen Gemeinschaften (ABl. Nr. L 312 S. 1) begann erst mit der Stellung des letzten Vergütungsantrages mit einer überhöhten Zuckermenge am 20. Januar 2000 zu laufen, weil die Anträge der Klägerin bis dahin eine wiederholte Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Verordnung begründeten. Der Erlass des Rückforderungsbescheides am 30. Januar 2003 hielt die Frist der Verfolgungsverjährung ein. Allgemeine Grundsätze des Unionsrechts stehen dem nicht entgegen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des zwischen den Beteiligten ergangenen Urteils des Senats vom selben Tage im insoweit gleich gelagerten Verfahren 8 C 14.19 verwiesen (vgl. dort 3.).

3. Die Klägerin greift mit ihrem umfassenden Klageantrag auch die Feststellung der Pflicht zur Verzinsung des Rückforderungsbetrages dem Grunde nach an, beschränkt ihr Revisionsvorbringen dazu allerdings auf die von ihr angenommene Verjährung der Hauptforderung. Diese ist - wie erörtert - nicht eingetreten. Auch im Übrigen ist die Feststellung der Verzinsungspflicht dem Grunde nach rechtmäßig. Zur Begründung kann ebenfalls auf das Urteil des Senats im Verfahren 8 C 14.19 verwiesen werden (vgl. dort 4.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO .

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 208 794,18 festgesetzt.

Verkündet am 9. Dezember 2020