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BVerwG - Entscheidung vom 07.05.2020

4 BN 44.19

Normen:
BauNVO § 1 Abs. 9

Fundstellen:
BauR 2020, 1427
ZfBR 2020, 675

BVerwG, Beschluss vom 07.05.2020 - Aktenzeichen 4 BN 44.19

DRsp Nr. 2020/9859

Rechtmäßigkeit von Festsetzungen in einem Bebauungsplan

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.

Normenkette:

BauNVO § 1 Abs. 9 ;

Gründe

Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ), die ihr die Beschwerde beimisst.

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO ) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 9. April 2014 - 4 BN 3.14 - ZfBR 2014, 479 Rn. 2). Daran fehlt es hier.

a) Die Beschwerde wirft die Fragen auf,

ob bei Einzelhandelsbetrieben ein Anlagentyp nach § 1 Abs. 9 BauNVO (1990) nach einer festen Beschränkung der Zulässigkeit von maximal 700 qm Verkaufsfläche bestimmt werden und hierbei auf die Großflächigkeit von Einzelhandelsbetrieben nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO (1990) als Betriebstyp abgehoben werden kann

und ob ein Betriebstyp - wie der der wohnungsnahen Versorgung dienende Einzelhandelsbetrieb - überhaupt mit dem alleinigen Merkmal der Großflächigkeit nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO bestimmt werden kann, oder ob hierzu auch die städtebaurechtliche Einordnung mit wesentlichen Auswirkungen erforderlich ist.

Diese Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision, denn sie lassen sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf (BVerwG, Beschlüsse vom 13. März 1992 - 4 B 39.92 - NVwZ 1993, 268 = juris Rn. 11 und vom 12. Juli 2012 - 4 B 13.12 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 214 = juris Rn. 3).

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass § 1 Abs. 9 BauNVO - über § 1 Abs. 5 BauNVO hinausgehend - gestattet, einzelne Unterarten von Nutzungen, welche die Baunutzungsverordnung selbst nicht angeführt hat, mit planerischen Festsetzungen zu erfassen (vgl. Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 77.84 - BVerwGE 77, 317 ). Differenzierungen nach § 1 Abs. 9 BauNVO dürfen sich indes nur auf bestimmte Anlagentypen beziehen. Zulässige Differenzierungskriterien können sowohl Gattungsbezeichnungen und ähnliche typisierende Beschreibungen, aber auch auf die Größe einer Anlage bezogene Kriterien wie z.B. die Verkaufs- oder Geschossfläche sein. Die gewählten Kriterien müssen eine ausreichende Abgrenzung von anderen Anlagentypen gewährleisten und sich auf einen Anlagentyp beziehen, der in der sozialen und ökonomischen Realität bereits vorhanden ist (BVerwG, Beschluss vom 5. Juni 2014 - 4 BN 8.14 - ZfBR 2014, 574 = juris Rn. 10 m.w.N.). Einzelhandelsbetriebe, die im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO großflächig sind, stellen einen solchen eigenständigen Anlagentyp (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 77.84 - juris Rn. 25 insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 77, 317 ) dar, und zwar unabhängig davon, ob von ihnen die in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO beschriebenen Wirkungen ausgehen oder nicht. Nur im letzteren Fall macht der Ausschluss großflächigen Einzelhandels im - wie hier - festgesetzten Gewerbegebiet im Übrigen Sinn. Da großflächige Einzelhandelsbetriebe mit den Wirkungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig sind, müssen sie im Gewerbegebiet nicht ausgeschlossen werden; sie sind dort ohne Weiteres unzulässig.

Wählt eine Gemeinde die Verkaufsfläche als Differenzierungskriterium, so sind Betriebe, die diese Fläche über- bzw. unterschreiten, nicht schon allein deshalb eine eigenständige Anlagenart. Vielmehr muss die Gemeinde darlegen, warum Betriebe unter bzw. über den von ihr festgesetzten Größen generell oder doch jedenfalls unter Berücksichtigung der besonderen örtlichen Verhältnisse einem bestimmten Anlagentyp entsprechen (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Mai 1987 - 4 C 77.84 - BVerwGE 77, 317 und - 4 C 19.85 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 9 sowie Beschlüsse vom 27. Juli 1998 - 4 BN 31.98 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 25, vom 8. November 2004 - 4 BN 39.04 - Buchholz 406.12 § 8 BauNVO Nr. 20 und vom 18. Februar 2009 - 4 B 54.08 - BauR 2009, 1102 <1103>).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich diese Rechtsprechung ausdrücklich zu eigen gemacht (UA S. 10). Er hat dargelegt, dass mit der Flächenbeschränkung auf 700 m2 im Bebauungsplan aus dem Jahr 1996 der großflächige Einzelhandelsbetrieb von dem nicht großflächigen Betrieb abgegrenzt werden sollte. Der Satzungsbestimmung der Antragsgegnerin lasse sich - auch infolge des Klammerzusatzes "überregionale Bedeutung" - entnehmen, dass sie damit wegen seines erweiterten Einzugsbereichs den Anlagentyp "großflächiger Einzelhandelsbetrieb" habe ausschließen wollen. Für den Typ des großflächigen Einzelhandelsbetriebs sei nach der im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 19.85 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 9 = juris Rn. 12) die Grenze bei einer Verkaufsfläche verlaufen, die jedenfalls nicht wesentlich unter 700 m2 gelegen habe. In der Sache geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die Antragsgegnerin mit der beanstandeten Festsetzung den Anlagentyp des im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO - nach den damals geltenden Maßstäben - großflächigen Einzelhandelsbetriebs und damit eine Unterart eines Gewerbebetriebes i.S.v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO (vgl. etwa Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO , 4. Aufl. 2019, § 8 Rn. 14a) ausgeschlossen hat. Die Antragstellerin tritt dieser Würdigung zwar entgegen. Sie zeigt indessen nicht auf, woraus sich ein weitergehender Klärungsbedarf ergeben soll.

b) Die weiter von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

ob eine Kommune bei einem Fachmarktzentrum mit verschiedenen (zentrenrelevanten) Einzelhandelsbetrieben für die Frage des Bestandsschutzes ausschließlich auf einzelne Einzelhandelsbetriebe innerhalb des Fachmarktzentrums abheben kann oder ob sich die Frage des Inhalts, der Grenzen und Auswirkungen des Bestandsschutzes auch auf das Einkaufszentrum bzw. Fachmarktzentrum als eigenständigen Gewerbebetrieb bezieht,

rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Sie ist einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich, weil ihre Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Oktober 2015 - 4 BN 31.15 - ZfBR 2016, 157 Rn. 5). Abgesehen davon erschöpft sich die Begründung der Grundsatzrüge darin, die tatrichterliche Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs anzugreifen, die Antragsgegnerin habe den Umfang des Bestandsschutzes der Betriebe auf dem Grundstück der Antragstellerin im Rahmen der Abwägung (§ 1 Abs. 7 , § 2 Abs. 3 BauGB ) ordnungsgemäß ermittelt und bewertet (UA S. 24 f.). Mit einer Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung lässt sich die grundsätzliche Bedeutung der Sache indes nicht darlegen (BVerwG, Beschlüsse vom 7. Juni 2012 - 4 B 36.11 - ZfBR 2012, 672 = juris Rn. 4 und vom 29. Januar 2019 - 4 B 73.17 - juris Rn. 35).

2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) des angefochtenen Urteils zu Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen. Die Beschwerde verfehlt die Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ).

Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nr. 9 ; stRspr). § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch eine präzise Gegenüberstellung der divergierenden Rechtssätze dargelegt wird (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 17. Dezember 2010 - 8 B 38.10 - ZOV 2011, 45 = juris Rn. 15 und vom 17. Februar 2015 - 1 B 3.15 - juris Rn. 7). Hieran fehlt es.

Eine Abweichung von dem Urteil des Senats vom 22. Mai 1987 - 4 C 19.85 - (Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 9 = juris Rn. 12) liegt schon deshalb nicht vor, weil der Senat die Frage, wo nach dem seinerzeitigen Einkaufsverhalten der Bevölkerung und den Gegebenheiten des Einzelhandels die Verkaufsflächen-Obergrenze für Einzelhandelsbetriebe liege, ausdrücklich offengelassen hat. Von der Vermutung, dass sie nicht wesentlich unter 700 m2 (aber auch nicht wesentlich darüber) liege, hat sich der Verwaltungsgerichtshof leiten lassen (UA S. 10).

Auch eine Divergenz zum Urteil vom 24. November 2005 - 4 C 10.04 - (BVerwGE 124, 364 ) ist nicht dargelegt. Der Senat ist davon ausgegangen, dass nach den Gegebenheiten im Zeitpunkt der Entscheidung jedenfalls Einzelhandelsbetriebe mit nicht mehr als 800 m2 Verkaufsfläche als Betriebe einzustufen sind, die der Nahversorgung der Bevölkerung dienen. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass dieser ausdrücklich auf die Verhältnisse zu Beginn der 2000er Jahre bezogene Rechtssatz auch für die Bestimmung der Großflächigkeit von Einzelhandelsbetrieben im hier nach § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses im Jahre 1996 Gültigkeit beansprucht hätte.

Soweit die Beschwerde in Bezug auf § 1 Abs. 9 BauNVO eine Abweichung vom Beschluss des Senats vom 8. November 2004 - 4 BN 39.04 - (Buchholz 406.12 § 8 BauNVO Nr. 20) sowie hinsichtlich des Bestandsschutzes als abwägungserheblicher Belang von den Entscheidungen vom 23. Juni 2003 - 4 BN 65.02 - (BeckRS 2003, 23606), vom 7. November 1997 - 4 C 7.97 - (Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 316) und vom 18. Dezember 1990 - 4 N 6.88 - (Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 50) geltend macht, benennt sie schon keinen abstrakten Rechtssatz, mit welchem die Vorinstanz der Rechtsprechung des Senats nicht gefolgt sein könnte, sondern kritisiert in der Sache die Rechtsanwendung durch den Verwaltungsgerichtshof. Hierauf kann die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht gestützt werden (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 25. Januar 2005 - 9 B 38.04 - Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 22 = juris Rn. 16 und vom 24. August 2017 - 4 B 35.17 - juris Rn. 10).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und die Festsetzung des Streitwerts aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 16.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 4 C 1850/17
Fundstellen
BauR 2020, 1427
ZfBR 2020, 675