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BVerwG - Entscheidung vom 02.12.2020

9 B 69.19

Normen:
VwGO § 130b S. 2

BVerwG, Beschluss vom 02.12.2020 - Aktenzeichen 9 B 69.19

DRsp Nr. 2021/1015

Prüfung des Vorliegens eines Gehörverstoßes in einer Verwaltungsstreitsache

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. September 2019 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 130b S. 2;

Gründe

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) oder wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) zuzulassen. Insoweit genügt der klägerische Vortrag bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO .

Weder wird eine für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz entscheidungserhebliche und konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage formuliert noch eine Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts benannt, von der das angegriffene Urteil im Rechtssatz abgewichen sein soll. Zu Letzterem wird lediglich pauschal auf "die Rechtsprechung zur 'Unvordenklichen Verjährung'" verwiesen. Hiervon abgesehen beschränkt sich das Vorbringen des Klägers weitgehend auf die Darlegung seiner eigenen rechtlichen Bewertung zum Rechtscharakter des streitigen Weges (sog. Wassergall im Bereich der Beklagten, beginnend an der Einmündung in die K 34 bis zur Gemeindegrenze von I.).

2. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ). Es kann offen bleiben, ob ein Gehörsverstoß vorliegt (a). Denn dieser wäre jedenfalls nicht entscheidungserheblich (b).

a) Der Grundsatz rechtlichen Gehörs verlangt vom Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist jedoch nicht gehalten, das gesamte Vorbringen in den Entscheidungsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO ). Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu einem bestimmten Vorbringen eines Beteiligten kann deshalb noch nicht geschlossen werden, das Gericht habe dieses nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2017 - 9 B 30.16 - juris Rn. 4 m.w.N.).

aa) Der Kläger weist darauf hin, dass er mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2017 dem Verwaltungsgericht insgesamt zehn Anlagen vorgelegt habe, um zu belegen, dass die Wassergall seit dem 31. März 1948 dem öffentlichen Verkehr diente. Nur eine der Anlagen sei aber im angegriffenen Berufungsurteil erwähnt worden; die Wiedergabe dieses Dokuments sei zudem inhaltlich falsch. Die Aussage des Zeitzeugen in Anlage 2 laute: "Auch die fahrenden Händler und der Friseur kamen regelmäßig über die Wassergall". Dem widerspreche die Aussage im Urteil (UA S. 14) diametral, denn danach sei die Wassergall "nach dem 31. März 1948 vereinzelt durch fahrende Händler, Handwerker sowie gelegentlich mit Fuhrwerken oder mit Fahrrädern zum Konfirmandenunterricht genutzt" worden.

Dem Kläger ist zuzugestehen, dass der Wortlaut der Anlage 2 in den Entscheidungsgründen des Urteils nicht korrekt wiedergegeben wird; die Begriffe "regelmäßig" und "vereinzelt" sind nicht synonym, sondern haben eine andere Bedeutung. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Einschränkung ("vereinzelt") lässt sich auch vor dem Hintergrund der beiden anderen "Eidesstattlichen Versicherungen" durch Zeitzeugen (Anlagen 1 und 3) nicht rechtfertigen, denn dort ist davon die Rede, dass die Wassergall "schon immer und ohne Unterbrechung als Straßenverbindung zwischen den Abteigemeinden genutzt" wurde (Anlage 1) bzw. "zwischen dem 31. März 1948 und der Einführung der Landesverordnung (...) öffentlich befahren werden konnte" (Anlage 3). Auch beanstandet der Kläger im Ansatz zutreffend, dass das Berufungsgericht in seiner rechtlichen Würdigung weder auf die in den Anlagen 4 - 7 des genannten Schriftsatzes vom 20. Oktober 2017 enthaltenen Unterlagen zu den Baugenehmigungen, die offenbar die Wassergall als öffentliche Erschließungsstraße vorausgesetzt haben, noch auf das Amtliche Verzeichnis der Gemeinden und Gemeindeteile (Anlage 8), die Werbung zum finnischen Musterhaus (Anlage 9) und den Erläuterungsbericht vom 30. Januar 1961 (Anlage 10, dort insbesondere S. 2) eingeht.

Das Berufungsgericht, das den durch Zeitzeugen belegten Vortrag des Klägers ersichtlich nur kurz zusammenfassen wollte, nimmt allerdings im Übrigen ausdrücklich unter Hinweis auf § 130b Satz 2 VwGO auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug (UA S. 14 unten). Dieses wiederum hat die entsprechende Passage im Urteil korrekt wiedergegeben und sich mit den Aussagen auf S. 2 des Erläuterungsberichts vom 30. Januar 1961 auseinandergesetzt (UA S. 11 unten). Auch hat das Berufungsgericht zumindest einen Teil des vom Kläger im Urteil vermissten Vortrags im Tatbestand erwähnt (vgl. UA S. 3 zum insoweit offenbar wortgleichen Erläuterungsbericht vom 30. Januar 1961 sowie S. 5 zu den Baugenehmigungen und der Bauleitplanung für neue Baugebiete), ihn also nicht völlig übergangen. Soweit gleichwohl eine rechtliche Würdigung zumindest einiger der genannten Gesichtspunkte durch das Berufungsgericht fehlt, kann dahinstehen, ob insoweit von einem Gehörsverstoß auszugehen sein könnte. Denn jedenfalls rechtfertigte dieser nicht die Zulassung der Revision (s. dazu später unter b).

bb) Ein Gehörsverstoß liegt nicht in Bezug auf "die umfangreichen Belege für einen Akt der Widmung nach früherem Recht" vor. Insoweit macht die Beschwerde schon nicht geltend, dass konkreter klägerischer Vortrag übergangen worden sei. Vielmehr wendet sie sich pauschal dagegen, dass das Berufungsgericht die Belege "im Urteil lapidar zusammenfassend als unerheblich abtut". Damit wendet sie sich der Sache nach gegen die Beweiswürdigung durch das Gericht. Dieses hat erklärtermaßen eine "Gesamtwürdigung" der für und gegen die Annahme einer öffentlichen Straße sprechenden Indizien vorgenommen (UA S. 12). Dass es hierbei nicht auf jeden einzelnen vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkt eingegangen ist, führt nach den oben genannten Maßstäben nicht auf einen Gehörsverstoß:

Zum einen nimmt das Urteil auch hier auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug, so dass diese zur Begründung "mitgedacht" werden müssen, zum anderen betont das Berufungsgericht, dass es bei seiner Gesamtwürdigung entscheidend auf zwei Aspekte abstellt, nämlich den Vorgang im Rahmen des Programms "Grüner Plan" sowie die fehlende Anerkennung der Wassergall als Gemeindeverbindungsstraße. Beide Gesichtspunkte werden sodann ausführlich und in der rechtlichen Begründung nachvollziehbar dargestellt (UA S. 12 ff.). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verfahrensfehlerhaft, wenn sich das Urteil auf die aus seiner Sicht wesentlichen Argumente beschränkt und nicht auf jedes einzelne Gegenargument des Klägers eingeht.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang - ohne klare Zuordnung zu einem Verfahrensfehler - von einer "Entwidmungstheorie durch Antragstellung der Verwaltung", "auch noch ohne Ratsentscheidung und Veröffentlichung" spricht, gibt er das Urteil unzutreffend wieder. Von einer solchen "Entwidmungstheorie" ist nicht die Rede. Das Urteil stellt vielmehr auf den "Vorgang" im Zusammenhang mit der Antragstellung ab; dabei kommt es dem Berufungsgericht entscheidend auf die Erläuterungsberichte zum Förderantrag und die darin enthaltenen Angaben zum schlechten Zustand des Weges an.

cc) Ein Gehörsverstoß liegt schließlich nicht in Bezug auf den "Vortrag zur ausdrücklichen Widmung durch Ratsbeschluss" vor. Das Gericht hat sich hiermit ausführlich auseinandergesetzt (UA S. 9 f.). Dass es hierbei zu einer anderen rechtlichen Bewertung gekommen ist als der Kläger, begründet unabhängig von der Richtigkeit dieser Bewertung weder einen Gehörs- noch einen sonstigen Verfahrensverstoß.

Hiervon abgesehen hält der Senat die Auslegung der Vereinbarung vom 16. Dezember 1987 durch das Berufungsgericht aber auch für nachvollziehbar; sie ist entgegen der Beschwerde ohne Weiteres "durch § 133 BGB gedeckt". Der Wortlaut "verfügt ... die Widmung, sobald ..." spricht klar dafür, dass die Widmung erst künftig - bei Erfüllung der in der Vereinbarung genannten Voraussetzung (Zustimmung der zuständigen Straßenbaubehörde) - erfolgen soll; diese Auslegung wird durch das Argument des Klägers, es habe gar keiner Zustimmung bedurft, nicht in Frage gestellt. Im Übrigen fehlt es für die vom Kläger angenommene förmliche Widmung der Wassergall nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ohnehin an der für eine Widmung gemäß § 36 Abs. 3 LStrG notwendigen öffentlichen Bekanntmachung durch die Beklagte (UA S. 10).

b) Ist eine Entscheidung - wie hier - auf mehrere jeweils für sich selbständig tragende Gründe gestützt worden, kann eine Beschwerde nach § 132 Abs. 2 VwGO nur dann Erfolg haben, wenn der Zulassungsgrund zu jedem der Entscheidungsgründe vorgetragen und gegeben ist (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 26. Juni 2017 - 8 B 19.16 - ZOV 2017, 149 Rn. 5 und vom 15. Juli 2020 - 9 B 5.20 - juris Rn. 23). Daran fehlt es hier.

Das Berufungsurteil ist selbständig tragend darauf gestützt, dass der streitige Weg selbst dann, wenn es sich hierbei vorher um einen öffentlichen Weg gehandelt hätte, jedenfalls mit Inkrafttreten des Landesstraßengesetzes vom 15. Februar 1963 nach § 2 Abs. 5 LStrG in der damaligen Fassung, die § 1 Abs. 5 der aktuellen Gesetzesfassung entspricht, zum 1. April 1963 ihren öffentlich-rechtlichen Charakter kraft Gesetzes verloren hat. Denn zu diesem Zeitpunkt habe der Weg nur noch der Bewirtschaftung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke gedient (UA S. 15).

In diesen Ausführungen liegt entgegen der Annahme der Beschwerde keine unzulässige Überraschungsentscheidung. Eine solche liegt vor, wenn das Gericht, einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher der unterlegene Beteiligte nach dem Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2007 - 7 B 18.07 - juris Rn. 5). So liegen die Dinge hier jedoch nicht.

Der Kläger begründet das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung mit einem vermeintlichen Widerspruch der Annahmen des Berufungsgerichts zu § 54 LStrG und einer hieraus resultierenden fehlerhaften Auslegung des Landesrechts. Damit zeigt er aber nicht auf, dass das Gericht seiner Entscheidung einen neuen bislang nicht erörterten Gesichtspunkt zugrunde gelegt hat. Dies ist auch nicht der Fall. Denn das Berufungsgericht stützt seine Rechtsauffassung im Wesentlichen auf das Senatsurteil vom 7. Juni 1979 - 1 A 32/76 - AS RP-GL 15, 232 sowie auf den Gemeinsamen Runderlass des Ministeriums des Innern und des Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr vom 24. Januar 1964, MBl. S. 230. Damit folgt es - einschließlich der beiden Verweise - exakt dem Vortrag der Beklagten in deren Berufungserwiderung vom 20. Dezember 2018 (S. 18). Darauf hätte sich der Kläger einstellen können; von einer Überraschungsentscheidung kann keine Rede sein.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 3 GKG .

Vorinstanz: OVG Rheinland-Pfalz, vom 12.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 A 11179/18