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BVerwG - Entscheidung vom 17.12.2020

8 B 17.20

Normen:
VwGO § 42 Abs. 2
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3

BVerwG, Beschluss vom 17.12.2020 - Aktenzeichen 8 B 17.20

DRsp Nr. 2021/3973

Prozessrechtliche Anforderungen an die Klagebefugnis; Beschwerde wegen Verfahrensmangels

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 21. November 2019 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 42 Abs. 2 ; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

Der Beklagte stellte fest, dass die Beigeladenen gemeinschaftlich Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG hinsichtlich dreier Walzenkrüge und eines klappbaren Spieltisches sind, die sich im Besitz der Klägerin befinden. Den Widerspruch der Klägerin wies er zurück. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin fehle die Klagebefugnis. Die Berechtigtenfeststellung zugunsten der Beigeladenen könne sie nach allen denkbaren Betrachtungsweisen offensichtlich nicht in ihren Rechten verletzen, weil sie weder im Wege der Rechtsnachfolge noch unmittelbar Eigentum an den genannten Gegenständen erlangt habe. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

Die auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Zu Recht rügt die Klägerin, das Verwaltungsgericht habe die Klageabweisung auf Erwägungen gestützt, die die prozessrechtlichen Anforderungen an die Klagebefugnis aus § 42 Abs. 2 VwGO überspannen. Dies stellt einen Verfahrensfehler dar (stRspr vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1993 - 4 B 206.92 - Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 188).

Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder dessen Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Verletzung eigener Rechte muss auf der Grundlage des Klagevorbringens als möglich erscheinen. Das ist nur zu verneinen, wenn offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Klägers verletzt sein können (stRspr, z.B. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2018 - 10 C 10.17 - Buchholz 428.2 § 1 VZOG Rn. 17 m.w.N.). Diesem Maßstab wird das angegriffene Urteil nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht geht zwar im Ansatz zutreffend vom zitierten Prüfungsmaßstab aus, wendet ihn aber unzutreffend an. Es verneint eine Eigentümerstellung der Klägerin hinsichtlich der in Rede stehenden Gegenstände aufgrund einer umfassenden Würdigung und abschließenden materiell-rechtlichen Bewertung des für den Eigentumserwerb entscheidungserheblichen Tatsachenstoffes. Damit verlagert es die im Rahmen der Begründetheit der Klage zu erörternde Frage einer Rechtsverletzung des Klägers durch den angegriffenen Verwaltungsakt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ) auf die Zulässigkeitsebene. Das überspannt die an die Klagebefugnis zu stellenden prozessualen Anforderungen. Sie sind bei Zweifeln an einer materiell-rechtlichen Berechtigung schon erfüllt, wenn das Bestehen und der wirksame Erwerb des Rechts nicht von vornherein und nach jeder denkbaren Betrachtungsweise zu verneinen sind, sondern - wie hier - einer eingehenden Prüfung unter Würdigung der ermittelten Tatsachen bedürfen.

Das angefochtene Urteil beruht auf dem gerügten Verfahrensmangel, weil es nicht durch eine davon unabhängige, revisionsrechtlich fehlerfreie Erwägung getragen wird. Eine solche selbständig tragende Alternativbegründung liegt nicht in dem ergänzenden Hinweis des Verwaltungsgerichts, die Klage hätte auch in der Sache keinen Erfolg gehabt. Wie sich aus der Bezeichnung als "nur" ergänzend und aus der Formulierung in der Möglichkeitsform ergibt, handelt es sich um eine Erläuterung der materiell-rechtlichen Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, wenn es von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen wäre. Damit beschränkt der Hinweis sich auf ein obiter dictum ohne auch nur hilfsweise entscheidungstragende Funktion. Ob über eine Klage durch Prozessurteil und hilfsweise zugleich durch Sachurteil entschieden werden darf, kann deshalb dahinstehen.

Eine entsprechende Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO kommt nicht in Betracht. Als Prozessurteil kann die Entscheidung keinen Bestand haben, weil andere als die fehlerhaft angenommenen Gründe für eine Unzulässigkeit der Klage nicht erkennbar sind. Als Sachurteil kann die Entscheidung - unabhängig von der Frage der Richtigkeit der Rechtsauffassung der Vorinstanz - ebenfalls nicht aufrechterhalten werden. Die für die Sachentscheidung erforderliche, nach § 108 Abs. 1 VwGO von der Tatsacheninstanz vorzunehmende Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann das Revisionsgericht weder nachholen noch ersetzen (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO ).

Der Senat macht gemäß § 133 Abs. 6 VwGO von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, weil die Klägerin keine über den Verfahrensmangel hinausgehenden Revisionszulassungsgründe geltend macht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 , § 162 Abs. 3 VwGO . Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VG Gera, vom 21.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 3 K 1197/16