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BVerwG - Entscheidung vom 16.06.2020

4 BN 39.19

Normen:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
BauGB § 1 Abs. 7

Fundstellen:
ZfBR 2020, 778

BVerwG, Beschluss vom 16.06.2020 - Aktenzeichen 4 BN 39.19

DRsp Nr. 2020/11334

Nachbarlicher Normenkontrollstreit um einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan; Voraussetzungen der Antragsbefugnis für einen Normenkontrollantrag; Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ; Geltendmachung einer Verletzung des Abwägungsgebots; Geringfügigkeit des Interesses des Nachbarn am Schutz vor Immissionen durch Gewerbelärm

Der Schutz vor planbedingten Immissionen von Gewerbebetrieben begründet eine Antragsbefugnis nur, wenn das betroffene Interesse mehr als geringfügig ist.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2019 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 47 Abs. 2 S. 1; BauGB § 1 Abs. 7 ;

Gründe

Der Antragsteller ist Eigentümer eines im Außenbereich gelegenen Wohngrundstücks. Er wendet sich gegen einen Bebauungsplan, der in einer Entfernung von etwa 100 m auf einer Fläche von 3 000 qm teils ein Mischgebiet und teils eine private Grünfläche festsetzt. Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag verworfen, weil der Antragsteller nicht antragsbefugt sei.

Die auf alle Zulassungsgründe nach § 132 VwGO gestützte Beschwerde führt nicht zur Zulassung der Revision.

I. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Der Antragsteller ist nicht antragsbefugt im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO . Dies sieht das Oberverwaltungsgericht richtig.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren nur eine Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des Gebiets eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis aus einer möglichen Verletzung des § 1 Abs. 7 BauGB folgen. Das dort normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot gewährt ein subjektives Recht. Der Betroffene kann verlangen, dass seine eigenen Belange in der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht "abgearbeitet" werden (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <221>). Ein Antragsteller kann sich daher im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden (BVerwG, Urteile vom 16. Juni 2011 - 4 CN 1.10 - BVerwGE 140, 41 Rn. 15 und vom 29. Juni 2015 - 4 CN 5.14 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 200 Rn. 14). In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (BVerwG, Urteil vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 138; Beschlüsse vom 12. Januar 2016 - 4 BN 11.15 - ZfBR 2016, 263 Rn. 4 und vom 12. Dezember 2018 - 4 BN 22.18 - ZfBR 2019, 272 Rn. 6).

Das Interesse des Antragstellers, vor Immissionen durch Gewerbelärm geschützt zu werden, war in der konkreten Situation nur geringfügig und daher nicht abwägungserheblich. Dies lässt sich feststellen, ohne dass es einer Prüfung bedarf, die nach Umfang und Intensität einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2011 - 4 BN 42.10 - BauR 2011, 1641 = juris Rn. 8 und vom 2. März 2015 - 4 BN 30.14 -ZfBR 2015, 380 Rn. 3).

Ein Mischgebiet, wie es der angegriffene Bebauungsplan festsetzt, dient nach § 6 Abs. 1 BauNVO der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören (vgl. UA S. 7), es ist gekennzeichnet durch eine wechselseitige Verträglichkeit von Wohnen und Gewerbe (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1988 - 4 C 34.86 - BVerwGE 79, 309 <312>). Dabei ist im Ausgangspunkt auf eine - eingeschränkte - typisierende Betrachtung abzustellen. Ein konkreter Betrieb ist unzulässig, wenn Betriebe seines Typs bei funktionsgerechter Nutzung üblicherweise für die Umgebung unzumutbare Störungen hervorrufen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2018 - 4 B 10.17 - Buchholz 406.12 § 6 BauNVO Nr. 19 Rn. 8 ff. m.w.N.). Der Bebauungsplan gestattet damit nur die Ansiedlung solcher Gewerbebetriebe, die das Wohnen selbst innerhalb des festgesetzten Gebietes nicht wesentlich stören. Solche Gewerbebetriebe können aber auch die Nutzung des in einiger Entfernung gelegenen Wohngrundstücks des Antragstellers nicht wesentlich stören.

Der Antragsteller kann den Schutzanspruch eines Außenbereichsgrundstücks für sich geltend machen. Nach der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz - Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm ( TA Lärm ) vom 26. August 1998 (GMBl. S. 503) dürfte im Grundsatz alles dafür sprechen, dass er damit nur den Schutz eines Dorfgebietes (60 dB<A> tags, 45 dB<A> nachts) beanspruchen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. April 2017 - 4 A 1.16 - Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 5 Rn. 31 und vom 22. Juni 2017 - 4 A 18.16 - Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 7 Rn. 23), der dem eines Mischgebiets entspricht.

Zu berücksichtigen ist schließlich, dass sowohl das Plangebiet mit rund 3 000 qm als auch die festgesetzte überbaubare Grundstücksfläche mit 920 qm vergleichsweise klein sind und das Grundstück des Antragstellers in einiger Entfernung liegt. Damit erscheint sein Lärmschutzinteresse so geringfügig, dass es nicht abwägungserheblich war. Dieses Ergebnis bestätigt die vom Oberverwaltungsgericht mitgeteilte gutachterliche Einschätzung, die für die Ansiedlung eines Kfz-Reparaturbetriebs einen Dauerschallpegel prognostiziert, der selbst den Orientierungswert der DIN 18005-1-Beiblatt 1 und des Immissionsrichtwerts der TA Lärm für allgemeine Wohngebiete um mehr als 18 dB(A) unterschreitet.

II. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO , die ihr die Beschwerde beimisst.

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO ) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, siehe bereits BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).

Die Beschwerde hält der Sache nach für grundsätzlich klärungsbedürftig,

unter welchen Voraussetzungen eine Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO besteht, wenn der Antragsteller planbedingte Immissionen eines Gewerbebetriebs >befürchtet, insbesondere,

ob die Antragsbefugnis gegeben ist, wenn die Immissionen die Bagatellschwelle überschreiten, und welche Rolle die Lage des betroffenen (Wohn-)Grundstücks im Außenbereich spielt.

Die Fragen zielen auf die Antragsbefugnis eines Antragstellers, der Eigentümer eines Grundstücks außerhalb des Plangebiets ist. Sie führen nicht zur Zulassung der Revision. Unter welchen Voraussetzungen ein Antragsteller wegen einer möglichen Verletzung des Abwägungsgebots aus § 1 Abs. 7 BauGB antragsbefugt ist, ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt (s.o.). Diese Grundsätze gelten auch für den Schutz vor planbedingten Immissionen von Gewerbebetrieben. Dieser begründet eine Antragsbefugnis nur, wenn das betroffene Interesse mehr als geringfügig ist. Mehr ist verallgemeinernd nicht zu sagen.

Die weitere Frage ist auf den Einzelfall gemünzt und kann daher nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen.

III. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz zuzulassen.

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten, ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Eine solche Abweichung zeigt die Beschwerde nicht auf.

Sie entnimmt den Senatsbeschlüssen vom 11. August 2015 - 4 BN 12.15 - (BRS 83 Nr. 49 = juris Rn. 6) und vom 12. Juni 2018 - 4 BN 28.17 - (BauR 2018, 1724 = juris Rn. 5) den Rechtssatz, dass nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt ist, wer eine planbedingte Zunahme von Verkehrslärm oberhalb der Bagatellgrenze geltend machen kann. Sie zeigt indes nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht einen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat. Das angegriffene Urteil geht in Übereinstimmung mit der Senatsrechtsrechtsprechung davon aus, dass planbedingte Beeinträchtigungen nur dann einen abwägungserheblichen Belang betreffen und damit die Antragsbefugnis begründen, wenn sie nicht geringfügig sind (UA S. 6); eine Beeinträchtigung ist aber geringfügig, wenn der Lärmzuwachs unterhalb der Bagatellschwelle bleibt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 2018 - 4 BN 28.17 - BauR 2018, 1724 = juris Rn. 5). Die Kritik der Beschwerde erschöpft sich in dem Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe die Schwelle der Geringfügigkeit fehlerhaft bestimmt. Der Vorwurf fehlerhafter Rechtsanwendung kann jedoch eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht darlegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO , die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Niedersachsen, vom 27.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 KN 140/17
Fundstellen
ZfBR 2020, 778