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BVerwG - Entscheidung vom 16.06.2020

4 BN 54.19

Normen:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
VwGO § 138 Nr. 1
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
BauGB § 1 Abs. 7

BVerwG, Beschluss vom 16.06.2020 - Aktenzeichen 4 BN 54.19

DRsp Nr. 2020/10948

Nachbarlicher Normenkontrollstreit um einen Bebauungsplan; Voraussetzungen der Antragsbefugnis für einen Normenkontrollantrag; Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ; Geltendmachung einer Verletzung des Abwägungsgebots; Bestimmung der Schwelle der Geringfügigkeit des Interesses des Nachbarn am Schutz vor Immissionen durch Verkehrslärm; Anforderungen an die vorschriftsmäßige Besetzung des Oberverwaltungsgerichts

Es kann nicht angenommen werden, bei bestehender Antragsbefugnis gegen einen Ursprungsbebauungsplan sei auch die Antragsbefugnis gegen dessen Änderung gegeben. Vielmehr ist bei einem Änderungsbebauungsplan erforderlich, dass der Antragsteller eine Rechtsverletzung durch den Änderungsplan oder dessen Anwendung darlegt. Das gilt umso mehr, wenn die Planänderung - wie hier - sich nur zu Gunsten des Antragstellers auswirkt.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 47 Abs. 2 S. 1; VwGO § 138 Nr. 1 ; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; BauGB § 1 Abs. 7 ;

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.

1. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) des angefochtenen Urteils zu Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen. Insofern verfehlt die Beschwerde bereits die Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ).

Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712 ). § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch eine präzise Gegenüberstellung der divergierenden Rechtssätze dargelegt wird (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 17. Dezember 2010 - 8 B 38.10 - ZOV 2011, 45 = juris Rn. 15 und vom 17. Februar 2015 - 1 B 3.15 - juris Rn. 7). Hieran lässt es die Beschwerde fehlen. Sie arbeitet schon keinen Rechtssatz heraus, mit welchem das Oberverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Senats abgewichen sein könnte, sondern kritisiert in der Sache die Rechtsanwendung durch das Normenkontrollgericht. Hierauf kann die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht gestützt werden (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 25. Januar 2005 - 9 B 38.04 - NVwZ 2005, 447 = juris Rn. 16 und vom 24. August 2017 - 4 B 35.17 - juris Rn. 10).

2. Die Verfahrensrügen nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO bleiben ebenfalls erfolglos.

a) Die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Oberverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO ; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ) ist unbegründet.

Nach § 138 Nr. 1 VwGO liegt ein absoluter Revisionsgrund dann vor, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Erkennendes Gericht im Sinne der Norm ist die Richterbank, wie sie in der mündlichen Verhandlung besetzt war, aufgrund der die angefochtene Entscheidung ergangen ist (BVerwG, Urteile vom 17. November 1972 - 4 C 41.68 - BVerwGE 41, 174 <176> und vom 29. April 1982 - 5 C 81.80 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 21 = juris Rn. 9; Beschluss vom 30. November 2004 - 1 B 48.04 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 Nr. 43 = juris Rn. 3). Es kommt somit für die Frage der ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs des Verfahrens bei Gericht, sondern auf den der mündlichen Verhandlung an, aufgrund derer das Urteil ergeht (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - 4 BN 36.13 - juris Rn. 9).

Die Beschwerde rügt, dass Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts T. an der angefochtenen Entscheidung nicht mitgewirkt habe, obwohl er hierzu nach der internen Geschäftsverteilung des 1. Senats berufen gewesen wäre und ein Vertretungsfall nicht vermerkt worden sei. Das führt auf keinen Verfahrensfehler. Im Nichtabhilfebeschluss vom 8. Oktober 2019 hat das Oberverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass der Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts gemäß Präsidiumsbeschluss vom 24. April 2019 mit Ablauf des 30. April 2019 aus dem 1. Senat ausgeschieden sei und mit Wirkung vom 1. Mai 2019 den Vorsitz im 5. Senat übernommen habe; der Vorsitz im 1. Senat sei vom 1. Mai 2019 bis zum 30. September 2019 vakant gewesen. Für eine vorschriftswidrige Besetzung am Tag der mündlichen Verhandlung (6. Juni 2019) ist daher nichts ersichtlich.

b) Das Oberverwaltungsgericht hat die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht überspannt.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Ist ein Bebauungsplan Gegenstand der Normenkontrolle und der Betroffene nicht Eigentümer von Grundstücken im Plangebiet, so kann die Antragsbefugnis aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen (stRspr, BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <220 ff.>). Abwägungserheblich sind dabei aber nur private Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben und schutzwürdig sind. An Letzterem fehlt es bei geringwertigen oder mit einem Makel behafteten Interessen sowie bei solchen, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solchen, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2015 - 4 CN 5.14 - NVwZ 2015, 1457 Rn. 14 m.w.N.; Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 4 BN 12.17 - BauR 2018, 667 = juris Rn. 7).

Das Normenkontrollgericht hat angenommen, dass die verfahrensgegenständliche Planänderung darauf abzielt, die Zulässigkeit von Ferienwohnungen im Plangebiet einzuschränken (UA S. 3). Hierin bestehe der (einzige) Regelungsgehalt des angegriffenen Änderungsbebauungsplans. Dementsprechend müsse sich aus der Antragsbegründung ergeben, dass bzw. in welcher Hinsicht sich durch diese Änderung - abwägungsrelevante, d.h. mehr als nur geringfügige - "Betroffenheiten" für das außerhalb des Planungsgebiets gelegene Grundstück der Antragstellerin ergeben könnten. Dazu sei ihren Darlegungen nichts zu entnehmen. Ihre Betroffenheit leite sie allein aus den - schon im Normenkontrollverfahren gegen den (ursprünglichen) Bebauungsplan Nr. 67 geltend gemachten - Auswirkungen der im Plangebiet zugelassenen baulichen Nutzungen auf ihr Grundstück ab. Das genüge für die Antragsbefugnis in Bezug auf die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 67 nicht (UA S. 7). Die Planänderung wirke sich nur zu Gunsten der Antragstellerin aus (UA S. 9). Mit diesen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts setzt die Beschwerde sich nicht substantiiert auseinander. Sie wiederholt vielmehr im Wesentlichen ihren entsprechenden Vortrag aus dem Verfahren BVerwG 4 BN 53.19. Die Annahme der Antragstellerin, bei bestehender Antragsbefugnis gegen den Ursprungsbebauungsplan sei auch die Antragsbefugnis gegen dessen 1. Änderung gegeben, weil beide Pläne eine Einheit bildeten und deshalb zusammen zu betrachten seien, geht schon am Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorbei. Danach ist bei einem Änderungsbebauungsplan erforderlich, dass der Antragsteller eine Rechtsverletzung durch den Änderungsplan oder dessen Anwendung darlegt. Daran fehlt es hier.

c) Die Beschwerde legt nicht dar, dass die Ablehnung der zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2020 gestellten Beweisanträge im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO , § 244 StPO ).

aa) Die Antragstellerin rügt, das Oberverwaltungsgericht habe ihren - zum Nachweis der Antragsbefugnis gestellten - Beweisantrag, dass ein Verkehrsaufkommen von 4 500 Kfz pro Tag in der T. Landstraße im Ortsteil N. zu einer Verkehrslärmbelastung ihres Grundstücks in der Tagzeit (6:00 Uhr - 22:00 Uhr) von 65,4 dB(A) führt (Anlage 3 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung), zu Unrecht als unerheblich abgelehnt. Sie sieht darin eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung. Ein Verfahrensfehler ist hiermit nicht dargetan. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist das Normenkontrollgericht nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Damit scheidet schon tatbestandlich eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO aus (BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 2015 - 4 BN 30.14 - BauR 2015, 967 = juris Rn. 7 und vom 14. September 2015 - 4 BN 4.15 - ZfBR 2016, 154 Rn. 15).

bb) Eine Beweiserhebung ist u.a. dann nicht erforderlich, wenn es auf die zu beweisende Tatsache nach Ansicht des Gerichts nicht ankommt (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO entsprechend; BVerwG, Urteile vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 15. März 1994 - 9 C 510.93 - NVwZ 1994, 1119 ; Beschluss vom 17. September 2014 - 8 B 15.14 - ZOV 2014, 268 = juris Rn. 8). Das ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt der Tatsacheninstanz aus zu beurteilen, selbst wenn dieser verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> und Beschluss vom 25. Januar 2005 - 9 B 38.04 - Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 22). Danach kommt es auf die in dem Beweisantrag nach Anlage 5 des Protokolls zur mündlichen Verhandlung unter Beweis gestellten Tatsachen einer verspäteten oder unterbliebenen Ladung der Mitglieder des Gemeinderats zur Sitzung nicht an, weil sie die Begründetheit des Normenkontrollantrages betreffen. Das Oberverwaltungsgericht ist indessen davon ausgegangen, dass der Normenkontrollantrag bereits unzulässig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Schleswig-Holstein, vom 06.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 KN 18/18