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BVerwG - Entscheidung vom 29.01.2020

2 B 36.19

Normen:
VwGO § 58 Abs. 1
VwGO § 58 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 29.01.2020 - Aktenzeichen 2 B 36.19

DRsp Nr. 2020/3664

Laufen der Jahresfrist zur wirksamen Einlegung der Berufung ab Zustellung wegen fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung; Entfernung eines Beamten aus dem Beamtenverhältnis wegen strafrechtlicher Verurteilung (hier: u.a. Diebstahl)

1. Die in der Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft als Zweimonatsfrist ausgewiesene Berufungsbegründungsfrist führt lediglich zur einmonatigen Verlängerung der gesetzlichen Frist, in der die Berufung zu begründen ist2. Es ist nicht irreführend, wenn im Hinblick auf den Vertretungszwang nur auf § 67 Abs. 4 VwGO hingewiesen wird, die zur Vertretung berechtigten Personen und Organisationen aber nicht ausdrücklich benannt werden.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Juni 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

VwGO § 58 Abs. 1 ; VwGO § 58 Abs. 2 ;

Gründe

Die auf einen Verfahrensmangel (§ 73 HDG und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) gestützte Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.

1. Der 1974 geborene Beklagte steht als Steuerhauptsekretär im Dienst des klagenden Landes. 2011 wurde gegen ihn wegen eines gemeinschaftlich mit seiner Ehefrau begangenen Diebstahls eine Geldstrafe verhängt; 2012 stellte die Staatsanwaltschaft ein gegen ihn geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Fälschung von Protokollen im Verfahren zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung gegen Zahlung einer Geldauflage ein. In weiteren Strafverfahren (2015 und 2016) folgten rechtskräftig gewordene Verurteilungen des Beklagten zu Geldstrafen wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz , wegen Urkundenfälschung und wegen Steuerhinterziehung.

Auf die Disziplinarklage des Klägers hat das Verwaltungsgericht den Beklagten durch ihm am 24. April 2019 zugestelltes Urteil vom 19. Februar 2019 aus dem Beamtenverhältnis entfernt. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils heißt es u.a. wörtlich:

"Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung Berufung eingelegt werden. Über die Berufung entscheidet der Hessische Verwaltungsgerichtshof. ... Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils ist die Berufung zu begründen. ... Vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof besteht Vertretungszwang (§ 67 Abs. 4 VwGO ). Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird."

Die vom Beklagten unter dem 11. Mai 2019 persönlich eingelegte Berufung verwarf der Hessische Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 13. Juni 2019.

2. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor.

Die Beschwerde rügt, der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs beruhe auf einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO , weil darin fehlerhaft angenommen werde, das erstinstanzliche Urteil sei rechtskräftig geworden. Denn die Rechtsmittelbelehrung des Urteils des Verwaltungsgerichts sei unrichtig erteilt worden mit der Folge, dass die Rechtsmittelfrist nach § 58 Abs. 1 VwGO nicht wirksam in Lauf gesetzt worden sei. Die deshalb nach § 58 Abs. 2 VwGO maßgebliche Jahresfrist zur wirksamen Einlegung der Berufung ab Zustellung (24. April 2019) dieser Entscheidung laufe noch.

Die erstinstanzliche Rechtsmittelbelehrung sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Anstatt die Berufungsbegründungsfrist nach § 69 Abs. 1 Satz 2 HDG mit einem Monat anzugeben, heiße es in der Rechtsmittelbelehrung, die Berufung sei "innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils" zu begründen (a). Des Weiteren sei der Hinweis der Rechtsmittelbelehrung auf das Bestehen eines "Vertretungszwangs (§ 67 Abs. 4 VwGO )" für einen rechtlichen Laien unverständlich. Nur durch das Auffinden der Norm in Verbindung mit § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO werde angedeutet, dass die Berufung insbesondere nur durch einen Rechtsanwalt wirksam sei. Der Begriff "Verwaltungsgerichtshof" sei § 67 Abs. 4 VwGO unbekannt. Zudem sei einem Laien nicht ohne Weiteres bewusst, wann ein "Verfahren vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird" (b).

a) Worüber in einer Rechtsbehelfsbelehrung zu belehren ist, ergibt sich aus § 58 Abs. 1 VwGO . Zum notwendigen Inhalt gehört demnach der Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, der Sitz und die einzuhaltende Frist. Belehrungen über die Form oder über die im Einzelnen an eine ordnungsgemäße Begründung zu stellenden Anforderungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1976 - 4 C 74.74 - BVerwGE 50, 248 <251 ff.> m.w.N. und Beschluss vom 22. Dezember 2017 - 2 B 24.17 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 48 Rn. 35) sind - ebenso etwa wie die Frage, ob ein Vertretungszwang besteht (BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2012 - 1 B 23.12 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 90 Rn. 5 m.w.N.) - nicht Bestandteil der von § 58 Abs. 1 VwGO angeordneten Rechtsbehelfsbelehrung. Das gilt namentlich für Angaben über gesetzliche Zulassungsgründe und die Anforderungen an deren Darlegung.

Soweit die Beschwerde geltend macht, die Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Urteils sei fehlerhaft, weil die Berufungsbegründungsfrist entgegen § 69 Abs. 1 Satz 2 HDG, der eine einmonatige Berufungseinlegungsfrist und Berufungsbegründungsfrist vorsieht, "mit zwei Monaten nach Zustellung des Urteils" falsch angegeben werde, übersieht sie, dass die fehlerhaft angegebene Berufungsbegründungsfrist nicht die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO eröffnet. Die in der Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft als Zweimonatsfrist ausgewiesene Berufungsbegründungsfrist führt lediglich zur einmonatigen Verlängerung der gesetzlichen Frist, in der die Berufung zu begründen ist (ebenso: BVerwG, Urteile vom 10. November 1966 - 2 C 99.64 - NJW 1967, 591 <592> und vom 14. Juni 2012 - 4 CN 5.10 - BVerwGE 143, 192 Rn. 26; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2012 - OVG 3 N 171.12 - juris Rn. 2; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO , Stand Juli 2019, § 58 Rn. 42; Kimmel, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO , Stand Juli 2019, § 58 Rn. 18; Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO , 5. Aufl., 2018, § 58 Rn. 69; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO , 5. Aufl. 2018, § 58 Rn. 14. Offen gelassen von BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1999 - 11 C 9.97 - BVerwGE 108, 269 <270>. Anderer Ansicht: Krausnick, in: Gärditz, VwGO , 2. Auflage 2018, § 58 Rn. 26). Infolge dessen wird der von einer ihn solchermaßen begünstigenden fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung Betroffene nicht beschwert oder rechtlich relevant in die Irre geführt.

Enthält also eine Rechtsmittelbelehrung - wie vorliegend - fehlerhaft eine längere Frist als die gesetzlich vorgesehene, so ist die längere Frist maßgeblich. Sie darf jedoch nicht die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO übersteigen. Der Rechtsbehelf kann demnach in diesen Fällen bis zum Ablauf der in der Belehrung fehlerhaft benannten längeren Frist fristwahrend eingelegt werden. Dafür spricht vor allem, dass der Fehler den Betroffenen nicht hindern kann, den Rechtsbehelf innerhalb der gesetzlichen oder in der in der Belehrung genannten Frist einzulegen, und er deshalb des besonderen Schutzes durch § 58 Abs. 2 VwGO nicht bedarf.

Der Verwerfungsbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs ist auch nicht deshalb verfahrensfehlerhaft im Sinne von § 132 Abs. 1 Nr. 3 VwGO , weil er vor Ablauf der in der Rechtsbehelfsbelehrung benannten Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils ergangen ist. Denn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den Verwaltungsgerichtshof ist die Einlegung der Berufung wegen der Verletzung des Vertretungszwangs (§ 67 Abs. 4 VwGO ) endgültig unzulässig gewesen.

b) Des Weiteren ist die mit der Beschwerde angegriffene Rechtsbehelfsbelehrung auch nicht wegen ihres Hinweises auf den Vertretungszwang nach § 67 Abs. 4 VwGO (aa), die Verwendung der Begriffe "Hessischer Verwaltungsgerichtshof" (bb) und "Verfahrenseinleitung" unrichtig oder irreführend (cc).

aa) Es ist nicht irreführend, wenn im Hinblick auf den Vertretungszwang nur auf § 67 Abs. 4 VwGO hingewiesen wird, die zur Vertretung berechtigten Personen und Organisationen aber nicht ausdrücklich benannt werden. Durch die gewählte Formulierung wird der Adressat der Rechtsmittelbelehrung nicht davon abgehalten, den richtigen Rechtsbehelf überhaupt, in der richtigen Frist und in der richtigen Form einzulegen. Allein dadurch, dass die angegriffene Rechtsmittelbelehrung darauf hinweist, dass in bestimmten, im Einzelnen benannten gesetzlichen Vorschriften Personen und Organisationen benannt sind, die zur Vertretung berechtigt sind, muss auch dem juristischen Laien klar sein, dass der zur Vertretung berechtigte Personenkreis durch Lektüre dieser Vorschriften ermittelt werden kann. Wegen dieses eindeutigen Verweises auf den Inhalt von Rechtsvorschriften kann er sich auch nicht darauf verlassen, dass in der Rechtsmittelbelehrung sämtliche von ihm zu beachtende Voraussetzungen für die Einlegung des Rechtsmittels genannt werden. Die angegriffene Rechtsmittelbelehrung erweckt wegen dieses Verweises gerade nicht den Eindruck, alle zu erfüllenden Anforderungen vollständig aufgelistet zu haben (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21. März 2002 - 4 C 2.01 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 83 S. 16 und Beschluss vom 31. August 2015 - 2 B 61.14 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 92 Rn. 11). Traut der Rechtsmittelführer sich nicht zu, die in der Rechtsmittelbelehrung genannten Vorschriften aufzufinden oder ihren Inhalt hinreichend zu verstehen, ist es ihm zumutbar, diesbezüglich juristischen Rat einzuholen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2009 - 9 B 83.09 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 266 Rn. 3 m.w.N.).

bb) Soweit die Beschwerde rügt, der Begriff "Verwaltungsgerichtshof" sei § 67 Abs. 4 VwGO unbekannt, übersieht sie, dass ein Land nach § 184 VwGO bestimmen kann, dass das Oberverwaltungsgericht die bisherige Bezeichnung "Verwaltungsgerichtshof" weiterführt. Das Land Hessen hat von dieser Ermächtigung durch § 1 Abs. 1 Satz 1 Hessisches Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 27. Oktober 1997 (GVBl. I S. 381) Gebrauch gemacht. Dem entsprechend muss eine Rechtsbehelfsbelehrung die im jeweiligen Land bestimmte gesetzliche Begrifflichkeit beachten und das Berufungsgericht nebst Sitz zutreffend mitteilen (vgl. für den Hessischen Verwaltungsgerichtshof BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 3 C 23.08 - BVerwGE 134, 41 Rn. 15). Hinzu kommt, dass die Beschwerde nicht nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darlegt, inwieweit der Beklagte durch die Verwendung des Wortes "Verwaltungsgerichtshof" beschwert oder irregeführt worden sein könnte.

cc) Auch der letzte Satz der Rechtsmittelbelehrung, in dem darauf hingewiesen wird, dass "dies" auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren eingeleitet wird, gelte, ist nicht irreführend und hindert nicht die rechtzeitige, formgerechte Einlegung der Berufung. Dieser Satz ist allein so zu verstehen, dass der im gesamten Absatz beschriebene Vertretungszwang nicht nur für die Durchführung der Verfahren gilt, sondern schon bei der Einlegung des Rechtsbehelfs, hier also bei der Einlegung der Berufung (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 31. August 2015 - 2 B 61.14 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 92 Rn. 12). Was daran einem Laien "nicht ohne Weiteres bewusst" sein soll, legt die Beschwerde im Übrigen entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht dar.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 4 HDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO . Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 82 Abs. 1 Satz 1 HDG erhoben werden.

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 13.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 28 A 1052/19