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BVerwG - Entscheidung vom 03.08.2020

1 A 8.19

Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 58a
StGB § 89a

BVerwG, Urteil vom 03.08.2020 - Aktenzeichen 1 A 8.19

DRsp Nr. 2021/2371

Klage gegen den Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG im Zusammenhang mit einer Abschiebungsanordnung gemäß § 58a AufenthG ; Untersuchungshaft wegen dringenden Tatverdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a StGB ; Feststellung des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Normenkette:

AufenthG § 60 Abs. 5 ; AufenthG § 58a; StGB § 89a;

Gründe

I

Der im Dezember 1998 geborene Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG im Zusammenhang mit einer Abschiebungsanordnung gemäß § 58a AufenthG durch das Ministerium des Innern und für Sport des Beklagten.

Der Kläger reiste im Oktober 2015 in das Bundesgebiet ein und wurde auf seinen Asylantrag als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt. Nachdem er im Februar 2018 wegen dringenden Tatverdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a StGB in Untersuchungshaft genommen worden war, nahm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 6. Februar 2019 den subsidiären Schutzstatus des Klägers gemäß § 73b Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 AsylG unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und stellte fest, dass kein nationales Abschiebungsverbot bestehe. Mit Bescheid vom 23. Mai 2019 widerrief die Ausländerbehörde die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers, drohte dem Kläger die Abschiebung in den Irak an und verhängte für den Fall der Abschiebung gegen ihn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von 10 Jahren. Ein Eilrechtsschutzantrag des Klägers gegen diesen Bescheid beim Verwaltungsgericht Kassel blieb ohne Erfolg.

Durch (nicht rechtskräftiges) Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. September 2019 ( 2 OJs 23/18) wurde der Kläger wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Verfügung vom 9. September 2019 ordnete das Ministerium des Innern und für Sport des Beklagten auf der Grundlage von § 58a AufenthG die Abschiebung des Klägers in den Irak (Ziffer I.) sowie für den Fall der Abschiebung ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer III.) an. Zugleich stellte es fest, dass der Abschiebung in den Irak derzeit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstehe, welches jedoch unter bestimmten Voraussetzungen entfalle (Ziffer II.).

Der Kläger hat dagegen Klage erhoben (1 A 7.19) und Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt (1 VR 2.19).

Mit Bescheid vom 25. November 2019 widerrief das Ministerium des Innern und für Sport des Beklagten die unter Ziffer II. des Bescheids vom 9. September 2019 erfolgte Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG und ordnete die sofortige Vollziehung des Widerrufs an. Hiergegen hat der Kläger am 25. November 2019 die streitgegenständliche Klage erhoben und ebenfalls vorläufigen Rechtsschutz beantragt (1 VR 3.19).

Der Kläger macht geltend, ihm drohe im Irak wahrscheinlich die Todesstrafe sowie eine unmenschliche Behandlung.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 25. November 2019 aufzuheben.

Der Beklagte hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.

Am 26. November 2019 ist der Kläger auf der Grundlage der vollziehbaren Abschiebungsandrohung im Bescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 23. Mai 2019 in den Irak abgeschoben worden. Einen zuvor gestellten Antrag auf Untersagung der Abschiebung im Wege der einstweiligen Anordnung hatte der Senat mangels erstinstanzlicher Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts abgelehnt und den Kläger auf seinen beim Verwaltungsgericht Kassel gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz verwiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2019 - 1 VR 4.19 -).

Mit gerichtlicher Verfügung vom 19. Dezember 2019 ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers u.a. gebeten worden, bis zum 20. Januar 2020 mitzuteilen, ob bzw. inwieweit die beim Senat anhängigen Verfahren 1 A 7.19, 1 A 8.19, 1 VR a) und 1 VR 3.19 fortgeführt werden sollen, ggf. eine Klage- bzw. Antragsbegründung vorzulegen, die zumindest in den Eilrechtsschutzverfahren auch das fortbestehende Rechtsschutzinteresse erläutert, und eine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Antragstellers bzw. Klägers mitzuteilen.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 25. Februar 2020 ist dem Prozessbevollmächtigten u.a. gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO unter Hinweis auf die grundsätzlich ausschließende Wirkung der gesetzten Frist aufgegeben worden, bis zum 31. März 2020 die Klagen durch Mitteilung der aktuellen ladungsfähigen Anschrift zu ergänzen. Am 31. März 2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mitgeteilt, als aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers werde die Stadt Bagdad in der Republik Irak angegeben. Darüber hinaus werde als Korrespondenzanschrift die Anschrift des Prozessbevollmächtigten mitgeteilt. Das Rechtsschutzinteresse bestehe fort, weil der Kläger gegebenenfalls früher oder später einmal wieder nach Deutschland oder in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (legal) einreisen wolle.

Der Senat hat die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz (1 VR 2.19 und 1 VR 3.19) mit Beschlüssen vom 28. Mai 2020 als unzulässig abgelehnt.

. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakten der Verfahren 1 VR 2.19, 1 VR 3.19 und 1 A 7.19, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, die beigezogenen Akten des Verwaltungsgerichts Kassel ( 2 K 500/19.KS.A, 2 L 2441/19.KS.A, 4 L 1377/19, 4 K 1378/19, 4 L 1880/19.KS.A, 4 K 1881/19.KS.A) sowie die beigezogene Strafakte des Oberlandesgerichts Frankfurt (5- 2 OJs 23/18-4/18).

II

1. Die Klage, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO ), ist unzulässig. Der Kläger hat nach seiner Abschiebung in den Irak trotz Aufforderung und Fristsetzung gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO seine aktuelle ladungsfähige Anschrift nicht mitgeteilt.

a) Zur Bezeichnung eines Klägers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört regelmäßig auch die Angabe der ladungsfähigen Anschrift, d.h. der (Wohnungs-)Anschrift, unter welcher der Kläger tatsächlich zu erreichen ist (BVerwG, Urteile vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 3 ff., und vom 15. August 2019 - 1 A 2.19 - juris Rn. 14). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Kläger von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird (BVerwG, Beschluss vom 1. September 2005 - 1 B 79.05 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 22 S. 12 f.). Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift soll nicht nur dessen hinreichende Individualisierbarkeit sowie Identifizierbarkeit sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen; sie soll darüber hinaus gewährleisten, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt und sich im Falle seines Unterliegens der Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Daher wird eine Klage unzulässig, wenn der Kläger einer gerichtlichen Aufforderung, seine während des Verfahrens geänderte Anschrift binnen einer bestimmten Frist mitzuteilen, ohne triftigen Grund nicht nachkommt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift kann im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ausnahmsweise entfallen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen oder wenn der Kläger glaubhaft nicht über eine Anschrift verfügt (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 2. Februar 1996 - 1 BvR 2211/94 - NJW 1996, 1272 und vom 11. November 1999 - 1 BvR 1203/99 - juris Rn. 1; BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 8 und Beschluss vom 14. Februar 2012 - 9 B 79.11 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 24 Rn. 11). In diesen Ausnahmefällen müssen dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden, damit es prüfen kann, ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift verzichtet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19).

b) Nach diesen Maßstäben ist die Klage unzulässig. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Klage nicht innerhalb der ihm durch gerichtliche Verfügung vom 25. Februar 2020 gesetzten, mit Ablauf des 31. März 2020 verstrichenen Ausschlussfrist um eine den Erfordernissen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügende ladungsfähige Anschrift ergänzt. Auf die Rechtsfolge des § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist er in der genannten Verfügung hingewiesen worden.

Die im Schriftsatz vom 31. März 2020 mitgeteilte, als "ladungsfähige Anschrift" bezeichnete Angabe "Stadt Bagdad in der Republik Irak" erfüllt mangels hinreichender Genauigkeit offensichtlich nicht die Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift. Die Anschrift des Prozessbevollmächtigten als "Korrespondenzanschrift" vermag - wie oben ausgeführt - die Angabe der Wohnungsanschrift des Klägers selbst nicht zu ersetzen. Die besonderen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise von der Angabe der ladungsfähigen Anschrift abgesehen werden kann, sind schon deshalb nicht erfüllt, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht - auch nicht auf die Beschlüsse des Senats vom 28. Mai 2020 hin - mitgeteilt hat, aus welchen Gründen er die genaue Wohnungsanschrift des Klägers nicht angegeben hat oder ggf. nicht angeben konnte.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO .

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5 000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG ).