Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 21.09.2020

20 F 6.20

Normen:
VwGO § 99 Abs. 1 S. 2 Alt. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 1 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 21.09.2020 - Aktenzeichen 20 F 6.20

DRsp Nr. 2020/15064

Klage auf Feststellung der Rechtsidrigkeit der Erhebung und Speicherung von Daten zur Person der Klägerin durch den Beklagten; Eintritt eines Nachteils für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 VwGO durch die Bekanntgabe von Akteninhalten; Sicherstellung der Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden; Schutz der nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Aufklärungsarbeit der Verfassungsschutzbehörde

1. Eine Sperrerklärung ist rechtmäßig, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit und Freiheit von Personen gefährden würde.2. Personenbezogene Daten sind grundsätzlich geheimhaltungsbedürftig.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. Juni 2020 geändert. Die Sperrerklärung des Beklagten vom 3. Dezember 2019 ist auch teilweise rechtswidrig, soweit sie sich auf Blatt 21 und 41 der Sachakte bezieht.

Die weitergehende Beschwerde der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

VwGO § 99 Abs. 1 S. 2 Alt. 1; GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 1 Abs. 1 ;

Gründe

I

In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Erhebung und Speicherung von Daten zu ihrer Person durch den Beklagten rechtswidrig gewesen ist.

Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht H. den Beklagten im Februar 2018 aufgefordert, die vollständigen Unterlagen zu übersenden. Der Beklagte teilte daraufhin mit, dass die Akten in einem In-camera-Verfahren im Zusammenhang mit einem anderen, vor dem Verwaltungsgericht G. anhängigen Klageverfahren der Klägerin um Auskunft zu den über sie beim Beklagten gespeicherten Daten dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vorgelegt worden seien. Er übersandte auch dem Verwaltungsgericht H. eine teilweise geschwärzte Teilkopie seiner Akten sowie die gegenüber dem Verwaltungsgericht G. abgegebene Sperrerklärung vom 30. April 2018.

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2018 hat der Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Sperrerklärung vom 30. April 2018 rechtswidrig ist, soweit sie sich auf Blatt 7, 8 und 13 der Verwaltungsakte bezieht. Der Beklagte legte daraufhin dem Verwaltungsgericht G. die Seiten 7, 8 und 13 der Verwaltungsakte in Kopien vor, die die Vorgaben des Beschlusses vom 17. Dezember 2018 bei den Schwärzungen berücksichtigten. Des Weiteren reichte er den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts sowie die neuen teilgeschwärzten Kopien der genannten drei Seiten der Verwaltungsakte auch beim Verwaltungsgericht H. ein, verwies im Übrigen aber auf die Sperrerklärung vom 30. April 2018.

Am 28. Oktober 2019 beschloss das Verwaltungsgericht H., Beweis über den Inhalt der über die Klägerin erhobenen und gespeicherten personenbezogenen Daten durch Einsichtnahme in die vollständigen Vorgänge des Beklagten, die solche Daten enthalten, zu erheben. Es forderte den Beklagten auf, dem Gericht diesbezüglich sämtliche Akten, Aktenbestandteile und vollständige Kopien digitaler Vorgänge vollständig und ohne Schwärzungen vorzulegen. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Erhebung und Speicherung dieser Daten sei ihre Kenntnis entscheidungserheblich. Es sei zweifelhaft, ob die auf ein anderes Verfahren bezogene Sperrerklärung vom 30. April 2018 auf das vorliegende Verfahren anwendbar sei. Zudem hätten sich durch die Enttarnung einer Vertrauensperson die tatsächlichen Umstände zwischenzeitlich geändert. In der Folge legte der Beklagte einen teilweise geschwärzten Teil seiner Akten vor, verweigerte die Vorlage der vollständigen ungeschwärzten Akten aber unter Abgabe einer neuen Sperrerklärung vom 3. Dezember 2019.

Mit Beschluss vom 6. März 2020 hat das Verwaltungsgericht H. den Antrag der Klägerin nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO an den Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts abgegeben. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten der Klägerin sei ohne Kenntnis ihres Inhalts wesentlich erschwert, da nur die ungeschwärzt vorgelegten Teile und außerhalb des Akteninhalts liegende Tatsachen mit Indizwirkung herangezogen werden könnten.

Mit Beschluss vom 4. Juni 2020 hat der Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Sperrerklärung rechtswidrig ist, soweit sie sich auf Blatt 19, 21 und 22 der Verwaltungsakte bezieht. Im Übrigen sei sie rechtmäßig. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

Die zulässige Beschwerde ist nur zu einem geringen Teil begründet. Über die Feststellung des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts hinaus ist die Sperrerklärung auch insoweit rechtswidrig, als sie sich auf Blatt 21 und 41 der Sachakte bezieht. Die weitergehende Beschwerde ist unbegründet.

1. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat auf den - nach ordnungsgemäßer Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen durch das Verwaltungsgericht - zulässigen Antrag der Klägerin das Vorliegen der mit der Sperrerklärung vom 3. Dezember 2019 differenzierend auf die einzelnen Aktenbestandteile geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO unter Anlegung der zutreffenden rechtlichen Maßstäbe geprüft.

a) Danach ist ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit und Freiheit von Personen gefährden würde (BVerwG, Beschlüsse vom 21. August 2012 - 20 F 5.12 - juris Rn. 4, vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 18 f. und vom 12. September 2017 - 20 F 4.16 - juris Rn. 7). Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert und damit dem Wohl eines Landes ein Nachteil bereitet werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen (BVerwG, Beschlüsse vom 4. März 2010 - 20 F 3.09 - juris Rn. 6 und vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 19). Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen (BVerwG, Beschlüsse vom 23. März 2009 - 20 F 11.08 - juris Rn. 9 und vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 19). Nachrichtendienstliche Belange in diesem Sinne können zum Schutz der nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Aufklärungsarbeit der Verfassungsschutzbehörde die Weigerung rechtfertigen, Akten vollständig, insbesondere ungeschwärzt vorzulegen.

Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO . Bei solchen Daten besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundgesetzlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen der Klägerin ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 20 F 4.16 - juris Rn. 7). Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Behördenmitarbeiter (BVerwG, Beschluss vom 28. November 2013 - 20 F 11.12 - juris Rn. 13). Personenbezogene Angaben wie Name, Funktionsbezeichnungen, Telefonnummer und sonstige Angaben zu Telekommunikationsverbindungen werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Daran ändert nichts, dass Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten. Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 9 f. und vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - BVerwGE 163, 271 Rn. 14).

b) Hiernach ist nicht durch einen der angeführten Gründe zu rechtfertigen, dass auf Blatt 21 der Sachakte der Halbsatz geschwärzt wurde, die Klägerin widme der politischen Arbeit in der ... in G. viel Zeit und Engagement. Denn diese Informationen sind bereits auf Blatt 16 der Sachakte offengelegt. Des Weiteren ist zu beanstanden, dass auf Blatt 41 der Sachakte der Betreff geschwärzt wurde, der auf Blatt 48 der Sachakte offengelegt ist.

Im Übrigen ist die Sperrerklärung, soweit sie Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Durchsicht der dem Senat im Original vorliegenden Unterlagen hat bestätigt, dass die vom Beklagten geltend gemachten Weigerungsgründe bestehen. Von einer weiteren Begründung wird nach § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO abgesehen. Weitere Teilschwärzungen, die über diejenigen, die dem Verwaltungsgericht bereits vorgelegten Aktenteile zu entnehmen sind, hinausgehen, kommen in Bezug auf diese Aktenbestandteile nicht in Betracht, weil sie nur zu inhaltsleeren und nichtssagenden Restbeständen führen würden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. November 2013 - 20 F 11.12 - juris Rn. 18 und vom 29. November 2016 - 20 F 10.16 - juris Rn. 12).

c) Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Vorlageverweigerung erfüllt sind, ist auch die Ermessensausübung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht zu beanstanden. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat zutreffend ausgeführt, dass der Beklagte mit der Sperrerklärung vom 3. Dezember 2019 Ermessen neu ausgeübt und danach weitere Aktenbestandteile offengelegt hat. In der hier streitgegenständlichen Sperrerklärung hat der Beklagte in angemessener Weise die gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen bezogen auf die einzelnen Aktenstücke abgewogen, dabei die Möglichkeit von Teilschwärzungen geprüft und so eine Ermessensentscheidung getroffen, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m.w.N.) genügt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO . Die Klägerin obsiegt nur in geringem Umfang, weil über die vom Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts bereits als rechtswidrig erkannten Schwärzungen hinaus nur wenige weitere Schwärzungen nicht durch Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gedeckt sind.

Vorinstanz: OVG Niedersachsen, vom 04.06.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 14 PS 1/20