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BVerwG - Entscheidung vom 22.01.2020

8 C 11.19

Normen:
IHKG § 3 Abs. 2 S. 1-2

BVerwG, Urteil vom 22.01.2020 - Aktenzeichen 8 C 11.19

DRsp Nr. 2020/9678

Festsetzung von Beiträgen zur Industriekammer und Handelskammer auf Grundlage des Nachtragswirtschaftsplans; Vermögensbildung durch Jahresüberschuss

1. Die Heranziehung zu Kammerbeiträgen ist rechtmäßig, wenn die Feststellung des Mittelbedarfs der Kammer im Wirtschaftsplan den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt, der Mittelbedarf in rechtmäßiger Weise durch eine Beitragsordnung auf die Kammerzugehörigen umgelegt wird und diese Beitragsordnung im Einzelfall ohne Rechtsfehler angewendet wurde. 2. Bei Aufstellung des Wirtschaftsplans muss die Kammer vor dem Hintergrund der von ihr im kommenden Wirtschaftsjahr beabsichtigten Tätigkeiten unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben den durch Beiträge zu deckenden Bedarf prognostizieren. Dabei hat sie zu beachten, dass die Kammern zur sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung sowie zur pfleglichen Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen verpflichtet sind. Vermögen zu bilden, ist den Kammern verboten. Jeder Bedarfsansatz muss daher von einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit getragen werden und auch der Höhe nach von diesem gedeckt sein.

Tenor

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger 40 % und die Beklagte 60 %.

Normenkette:

IHKG § 3 Abs. 2 S. 1-2;

Gründe

I

Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Beiträgen zur beklagten Industrie- und Handelskammer für die Jahre 2014 und 2015.

Die Beklagte setzte für das Jahr 2014 einen vorläufigen Beitrag von 27 € und für das Jahr 2015 einen vorläufigen Beitrag von 74,87 € fest. Mit Bescheid vom 4. November 2016 setzte sie den Beitrag für 2014 auf 167,22 € und für 2015 auf 74,87 € fest. In dem Bescheid wird ausgeführt, die Festsetzung hebe Beitragsbescheide, die zu den aufgeführten Beitragsjahren bereits ergangen seien, nicht auf, sondern ändere sie lediglich ab.

Die Beitragsfestsetzung für das Jahr 2014 erfolgte auf Grundlage des Nachtragswirtschaftsplans der Beklagten für das Jahr 2014 vom 4. Dezember 2014, der an die Stelle des ursprünglichen Wirtschaftsplans für das Jahr 2014 vom 28. November 2013 getreten war. Der Nachtragswirtschaftsplan für das Jahr 2014 sah Einnahmen in Höhe von 17 200 000 €, Aufwendungen in Höhe von 16 074 700 € und einen Saldo der Rücklagenveränderung in Höhe von 1 125 300 € vor. Die von der Beklagten im Vorjahr vorgehaltene Ausgleichsrücklage sollte unverändert bleiben und am 31. Dezember 2014 weiterhin 7 063 000 € betragen. Das festgesetzte Kapital, das in der Eröffnungsbilanz mit 550 000 € angesetzt, 2010 auf 2 350 000 € und 2012 auf 5 000 000 € erhöht worden war, sollte unverändert bleiben.

Mit Beschluss vom 15. September 2016 bestätigte die Vollversammlung der Beklagten die Dotierung des Eigenkapitals in den Jahren 2012 bis 2015 mit den Unterpositionen festgesetztes Kapital, Ausgleichsrücklage, zweckgebundene Rücklagen und Bilanzgewinn. Den Erläuterungen der Beklagten zufolge orientierte sich die Höhe des festgesetzten Kapitals an dem Umfang des langfristig gebundenen Sachvermögens. Die Ausgleichsrücklage für das Jahr 2014 solle dazu dienen, konjunkturbedingte Beitragsschwankungen, den Ausfall großer Beitragszahler und Schwankungen aus vorläufiger und endgültiger Abrechnung zu kompensieren. Das Risiko konjunkturbedingter Beitragsschwankungen sei anhand der Standardabweichung der Beitragserträge in den Jahren 2002 bis 2011 errechnet worden. Die Berechnung habe ein jährliches Risikovolumen von 1 200 000 € ergeben. Da die Ausgleichsrücklage den dreifachen Jahresbetrag dieses Risikos absichern solle, müsse sie mit 3 600 000 € dotiert werden. Das Risiko des Ausfalles großer Beitragszahler sei anhand der Standardabweichung in den Jahren 2006 bis 2012 errechnet worden. Diese betrage in dem genannten Zeitraum 1 300 000 €. Hinzu kämen Folgerisiken bei Zulieferern von 20 %. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren und der Mehrjährigkeit des Risikoszenarios sei ein abzusicherndes Risiko von 4 700 000 € ermittelt worden. Die Schwankungen aus vorläufiger und endgültiger Abrechnung machten 500 000 € aus. Dies ergebe ein Maximalrisiko von 8 800 000 €, das die festgelegte Ausgleichsrücklage im Jahr 2014 nicht überschritten habe.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung des Klägers hinsichtlich der Festsetzung eines weiteren Betrages von 140,22 € für das Jahr 2014 stattgegeben. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger die Festsetzung eines Beitrags von über 140,22 € für das Jahr 2014 und die Beitragsfestsetzung für das Jahr 2015 angreife. Der Bescheid vom 4. November 2016 sei dahin auszulegen, dass er die vorher zu der Beitragspflicht für die Jahre 2014 und 2015 ergangenen Bescheide nicht ersetzen, sondern nur ändern wolle. Er beschwere den Kläger mithin nur durch die Festsetzung eines weiteren Beitrags von 140,22 € für das Jahr 2014.

Soweit die Klage zulässig sei, sei sie begründet. Der der Beitragsfestsetzung zugrundeliegende Beitragstarif in der Nachtragswirtschaftssatzung 2014 sei nichtig. Die ihm zugrundeliegende Mittelbedarfsfeststellung genüge den rechtlichen Anforderungen nicht. Die von der Beklagten angesetzte Höhe der Ausgleichsrücklage werde durch ihre Mittelbedarfsprognose nicht gerechtfertigt. Diese verletze das Gebot der Schätzgenauigkeit. Danach müssten Mittelbedarfsprognosen entsprechend den auch im allgemeinen Verwaltungsrecht entwickelten Maßstäben für die Prüfung behördlicher Prognoseentscheidungen auf der Grundlage eines zutreffenden Sachverhalts nach einer geeigneten Methode erstellt und einleuchtend begründet werden. Weil es keine besonderen Verfahrensregelungen für die Erstellung der Mittelbedarfsprognose gebe, komme es bei ihrer Kontrolle auf die vom Beklagten hierzu im Prozess vorgetragenen Erwägungen an. Diese rechtfertigten die von der Beklagten angesetzte Höhe der Ausgleichsrücklage für 2014 nicht. Weshalb es für die auf dieses Jahr bezogene Berechnung der Risiken des Beitragsausfalls und - soweit davon unterscheidbar - des Ausfalls großer Beitragszahler einerseits auf die Standardabweichung im Zeitraum von 2002 bis 2011 und andererseits auf die Standardabweichung im Zeitraum von 2006 bis 2012 und nicht auf aktuellere Daten ankommen solle, sei nicht ersichtlich. Außerdem vermische die Risikoberechnung Schwankungen bei den Erträgen des laufenden Jahres und den Erträgen der Vorjahre. Darüber hinaus habe der Beklagte den Beitragsbedarf zu hoch angesetzt, weil er die in den Jahren 2010 und 2012 unzulässig erhöhte Nettoposition beibehalten habe. Eine Erhöhung der Nettoposition sei nur aus sachlichen Gründen zulässig. Solche hätten bei der Erhöhung des festgesetzten Kapitals in den Jahren 2010 und 2012 nicht vorgelegen. Insbesondere stelle der Wunsch der Beklagten, den Betrag des festgesetzten Kapitals an den in der Bilanz für das Anlagevermögen ausgewiesenen Betrag anzugleichen, keinen sachlichen Grund für die Erhöhung des festgesetzten Kapitals dar. Die unzulässige Erhöhung habe im Jahr 2014 nicht fortgeschrieben werden dürfen. Der darauf entfallende Beitragsbedarf sei nicht gerechtfertigt und die Beitragserhebung insoweit rechtswidrig.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Revision vor, der angegriffene Bescheid vom 4. November 2016 ändere nicht nur die vorläufige Festsetzung für 2014, sondern setze die Beiträge für die Jahre 2014 und 2015 jeweils in voller Höhe neu fest. Er sei daher insgesamt aufzuheben.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Revision vor, die Angemessenheit der Höhe der von ihr für das Jahr 2014 geplanten Ausgleichsrücklage sei zu vermuten, weil deren Betrag sich in dem von ihrem Finanzstatut vorgegebenen Rahmen bewege. Jedenfalls sei ihre Risikoprognose der Sache nach nicht zu beanstanden. Der von ihr für die Bewertung des Risikos konjunkturbedingter Beitragsausfälle herangezogene Zeitraum von 2002 bis 2011 habe sich auf die Ausgleichsrücklagen für die Jahre 2012 und 2013 bezogen. Er sei auch für das Wirtschaftsjahr 2014 noch repräsentativ. Gleiches gelte für die Berechnung des Risikos des Ausfalls großer Beitragszahler anhand des Zeitraums von 2006 bis 2012. Der Vorwurf einer widersprüchlichen Umsetzung der eigenen Risikodefinition sei unberechtigt. Aus den verwendeten Zeitreihen lasse sich das Risiko konjunkturbedingter Beitragsausfälle und das Risiko von Schwankungen bei der endgültigen Abrechnung vertretbar abschätzen. Sie habe diese Risiken gleichwohl methodisch unterschiedlich berechnet. Die Berechnung des Risikos von Schwankungen bei der endgültigen Abrechnung gehe vom Mittelwert aller Erträge der Vorjahre aus, rechne sodann das Risiko hinsichtlich des im Kammerbezirk ansässigen Automobilherstellers heraus und setze 50 % des verbleibenden Betrages als Schwankungsrisiko an. Damit bilde sie das Risiko realistisch ab. Die Bilanzposition festgesetztes Kapital sei nicht unveränderlich. Sie habe die Funktion, den Gesamtbetrag des auf der Aktivseite der Bilanz aufgeführten langfristig gebundenen Vermögens der Beklagten auf der Passivseite der Bilanz abzubilden. Dies rechtfertige ihre Erhöhung in den Jahren 2010 und 2012.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. September 2018 zu ändern, soweit es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 20. April 2017 stattgegeben hat, die Berufung auch insoweit zurückzuweisen und die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. September 2018 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 20. April 2017 im Umfang der Zurückweisung der Berufung zu ändern, den Bescheid des Beklagten vom 4. November 2016 auch insoweit aufzuheben und die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Der Vertreter des Bundesinteresses meint, der Wechsel von der Kameralistik zur Doppik erfordere eine Anpassung der in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - aufgestellten Prüfungsmaßstäbe für die Zulässigkeit der Bildung von Rücklagen. Andernfalls werde der weite Gestaltungsspielraum der Kammern bei ihrer Wirtschaftsplanung nicht ausreichend respektiert.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die auf die teilweise Unzulässigkeit der Klage gestützte Zurückweisung seiner Berufung im angegriffenen Urteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO ). Das Oberverwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid vom 4. November 2016 zutreffend dahingehend ausgelegt, dass er die Beiträge für 2014 und 2015 nicht insgesamt neu festsetzt, sondern lediglich die Beitragsfestsetzung für 2014 um 140,22 € erhöht und den Kläger nur insoweit beschwert.

Die Revision des Beklagten ist ebenfalls unbegründet. Das Berufungsurteil ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die zulässig angefochtene Festsetzung eines weiteren Beitrags von 140,22 € für das Jahr 2014 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 144 Abs. 4 VwGO ). Sie verstößt gegen § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern ( Industrie- und Handelskammergesetz - IHKG ) vom 18. Dezember 1956 in der hier maßgeblichen Fassung des Art. 7 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft vom 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246 ). Die Vorschrift ermächtigt die Kammern, zur Deckung der Kosten ihrer Errichtung und Tätigkeit nach Maßgabe ihres Wirtschaftsplans von den Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung Beiträge zu erheben, soweit diese nicht anderweitig gedeckt sind. Die Heranziehung zu Kammerbeiträgen ist rechtmäßig, wenn die Feststellung des Mittelbedarfs der Kammer im Wirtschaftsplan den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt, der Mittelbedarf in rechtmäßiger Weise durch eine Beitragsordnung auf die Kammerzugehörigen umgelegt wird und diese Beitragsordnung im Einzelfall ohne Rechtsfehler angewendet wurde (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 13 ff.).

Die Mittelbedarfsfeststellung in dem Nachtragswirtschaftsplan der Beklagten für das Jahr 2014 überschreitet den bei der Aufstellung von Wirtschaftsplänen durch § 3 Abs. 2 IHKG eingeräumten Gestaltungsspielraum. Die Vorschrift verpflichtet die Kammern, vor Beginn eines jeden Wirtschaftsjahres einen Wirtschaftsplan aufzustellen und ihre Tätigkeit im betreffenden Wirtschaftsjahr an ihm auszurichten (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG ). Bei Aufstellung des Wirtschaftsplans muss die Kammer vor dem Hintergrund der von ihr im kommenden Wirtschaftsjahr beabsichtigten Tätigkeiten unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben den durch Beiträge zu deckenden Bedarf prognostizieren (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 12). Dabei hat sie zu beachten, dass die Kammern zur sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung sowie zur pfleglichen Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen verpflichtet sind. Vermögen zu bilden, ist den Kammern verboten. Jeder Bedarfsansatz muss daher von einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit getragen werden und auch der Höhe nach von diesem gedeckt sein (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG ; BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1990 - 1 C 45.87 - Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 12 und vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 17). Darüber hinaus sind die Kammern an die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts und ergänzende Satzungsbestimmungen gebunden. Zu den haushaltsrechtlichen Grundsätzen zählt das Gebot der Haushaltswahrheit, aus dem in Ansehung von Prognosen das Gebot der Schätzgenauigkeit folgt. Danach müssen Mittelbedarfs- und Einnahmenprognosen aus ex-ante-Sicht sachgerecht und vertretbar ausfallen (BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1990 - 1 C 45.87 - Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 12 und vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 16). Diese rechtlichen Vorgaben gelten auch nach der Einführung der doppischen Rechnungslegung gemäß § 3 Abs. 7a IHKG unverändert fort.

1. Die Entscheidung der Beklagten, im Jahr 2014 eine Ausgleichsrücklage in Höhe von 7 063 000 € zur Absicherung der Risiken konjunkturbedingter Beitragsschwankungen, der Ausfälle großer Beitragszahler und der Schwankungen aus vorläufiger und endgültiger Abrechnung vorzuhalten, ist - unabhängig von der Frage der Rechtfertigung der Zwecksetzung - jedenfalls der Höhe nach zu beanstanden.

a) Die Bildung der Ausgleichsrücklage zur Absicherung von Beitragsschwankungen ist durch einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gerechtfertigt. Sie dient dazu, die Inanspruchnahme von teuren Kassenkrediten zur Finanzierung der Aufgaben der Kammer bei einem Ausfall von Beitragseinnahmen zu vermeiden. Dieser sachliche Zweck hält sich im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit. Er ist darauf gerichtet, die zeitgerechte, kostengünstige Verfügbarkeit der für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Finanzmittel zu sichern.

Allerdings deckt dieser Zweck keine "doppelte" Berücksichtigung ein- und desselben Risikos. Ob das Oberverwaltungsgericht revisionsrechtlich fehlerfrei von einer Überschneidung der Risiken konjunkturbedingter Beitragsschwankungen und der Ausfälle großer Beitragszahler ausgegangen ist, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob mit den Schwankungen aus vorläufiger und endgültiger Abrechnung ein von Beitragsrückgängen oder -ausfällen zu unterscheidendes Risiko angesetzt wurde. Jedenfalls ist der Betrag der Ausgleichsrücklage im Nachtragswirtschaftsplan für 2014 weit überhöht.

b) Die Bemessung der Höhe dieser Ausgleichsrücklage überschreitet den Gestaltungsspielraum, den das Haushaltsrecht der Kammer bei der Aufstellung ihres Wirtschaftsplans einräumt (dazu vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 16 m.w.N.).

aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht keine Vermutung für die Angemessenheit der Höhe der im streitigen Nachtragswirtschaftsplan angesetzten Ausgleichsrücklage. Die oben (Rn. 14) dargestellten rechtlichen Grenzen der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Industrie- und Handelskammern lassen keinen Raum für eine Vermutungsregel. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und das daraus folgende Gebot der Schätzgenauigkeit verlangen aus ex-ante-Sicht sachgerechte und vertretbare Prognosen. Dies setzt voraus, dass jeder Ansatz sachbezogen begründbar ist. Dagegen genügt nicht, dass er einen pauschal festgelegten maximalen Prozentsatz der geplanten Aufwendungen nicht überschreitet oder sich in einem durch solche Prozentanteile begrenzten Korridor bewegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 20). Aus diesem Umstand lässt sich auch keine Vermutung der Angemessenheit ableiten. Die Beachtung der haushaltsrechtlichen Grundsätze ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Wirtschaftsplans. Kann das Gericht sich von ihrer Wahrung nicht überzeugen, ist der Wirtschaftsplan rechtswidrig. Für die Annahme einer Vermutung, die genannten Anforderungen seien eingehalten, lassen die Vorschriften keinen Raum.

bb) Der Mittelansatz der Beklagten für die Ausgleichsrücklage in Höhe von 7 063 000 € verletzt das Gebot der Schätzgenauigkeit und ist nicht mehr vom gesetzlich zulässigen Zweck gedeckt, Einnahmeausfälle im jeweiligen Haushaltsjahr auszugleichen.

(1) Das Gebot der Schätzgenauigkeit verpflichtet dazu, den im Haushalt für einen bestimmten Zweck veranschlagten Mittelbedarf aufgrund der bei der Aufstellung des Haushaltsplans (Wirtschaftsplans) verfügbaren Informationen sachgerecht und vertretbar zu prognostizieren (BVerfG, Urteil vom 9. Juli 2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119, 96 <129 f.>; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 314 Rn. 16). Was dabei als vertretbar zu gelten hat, kann nur aufgrund einer Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung des betroffenen Sach- und Regelungsbereichs, der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der verfügbaren Tatsachengrundlagen für die Prognose bestimmt werden. Unvertretbar sind jedenfalls bewusst falsche Etatansätze und gegriffene Ansätze, die trotz naheliegender Möglichkeit besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsgerechte Prognosen zu erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen lassen (BVerfG, Urteil vom 9. Juli 2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119, 96 <129 f.>).

Dieser Maßstab geht über eine bloße Willkürkontrolle hinaus. Er entspricht allerdings nicht dem vom Berufungsgericht angelegten allgemeinen Maßstab für die gerichtliche Überprüfung behördlicher Prognoseentscheidungen auf die Eignung der Prognosemethode, die zutreffende Sachverhaltsermittlung und der einleuchtenden Begründung ihres Ergebnisses hin. Die Mittelbedarfsprognose richtet sich auf eine möglichst realitätsgerechte Schätzung der künftigen Einnahmen und Ausgaben der Kammer. Diesen spezifischen Anforderungen wird ein zur Bewältigung technisch-naturwissenschaftlicher Ungewissheiten angewandter Maßstab für die gerichtliche Kontrolle behördlicher Prognosen nicht gerecht. Im Ergebnis erweist sich die Annahme der Vorinstanz, die Prognose sei fehlerhaft, jedoch als richtig.

(2) Die Mittelbedarfsprognosen für die Absicherung des Risikos konjunkturbedingter Beitragsschwankungen, des Risikos von Ausfällen großer Beitragszahler und des Risikos von Schwankungen aus vorläufiger und endgültiger Abrechnung waren nicht vertretbar und sind darum rechtswidrig.

Allerdings musste die Beklagte ihre Mittelbedarfsprognose bei Verabschiedung des Nachtragswirtschaftsplans für das Jahr 2014 nicht ausdrücklich begründen. Die Regelungen über die Aufstellung von Wirtschaftsplänen sehen, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, keine besonderen Verfahrens-, Anhörungs- oder Begründungspflichten vor. Der Kontrolle der Mittelbedarfsprognosen sind daher alle Erwägungen der Beklagten zugrunde zu legen, die sie zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht hat.

Danach ist die Bemessung des Mittelbedarfs zum Ausgleich konjunkturbedingter Beitragsschwankungen unvertretbar, weil sie die naheliegenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung nicht annähernd ausschöpft und den Ablauf des Wirtschaftsjahrs bis zur Beschlussfassung über den Nachtragswirtschaftsplan völlig ausblendet. Mit der Bildung einer Rücklage für konjunkturbedingte Beitragsausfälle wollte die Beklagte das Risiko abdecken, dass die Beitragserhebung aufgrund ihrer Beitragsordnung für das Jahr 2014 weniger Einnahmen erbringen würde, als sie nach ihrem Nachtragswirtschaftsplan für ihre Tätigkeit im Wirtschaftsjahr 2014 für erforderlich erachtete. Da das Wirtschaftsjahr 2011 bei der Beschlussfassung über den Nachtragswirtschaftsplan weitgehend abgelaufen war, hätte es nahegelegen, zur realitätsgerechten Kalkulation des Risikos von Beitragsausfällen zunächst auf die Daten des laufenden Jahres zurückzugreifen und zu überprüfen, inwieweit die Beitragseinnahmen hinter den Annahmen des Wirtschaftsplans zurückblieben. Die stattdessen herangezogene Standardabweichung der Beitragserträge für die Jahre 2002 bis 2011 berücksichtigt dagegen noch nicht einmal die Beitragserträge der unmittelbar vor dem Prognosezeitraum liegenden Jahre 2012 und 2013. Ohne einen Abgleich mit diesen ließ sich auch keine Repräsentativität älterer Daten feststellen. Hinzu kommt, dass die für die Berechnung des Risikos konjunkturbedingter Beitragsausfälle in Bezug genommene Standardabweichung der tatsächlichen Beitragserträge nicht nur von den in der Vergangenheit zu verzeichnenden Einnahmeausfällen, sondern auch von der Entwicklung des jährlich angesetzten Beitragsbedarfs und damit nicht allein von konjunkturellen und branchenbedingten Ereignissen abhängt.

Auch bei der Bemessung des Mittelbedarfs für die Absicherung des Risikos des Ausfalls großer Beitragszahler hat die Beklagte naheliegende Möglichkeiten der Informationsgewinnung nicht ausgeschöpft, sondern lediglich Beitragsausfälle in den Jahren 2006 bis 2012 in den Blick genommen und das Jahr 2013 ausgeblendet.

Darüber hinaus ist die angesetzte Höhe der Ausgleichsrücklage unangemessen, weil sie hinsichtlich der Absicherung der Risiken konjunkturbedingter Beitragsausfälle und des Ausfalls großer Beitragszahler nach dem Dreifachen des prognostizierten Beitragsausfalls berechnet wurde. Die Höhe der Rücklage hätte nur mit der Prognose gerechtfertigt werden können, dass es im jeweiligen Haushaltsjahr realistischer Weise zu Ausfällen von Beitragszahlungen in der angenommenen Gesamthöhe kommen könne (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 20). Den prognostizierten Ausfall zu verdreifachen, nimmt einen Beitragsausfall in den beiden Folgejahren vorweg, der wegen des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Jährlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsplanung noch nicht zu prognostizieren war und nach § 3 Abs. 2 IHKG nicht auf die Beitragszahler des verfahrensgegenständlichen Wirtschaftsjahres umgelegt werden durfte.

2. Die Entscheidung der Beklagten, im Jahr 2014 ein festgesetztes Kapital von 5 000 000 € beizubehalten, war rechtswidrig, weil die Entscheidungen, das festgesetzte Kapital 2010 um 1 800 000 € und 2012 um weitere 2 650 000 € zu erhöhen, ihrerseits rechtswidrig waren. Sie stellten jeweils eine unzulässige Bildung von Vermögen dar (a). Auf die Frage, ob die Erhöhungen des festgesetzten Kapitals darüber hinaus auch gegen Bilanzierungsvorschriften verstießen, kommt es danach nicht mehr an (b).

a) Die beiden Erhöhungen der Nettoposition festgesetzten Kapitals stellen - unabhängig davon, ob dies durch einen Gewinnverwendungsbeschluss oder einen Beschluss über einen Passivtausch erfolgte - eine unzulässige Vermögensbildung dar.

Ein Jahresüberschuss ist wegen des aus § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG folgenden Verbots, Vermögen zu bilden, grundsätzlich unverzüglich zur Finanzierung der Aufgabenerfüllung und damit zur Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammern zu verwenden. Denn er stellt eine Möglichkeit dar, deren Kosten anderweitig zu decken. Die Entscheidung, einen Jahresüberschuss zur Erhöhung des festgesetzten Kapitals zu verwenden, stellt demgegenüber stets die Bildung von Vermögen dar.

Gleiches gilt für die Erhöhung des festgesetzten Kapitals durch Passivtausch. Ein Passivtausch verringert eine Passivposition der Bilanz um den Betrag, um den er eine andere Passivposition derselben Bilanz erhöht. Mit der Verringerung einer Passivposition um einen bestimmten Betrag dokumentiert die Kammer, dass sie diese Mittel nicht mehr für die Erfüllung der betreffenden Aufgabe benötigt. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG ist der frei gewordene Betrag unverzüglich zur Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammer einzusetzen. Mit der Entscheidung, ihn stattdessen zur Erhöhung des festgesetzten Kapitals (Nettoposition) zu verwenden, steht er für eine Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammer nicht mehr zur Verfügung.

Die Erhöhungen des festgesetzten Kapitals der Beklagten in den Jahren 2010 und 2012 waren jeweils nicht durch einen sachlichen Grund im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gedeckt. Einen solchen stellt insbesondere der Wunsch der Beklagten, den Wert ihres langfristig gebundenen Vermögens in der Nettoposition festgesetzten Kapitals abzubilden, nicht dar. Ein sachlicher Grund für die Erhöhung der Nettoposition müsste geeignet sein, die Aufgabenerfüllung zu fördern. Das ist vorliegend nicht festgestellt oder sonst ersichtlich. Insbesondere liegt kein sachlicher Grund darin, langfristig gebundenes Anlagevermögen durch Erhöhung des festgesetzten Kapitals dauerhaft in seinem Bestand zu sichern.

Sowenig die Kammern Vermögen bilden dürfen, sowenig dürfen sie es um seiner selbst willen bewahren. Auch das Anlagevermögen dient der Aufgabenerfüllung; auch sein Umfang muss durch einen sachlichen, aufgabenbezogenen Zweck gerechtfertigt sein. Das Anliegen, Vorkehrungen für einen noch nicht konkret absehbaren Finanzbedarf künftiger Jahre zu treffen, reicht dazu nicht aus. Ihm kann durch Rückstellungen mit zulässigem Zweck und Umfang und durch angemessene Rücklagen entsprochen werden. Dagegen legitimiert es weder eine Erhöhung der Nettoposition noch das Beibehalten ihrer unzulässigen Erhöhung.

b) Ob die Erhöhungen des festgesetzten Kapitals um 1 800 000 € im Jahr 2010 und um weitere 2 650 000 € im Jahr 2012 darüber hinaus auch gegen Bilanzrecht verstießen, kann danach ebenso dahinstehen wie die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Verstöße gegen Bilanzierungsvorschriften, an die die Kammer gemäß § 3 Abs. 7a IHKG und §§ 238 ff. HGB gebunden ist, die Rechtmäßigkeit der von ihr erstellten Wirtschaftspläne und der darauf gegründeten Beitragserhebungen beeinflussen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 , § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO .

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 238,51 € festgesetzt.

Verkündet am 22. Januar 2020