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BVerwG - Entscheidung vom 30.07.2020

9 B 62.19

Normen:
KAG MV § 12 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 30.07.2020 - Aktenzeichen 9 B 62.19

DRsp Nr. 2020/12867

Erfolglose Nichtzulassungsbeschwerde; Fragen zur kommunalen Beitragserhebung sind solche des irrevisiblen Landesrechts; Kein Vorliegen einer Überraschungsentscheidung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist seit langem geklärt, dass die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von irrevisiblem Landesrecht eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision allenfalls dann zu begründen vermag, wenn die Auslegung der - gegenüber dem irrevisiblen Recht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 20. Juni 2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 598,10 € festgesetzt.

Normenkette:

KAG MV § 12 Abs. 2 ;

Gründe

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) zuzulassen. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

a) Die Fragen,

ob § 9 Abs. 3 KAG M-V einen Verstoß gegen das Verbot der echten Rückwirkung darstellt,

und

ob die gesetzliche Neuregelung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V verfassungsrechtlich zu beanstanden ist,

rechtfertigen keine Zulassung der Revision. Beide Fragen betreffen die Vereinbarkeit von Bestimmungen des irrevisiblen Landesrechts mit dem Grundgesetz . Das Oberverwaltungsgericht geht unter Bezugnahme auf seine Grundsatzentscheidung vom 6. September 2016 - 1 L 212/13 - (juris) sowie weitere näher bezeichnete Rechtsprechung von der Verfassungskonformität der beiden Regelungen aus (UA S. 16). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von irrevisiblem Recht eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision allenfalls dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem irrevisiblen Recht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (BVerwG, Beschlüsse vom 20. September 1995 - 6 B 11.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 6 S. 8 und vom 13. Juni 2009 - 9 B 2.09 - Buchholz 445.4 § 3 WHG Nr. 6 Rn. 4 m.w.N.). Aus diesem Grund hätte die Beschwerde im Einzelnen darlegen müssen, inwiefern durch das vorliegende Verfahren in Bezug auf das verfassungsrechtliche Verbot der Rückwirkung und den - ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip verankerten - Grundsatz der Rechtssicherheit fallübergreifende Fragen aufgeworfen werden, die sich auf der Grundlage der bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht oder nicht mit der erforderlichen Sicherheit beantworten lassen. Daran fehlt es.

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Übrigen bereits klargestellt, dass dem Landesgesetzgeber bei der Frage, wie er den Ausgleich schafft zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42), ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht (BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 13). Ob dieser angemessene Ausgleich mit § 12 Abs. 2 KAG M-V gelungen ist, ist letztlich eine Frage der Anwendung des Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit durch den Landesgesetzgeber, bei der nicht zuletzt auch die Gegebenheiten der Erhebung kommunaler Beiträge in Mecklenburg-Vorpommern von Bedeutung sind. Es ist nicht ersichtlich, dass ein Revisionsverfahren zu einer weiteren grundsätzlichen Klärung der zulässigen Höchstfrist für die Erhebung von Beiträgen zum Vorteilsausgleich und der ihrer Bemessung zugrunde zu legenden Kriterien führen könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2017 - 9 B 19.16 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 227 - Rn. 8 m.w.N.).

b) Den Fragen,

ob die in den Gebühren enthaltenen Abschreibungen bei den Kalkulationen für das im Zusammenhang mit der Gründung des Zweckverbandes übernommene Altanlagevermögen bei der Kalkulation des Herstellungsbeitrages aufwandsmindernd zu berücksichtigen sind, wenn als beitragsfähiger Aufwand sämtliche Kosten auch für die Umgestaltung der Schmutzwasserkanäle und Kläranlagen bis zur Endausbaustufe gelten,

ob bei der Kalkulation eines Herstellungsbeitrages nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V 1993 bzw. § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V der gesamte Aufwand einbezogen werden darf, der erforderlich ist, um die Endausbaustufe zu erreichen, ohne Belang, ob die Umgestaltung eines vorhandenen Mischwasserkanals in einen Niederschlagswasserkanal einen "Umbau" darstellt, ob die Anbindung eines neu entstandenen Wohngebietes eine "Erweiterung" oder ob der Austausch einzelner Komponenten eines Klärwerkes eine "Verbesserung" darstellt,

und

ob die Beitragssatzung des Beklagten eine zulässige Maßstabsregelung enthält, die hinreichend bestimmt ist und nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt,

kommt ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn die Fragen betreffen die Auslegung des nicht revisiblen Landesrechts. Insoweit ist das Bundesverwaltungsgericht nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO an die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern gebunden (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 - 9 C 2.18 - juris Rn. 18, insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 164, 212 ). Deshalb ist unabhängig von der Richtigkeit der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts keine abweichende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts möglich, sodass die aufgeworfenen Rechtsfragen mangels Klärungsfähigkeit keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufweisen können. Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, dass bei der Auslegung bundesrechtliche Normen zu beachten sind, die ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen (s. zu diesem Maßstab oben unter a)). Dies gilt insbesondere, soweit die Klägerin die Vereinbarkeit der Beitragssatzung mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG ) und dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG ) geklärt wissen will.

2. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ). Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) nicht verletzt.

Die Beschwerde geht von einer Überraschungsentscheidung aus: Nachdem in der ersten mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2016 ausschließlich die Kalkulation 2010 erörtert worden sei, habe das Gericht in seiner Verfügung vom 27. Februar 2019 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beitragskalkulation 2015 für die Entscheidung tragend werden könne. Dementsprechend sei es in der (zweiten) mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2019 ausschließlich um die Kalkulation 2015 gegangen. Dennoch stütze sich das Urteil entscheidungstragend nur auf die Kalkulation 2010 (UA S. 16 ff. sowie insbesondere S. 28). Damit habe sie - die Klägerin - nicht rechnen können. Aufgrund der Verfügung habe sie vielmehr davon ausgehen müssen, dass allein die Beitragskalkulation 2015 für die Entscheidung maßgeblich sein werde. Dieser Eindruck sei durch den Verlauf der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2019 bestätigt worden. So sei ihr zur Kalkulation 2015 gestellter Beweisantrag nicht etwa wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit, sondern mit der Begründung abgelehnt worden, die unter Beweis gestellte Richtigkeit der Kalkulation sei keine Tatsachen-, sondern eine Rechtsfrage, die dem Beweis nicht zugänglich sei.

Mit diesem Vorbringen wird ein Überraschungsurteil nicht dargelegt. Ein solches liegt nur vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013 - 6 C 9.12 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 180 Rn. 38; Beschlüsse vom 24. Januar 2019 - 10 BN 2.18 - juris Rn. 9 und vom 10. September 2019 - 9 B 40.18 - juris Rn. 14). Dies war hier nicht der Fall. Die Kalkulation 2010 war bereits Gegenstand des Urteils des Verwaltungsgerichts, der Schriftsätze der Beteiligten im Berufungsverfahren sowie - der Beschwerdebegründung zufolge - der ersten mündlichen Verhandlung. Damit kann von einem neuen, überraschenden Gesichtspunkt keine Rede sein. Auch die gerichtliche Verfügung vom 27. Februar 2019 führt zu keiner anderen Bewertung. Denn danach konnte der Senat lediglich "nicht ausschließen, dass die (...) Beitragskalkulation 2015 für die Entscheidung tragend werden könnte." Dies gelte insbesondere für den Fall, "dass die Klägerin mit ihren Einwendungen gegen die Kalkulation 2010 durchdringen würde." Hiervon ausgehend musste die Klägerin - im Gegenteil - damit rechnen, dass sich das Urteil in erster Linie auf die Kalkulation 2010 und nur hilfsweise auf die Kalkulation 2015 stützen würde. Daran ändert auch der Hinweis auf die Möglichkeit einer Erledigungserklärung nichts. Schließlich kann die Klägerin auch nichts zu ihren Gunsten aus dem Verlauf der zweiten mündlichen Verhandlung ableiten. Ihre Behauptung, dort sei ausschließlich über die Kalkulation 2015 gesprochen worden, trifft ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht zu. Vielmehr hat die Klägerin selbst die Kalkulation 2010 angesprochen und insoweit ausdrücklich auf ihren Schriftsatz vom 2. August 2017 Bezug genommen (vgl. Protokoll S. 3). Dass der Beweisantrag nicht mit der fehlenden Entscheidungserheblichkeit abgelehnt wurde, ist unerheblich. Denn aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen (BVerwG, Beschluss vom 10. September 2019 - 9 B 40.18 - juris Rn. 14).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 3 GKG .

Vorinstanz: OVG Mecklenburg-Vorpommern, vom 20.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 L 246/13