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BVerwG - Entscheidung vom 30.01.2020

8 B 36.19

Normen:
VwGO § 138 Nr. 6
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 30.01.2020 - Aktenzeichen 8 B 36.19

DRsp Nr. 2020/5843

Darlegungsanforderungen an eine Nichtzulassungsbeschwerde; Kein Vorliegen eines Verfahrensmangels

1. Die Beweiskraft öffentlicher Urkunden nach § 418 Abs. 1 ZPO erstreckt sich auf das Zeugnis für die Abgabe der beurkundeten Erklärung sowie auf deren Richtigkeit. Sie hindert das Verwaltungsgericht jedoch nicht daran, die beurkundeten Erklärungen auszulegen und rechtlich zu würdigen.2. Aktenwidrigkeit liegt nur bei einem zweifelsfreien, ohne weitere Beweiserhebung offensichtlichen Widerspruch zwischen den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen und dem Akteninhalt vor.3. Die Entscheidung über einen Berichtigungsantrag lässt die Rechtsmittelfrist grundsätzlich unberührt. Anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn erst die Berichtigung die Beschwer erkennen lässt oder dem Betroffenen die nötige Klarheit über sein prozessuales Verhalten verschafft.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 28. November 2018 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 140 998,97 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 138 Nr. 6 ; VwGO § 108 Abs. 1 S. 1;

Gründe

Die Klägerin wendet sich gegen zwei Bescheide über die Rückforderung von Hauptentschädigung für Anteile an der E. S. GmbH. Sie ist Erbeserbin nach den unmittelbar geschädigten E. und El. S. Beide waren Gesellschafter der E. S. GmbH, die in G. ein 1949/51 in Volkseigentum überführtes Webereiunternehmen betrieb. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Die Klägerin erstrebt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Dazu hätte die Klägerin eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwerfen müssen, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme. Daran fehlt es hier.

Die aufgeworfene Frage,

ob und unter welchen Voraussetzungen das bisher angewendete Regel-Ausnahme-Prinzip bei eingeschränkten richterlichen Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten Geltung beanspruchen kann und welche Anforderungen an die Darlegung von Verfahrensmängeln im Einzelfall und bezogen auf jeden einzelnen Verfahrensfehler gestellt werden dürfen, wenn die Verwaltungsgerichtsbarkeit doch erklärtermaßen insgesamt blockiert und verstopft ist,

wäre für das angestrebte Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Sie beruht auf der Behauptung der Klägerin, angesichts der Vielzahl der bei den Verwaltungsgerichten seit 2017 eingegangenen Asylklagen könne an der ihres Erachtens restriktiven Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht mehr festgehalten werden. Die aufgeworfene Frage betrifft allein die an eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde zu stellenden Darlegungsanforderungen. Sie steht in keinem Zusammenhang mit dem angestrebten Revisionsverfahren.

2. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) zuzulassen.

a) Der behauptete Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO liegt nicht vor. Die Klägerin macht geltend, das angegriffene Urteil verletze § 138 Nr. 6 VwGO , weil ihm "jede Rechtsgrundlage und jede Rechtsauffassung des Gerichts" fehle. Nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt ein absoluter Revisionsgrund- und damit zugleich ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO - vor, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind. § 138 Nr. 6 VwGO ist verletzt, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass die angeführten Gründe unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2010 - 8 B 94.09 - juris Rn. 13 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung ausführlich begründet. Dabei hat es weitgehend die Ausführungen seines Beschlusses vom 5. Oktober 2017, der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in gleicher Sache zwischen denselben Beteiligten ergangen war, in den Urteilsgründen wiedergegeben. Das Verwaltungsgericht durfte wesentliche Teile seiner Urteilsgründe durch Bezugnahme auf diesen Beschluss und dessen Wiedergabe ersetzen, zumal er allen Beteiligten bekannt war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2016 - 3 B 67.15 - Buchholz 418.6 TierSG Nr. 25 Rn. 17 m.w.N.). Es hat die Rechtsgrundlage der Rückforderungen bezeichnet und deren Tatbestandsvoraussetzungen in nachvollziehbarer Weise erörtert. Insbesondere hat es sich mit der Frage der Objektidentität befasst und seine Auffassung dargelegt, dass der bei der Gewährung von Lastenausgleich zugrunde gelegte Schaden an den Anteilsrechten der E. S. GmbH mit dem vor dem Kammergericht geschlossenen Vergleich vollständig ausgeglichen worden sei. Der Vorwurf der Klägerin entbehrt danach jeder Grundlage.

b) Die Revision ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen. Kraft dieses Grundsatzes entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Fehler in der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2010 - 10 B 7.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4). Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind. Diese Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2018 - 8 B 12.18 - juris Rn. 23). Die Klägerin legt einen solchen als Verfahrensfehler einzuordnenden Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht dar.

Sie macht sinngemäß geltend, die freie Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts sei durch die "Beweisregel" des § 98 VwGO i.V.m. § 418 ZPO eingeschränkt; diese Einschränkungen habe das Verwaltungsgericht nicht beachtet. Das trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht, das keine Beweisaufnahme im Sinne des § 98 VwGO durchgeführt hat, hat die Richtigkeit der in öffentlichen Urkunden bekundeten Tatsachen nicht in Frage gestellt. § 418 Abs. 1 ZPO bestimmt nur, dass die dort bezeichneten öffentlichen Urkunden vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen begründen. Die Beweiskraft öffentlicher Urkunden erstreckt sich auf das Zeugnis für die Abgabe der beurkundeten Erklärung sowie auf deren Richtigkeit. Sie entbindet das Verwaltungsgericht jedoch nicht davon, die beurkundeten Erklärungen auszulegen und rechtlich zu würdigen. Auf dieser Grundlage hat das Verwaltungsgericht das Urteil des Landgerichts, die vor dem Kammergericht abgegebenen Erklärungen der dortigen Prozessparteien (einschließlich der Rücknahme des Hilfsantrages), den Prozessverlauf und den geschlossenen Vergleich interpretiert und gewürdigt. Es ist davon ausgegangen, dass mit der vor dem Kammergericht vereinbarten Zahlung in Höhe von 1 560 000 € nicht nur die Schäden der L. und R. OHG, sondern auch diejenigen der E. S. GmbH ausgeglichen worden seien. Das Beschwerdevorbringen zeigt insoweit weder objektive Willkür noch einen Verstoß gegen die Denkgesetze auf. Die Behauptung sachwidriger Motive bleibt völlig unsubstantiiert. Dass die Klägerin die Würdigung des Verwaltungsgerichts nicht teilt, begründet ebenfalls keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz.

Das Verwaltungsgericht hat auch keinen nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergangen. Es hat das Urteil des Landgerichts Berlin, die vor dem Kammergericht am 21. Dezember 2010 abgegebenen Erklärungen der Parteien, den vor diesem Gericht geschlossenen Vergleich sowie den Beschluss des Kammergerichts vom 16. Juni 2011 in seinem Urteil erörtert und gewürdigt (UA S. 20 ff.). Dass es nicht jedes von der Klägerin für relevant gehaltene Detail des Sachverhalts in seinem Urteil erwähnt und in dessen Tatbestand auch nicht das Schreiben der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben an das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen vom 28. Januar 2010 aufgenommen hat, begründet ebenfalls keinen Verfahrensmangel.

Mit dem Beschwerdevorbringen, das verwaltungsgerichtliche Urteil habe den vor dem Kammergericht gestellten Antrag der dortigen Klägerin nicht erwähnt, ist keine Aktenwidrigkeit dargetan. Aktenwidrigkeit liegt nur bei einem zweifelsfreien, ohne weitere Beweiserhebung offensichtlichen Widerspruch zwischen den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen und dem Akteninhalt vor (BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 2019 - 8 B 33.18 - juris Rn. 14). Ein solcher Widerspruch ist hier nicht dargelegt. Dass das Verwaltungsgericht den Berufungsantrag aus dem zivilgerichtlichen Verfahren nicht in sein Urteil aufgenommen hat, begründet keinen Widerspruch zwischen den vorinstanzlichen Feststellungen und dem Akteninhalt.

3. Soweit die nach dem 14. März 2019 eingegangenen Schriftsätze der Klägerin neues Vorbringen enthalten, kann dieses nicht berücksichtigt werden, weil es nach Ablauf der Begründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorgebracht wurde.

a) Der Auffassung der Klägerin, die am 14. März 2019 endende Beschwerdebegründungsfrist habe sich im Hinblick auf die erst am 18. März 2019 vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung über seinen Antrag auf Tatbestandsberichtigung gemäß § 119 VwGO verlängert, ist nicht zu folgen. Die Entscheidung über einen Berichtigungsantrag lässt die Rechtsmittelfrist grundsätzlich unberührt. Anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn erst die Berichtigung die Beschwer erkennen lässt oder dem Betroffenen die nötige Klarheit über sein prozessuales Verhalten verschafft (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Oktober 2015 - 9 B 31.15 - juris Rn. 6 und vom 6. Mai 2010 - 6 B 48.09 - Buchholz 310 § 118 VwGO Nr. 6 Rn. 4). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Unabhängig davon hat sich der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2019 schon deshalb nicht auf den Lauf der Begründungsfrist ausgewirkt, weil mit ihm die Tatbestandsberichtigung überwiegend abgelehnt wurde. Neben der von Amts wegen vorgenommenen Berichtigung der Bezeichnung eines Flurstücks ist das Verwaltungsgericht dem Antrag der Klägerin nur insoweit gefolgt, als es die unzutreffend genannte Vorschrift des § 6 Abs. 6a Satz 3 VermG im Tatbestand seines Urteils gestrichen hat. Im Übrigen hat es den Antrag der Klägerin abgelehnt. Damit unterscheidet sich die berichtigte Fassung des Urteils nur äußerst geringfügig von der der Klägerin zunächst zugestellten Urteilsfassung.

b) Die vorsorglich beantragte Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist ist nicht zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Klägerin hat ihre Beschwerde innerhalb der gesetzlichen Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO mit Schriftsatz vom 14. März 2019 begründet. In den beiden nach Fristablauf eingereichten Schriftsätzen vom 23. April 2019 und vom 13. Mai 2019 macht die Klägerin zwar als Hindernis geltend, erst durch die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2019, mit denen ihre Anträge auf Berichtigung des Tatbestands sowie der Niederschrift abgelehnt wurden, habe sie Kenntnis von Restitutionsgründen erlangt. Ungeachtet der Frage, ob derartige Umstände die Zulassung der Revision rechtfertigen könnten, legt die Klägerin nicht einmal dar, welcher der Restitutionsgründe des § 153 VwGO i.V.m. § 580 ZPO gegeben sein soll. Soweit die Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag auf den Nichtigkeitsgrund des § 153 VwGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO stützt, liegen dessen Voraussetzungen offenkundig nicht vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin werden Zweifel an der vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts nicht schon dadurch begründet, dass das angegriffene Urteil an einzelnen Stellen dem Vorbringen eines Beteiligten folgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO , die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG .

Vorinstanz: VG Frankfurt/Main, vom 28.11.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 11 K 1491/17